ACHTES KAPITEL

Das Beinhaus

Zuerst war da nur Dunkelheit. Er öffnete die Augen, aber es blieb stockfinster. Der Kopf tat ihm weh, und ihn schwindelte. Wenn er sich zu bewegen versuchte, wurde der Schmerz noch schlimmer und sein Kopf drehte sich so sehr, dass er glaubte, er müsse sich übergeben. So atmete er nur tief ein und lag still. Selbst jeder Augenaufschlag schmerzte, und die Dunkelheit blieb. Er hörte Stimmen, aber etwas sagte ihm, dass sie nur in seinem Hirn existierten – Echos aus der Vergangenheit, die bald verschwanden, bald mit neuer Wucht zurückkehrten. Es dauerte eine Zeit, bis ihm klar wurde, dass er sich immer noch in dem Mausoleum befand. Die Kälte half ihm dabei. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon so lag. Selbst an den Augenblick, als er niedergeschlagen wurde, konnte er sich nicht erinnern. Seitdem waren gewiss Stunden vergangen, vielleicht ein ganzer Tag. Er versuchte sich aufzurichten, aber da packte ihn wieder der Schwindel, und in seinem Kopf stach es wie mit Messern. Er sank zu Boden und verlor erneut das Bewusstsein.

Als er das zweite Mal zu sich kam, war es dunkel wie zuvor, die Kälte biss an ihm, aber der Schmerz im Kopf hatte etwas nachgelassen. Als Erstes fragte er sich nun, was wohl aus Sarah geworden war.

»Sarah?«, flüsterte er. Dann etwas lauter: »Sarah? Bist du hier? Kannst du mich hören?«

Keine Antwort. Ihn durchfuhr der Gedanke, dass die Männer Sarah getötet hatten und ihn liegengelassen hatten, weil sie auch ihn tot glaubten. Erst jetzt begriff er, dass er auf einem steinernen Fußboden lag, umgeben von den Gebeinen seiner Familie. Wenn er hier nicht bald herauskam, würde er erfrieren und so lange liegenbleiben, bis jemand einen Sarg brachte und ihn hineinlegte. Etwas Unangenehmes kletterte auf sein Gesicht, lief ihm über Kinn und Mund, aber er war zu schwach, um mehr zu tun, als es festzustellen.

Ein Teil von ihm, und nicht der kleinste, wollte sich einfach zusammenrollen und wieder im Schlaf versinken. Als er schlief, hatte er weder den Schmerz im Kopf noch die Kälte im ganzen Körper gespürt. Schlaf schien ihm im Augenblick das Beste von der Welt zu sein. Nur eine Minute, höchstens zwei oder vielleicht eine halbe Stunde – so bohrte eine Stimme unablässig in ihm. Weshalb aufstehen?, fragte sie. Sarah ist tot, Abi ist tot, Großvater ist tot, und auch du wirst bald tot sein. Lass es im Schlaf geschehen, gib nach, lass dich mit der Strömung treiben, mit der langsamen, ruhigen Strömung, mit …

Er zwang sich mit aller Gewalt, wach zu bleiben, was einen neuen Stich in seinem Kopf auslöste, der diesmal durch sein ganzes Rückgrat lief. Das war das Beste, was er hatte tun können. Der Schmerz machte ihn vollends munter. Er hob die Hand und fegte die große Spinne hinweg, die es sich auf seinem Mund bequem gemacht hatte.

Er brauchte fast seine ganze Kraft, um auf die Beine zu kommen. Doch sofort sackte er wieder in sich zusammen und lag erschöpft am Boden. Seine Beine, die von Kälte und stundenlanger Bewegungslosigkeit völlig taub waren, trugen ihn einfach nicht. Nun benutzte er seine Arme, um in eine sitzende Stellung zu gelangen. Dann beugte er sich nach vorn und rieb und knetete seine Beine, um wieder Leben hineinzubringen. Die beiden Kerle hatten so zur Eile gedrängt, dass er nur im Schlafanzug und in seinem Tweed-Sakko, das über einem Stuhl hing, aus dem Haus getreten war. Er begann, seine Beine zu bewegen. Den Schmerz, den dies verursachte, musste er eben ertragen. Er holte tief Luft, quälte sich vom Boden hoch und suchte das Gleichgewicht zu halten.

