VII
Bereits nach wenigen Schritten war Tony klar, dass ihn hier nichts, aber auch gar nichts an die Stadt Köln erinnern würde, in der er einmal zuhause gewesen war. Die Erkenntnis war wie ein Schlag in die Magengrube. Auf einmal vermisste er Melanie noch mehr als sonst. Aber auch Franzi, Ralf und Gwanwyn fehlten ihm. Er musste sich hinsetzen. Doch das war nicht einfach. Es war nicht wie in „seinem“ Köln, wo man immer irgendwo eine Bank finden konnte. Er nahm schließlich den Korb ab, lehnte ihn an eine Wand und setzte sich auf ihn. Harpalos streckte sich auf den Boden aus.
Unter den Passanten waren Germanen und Kelten, aber auch Orientalen und Schwarze aus Afrika. Etliche waren Soldaten. Auch viele der Paare, die unterwegs waren, waren gemischt.
An einem Gemüsestand kaufte ein dunkelhäutiger Soldat mit einer Germanin und einem offensichtlich gemeinsamen Kind gerade Rüben. Die meisten sprachen Latein. Die Germanen und Kelten unterhielten sich untereinander in ihrer Sprache. Jetzt liefen zwei Männer an ihm vorbei, die Griechisch sprachen.
Er fühlte wieder die Müdigkeit, die er schon weit vor der Stadt verspürt hatte. Sie kam jetzt nicht nur von der schlaflosen Nacht, sondern auch vom Hunger. Harpalos musste es doch ähnlich gehen!
„Komm, wir suchen eine Taverne“, sagte er zu ihm.
Der Hund erhob sich sofort.
Tony setzte seinen Rucksack wieder auf, und sie gingen weiter. Die Straße war gepflastert und sauber gekehrt, und so weit er das sehen konnte, traf das auch auf die Seitengassen zu.
Sie erreichten einen großen Platz. Unter einem überdachten Säulengang entdeckte er mehrere freie Holztische mit Hockern und setzte sich. Harpalos legte sich unter den Tisch. Es dauerte nicht lange bis, die Bedienung kam.
„Junge, kannst du denn auch bezahlen?“, fragte sie.
Er hielt ihr eine von Severus‘ Münzen hin.
„In Ordnung. Was kann ich dir bringen?“
„Etwas Warmes mit Fleisch und Gemüse.“
Gerade als die Frau weggehen wollte, fügte er hinzu: „Ich habe noch eine Frage, vielleicht ist sie aber sehr unhöflich.“
„Nur zu, Junge“, ermunterte ihn die Frau.
„Mein Hund hat Durst, hättest du einen Napf für ihn?“
Wie auf Kommando setzte sich Harpalos auf die Hinterpfoten, legte den Kopf schief und sah die Frau treuherzig an.
Sie lächelte. „Ich werde schon etwas für ihn auftreiben.“
„Gut gemacht“, sagte Tony, als sie weg war.
Wenig später kehrte sie mit einem voll beladenen Tablett zurück. Für Harpalos hatte sie eine extra Tonschale dabei. Tony dankte ihr und bezahlte.
Er gab dem Hund nicht nur Wasser, sondern teilte auch seinen Eintopf mit ihm. Danach ging es ihm bedeutend besser. Er blieb noch sitzen und beobachtete das Kommen und Gehen.
Es würde schwer werden, einen Platz für die Nacht zu finden. Es war alles anders, als er es sich vorgestellt hatte. Hier gab es garantiert keine verlassenen Häuser. Er sah auch keine Obdachlosen oder Bettler.
Ein geschminkter älterer Mann in bunter Kleidung, die sehr teuer aussah, und ein kleiner Junge von etwa neun oder zehn Jahren setzten sich an den freigewordenen Tisch neben ihm. Auch der Junge war geschminkt, aber so wie der Mann mit ihm umging, war er kein Sohn, sondern ein Sklave. Der Mann tätschelte dauernd an dem Jungen herum. Dieser lächelte zwar, doch glücklich sah er dabei nicht aus.
Tony ertrug es nicht, den beiden länger zuzusehen, und drehte ihnen den Rücken zu. Sein Blick fiel auf einen Stand, an dem Schmuck aus Glasperlen verkauft wurde. Eine gut gekleidete junge Frau mit hochmütig erhobenem Kopf und aufgetürmten Haaren stand davor. Sie raunzte ihre viel einfacher gekleidete ältere Begleiterin an und schlug sie sogar. Die Begleiterin trug mehrere, schwere Körbe, während die junge Frau einfach nur dastand.
Ein seltsamer Singsang, den er schon eine ganze Weile wahrgenommen hatte, kam immer näher. Etwa 20 Männer und Frauen bogen aus einer Seitenstraße auf den Platz ein. Tanzend folgten sie einer hölzernen Götterstatue, die von mehreren halbnackten Männern getragen wurde. Dabei sangen sie eine monotone Melodie und schüttelten rhythmisch kleine Schellen. Sie wollten anscheinend zum Tempel am anderen Ende des Platzes.
Tony musste kurz eingenickt sein; der Lärm hatte ihn wieder geweckt. Ochsenkarren, Eselskarren, Reiter, ein Trupp Fußsoldaten, deren genagelte Sohlen die Erde beben ließen, schwatzende Frauen, kreischende Kinder, Lachen, Brüllen, Befehle, das Anpreisen von Waren, und vor dem Tempel jetzt auch noch weißgekleidete Männer, die in seltsame metallene Hörner bliesen. Harpalos jedoch schien die Musik zu gefallen. Er begann mitzujaulen, und einige ihrer Tischnachbarn brachen darüber in Gelächter aus.
Die Kakophonie tat Tonys Ohren weh. Pressluftbohrer oder Kreissägen hätten nicht nerviger sein können. Doch er würde sich daran gewöhnen müssen.
Jetzt galt es, eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Es war zwar noch mitten am Tag, doch die Suche würde sicher viel Zeit kosten. Und so machte er sich mit Harpalos auf den Weg.
Die Straßen waren schnurgerade und verliefen im rechten Winkel zu einander. Tony und sein Hund durchkämmten sie systematisch, doch nirgends gab es dunkle Ecken, in denen sie hätten unterkriechen können. Sie kamen an riesigen Villen mit ummauerten Gärten und bewaffneten Pförtnern vorbei, an Mietskasernen, die mehrere Stockwerke hoch waren, an düsteren, hohen Gebäuden, die von außen wie Fabriken oder Gefängnisse aussahen, an öffentlichen Bädern – Tony wunderte sich, wie viele es in Köln gab – Toiletten und Tempeln.
An jeder zweiten Straßenecke gab es öffentliche Brunnen, an denen Frauen und Kinder Wasser holten. Wenigstens würden sie nicht verdursten. Von Severus‘ Sklaven wusste er, dass das Wasser frisch war. Es kam über ein Aquädukt aus der Eifel.
Hin und wieder entdeckte Tony an Hauswänden den Hinweis, dass es hier eine Wohnung oder ein Zimmer zu mieten gab. Er ärgerte sich, dass er nicht mehr von Severus’ Münzen gestohlen hatte. Dann hätte er sich wenigstens in der ersten Nacht ein Zimmer nehmen können.
Jetzt gingen sie eine Straße hinunter, in der beinahe jedes Haus eine Taverne war. Grell geschminkte Frauen standen davor und sprachen vorbeigehende Männer an. Meist hatten sie Glück, und der Mann ging mit ihnen hinein. Hier kam anscheinend nur her, wer bestimmte Absichten hatte. Obwohl er sicher zu jung war, um interessant zu sein, ging Tony schneller und traute sich nicht, den Blick nach oben zu richten. Doch er hatte sich geirrt.
„Möchtest du, dass ich dich verwöhne?“
Er blieb wie vom Donner gerührt stehen. Das hohe Stimmchen verschlug ihm einen Moment lang den Atem. Es konnte doch nicht …? Nein. Es war nicht Flavia. Aber ein Mädchen, das eher noch jünger war als sie. Ihr Gesicht war genauso bunt bemalt wie das der anderen Prostituierten.
„Du bist viel zu jung für so eine Arbeit“, brach es aus Tony heraus.
Eine Hure, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, lachte auf. „Wenn wir dir leid tun, musst du uns kaufen.“
Ein unglaublich fetter Mann mit einem unangenehmen Gesichtsausdruck kam aus dem Haus. „Was ist los?“, fragte er.
„Nichts“, sagten die beiden ängstlich wie aus einem Mund.
„Willst du eines der Mädchen?“, schnauzte er.
Entsetzt schüttelte Tony den Kopf.
„Dann hau ab“, brüllte der Mann.
Harpalos knurrte und setzte zum Sprung an. Tony packte ihn am Halsband und zerrte ihn mit sich. Nur zu gerne hätte er den Mann mit seinen Fäusten bearbeitet, doch der Gedanke, dass die Mädchen dann richtigen Ärger bekommen würden, hielt ihn zurück.