Er fürchtete, erneut hinzufallen und sich dabei einen Arm oder ein Bein zu brechen. Da er nun wieder wusste, wo er sich befand, bewegte er sich nach einer Seite, zuerst einen Schritt, dann einen zweiten, bis er über ein Hindernis fiel, das er mit beiden Händen umklammerte. Es war ein Sarg.

Jetzt wurde ihm klar, dass er keine Vorstellung hatte, in welcher Richtung er sich bewegte. Kein Fünkchen Licht war in dem Raum, nicht die geringste Spur. Ewige Dunkelheit, die nur kurz unterbrochen wurde, wenn Männer in schwarzen Anzügen einen Sarg hereintrugen.

Das Mausoleum war ein einfacher Bau: Ein hoher, rechteckiger Raum, der an zwei Seiten von Nischen gesäumt wurde. In den meisten standen Särge. Nur einige der Nischen waren noch leer. Es sollte nicht allzu schwer sein, die Tür zu finden, sie zu öffnen und ins Freie zu gelangen. Ethan tastete sich an den Särgen zu seiner Linken entlang und schleppte sich mit heftig schmerzenden Gelenken vorwärts.

Nach kaum einer Minute hatte er die Rückwand des Bauwerks erreicht. Er tastete sie mit den Händen ab, fand aber nichts als Stein und Spinnweben. Es war eine nackte Mauer, die von einer Seitenwand mit Nischen zur anderen reichte. Solides Mauerwerk, das bereits mehrere hundert Jahre Regen, Feuchtigkeit und Stürmen trotzte.

Noch rascher hatte er die andere Seitenwand hinter sich gebracht und befand sich vor der Tür. Sorgsam fuhr er über das Holz, bis er zu dem Spalt kam, wo die beiden Türflügel zusammenstießen. Als er ihn mehrmals von oben bis unten abgetastet hatte, verließ ihn aller Mut. Für einen Augenblick stand er völlig still. Er hatte nach einem Griff, zwei Griffen oder Knöpfen gesucht, mit denen man die Tür öffnen konnte. Jetzt aber wusste er, dass er nur seine Zeit verschwendete. Die Innenseite einer Mausoleumstür hatte keine Griffe.

Mit all seiner Kraft warf er sich zuerst gegen den einen, dann gegen den anderen Türflügel. Sie bewegten sich keinen Millimeter. Er versuchte es immer wieder. Sicher waren die beiden Mörder davongelaufen, ohne sich die Zeit zu nehmen, ihn einzuschließen. So ein Schicksal konnten sie ihm nicht zugedacht haben. Dann aber fiel ihm ein, wie er auf die beiden Leichen im Arbeitszimmer des Großvaters gestoßen war, wie Lukács Sarah die Kleider vom Leib gerissen und sie halbnackt durch die kälteste Nacht des Jahres getrieben hatte.

Als ihm klar wurde, dass er in der Falle saß, dass er in dieser Kälte und Finsternis sterben würde, einsam und allein unter den gefühllosen Toten, stieg Panik in ihm auf. Die Tür bestand aus dicken Holzbohlen, die von schweren eisernen Angeln gehalten wurden. Er wusste, dass er nie die Kraft aufbringen würde, sie auch nur einen Millimeter zu bewegen. Seine Beine, geschwächt von der Kälte, trugen kaum das Gewicht seines Körpers. Wieder stürzte er schwer auf seine rechte Hüfte und schrammte sich dabei den Ellenbogen auf. In diesem Augenblick fühlte er sich besiegt. Zugleich wurde ihm die grausige Wahrheit bewusst, dass auch Sarah bald sterben würde, wenn sie sie nicht bereits umgebracht hatten.