Lange wanderten sie danach einfach nur herum. Hinter der nächsten Ecke erstreckte sich ein riesiger Platz. In einem gewaltigen Halbkreis zog sich eine fast kilometerlange Säulenhalle um einen Tempel. Gegenüber stand ein mehrstöckiges Gebäude, vor dem prächtig gekleidete Soldaten jeden in Augenschein nahmen, der hinein wollte. Dahinter ragten weitere, noch größere Gebäude und Tempel in die Höhe. Und hinter diesen wiederum thronte auf einer Erhebung, weithin sichtbar, der größte Tempel, den Tony bisher gesehen hatte. Sein Herz schlug schneller. War das die Stelle, an der in seiner Zeit der Dom stand? Falls ja, müsste sich nicht weit entfernt der Rhein befinden. Tony lief in die Richtung. Und … halt. Was war das?
Sie standen vor einem fließenden Gewässer. Es musste der Rhein sein. Aber er war sehr schmal, nur wenige Meter gegenüber ragte bereits das andere gemauerte Ufer auf. Eine steinerne Brücke führte hinüber. Tony verstand das nicht. Die Sklaven hatten von einem Hafen mit Frachtschiffen, Lagerhallen und weiter südlich einem Stützpunkt der römischen Flotte berichtet. Aber er sah nicht ein einziges Schiff. Auf diesem schmalen Flüsschen war auch gar kein Platz dafür. Es sei denn, es hätte sich um Paddelboote gehandelt.
Der Verkehr auf der kurzen, stabilen Brücke war allerdings erheblich. Was wohl auf der anderen Seite war?
Sie betraten die Brücke und mussten ständig höllisch aufpassen, dass sie nicht von einem der schweren Wagen erfasst wurden.
Auf der anderen Seite führte eine schnurgerade, breite Straße zwischen großen und kleinen, aber allesamt hässlichen Gebäuden hindurch weiter. An ihrem Ende ragten meterhohe hölzerne Stangen in die Luft.
Und dann standen sie tatsächlich am Ufer des Rheins.
Er war so breit, dass Tony kaum das andere Ufer sehen konnte. Vor ihm befand sich eine riesige Anlegestelle. Ein Schiff wurde gerade entladen. Soldaten untersuchten es und befragten einen älteren Mann, während andere Männer Amphoren zu Ochsenkarren trugen. Weiter draußen warteten weitere Schiffe darauf, anlegen zu können. Alle hatten am Bug kunstvoll geschnitzte und bunt bemalte Holzbögen, und aus ihren Bäuchen ragten wie die Beine eines Tausendfüßlers viele lange Ruder, die so präzise bewegt wurden, als wären sie computergesteuert.
Tony drehte sich um. Die hölzernen Stangen, die ihm aufgefallen waren, gehörten zu Lastkränen. Und eine Lagerhalle reihte sich an die andere, so weit das Auge reichte. Dieses ganze Hafengebiet war wie eine gemauerte Insel vor der Stadt.
Hier musste sich doch ein Unterschlupf finden lassen!
Und hier konnte er sicher Dinge stehlen, die er in der Stadt verkaufen konnte.
Tony war die Insel bereits einmal in ihrer kompletten Länge und Breite abgelaufen, Harpalos an seiner Seite. Jetzt standen sie wieder vor dem großen, zweistöckigen Gebäude mit dem ummauerten Hof. Es wirkte verlassen. Über einem mit Tonziegeln bedeckten Vordach entdeckte Tony ein offenes Fenster. Dort wollte er hinauf, innen dann ins Erdgeschoß hinuntersteigen und für Harpalos einen Fensterladen öffnen. Er musste nur einen Balken organisieren, der bis zur Dachtraufe hinaufreichte. An dem könnte er hinaufklettern.
Eigentlich kein Problem. Trotzdem zögerte er.
Alle unteren Fensteröffnungen waren vernagelt. Es würde drinnen also stockdunkel sein. Tony hatte zwar seine Taschenlampe, aber wie lange würde die Batterie noch reichen? Dunkelheit war ihm schon immer unheimlich gewesen, er hatte diesem Gefühl jedoch noch nie nachgegeben. Was hielt ihn also jetzt zurück?
Irgendetwas stimmte hier nicht. Das Gebäude strahlte etwas unfassbar Düsteres aus. Obwohl der Tag hell und freundlich war, schien die Sonne es nicht zu erreichen. Jetzt begann Harpalos auch noch leise zu knurren. Und er knurrte weiter, während Tony die Halle aufmerksam betrachtete.
Am liebsten wäre er weitergegangen. Doch dies war das einzige ungenutzte Gebäude, das sie bis jetzt entdeckt hatten. Wenn sie hier nicht bleiben könnten, würden sie wahrscheinlich auf der Straße schlafen müssen. Und dort würden sie auffallen. Von Severus’ Sklaven wusste er, dass diejenigen, die kein Nachtquartier hatten, nachts die Stadt verlassen mussten. Das konnte er nicht riskieren. Schließlich musste er damit rechnen, dass Severus nach ihm suchen ließ und die Wachen an den Stadttoren seine Beschreibung hatten. Möglicherweise wussten sie inzwischen auch, dass er einen großen schwarzen Hund dabei hatte. Nein. Er musste innerhalb der Stadtmauern bleiben und sich möglichst unsichtbar machen.
So mulmig ihm auch war - er würde jetzt einen Balken auftreiben und in das Gebäude einsteigen.
Ein passende Holzstange hatte er bald gefunden und lehnte sie an das Vordach. Er nahm sein Taschenmesser aus dem Ledertäschchen am Halsband des Hundes und holte den Dolch aus dem Korb. Beides steckte er in die Tasche an seinem Gürtel. Den Korb ließ er bei Harpalos. Danach kletterte er auf der Stange nach oben. Auf dem Vordach angekommen, zog er die Stange hinauf und deponierte sie auf dem Dach. Dann stieg er in das offene Fenster.
Und sofort kletterte er wieder hinaus.
Es roch widerlich süßlich; fast hätte er sich übergeben. Unten stand Harpalos, der ihn keinen Moment aus den Augen ließ.
„Lass uns von hier verschwinden!“, schien er zu sagen.
Doch dass da unten jemand war, der sich Sorgen um ihn machte, gab ihm Kraft. Entschlossen stieg Tony noch einmal durch die niedrige Fensteröffnung.
Drinnen war es gar nicht so schwarz, wie er zunächst befürchtet hatte. Nachdem seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, kam er ohne seine Taschenlampe aus. Trotzdem war der weitläufige Raum, in dem sich in regelmäßigen Abständen Säulen befanden, unheimlich. An den Säulen waren Ringe befestigt, von denen lange, schwere Eisenketten hingen. Der süßliche Geruch stieg vom fleckigen Boden auf. Tony schauderte, denn er zweifelte nicht daran, dass es sich bei den Flecken um Blut handelte. Wurden hier Tiere geschlachtet? War das hier also ein Schlachthaus? Brachte man die Tiere hierher und tötete sie dann und verkaufte das Fleisch? Das konnte sein. Aber warum wurden sie nicht ins Erdgeschoss, sondern in den zweiten Stock gebracht? Und wie ging das vonstatten? Die ängstlichen Tiere begriffen doch sicher, was mit ihnen geschehen würde.
Obwohl Tony sich äußerst unwohl fühlte, war er neugierig auf das Erdgeschoss. Als er die steinerne Treppe hinunterging, fragte er sich wieder, wie hier wohl Tiere hinaufgetrieben werden konnten.
Je tiefer er hinabstieg, desto dunkler wurde es. Er musste seine Taschenlampe einschalten. Und es kam ihm so vor, als würde sie schon jetzt nicht mehr so hell leuchten wie sonst.
Mit jedem Schritt hinab in die Schwärze verstärkte sich der Gestank. Es war einerseits der süßliche Geruch, aber außerdem roch es nach Fäulnis und Exkrementen. Im Erdgeschoss sah es nicht viel anders aus als oben. An einer der Fensteröffnungen versuchte er, ein Brett herauszubrechen. Ohne das Taschenmesser wäre es ihm nicht gelungen. Doch als er endlich eine Öffnung geschaffen hatte, die groß genug war für den Hund, weigerte der sich hereinzuspringen. Er schwankte offenbar zwischen seiner Angst und seinem Wunsch, Tony zu folgen.
Tony beugte sich hinaus und hievte seinen Korb herein. Danach musste er Harpalos richtig anraunzen, damit der endlich hereinsprang. Drinnen bewegte sich der Hund geduckt, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Plötzlich lief er ins Dunkel und knurrte. Tony folgte ihm und entdeckte eine Treppe, die in einen Keller führte. Harpalos sah nervös hinunter, ging aber keinen Schritt weiter.
Tony schüttelte seine Taschenlampe, um den letzten Rest aus der Batterie herauszuholen. Dann tastete er sich die Stufen hinunter.
Er war etwa bis zur Hälfte der Treppe gekommen, als er es hörte.
Da unten rasselte eine Kette!
Tony knipste sofort die Taschenlampe aus, hastete wieder einige Stufen hinauf, blieb stehen und lauschte. Nichts. Er lauschte weiter. Obwohl nichts mehr zu hören war, war er sicher, dass dort unten jemand war. Während er noch überlegte, hörte er wieder die Kette. Es klang eher wie ein Schaben als ein Rasseln.
„Ist da jemand?“, rief er.
Von unten drang ein entsetzliches Stöhnen, als wenn einem Tier furchtbare Qualen zugefügt wurden. Tony schaltete seine Taschenlampe wieder ein und rannte hinunter.