Er setzte sich wieder auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und wartete ab, bis sein Atem sich beruhigt hatte und der Schmerz in Hüfte und Ellenbogen etwas erträglicher wurde. Er hatte keine Ahnung, ob etwas gebrochen war. Aber das hatte ohnehin keine Bedeutung mehr. Wohin sollte er noch gehen, wofür seinen Arm noch benutzen?

Er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis die Luft in diesem Verließ völlig verbraucht war, doch er war sicher, dass es so kommen musste. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, aber in dem lichtlosen Raum war auch das gleichgültig. Einzig der Tastsinn war noch zu etwas nutze, doch alles, was er berührte, waren Spinnweben oder die verfallenden Reste älterer und jüngerer Toter. Alles in diesem steinernen Grab zerfiel zu Staub, und er würde denselben Weg gehen.

Das Unabänderliche, das ihn erwartete, war schwer vorstellbar und noch schwerer zu ertragen. Es zerriss ihm fast das Herz, wenn er daran dachte, wie man Sarah so völlig ohne jede Schuld in eine Verschwörung gezogen hatte, die hinter dieser ganzen Sache stecken musste. Er zermarterte sich das Hirn, worum es dabei gehen könnte, aber nichts passte zusammen, nichts ergab einen Sinn, der sein Gefühl für Gerechtigkeit und Ordnung zufriedengestellt hätte. Gegenstände, die Reliquien der Kreuzigung Christi sein konnten oder auch nicht, die man aus einem Grab in der Libyschen Wüste mitgenommen hatte, waren in ein Grab in England geraten und nun von Männern gestohlen worden, über deren Motive Ethan nur rätseln konnte. War es möglich, dass Reliquien des Christentums Menschen dazu brachten, andere zu ermorden, einen völlig Fremden in einem Totenhaus einzuschließen, einer Frau die Kleider vom Leib zu reißen und ihr mit Vergewaltigung zu drohen?

Die Hüfte schmerzte immer noch. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf die andere Seite, wobei er sich mit der linken Hand abstützte. Dabei spürte er, dass etwas gegen seine linke Hüfte drückte. Da er nicht wusste, was es war, tastete er mit der Hand in der Tasche seines Sakkos danach. Hervor kam die Schachtel Streichhölzer, die er am Vortag in der Küche eingesteckt hatte, als die Kerzen auf dem Abendbrottisch entzündet waren.

Er legte die Schachtel neben sich auf den Boden. Die Hölzchen konnten ihm noch ein wenig Licht spenden, bevor er in ewiger Finsternis versank. Einige Minuten später kam ihm jedoch der Gedanke, er könnte sie benutzen, um sich die Tür genauer anzuschauen und vielleicht einen verborgenen Mechanismus zu entdecken, den er nicht hatte ertasten können.

Behutsam schob er die Schachtel auf, bemüht, nichts auf den Boden fallen zu lassen, und zog ein Streichholz heraus. Es war lang und würde einige Zeit brennen. Er strich es an, und helles Licht flammte auf. Er hielt es so, dass es möglichst lange brennen sollte, und nutzte das Licht, um sich erst einmal zu orientieren.

Die Tür war, wie er wusste, direkt vor ihm. Auf beiden Seiten verlor sich die Reihe der Särge in der Dunkelheit. All das vor sich zu sehen und es nicht nur mit den Händen zu ertasten verstärkte noch den Schrecken des Augenblicks. Das Hölzchen brannte, so lange es konnte, und erlosch.