In einem engen Gang waren zwischen quaderdicken Mauern schwere Holztüren eingelassen, die in Augenhöhe kleine, vergitterte Öffnungen hatten. Die meisten dieser Türen standen offen, und aus den Zellen stank es fürchterlich nach Urin, Exkrementen und Blut.
Eine Tür war angelehnt. Tony leuchtete in die Öffnung. Zunächst glaubte er nicht, was er sah. Doch das verdreckte Bündel, das da an die Wand gekettet war, war ein Mensch.
Tony stieß die Tür auf. Der Mensch stöhnte wieder. In diesem Moment erlosch die Taschenlampe.
In Tonys Kopf überschlugen sich die Gedanken. An den Wänden des Ganges glaubte er Halterungen mit Fackelstümpfen gesehen zu haben. Er tastete die Wände des Ganges ab, bis er eine dieser Halterungen gefunden hatte, und hielt sein Feuerzeug darunter. In wenigen Sekunden leuchtete eine Fackel. Mit ihr lief er in die Zelle zurück. Neben dem Bündel Mensch ging er in die Hocke.
Es war ein jüngerer Mann, der zu verdursten schien.
Tony rannte hinauf, holte die Wasserflasche aus dem Korb und eilte wieder hinunter. Diesmal folgte ihm Harpalos.
Tony hielt die Flasche an die Lippen des Mannes. Doch der wandte den Kopf ab. Er wollte nicht trinken. Tony zwang ihm das Wasser hinein, und der Mann schluckte reflexartig.
Nach einer Weile flüsterte er kaum hörbar: „Geh weg, lass mich sterben.“
„Das kann ich nicht“, sagte Tony. Er untersuchte die Ketten genauer, mit denen der Mann gefesselt war. „Ich werde dich hier herausholen.“
„Das geht nicht.“
„Ich werde schon einen Weg finden.“
„Du kannst mich nicht kaufen. Das würde er niemals zulassen.“
Tony verstand zuerst nicht. Wieso kaufen? Dann begriff er, und ihm wurde eiskalt. Das Blut, die Ketten. Hier wurden Menschen misshandelt.
„Was ist das für ein Gebäude?“, fragte er.
„Es gehört dem Sklavenhändler Perpenna. Er kann jeden Moment mit einer neuen Fracht zurückkommen.“
Tony hatte bisher nur die Sklaven bei Severus erlebt, die alle gut behandelt wurden. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie durch einen Ort wie diesen geschleust worden waren.
„Warum hat man dich hier zurückgelassen?“
„Ich soll langsam und qualvoll sterben.“
„Aber warum?“
„Weil ich mich weigere, ein Sklave zu sein.“
Tony sah sich die Ketten des Mannes an. „Ich werde dich befreien. Wie werden die Ketten wieder gelöst?“
„Verstehst du denn nicht? Selbst wenn es dir gelingen sollte, diese Ketten zu entfernen, gäbe es für mich keine Freiheit.“
„Ich werde mich um dich kümmern.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Wenn du wirklich etwas für mich tun möchtest, dann töte mich, und zwar schnell.“
„Das kann ich nicht.“
„Hör zu. Ich stamme aus dem Norden Afrikas. Sie haben meine ganze Familie gefangen. Meine Frau und meine Kinder konnte ich noch töten, bevor sie uns getrennt haben. Aber als ich mich selbst töten wollte, entrissen sie mir das Messer. Perpenna hat sich einen sehr langsamen Tod für mich ausgedacht. Als Strafe dafür, dass ich seinen Verdienst geschmälert habe. Er hat mich bis nach Germanien mitgeschleppt und dann hier zurückgelassen.“
Noch einmal sammelte der Mann all seine Kräfte und sprach weiter: „Ich möchte nur noch sterben und endlich wieder bei meiner Familie sein.“
„Trotzdem kann ich dich nicht einfach töten.“
„Dann gib mir ein Messer, damit ich es selbst tun kann.“
Plötzlich knurrte Harpalos. Mit gesträubtem Fell stand er da und horchte. Dann stupste er Tony mit seiner Schnauze und schlich zur Treppe. Ganz entfernt konnte Tony etwas hören.
Der junge Mann griff nach Tonys Hand.
„Sie sind zurück. Du musst verschwinden, sonst schicken sie dich in die Bergwerke.“
Doch Tony war wie gelähmt. Er konnte den Mann doch nicht zurücklassen!
„Gib mir ein Messer. Bitte! Und geh, sofort!“
Der Mann verzweifelte fast. Auch Harpalos kam noch einmal und wollte Tony mit sich zerren.
„Ein Messer, im Namen aller Götter“, flehte der junge Mann.
Die Geräusche wurden immer lauter. Tony war hin und her gerissen. Schließlich gab er dem Mann seinen Dolch. Doch er schwor sich zurückzukommen.
Der Tross hatte den ummauerten Hof betreten. Als Tony mit Harpalos aus dem Fenster im Erdgeschoss kletterte, hörte er das dumpfe Knirschen von Wagenrädern und das Klirren von Ketten. Dazwischen knallten Peitschen, Menschen stöhnten, Befehle wurden gebrüllt.
Wieder auf der Straße, setzte Tony seinen Korb auf und marschierte wie betäubt weiter. Am Ende des Gebäudes, kurz vor der nächsten Seitenstraße, sah er es.
Muskelbepackte Männer mit brutalen Gesichtern peitschten auf eine lange Schlange von Menschen ein, die aneinander gekettet waren. Auch Kinder waren unter ihnen, einige erst acht oder zehn Jahre alt. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand. Die meisten hatten Wunden und waren mit Dreck und Kot beschmiert.
Unwillkürlich war Tony stehen geblieben. Außer ihm standen noch einige Soldaten da und taxierten die menschliche Ware. Plötzlich fühlte Tony einen Blick auf sich ruhen. Er sah auf und begegnete den wachen Augen eines gut aussehenden und elegant gekleideten Mannes von etwa 30 Jahren. Er saß auf einem wunderschönen Pferd, keinem dieser Pferdchen, die Tony von den Reitersoldaten kannte. Jetzt sah der Mann zu den armseligen Menschen und ihren Peinigern hinüber. Doch angewidert wandte er sich gleich wieder ab und ritt davon.
Es gab also auch in der Römerzeit Menschen, die an einem solchen Schauspiel keinen Gefallen fanden!
Einer der Soldaten war auf Tony aufmerksam geworden. Tony zwang sich, ruhig weiter zu gehen, als hätte er ein Ziel.
Als er mit Harpalos wieder über die Brücke ging, wurde es bereits dunkel. Die Müdigkeit kehrte mit aller Macht zurück. Tony ging wie auf Luftkissen. Und sein Kopf fühlte sich an, als stünde er unter Drogen. Er brauchte unbedingt einen Platz zum Schlafen, sonst wäre er zu nichts mehr fähig. Nur wo? Reichte sein Geld, um wenigstens für eine Nacht ein Hotelzimmer zu bezahlen?
Da fiel ihm die nette Bedienung von der Taverne wieder ein. Wenn sie noch da war, würde er sie fragen.
In der Taverne war von der Frau nichts zu sehen. Tony betrat den Raum und fragte den Wirt.
„Was willst du denn von ihr?“, fragte er misstrauisch, aber nicht allzu unfreundlich.
„Ich brauche einen Schlafplatz für die Nacht und wollte sie um Rat fragen.“
„Wie kommt es, dass ein Junge wie du allein unterwegs ist?“
„Das ist eine lange Geschichte, und es geht wirklich nur um eine Nacht. Morgen weiß ich, wo ich hin muss“, log er.
„Ich nehme an, dass du Geld hast?“
„Ein bisschen. Ich weiß nicht, ob es reicht.“
In diesem Augenblick kam die Frau die Treppe herunter.
„Er sucht einen Schlafplatz“, erklärte der Wirt.
Die Frau lächelte ihn an. „Für dich und den Hund, nehme ich an?“
Er nickte.
„Wie heißt du denn, Junge?“
Tony legte die Hand aufs Herz und neigte den Kopf. „Mein Name ist Tonianus Furmanus. Aber nennt mich einfach Tony.“
Wieder lächelte sie. „Und ich bin Junia.“
Sie dachte kurz nach. „Wir haben Berge von schmutzigem Geschirr. Wenn du uns hilfst, kannst du umsonst hier übernachten.“
Obwohl er nicht wusste, ob er das kräftemäßig noch schaffen würde, willigte Tony ein. Junia nahm ihn mit in die Küche. Eine Sklavin bereitete Speisen vor. Dahinter ging es in einen weiteren Raum. Ein mürrisch wirkendes Mädchen, das nicht viel älter war als Tony, mühte sich dort mit dem schmutzigen Geschirr ab. Mit einer Bürste schrubbte sie die eingetrockneten Essensreste von den Tellern. Junia reichte auch ihm eine Bürste und ließ ihn mit dem Mädchen allein.
„Bist du eine Sklavin?“, fragte er sofort.
„Bist du verrückt?“, zischte das Mädchen empört. „Ich bin eine Nichte von Junia.“
„Bitte entschuldige.“
Er schnappte sich einen Stapel Teller und begann mit der Arbeit. Zuerst zuckte er zurück, als er seine Hand in das brühheiße Wasser tauchte, in dem die Teller eingeweicht waren. Doch schnell gewöhnte er sich daran, denn nach dem Schrubben wurde das Geschirr noch einmal unter dem Kaltwasserhahn abgespült.
„Das Wasser müsste direkt heiß aus dem Hahn kommen“, sagte er zu dem Mädchen.
„Ja, klar“, erwiderte es höhnisch.
Er schwieg und schrubbte. Seine Haut quoll auf. Wenn er wenigstens Gummihandschuhe hätte! Außerdem spielte sein Kreislauf vor Müdigkeit verrückt. Trotzdem hielt er durch, bis Junia zurückkam.
Kühl sagte sie zu dem Mädchen: „Ich hoffe, das war dir eine Lehre. Vielleicht bist du morgen etwas verträglicher.“
Das Mädchen rauschte hinaus.
Junia seufzte. „Meine Schwester kommt nicht mehr mit ihr zurecht. Und weil sie so unleidlich ist, findet sie auch keinen Ehemann.“
Ehemann? „Wie alt ist sie denn?“, fragte Tony.
„Schon fünfzehn. Bald ist sie eine alte Jungfer.“
Er half Junia noch, einen Stapel Teller umzuschichten.
Freundlich sagte sie danach zu ihm: „Iss in der Küche noch etwas, Tony, dann kannst du dich schlafen legen.“
Er war so hungrig, dass er einen ganzen Teller voll in sich hineinschaufelte. Harpalos tat es ihm nach und leckte seine Schüssel blitzsauber. Die Nacht verbrachten sie in einem kleineren Gastraum neben dem Hauptraum, Tony auf einer Holzbank und Harpalos darunter.
Als Tony aufwachte, war die Taverne noch geschlossen. Er hörte, dass im Haus bereits Menschen auf den Beinen waren, aber zum Glück sie ließen ihn in Frieden. Er setzte sich auf und überdachte die Ereignisse seit seiner Flucht vom Gut. Je mehr er über das Sklavengebäude nachdachte, umso mehr krampfte sich sein Herz zusammen. Und obwohl ihm furchtbar davor graute, war ihm klar, dass er noch einmal dorthin zurück musste.
Was war mit dem jungen Mann inzwischen geschehen? War es ihm gelungen, sich zu töten? Und wenn nicht, was machte der Sklavenhändler, jetzt mit ihm? Dieser Perpenna, falls er den Namen richtig verstanden hatte.
„Guten Morgen, Tony!“, rief Junia. „Wenn du dir noch ein Frühstück verdienen möchtest, hätte ich wieder Arbeit für dich.“
Er sprang auf.
Junia lachte. „Immer mit der Ruhe.“
Er sollte die Tische und Bänke mit einem ölgetränkten Lappen einreiben und danach mit einem Wolllappen blank polieren.
„Schön sieht das aus“, lobte Junia nach einer Weile.
Während sie ihm eine Frühstücksplatte zurechtmachte und für Harpalos eine Schale füllte, wurde sie ernst: „Tony, was ist eigentlich mit deiner Familie?“
„Meine Eltern und meine Schwester sind tot.“
„Aber du hast noch andere Verwandte?“
Er zögerte. Wenn er sagte, dass er welche hätte, würde Junia ihn fragen, warum er nicht bei ihnen war. Und wenn er sagte, dass er keine hätte, würde sie ihn vielleicht unter ihre Fittiche nehmen wollen. Aber obwohl er sie mochte, wollte er nicht noch einmal von jemandem abhängig sein.
„Meine Verwandten leben in der Nähe von Moguntiacum. Ich bin auf dem Weg zu ihnen. Ich lasse mir Zeit, um mir die Städte auf dem Weg anzusehen. Wer weiß, wann ich wieder einmal eine Gelegenheit haben werde zu reisen.“
So, jetzt hatte er Verwandte bei Mainz erfunden. Dass seine Antwort gut war, zeigte sich an Junias Reaktion.
„Jetzt verstehe ich. Du bist auf dem Land aufgewachsen und zum ersten Mal in einer Stadt.“
Er nickte.
„Kein Wunder, dass du nicht weißt, was hier üblich ist.“ Sie sah ihn wieder ernst an. „Ich verstehe auch, dass du einmal den Duft der großen weiten Welt schnuppern möchtest, bevor du wieder in einem Dorf landest. Trotzdem, Tony: So eine Reise, ganz allein, ist viel zu gefährlich.“
„Ich kann schon auf mich aufpassen.“
Junia legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich habe eine Idee: Bei uns verkehren viele Händler. Bleib noch ein bisschen hier und geh uns zur Hand. Wir fragen dann bei unseren Gästen herum, ob jemand nach Moguntiacum reist und dich mitnimmt.“
Ein verdammt guter Vorschlag. Nur, er hatte in Moguntiacum nichts verloren.
„Ich werde darüber nachdenken“, versprach er.
Tony aß sein Frühstück wieder draußen. Dabei beobachtete er die festlich gekleideten Menschen, die auf dem Weg zu einem der Tempel waren und Hühner, Schafe oder Ziegen mit sich führten. Von Junia wusste er, dass heute der Feiertag des Gottes war, dem dieser Tempel geweiht war. Die Tiere würden geopfert werden, um den Gott gnädig zu stimmen. Sie taten ihm leid. Selbst wenn er ein gläubiger Mensch wäre, hätte er Götter abgelehnt, die ein Tieropfer verlangten.
Plötzlich schoss Harpalos, der unter dem Tisch gelegen hatte, davon. Er raste zu den Markttischen auf dem Platz und sprang dort an einem Soldaten hoch. Tony erschrak, doch dann sah er, dass es Donatus war. Was machte der hier?
Jetzt entdeckte er Tony und winkte. Tony hob zögernd die Hand. Donatus sah sich um und winkte einem anderen Mann zu. Morvran! Die beiden Männer kamen herbei und setzten sich zu ihm.
Tony sah ihnen sofort an, dass sie Bescheid wussten. Das war aber schnell gegangen.
„Sucht ihr etwa nach mir?“, fragte er.
Donatus schüttelte den Kopf. „Wir haben zwei freie Tage. Da sind wir eben in die Colonia geritten.“
„Werdet ihr mich jetzt zu Severus zurückbringen?“
„Nein. Du bist kein entlaufener Sklave. Wir haben kein Recht, dich zu irgendetwas zu zwingen.“
„Außerdem möchte Severus dich nicht mehr haben“, fügte Morvran hinzu.
„Gut“, antwortete Tony, hatte dabei allerdings plötzlich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Vor allem gegenüber Flavia und Marcia.
„Heißt das, es sucht niemand nach mir?“
„So ist es.“
Tony konnte es kaum glauben. Dann wäre ja alles geritzt!
„Ich kann von jetzt an tun und lassen, was ich will?“, fragte er zur Sicherheit noch einmal nach.
Aber Donatus schien seine Frage nicht zu verstehen. „Tony, du bist jetzt ein Mensch, der zu niemandem gehört. Ist dir nicht klar, wie gefährlich das ist?“
Er wurde es langsam leid, immer wieder dieselben Antworten zu bekommen.
„Das Problem ist, dass du kein registrierter Bürger des römischen Reiches bist“, fügte Morvran hinzu.
„Na und?“
„Wenn du in Schwierigkeiten gerätst, kann das entsetzliche Folgen für dich haben.“
„Ich lebe lieber unabhängig und gefährlich als unter der Diktatur eines pater familias.“
„Ich glaube nicht, dass du deine Unabhängigkeit lange behalten wirst“, konterte Morvran trocken.
Und ob er das würde!
„Wie schlägst du dich denn jetzt durch?“, fragte Donatus.
„Ich arbeite.“
„Wo? Und als was?“
„Das ist doch egal. Ich kann vieles.“
„Das wird dir nichts nützen. Denn die meisten Arbeiten werden von Sklaven verrichtet.“
Tony stand auf und setzte den Korb mit seinen Sachen auf den Rücken. Es reichte. Wenn er den beiden noch länger zuhörte, würde er Depressionen bekommen. Und ihnen auf die Nase binden, dass er vom Stehlen leben würde, war sicher auch keine gute Idee.
„Was aus mir wird, ist nicht euer Problem. Es ist ganz allein meine Sache.“
Auch Donatus war aufgestanden. Beschwörend redete er auf ihn ein: „Tony, du hast mir das Leben gerettet. Ich bitte dich, kehre zurück zu Severus. Bitte ihn um Verzeihung. Marcia wird ein gutes Wort für dich einlegen. Du brauchst seinen Schutz.“
„Ich brauche niemanden!“
Er schickte sich an wegzugehen. Donatus hielt ihn am Arm fest. „Tony, bitte. Du kennst unsere Welt nicht. Du wirst Fehler machen.“
„Lasst mich doch einfach in Ruhe!“ Er riss sich los.
Beim Weggehen entdeckte er zu seiner Überraschung den reichen Mann wieder, den er beim Gebäude des Sklavenhändlers auf dem Rassepferd gesehen hatte. Er hatte nur drei Tische weiter gesessen.