Er stand auf und zündete ein zweites an. Damit untersuchte er den einen Türflügel mit größter Sorgfalt. Beim Schein eines dritten nahm er sich den anderen Flügel vor. Als diesmal die Flamme ausging, war es auch mit dem schwachen Hoffungsschimmer vorbei. Das Licht der Hölzchen hatte ihm bestätigt, dass er nur die glatte Oberfläche einer massiven Tür vor sich hatte, die nicht dafür gemacht war, dass jemand aus dem Inneren dieses Raumes wieder ans Tageslicht zu kommen suchte. Kein Griff, kein Knopf, keine Möglichkeit, das Schloss irgendwie auszuhebeln.

Er ließ sich in die Hocke nieder und überlegte, ob er sich selbst umbringen sollte. Alles andere, nur nicht hier in der Finsternis verhungern, stickige Luft atmen und dem Tode entgegendriften wie eine faulende Frucht in einer beschleunigten Videoinstallation. Er konnte versuchen, sich zu ersticken, indem er sich das Taschentuch in den Mund stopfte. Aber er wusste, dass der Reflex des Erbrechens es wieder herauswürgen würde. Ein qualvoller Tod in einem langen Delirium erwartete ihn.

Dann dachte er an Feuer. Es stand in seiner Macht, ein Feuer zu entzünden, das ihn verschlingen und töten würde. Doch wo sollte er genügend Brennmaterial finden, wie ausreichend Hitze erzeugen, um sich selbst zu verbrennen, ohne lange leiden zu müssen?

Vielleicht konnte er ja einen Strick und irgendwo auch einen Haken finden, um sich zu erhängen. Häftlingen in ihren Zellen gelang das doch auch. Als junger Polizist hatte er einmal einen Mann im Keller des Amtsgerichts abschneiden müssen, zu spät, um sein Leben zu retten. Manche benutzten dafür Schnürsenkel, andere eine Krawatte. Er hatte keines von beiden.

Er grübelte über alle Möglichkeiten nach, ein Menschenleben zu beenden, musste sich aber eingestehen, dass ihm dazu nichts Brauchbares einfiel. Wenn er es über sich brächte, so dachte er dann, einen der älteren Särge zu öffnen und sich an einem Skelett zu vergreifen, dann konnte ein gebrochener Schenkelknochen vielleicht scharf genug sein, um sich die Pulsadern oder die Kehle durchzuschneiden. Aber ohne Werkzeug gelangte er auch in keinen Sarg. Hier fiel ihm erneut das Feuer ein. Die Särge waren mit Tüchern abgedeckt, die brennen würden wie Zunder. Auch das Holz darunter konnte Feuer fangen, und in einem Sarg gab es die seidene Auskleidung und ein Leichentuch. Vielleicht verbrannte das Feuer einen Sargdeckel so weit, dass er ihn öffnen konnte. Aber das alles war Zeitverschwendung, wenn er es nicht über sich brachte, in einer Leiche zu wühlen, ihr einen passenden Knochen zu entnehmen und sich selbst damit eine tödliche Wunde zuzufügen.

An diesem Punkt dämmerte ihm, dass er nicht so weit gehen musste. Er brauchte nur einen Sarg an die Tür zu schieben, in Brand zu setzen und abzuwarten, bis die Tür selbst Feuer fing. Dieses würde sie teilweise zerstören, so dass er sie aufbrechen und ins Freie gelangen konnte. Wenn er nicht zuvor an dem Rauch erstickte. Aber vielleicht gelang es ja frühzeitig, eine Bresche in die Tür zu schlagen, durch die der Rauch abziehen konnte.

Ob das wohl funktionierte? Er wusste es nicht. Doch alle anderen Möglichkeiten hatten sich in Luft aufgelöst. Wenn er nicht bald handelte, würde er vor Kälte wieder in Schlaf versinken und wahrscheinlich nie mehr aufwachen. Sicher ein friedvolles Ende, aber das fürchtete er am meisten.