In seiner Erregung hatte Tony gar nicht bemerkt, dass er wieder in die Straße der Prostituierten hineingelaufen war. Zu seiner Wut darüber, dass alle ihn immer nur bevormunden wollten, gesellte sich die Wut auf diese ganze römische Welt, in der schon kleine Mädchen als Prostituierte arbeiten mussten.
Diesmal bot sich ihm jedoch eine Frau an, die dem Alter nach mindestens seine Mutter hätte sein können.
Er schüttelte den Kopf. „Ich suche selbst Arbeit“, erklärte er ihr.
Zuerst sah sie ihn verdutzt an, dann schien sie zu verstehen. Sie musterte ihn und sagte: „Komm mit.“
Na also. Es war doch gar nicht so schwer, an Arbeit zu kommen. Er befahl Harpalos, auf ihn zu warten, und folgte der Frau in die Taverne und eine steinerne Treppe hinauf.
Sie betraten einen überraschend luxuriös ausgestatteten Raum. Die Decken und Wände waren mit Bildern von exotischen Pflanzen, Tieren und nackten Menschen bemalt. Auch einige der Männer und Frauen, die auf bequemen Sofas lagen, waren fast nackt. Und diejenigen, die sich nicht miteinander beschäftigten, aßen und unterhielten sich. Er wich zurück.
„Du brauchst Geld?“, fragte eine herrische männliche Stimme.
„Ja. Ich bin kräftiger, als ich aussehe, und sehr geschickt.“
Seine Bemerkung wurde mit schallendem Gelächter quittiert. Er spürte förmlich, wie fast alle Anwesenden ihn aufmerksam von Kopf bis Fuß musterten.
„Komm näher, damit ich dich besser sehen kann.“ Ein dünner Mann mit grauen Haaren winkte ihn zu sich heran.
Tony zögerte. „Nimm den Korb ab und zieh dich aus“, befahl der Mann.
„Wozu?“
„Damit wir sehen können, wie gut du gebaut bist. Davon wird der Preis abhängen, den wir für dich verlangen können.“
Jetzt fiel bei ihm der Groschen. Er stürzte hinaus, nahm auf der Treppe gleich zwei Stufen auf einmal und rannte die Gasse hinunter, als sei der Teufel hinter ihm her. Harpalos überholte ihn. Erst als sie einige Straßen weiter waren, ging Tony wieder langsamer.
Er fühlte sich so beschmutzt, dass er unwillkürlich auf das nächste öffentliche Bad zusteuerte.
Vor dem imposanten Eingang blieb er jedoch unschlüssig stehen. Was, wenn er sich auch hier wieder völlig daneben benahm? Harpalos schien jedenfalls einverstanden mit seinem Plan und ließ sich neben dem Eingang nieder.
Tony betrat die hohe Eingangshalle. Sofort umfingen ihn Wärme und Wohlgeruch. Er bezahlte das geringe Eintrittsgeld. Ein Sklave reichte ihm ein Handtuch und zeigte ihm das Fach, in dem er seinen Korb verstauen konnte. Da er keine Lust hatte, hier Stunden zu verbringen und das ganze Programm mit kaltem, lauwarmem und heißem Wasser durchzuziehen, fragte er nach dem Becken mit dem heißen Wasser und ging gleich dorthin.
Er blieb länger, als er geplant hatte, denn in der Wärme konnte er sich wunderbar entspannen. Doch bevor er tatsächlich einschlief, ging er doch lieber noch kurz ins kalte Wasser.
Einmal hatte er das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Er sah sich um, erkannte jedoch niemanden.
Wieder bei Harpalos, fühlte er sich allen Herausforderungen gewachsen. Später würde er noch einmal zum Gebäude des Sklavenhändlers Perpenna gehen. Doch zuerst musste er sich um ein dauerhaftes Nachtquartier bemühen. Dafür brauchte er eine größere Summe. Und die musste er stehlen.
Noch heute.
Er würde die unsympathischste Person um ihr Geld erleichtern, die er finden konnte. Und natürlich musste sie sichtlich reich sein. Am besten geeignet für seine Absichten war ein Ort, an dem viel los war. Da kam nur der Marktplatz vor dem Jupitertempel in Frage.
Dort angekommen, checkte er zuerst die Fluchtmöglichkeiten. Bald kannte er das Straßennetz gut genug. Er entdeckte dabei ein öffentliches Bad, das eine eigene Bibliothek hatte. Zu seiner Überraschung sah er dort Morvran sitzen. Der war zum Glück so vertieft in seine Schriftrolle, dass er nicht aufsah. Tony zog sich schnell zurück. Von Donatus war nichts zu sehen. Tony bezweifelte auch, dass das Studium von Schriftrollen zu dessen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen zählte.
Bevor er wieder zum Marktplatz zurückkehrte, musste er sich noch etwas für Harpalos einfallen lassen. Mit dem Hund an seiner Seite fiel er einfach zu sehr auf. Aber auch der große Korb auf seinem Rücken war nicht gerade praktisch, wenn er schnell verschwinden musste.
Die Lösung war einfach. Er würde Harpalos zusammen mit dem Korb neben einer öffentlichen Toilette lassen. Jeder würde annehmen, dass sein Herrchen dort drinnen war und gleich wieder herauskommen würde. Und falls jemand sich kurz wunderte, dass das Herrchen den Korb dagelassen hatte, würde er sich sofort sagen, dass der Hund wahrscheinlich sehr gut darauf aufpasste. Wenn man Harpalos nicht kannte, konnte man ihn durchaus für gefährlich halten. Denn er hatte die Angewohnheit, immer wieder mal seine riesigen weißen Zähne zu blecken. Tony glaubte zwar, dass es Harpalos’ Spielart eines freundlichen Lächelns war, aber Nichteingeweihte hielten es sicher für eine Drohgebärde.
Gesagt, getan. Harpalos sah Tony jedoch etwas verwundert hinterher, als der gar nicht die Latrinen betrat, sondern Richtung Marktplatz davonging.
Zwischen den Marktständen blieb er immer in Bewegung und sah niemandem in die Augen. Er prägte sich die Stände ein, die nur für Wohlhabende in Frage kamen: Schmuck und Geschirr aus Gold, Silber oder Glas. Aber gerade diese Stände wurden meist auch von Bewaffneten bewacht. Sie würden jedoch kein Problem darstellen. Denn bis sie reagiert hatten, wäre er längst über alle Berge.
Es dauerte nicht lange, bis Tony das ideale Opfer entdeckt hatte. Der Mann trug breite Armreifen aus Gold und sah irgendwie gemein aus. Neben ihm ging ein schwer bewaffneter Bodybuildertyp und hinter ihm ein etwa zehnjähriger Junge. Den Jungen schnauzte der reiche Mann gerade heftig an. Jetzt schlug er ihm auch noch brutal auf den Kopf.
Der frechste Weg würde wahrscheinlich der beste sein.
Tony würde wie zufällig mitten in die Gruppe hineingeraten und in den Geldbeutel am Gürtel des reichen Mannes greifen. Der einfache Kordelzug lud ihn regelrecht dazu ein.
Der Zufall kam ihm zu Hilfe. An einem Geflügelstand war ein Huhn ausgebrochen. Die drei liefen gerade auf diesen Stand zu. Tony schnappte das Huhn, nahm Augenkontakt mit dem Bauern auf, dem es gehörte, und drängte sich neben dem reichen Mann vorbei. Unter dem einen Arm das Huhn, griff er mit der anderen Hand in den Geldbeutel und schloss seine Hand um einen Berg Münzen. Doch gerade als er sie blitzschnell wieder herausziehen wollte, krallten sich scharfe Fingernägel in seinen Arm. Es war der Junge.
Er kreischte durchdringend, und Tony erkannte eindeutig das Wort „Dieb“.
Tony ließ gleichzeitig das Huhn und das Geld los und erledigte erst einmal den Jungen.
Der Muskelmann jedoch war schneller, als er gedacht hatte. Aber schließlich gewann Tony die Oberhand.
Erleichtert wollte er davonrennen.
Doch da war alles zu Ende.
Jemand hatte von hinten ein Netz über ihn geworfen. Je mehr er sich wehrte, desto mehr verfing er sich in dem Ding. Er hätte seinen Dolch gebraucht. Doch den hatte er dem Mann im Verlies des Sklavenhändlers Perpenna gegeben.
Er war verloren.
Jemand versetzte ihm Tritte. Tony krümmte sich zusammen. Er hörte zuerst aufgeregte, dann ruhige, autoritäre Stimmen. Eiserne Fäuste hielten ihn fest, während jemand das Netz so weit aufschnitt, dass sein Kopf frei war. Mehrere Soldaten standen vor ihm und richteten ihre Speere auf ihn.
Tony gab keinen Mucks von sich.
„Wie heißt du?“, fragte der Anführer grob.
„Tonianus Furmanus.“
„Zu wem gehörst du?“
„Ich bin allein.“
„Er ist sicher ein entlaufener Sklave“, sagte einer der Soldaten.
„Ich bin ein freier Bürger.“
„Wenn das so ist, wer ist deine Familie?“
Tony schwieg. Es war das eingetreten, wovor ihn alle gewarnt hatten. Was sollte er tun? Wie kam er nur wieder aus dieser Nummer heraus?
„So kräftig wie der ist, in die Bergwerke mit ihm“, sagte der reiche Mann.
„Legt ihn erst Mal in Ketten“, befahl der Anführer.
Hinter sich hörte Tony es rasseln. Wie hatten sie nur so schnell Ketten herbeigeschafft? Gottverdammte Scheiße. Dies war erst sein zweiter Tag in Freiheit, und schon hatte er alles verbockt.
Zum Glück hatte er das Medaillon.
Die eisernen Hände zogen ihm die Arme auf dem Rücken zusammen. Er schrie vor Schmerz auf. Und dann brüllte er: „Morvran! Donatus!“
Vielleicht war ja zufällig einer von ihnen in der Nähe.
„Moment“, sagte auf einmal eine gelassene Männerstimme: „Der Junge gehört zu mir.“
Tony drehte sich zu der Stimme um und sah in die freundlichen Augen des vornehmen Mannes mit dem Rassepferd.
„Gehörst du wirklich zu ihm?“, fragte der Anführer der Soldaten mit einer seltsamen Stimme.
Der junge Mann lächelte Tony aufmunternd an.
Tony nickte. „Ja, ich gehöre zu ihm.“ Was hätte er sonst auch tun sollen? Der Mann war seine einzige Hoffnung.
„Lasst ihn los, ich komme mit ihm klar“, befahl der Vornehme.
Tony war überrascht, dass niemand das zu bezweifeln schien. Mehrere Hände befreiten ihn flink und beflissen aus dem Netz.
Wie in Trance folgte Tony dem Mann.
„Ich wohne in der Nähe. Dort kannst du erst einmal ausruhen.“
Tony schwieg. Als sie zu einer vornehmen Villa kamen, die von einigen bewaffneten Männern bewacht wurde, zog sich in seiner Magengrube etwas zusammen. Für einen Moment verspürte er den Impuls zu fliehen. Aber er tat es nicht. Es wäre undankbar gewesen. Er dachte an Harpalos und sagte sich, dass er nur kurz hier bleiben würde, um sich ordentlich zu bedanken. Und vielleicht konnte ihm der reiche Mann ja auch ein paar Tipps geben, wie er in Zukunft solche Situationen vermeiden konnte. Oder noch besser: Wie er an eine Arbeit kam.
Kaum hatten sie das Haus betreten, liefen bildschöne Sklavinnen auf sie zu. Sie wuschen ihnen die Hände und die Füße, nahmen ihrem Herrn den Umhang ab und geleiteten sie in ein geschmackvoll ausgestattetes Zimmer mit mehreren Sofas. Plötzlich knurrte Tony der Magen. Sein Gastgeber hörte es und lachte.
„Es gibt gleich etwas zu essen.“
Sie legten sich auf die Sofas. Andere Sklavinnen servierten köstliche Speisen und Getränke. Tony sah keine männlichen Sklaven, nur junge schöne Mädchen. Sie waren sanft und freundlich und bewegten sich so anmutig wie Balletttänzerinnen.
„Warum habt Ihr mir geholfen?“, fragte Tony seinen Gastgeber.
„Ich habe dich kämpfen sehen. Ich hätte für dich Verwendung.“
„Ihr habt Arbeit für mich?“
„Oh ja. Aber sage mir, wo hast du diese Techniken gelernt?“
„Es sind Techniken aus Asien.“
„Interessant. Doch das beantwortet meine Frage nicht“, sagte sein Gastgeber freundlich.
„Ich habe es in einer speziellen Schule gelernt.“
„Wo?“
Er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht „in Köln“ zu sagen. Denn von einer solchen Schule hätte sein Gastgeber wohl gewusst.
„Ein Veteran hat es mir bei uns auf dem Land beigebracht“, log er.
„Du kommst also vom Land?“
„Ja. Und ich bin auf dem Weg zu Verwandten in Moguntiacum, denn meine Eltern sind tot.“
„Nun, dann solltest du dich morgen früh besser auf den Weg nach Moguntiacum machen.“
„Ich hätte eigentlich größeres Interesse an der Arbeit, die du für mich hast.“
Sein Gastgeber lachte schallend. „Du gefällst mir. Ich glaube, wir werden gut zusammenarbeiten.“
Er hob sein Glas und prostete ihm zu. Es war der köstlichste Wein, den Tony je getrunken hatte. Bald danach fühlte er sich ganz leicht, Doch er hatte zunehmend Mühe, Worte zu formulieren. Sein Verstand funktionierte zwar noch, aber er erreichte seinen Mund nicht mehr.
Mit allergrößter Anstrengung gelang es ihm gerade noch, seinen Gastgeber zu fragen: „Wer seid Ihr?“
Lächelnd antwortete der Mann: „Ich bin Händler. Mein Name ist Perpenna.“
Innerlich schrie Tony, aber aus seiner Kehle drang kein Laut. Was Perpenna ihm in den Wein geschüttet hatte, lähmte jeden Muskel.
Kräftige Hände packten und verschnürten ihn. Sie stülpten ihm einen Sack über den Kopf und trugen ihn fort. Er sank immer tiefer, hinein in grauenvolle Alpträume.
Allmählich ließ die Wirkung des Mittels nach, und Tony roch den furchtbaren Gestank.
Er wagte nicht, seine Augen zu öffnen. Denn er wusste, wo er war.
Er wusste auch, dass es eigentlich egal war, ob er seine Augen öffnete oder geschlossen hielt, denn es war stockdunkel. Die geschlossenen Lider erlaubten ihm jedoch noch einen letzten Funken von Illusion. Dass vielleicht alles ganz anders war. Dass seine Angst ihm nur einen Streich spielte. Aber seine anderen Sinne sagten ihm, dass alles echt war.
Er bewegte seine Hände. Dass er das konnte, ohne gehindert zu werden, verschaffte ihm jedoch keine Erleichterung. Zu sehr schmerzte sein Hals, um den ein schwerer Eisenring lag. Und er wusste, dass der Ring an einer Kette hing, die fest in der Wand verankert war.
Doch das Schlimmste … das Schlimmste … Tony würgte, er wollte es nicht zu Ende denken.
Der süßliche Gestank! Der Verwesungsgeruch. Der Körper, der neben ihm lag und durch dessen Adern kein Blut mehr floss - wahrscheinlich seit er ihm den Dolch gegeben hatte. Gestern oder vorgestern? Oder war es noch länger her? Wie lange war er betäubt gewesen? Mehrere Tage?
Tony tastete nach dem Medaillon.
Es war weg!
Außer dem Eisenring trug er nichts mehr um den Hals.
Er musste sich töten.
Der Dolch!
Vielleicht war er ja noch da. Sein Herz schlug schneller.
Vielleicht war auch das Medaillon noch da. Vielleicht lag es irgendwo am Boden.
Erst jetzt öffnete er die Augen.
Schwärzestes Schwarz.
Er stellte sich vor, wie die Zelle ausgesehen hatte, als er bei dem Mann gekniet hatte. Dann, nach einiger Überwindung, tastete er systematisch den mit Blut und Exkrementen bedeckten, schmierigen Boden ab.
Kein Messer. Kein Medaillon.
Doch er ertastete schließlich etwas anderes unter dem verfaulten Stroh. Seine Taschenlampe! Lange zögerte er. Was er zu sehen bekommen würde, war so grauenhaft, dass er es nicht aushalten würde. Doch seine Fantasie ließ sich nicht unterdrücken. Sie zeigte ihm das Bild auch so. Und wozu machte er sich überhaupt Gedanken? Die Batterie war schließlich leer.
Aber was, wenn sie sich inzwischen wieder erholt hatte?
Er knipste sie an. Sie funktionierte. Er richtete sie auf die Wände der Zelle. Dann auf den Körper neben sich. Der Mann hatte sich selbst die Kehle durchgeschnitten. An seinem Gesicht waren bereits deutlich die Verwesungsspuren zu sehen. Schnell ließ Tony den Lichtstrahl weiterwandern. Gerade als er die Ratte entdeckte, gab die Batterie endgültig auf.
Er sank zurück. Kurz dachte er daran, sich die Hände an seiner Tunika anzuwischen. Doch wozu?
Leichengift, kam ihm plötzlich in den Sinn.
Leichengift konnte tödliche Infektionen hervorrufen. Er würgte. Würde er sich überwinden können? Reichte es, wenn er den Mann berührte und sich danach einfach die Finger ableckte? Oder musste das Gift mit einer offenen Wunde in Berührung kommen? Nun, er hatte ja genug davon.
Stundenlang hatte Harpalos geduldig ausgeharrt. Seine Augen suchten nach Tony, seine Nase schnupperte nach dem einen vertrauten Geruch. Aber Tony kam nicht wieder.
Nur wenige Schritte entfernt war ein kleiner Brunnen. Dort hatte er getrunken. Inzwischen war er auch hungrig. Aber er durfte den Korb nicht alleinlassen. Leise jammerte er vor sich hin. Die Leute um ihn herum lachten. Er verstummte wieder. Resigniert legte er sich hin und legte das Kinn auf die Vorderpfoten. Es wurde dunkel.