Er steckte die Streichholzschachtel in die Tasche zurück, um sie nicht fallen zu lassen, wenn er ein Feuer zu entzünden suchte. Im Dunkeln tastete er sich erneut die Wand entlang, um einen der älteren Särge auszuwählen. Altes Tuch, altes Holz und alte Knochen – er hoffte, dass diese Kombination schneller zu entzünden war und besser brennen würde.

Der Sarg, für den er sich schließlich entschied, musste genau für diese Nische angefertigt worden sein. Zu beiden Seiten war gerade genug Platz, um eine Hand hineinzuschieben, wobei er sich die Fingerknöchel an den rauen Steinen abschürfte. Den schweren Sarg herauszuziehen war sicher nicht leicht, dachte er bei sich. Aber er hatte keine Wahl. Er packte die Abdeckung aus Filz, so gut es ging. Dabei hoffte er, sie werde fest genug sein, dass er das hölzerne Ungetüm ein Stück aus der Nische herausziehen konnte. Aber wie er sich auch mühte, der Sarg bewegte sich keinen Zentimeter. Nun holte er tief Luft und setzte all seine Kraft ein. Da riss das Tuch, er fiel nach hinten und prallte schmerzhaft gegen die Särge auf der anderen Seite.

Er rappelte sich wieder auf und nahm sich den nächsten Sarg vor. Diesmal schob er die Hände darunter. Wieder riss der Filz, aber diesmal näher an den großköpfigen Nägeln, mit denen es unten am Sarg befestigt war. Dort konnte Ethan nun kräftiger zufassen, wodurch es ihm tatsächlich gelang, den Sarg ein Stück aus der Nische zu ziehen. Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter zerrte er das lange hölzerne Behältnis in die Mitte des Raumes. Als schließlich auch das Kopfende aus der Nische zu Boden plumpste, glaubte Ethan, die Arme müssten ihm abfallen. Er setzte sich nieder und wartete, bis er wieder etwas zu Atem gekommen war. Dabei fürchtete er am meisten einen kleinen Aussetzer, ein kurzes Schwinden seines Bewusstseins, das sein sicheres Ende bedeuten würde.

Mit letzter Kraft schob er nun den Sarg in Richtung Tür, an die er ihn mit der Breitseite anlehnte. Von der Aktion fühlte er sich so geschwächt, dass er es bei diesem einen Sarg bewenden lassen musste. Einen zweiten durch den ganzen Raum zu befördern, dafür fehlte ihm die Kraft.

Er riss sich zusammen, stellte sich dicht neben den Sarg, hob den Fuß und trat mit aller Kraft von oben auf den Deckel. Das Holz splitterte, aber es brach nicht. Er versuchte es noch einmal. Nun gab das Brett nach, und sein Fuß fuhr in den Sarg, als berste unter ihm Eis auf einem gefrorenen Teich. Er trat auf etwas, das Knochen sein mussten. Es knisterte wie trockenes Reisig. Obwohl es stockdunkel war, schloss er die Augen, weil er nicht wissen wollte, was er da mit dem Fuß zerstampft hatte. Vorsichtig zog er ihn aus der scharfkantigen Öffnung heraus und trat dicht daneben noch einmal zu. Wieder gaben Holz und Knochen nach, doch diesmal schürfte etwas Spitzes seinen Knöchel auf.

Noch zweimal ließ er den Fuß niedersausen. Dann stand er atemlos und angewidert vor dem aufgebrochenen Sarg. Aus der Sakkotasche holte er die Streichholzschachtel und schob sie auf. Als er das erste Streichholz entzünden wollte, zitterte seine Hand. Er biss die Zähne zusammen, es gelang, und wieder erleuchtete das Flämmchen die Umgebung. Nach kurzem Zögern hielt er das brennende Hölzchen in den Sarg. Etwas fing sofort Feuer. Er zog es heraus, um auch die grüne Abdeckung in Flammen zu setzen. Mit einem zweiten Streichholz hatte er noch mehr Erfolg. Ein drittes und ein viertes folgten. Es brannte wie Zunder. Er packte den Sarg von unten und kippte ihn an, damit die Flammen die Tür besser erreichten.