Zuerst glaubte er, er hätte sich geirrt. Doch dann war er sicher: Den Geruch kannte er. Es war im Vorbeigehen gewesen, ein kurzer Hauch, doch vertraut. Er richtete sich auf und bellte, so laut er konnte. Der Geruch kehrte jedoch nicht zurück. Harpalos ließ den Korb stehen und rannte los.
Er fand den Träger des Geruchs in Begleitung eines Mädchens mit hochgesteckten braunen Zöpfen. Freudig bellend umkreiste er die beiden.
„Harpalos“, rief Donatus verwundert und sah sich um, „wo ist denn Tony?“
Harpalos lief ein Stück weg, wandte sich dann um und lief weiter. Nach dem zweiten Mal hatte Donatus es begriffen.
Mit den Worten „Der Hund gehört einem Freund, Sabina“ zog er das Mädchen hinter sich her.
Harpalos führte ihn zu den Latrinen, wo Tonys Korb immer noch stand. Einer der Latrinenwächter erzählte, wie lange der Hund hier schon ausharrte. Mitleidig kraulte Sabina Harpalos den Kopf.
Donatus beugte sich zu ihm hinunter. „Wir werden Morvran aufsuchen und gemeinsam herausfinden, was mit Tony geschehen ist.“
Harpalos bellte zustimmend.
Donatus nahm den Korb, und zu dritt marschierten sie los. Der Freund, bei dem Morvran normalerweise übernachtete, teilte ihnen jedoch mit, dass er bereits wieder zur Ala zurückgekehrt war.
„Jetzt in der Nacht können wir sowieso nichts mehr tun“, erklärte Donatus, „und morgen Vormittag muss auch ich wieder ins Castellum Durnomagus zurück. Ich werde dann sofort mit Bassus und Morvran sprechen.“
In Sabinas Haus angekommen, sorgte sie dafür, dass Harpalos Futter bekam. Noch bis spät in die Nacht spekulierten Donatus und Sabinas Familie darüber, was Tony zugestoßen sein konnte. Sabinas Eltern und ihre Schwester versprachen, sich am nächsten Tag in der Stadt umzuhören.
Tony hatte in der Dunkelheit jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwann hörte er wieder das dumpfe Grollen, das er früher schon einmal gehört hatte.
Neue Sklaven kamen an.
Tony hörte Peitschenschläge, Schreie und Stöhnen. Dann wurde es auch im Keller lebendig. Die schweren Zellentüren wurden aufgestoßen. Wieder der Lärm von Ketten und Eisenringen und Schlägen und schmerzerfüllten Schreien.
Doch zu ihm kam niemand.
Als alle angekettet waren, war nur noch ein ununterbrochener, leiser Chor der Verzweiflung zu hören. Wimmern und Stöhnen von Menschen, die sich aufgegeben hatten. Die wussten, dass es für sie von nun an kein Leben mehr gab, das den Namen Leben verdiente.
Plötzlich hörte er in der Nachbarzelle dumpfe Schläge, die anders klangen als die Schläge der Wächter.
Kurz danach hörte er einen Aufschrei, und eine Stimme rief wütend: „Dann eben anders. Wir brauchen dich lebend!“ Und Tony verstand, dass sein Nachbar versucht hatte, sich umzubringen, indem er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen hatte.
Auch eine Möglichkeit. Aber man musste warten, bis die Wächter weg waren.
Gerade als Tony seinen Kopf gegen die Wand schlagen wollte, ging die Tür auf. Eine hohe, schlanke Gestalt mit einer Fackel kam herein. Perpenna!
Mit der anderen Hand drückte er ein parfümiertes Tuch unter seine Nase und beugte sich zu Tony.
„Wie geht es dir?“, fragte er freundlich.
Tony antwortete nicht.
Perpenna blieb ruhig. „Ich verstehe, dir gefällt die Richtung nicht, die dein Leben genommen hat.“
„Wirst du mich hier verrotten lassen wie ihn hier?“, fragte Tony schließlich und deutete auf den Toten.
Perpenna lachte leise. „Den Dolch, mit dem er sich mir entzogen hat, hatte er doch von dir, nicht wahr?“
Tony schwieg wieder.
„Weißt du, ich hätte ihn gerne noch etwas länger am Leben gesehen. Deshalb muss ich dich jetzt ein bisschen bestrafen.“
„Und dann?“
Obwohl er mit Perpenna nicht reden wollte, musste Tony wissen, was dieses Monster mit ihm vorhatte.
„Wenn du begriffen hast, wie die Dinge von nun an laufen, werde ich dich weiter verkaufen.“
„Auf die Galeeren?“
Perpenna lachte schallend. „Dazu wärst du viel zu schade. Du hast schließlich Talente. Du kannst kämpfen. Ich werde dich an eine Gladiatorenschule verkaufen.“
„Ich bin erst dreizehn Jahre alt.“
„Gut. Das heißt, wir haben Zeit. Fürs Erste werde ich dich unter meinen Fittichen behalten.“
Er richtete sich auf und ging hinaus.
Zwei Wächter traten ein. Sie hantierten an Tonys Ketten und zogen seinen Kopf in die Höhe.
„Was macht ihr?“
„Perpenna hat befohlen, dich so anzuketten, dass du dir nichts antun kannst.“
Als sie weg waren, konnte er die Wand mit seinem Kopf nicht mehr erreichen. Er konnte weder liegen noch aufrecht stehen, nur noch kauern.
Im Castellum Durnomagus strich Bassus Harpalos über den Kopf. Der Hund sah ihn an, so als wüsste er, dass Bassus Tony wieder herbeischaffen würde. Aber die Sache war aussichtslos.
„Alle haben Sabinas Eltern das gleiche erzählt. Tony hat bestätigt, dass er zu Perpenna gehört“, berichtete Donatus, der am Türrahmen lehnte. „Ich verstehe das nicht.“
„Ich kann mir vorstellen, wie es gelaufen ist“, sagte Bassus, „Tony war in diesem Netz gefangen, und da kommt jemand daher und bietet ihm an, ihn zu retten. Er konnte ja nicht wissen, was er damit anrichtet.“
Sie hatten sich in Wackerons gemütlichem Zimmer neben dem Valetudinarium versammelt. Wackeron und der Decurio Fabius Pudens saßen auf den Lehnstühlen. Morvran lehnte an der Wand und hatte die Arme verschränkt. Bassus saß auf einer Holztruhe, Harpalos’ Schnauze auf den Knien.
„Rechtlich gesehen gibt es nichts, was wir tun könnten. Tony hat sich freiwillig in Perpennas Hände begeben“, sagte Fabius Pudens. „Jeder Mensch hat das Recht, sich versklaven zu lassen.“
„Es sei denn…“, begann Wackeron und schwieg wieder.
„Was?“, fragte Bassus.
„Es sei denn, man könnte beweisen, dass Tony dazu gar nicht befugt war.“
„Wie meinst du das?“, fragte Bassus.
„Nun, wenn jemand einen pater familias über sich hat, so muss der doch erst seine Einwilligung geben.“
Bassus schüttelte den Kopf. „Selbst wenn Severus bereit wäre, noch einmal in diese Rolle zu schlüpfen, würde Perpenna darauf bestehen, dass er Beweise vorlegt. Und leider gibt es nun einmal keine Dokumente, die belegen, dass Tony ein Bürger des Imperium Romanum ist.“
Donatus beugte sich verschwörerisch vor: „Dokumente kann man fälschen.“
Trotz des traurigen Anlasses lachten die anderen kurz auf.
„Natürlich kann man das“, meinte Fabius Pudens, „aber da alle Bürger des Imperiums auch in Rom registriert sind, würde Perpenna darauf bestehen, dass das Gericht die Antwort von dort abwartet. Und in Rom gibt es nichts über Tony.“
„Es sei denn, jemand Mächtiges setzt sich ein und sorgt dafür, dass in Rom in Windeseile ein solches Dokument erstellt wird“, sagte Wackeron.
„Und wo sollen wir so jemanden herzaubern?“, fragte Donatus.
Wackeron wandte sich an Bassus. „Ich weiß, du bittest andere nicht gern um einen Gefallen, aber ich glaube, da gibt es jemanden, der sich sehr darüber freuen würde, wenn er eine alte Schuld begleichen könnte.“
Bassus schwieg. Donatus sah verwundert zwischen ihm und Wackeron hin und her.
„Und wie es die Fügung will, ist dieser Jemand gerade in unserem Lager zu Besuch.“
Bassus schüttelte den Kopf. „Ich würde ihn anlügen müssen und dazu anstiften, etwas Ungesetzliches zu tun.“
„Nun, die Wahrheit kannst du ihm in der Tat schlecht sagen“, sagte Wackeron trocken, „er ist zwar ein kluger und aufgeschlossener Mann, aber ein Junge, der aus einer 2000 Jahre entfernten Zukunft stammt, wäre auch für ihn ein Brocken, den er wahrscheinlich nicht schlucken würde.“
Jetzt mischte sich Morvran ein. „Warum eigentlich nicht? Wir haben es doch auch geglaubt.“
„Aber nur, weil wir Tony gut kennen“, sagte Wackeron.
„Es geht nicht nur um Trajanus. Ich möchte auch Severus nicht noch einmal in die Sache hineinziehen“, sagte Bassus.