Zwar hielt er sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, aber der Rauch stieg ihm zuerst in die Augen und drang dann nach und nach bis in seine Lunge vor. Als die Flammen wuchsen, wurde der Rauch immer dicker und beißender. Hustend und nach Luft ringend musste er sich in die Tiefe des Raumes zurückziehen. Etwas zu Atem gekommen, rannte er gegen die Tür und trat heftig gegen den unteren Teil, der bereits brannte. Sie gab ein wenig nach, aber der Rauch trieb ihn zurück. Er stach in seinen Augen und biss in seiner Kehle. Die Flammen erleuchteten inzwischen die Tür und den brennenden Sarg, doch er sah, dass ihre Kraft nicht ausreichte. Der Rauch dagegen breitete sich allmählich im ganzen Raum aus. Wenn er ihm keinen Abzug schaffen konnte, dann war es bald um ihn geschehen.

Wieder zwang er sich zur Tür zurück. Diesmal gelang es ihm, den Sarg ausreichend zu kippen, so dass die Flammen die Tür von unten und von den Seiten erfassten. Dabei ertönte aus dem Sarg ein klapperndes Geräusch. Erneut zog er sich zurück und wartete ab, dass das Feuer sich tiefer in die Türbohlen hineinfraß.

Das Taschentuch fest gegen das Gesicht gepresst, stürzte er noch einmal vor und trat mit aller Kraft gegen die verkohlte Tür. Als er sich gerade wieder zurückziehen wollte, spürte er, dass etwas nachgab und dass sein Fuß durch eine Öffnung ins Freie fuhr. Dabei riss er sich schmerzhaft den Knöchel auf. Als er hinunterschaute, erblickte er etwas Wunderbares: Von außen fiel ein breiter Sonnenstrahl in die Grabstätte herein. Der Rauch, der endlich einen Ausweg gefunden hatte, drang durch die Öffnung und verdunkelte das Licht. Nun zog sich Ethan so weit zurück, wie er konnte, und sah zu, wie die Flammen ihr Werk verrichteten. Wieder rannte er auf die Tür zu und erweiterte das Loch mit neuen Fußtritten, damit mehr Rauch entwich. Als die Tür lichterloh brannte, verlegte sich Ethan aufs Warten. Seine Lunge musste schon völlig versengt sein, so glaubte er, seine Augen waren so rot und geschwollen, dass er sie kaum noch öffnen konnte. Als er sie wieder einmal einen Spalt öffnete, sah er, dass die Flammen bereits um die Mitte der Tür züngelten, wo sich das Schloss befand. Wenn er es zu früh attackierte, konnte es misslingen, und er starb an einer Rauchvergiftung. Doch ihm blieb nicht mehr viel Zeit zum Warten. Er zögerte noch einen Moment, dann warf er sich, die rechte Schulter vorgestreckt, mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Er schrie auf vor Schmerz, als er gegen sie prallte, aber sie gab etwas nach. Er versuchte es noch einmal mit der Kraft der Verzweiflung, und ein drittes Mal. Da barst das Holz, das Schloss sprang auf, die Tür gab nach, und er stürzte Hals über Kopf ins Freie. Hustend, schnaufend und blutend rutschte er die Stufen des Mausoleums hinunter in den tiefen Schnee. Dort lag er weinend im Sonnenlicht und sog gierig die frische Luft ein, die wie der köstlichste Wein schmeckte. Ihm wurde schwarz vor Augen und eine tiefe bleierne Erschöpfung legte sich über ihn. Doch er wusste, dass Schnee und Luft ihn genauso rasch töten konnten wie Rauch oder Hunger. Mit übermenschlicher Anstrengung kam er nach einer Weile auf die Beine und schleppte sich über das schier endlose Schneefeld in Richtung des Hauses.