„An ihn hatte ich eigentlich auch gar nicht gedacht“, erwiderte Wackeron, „du bist doch auch römischer Bürger.“
„Ich soll Tonys Vormund werden?“, fragte Bassus verwundert.
„Nun, Vormund würde in Tonys Fall nicht genügen“, sagte Wackeron. „Da er in seinem Freiheitsdrang dazu neigt, Dummheiten zu machen, bräuchte er einen besseren Schutz als das.“
Bassus verstand, worauf das Ganze hinauslief. Seine Kehle fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Er schluckte.
Donatus sah fragend seinen Decurio an. Aber Fabius Pudens verzog keine Miene.
Morvran, der ebenfalls verstanden hatte, worum es ging, sagte: „Nerva Trajanus würde das besser verstehen als jeder andere.“
„Ihr sprecht von unserem Imperator?“, fragte Donatus vorsichtig.
Wackeron nickte. „Bassus hat ihm einmal das Leben gerettet. So wie Tony dir und Bassus das Leben gerettet hat.“
Donatus sah Bassus vorwurfsvoll an. „Wenn das so ist, verstehe ich dein Zögern nicht. Du solltest alles in deiner Macht Stehende tun, um Tony zu helfen.“
„Aber wie soll das gehen?“, fragte Bassus. „Ich bin Soldat.“
„Du hast mehr als 25 Jahre gedient und dürftest längst heiraten“, erinnerte ihn Fabius Pudens. „Da kannst du doch genauso gut so etwas tun. Die Armee hat sicher nichts dagegen.“
Bassus stand auf einmal auf und ging zur Tür.
„Ich werde darüber nachdenken“, sagte er und verließ das Zimmer.
Ratlos sahen sich die anderen an.
Wackeron fand ihn im Stall bei Teres. Er gesellte sich zu ihm.
„Du weißt, dass du es tun musst. Du schuldest es ihm. Und das ist der einzige Weg.“
Bassus atmete tief durch. „Wenn es keinen anderen Weg gibt, werde ich es natürlich tun. Aber ich muss immerzu an den Hass denken, mit dem Tony schon allein auf das Wort reagiert. Ich weiß nicht, ob ich ihm damit wirklich einen Gefallen erweise.“
„Ich sehe in Tonys Haltung nicht so sehr Hass, sondern etwas ganz anderes.“
Bassus sah ihn an. „Was denn?“
„Schmerz.“
Nach einer Weile sagte Bassus: „Das ändert nichts daran, dass Tony diese Lösung missbilligen wird.“
„Aber er bekäme seine Freiheit wieder.“
„Er wird das nicht als Freiheit auffassen.“
Wackeron hob plötzlich seine Arme. „Dann sorgen wir eben dafür, dass er es nicht erfährt.“
„Wie denn?“
„Wir halten es vor ihm geheim. Du bleibst für ihn weiterhin einfach nur Bassus.“
„Und wenn er wieder Mist baut und ich ihn zurechtweisen muss?“
„Dann tust du das, indem du ihm einfach den Wind aus den Segeln nimmst. Mein Freund, du bist klug und gerissen. Dir wird schon die richtige Taktik für einen schwierigen Jungen einfallen.“
„Aber wo soll er wohnen und womit soll er sich den ganzen Tag beschäftigen?“
Wackeron legte seinen Arm um ihn. „Auch dafür weiß ich eine Lösung.“
Seit sie ihn wieder angekettet hatten, driftete Tony allmählich in den Wahnsinn ab. Er war ein Stück Treibgut, das knapp unterhalb der Oberfläche eines schwarzen, kalten Ozeans schwamm. Hin und wieder sah er in der Ferne ein winziges Licht leuchten, ein Irrlicht, das trügerisch flackerte und wieder verging. Doch es interessierte ihn nicht mehr. Seine Gedanken und Gefühle waren bereits ausgeschaltet.
Auch dass ihm von Zeit zu Zeit Wasser eingeflößt wurde, nahm er nicht mehr wahr.
Er verstand deshalb auch nicht, was sich viele Tage später auf dem Flur vor seinem Verlies abspielte.
Perpenna spielte das ehrliche Entsetzen großartig. Zutiefst geknickt trat er den Reitersoldaten gegenüber, die mit einem adlernasigen Decurio und einem düster dreinblickenden Arzt gekommen waren.
„Aber woher hätte ich das wissen sollen? Er hat nichts davon gesagt.“
„Mach die Tür auf“, befahl Fabius Pudens einem der Wächter.
Der drehte den Schlüssel um. Der Gestank, aber noch mehr der Anblick des verwesenden Leichnams neben dem halbtoten Jungen, der da in seinen Ketten hing, war selbst für die hart gesottenen Männer der Ala Noricorum zu viel. Sie fluchten leise.
„Macht ihn los“, knurrte Fabius Pudens.
Nachdem sie Tony in den Hof geschleppt hatten, wandte sich Fabius Pudens noch einmal an Perpenna, der immer wieder seine Unschuld beteuerte.
„Er hatte ein keltisches Amulett bei sich. Es gehört der Familie.“
Perpenna zögerte. Doch nach einem weiteren Blick in die Augen des Decurio sagte er eilfertig: „Ich lasse es holen.“
Auf dem Rückweg zur Ala waren sie lange stumm.
„Es muss nun einmal Menschen geben, die Sklaven sind“, sagte ein Reiter schließlich. „Aber sie so zu behandeln, bei Jupiter, das ist nicht in Ordnung.“
Alle murmelten zustimmend.
Donatus hatte Bassus und Morvran dabei geholfen, Tony im Hof zu waschen und notdürftig medizinisch zu versorgen. Trotz seines erbärmlichen Zustands hatten sie sich dagegen entschieden, ihn auf einem Wagen zu transportieren. Es hätte zu lange gedauert. Sie wollten ihn auf dem schnellsten Weg in das Valetudinarium der Ala bringen, wo Wackeron auf sie wartete.
Tony hockte vor Bassus auf Teres. Es sah aus, als würde Bassus einen Leichnam festhalten.
„Gibt es denn gar nichts, was man gegen Perpenna unternehmen kann?“, fragte Donatus nach einer Weile.
„Nein“, erwiderte Fabius Pudens, „er darf mit seiner Ware tun und lassen, was er will. Außerdem hat er beste Beziehungen zu den Legionen am Rhein. Sie verkaufen ihm regelmäßig ihre Gefangenen.“
„Hat unsere Ala ihm auch schon Gefangene verkauft?“, wollte einer wissen.
Pudens schwieg.
Ein anderer sagte: „Wenn es sich dabei um Aufständische gehandelt hat, die geplündert und gemordet haben, ist mir egal, was Perpenna mit ihnen macht.“
Auch hier stimmten einige zu.
„Seien wir einfach froh, dass wir Tony retten konnten“, schloss Fabius Pudens die Diskussion ab.
„Wenn es nicht schon zu spät ist“, murmelte Bassus düster.
Morvran ließ sich nicht anmerken, dass auch er über Tonys Zustand besorgt war. „Wir werden ihn schon wieder hinkriegen“, meinte er.
Bassus betete still: „Ihr Götter, steht ihm bei. Holt ihn heraus aus seinem todesähnlichen Zustand. Ich verspreche, dass ich immer für ihn da sein werde.“
Lange sah es so aus, als würde Tony es nicht schaffen. Tagsüber lag er in der Sonne. In der Nacht brannten Öllampen vor den Götterstatuen in seinem Krankenzimmer. Selbst Fabius Pudens hatte eine Miniaturfigur seines Lieblingsgottes Mithras gebracht.
Während Morvran und Wackeron einander ablösten, wich Harpalos nie von Tonys Seite. Er durfte nachts auch bei ihm schlafen.
„Harpalos atmet, wärmt und bewegt sich. Tony wird spüren, dass er nicht mehr neben einem Toten liegt“, erklärte Wackeron.
Bassus verbrachte jeden Abend Stunden in Tonys Zimmer und betete. Auch morgens, bevor er zum Appell ging, sah er nach ihm.
Tony trieb noch immer unter der Oberfläche des kalten, dunklen Meeres. Auch das Irrlicht war noch da, aber es flackerte nicht mehr, sondern leuchtete ebenmäßig. Es wurde stärker.
Tony wollte das Licht nicht. Es sollte ihn in Ruhe lassen. Aber das Licht kümmerte sich nicht darum.
Er wurde wacher.
Schließlich vernahm er die Stimme.
„Geh!“
Er reagierte nicht.
„Geh!“, sagte die Stimme wieder.
Er ahnte, dass die Stimme, genau wie das Licht, nicht mehr aufhören würde.
„Ich kann nicht“, antwortete er in Gedanken.
„Doch, du kannst.“
Er wurde ärgerlich. Um der Stimme zu beweisen, dass sie etwas Unmögliches verlangte, versuchte er tatsächlich zu gehen.
Das Meer war wie eine zähe Masse. Er brauchte Stunden, um seinen Fuß einen Zentimeter nach vorne zu setzen. Und nach weiteren Stunden hatte er den anderen Fuß daneben gestellt.
Würde es noch einmal funktionieren? Er bewegte wieder den ersten Fuß, danach den zweiten.
Diesmal ging es besser.
Er lief weiter. Wie kam es, dass er atmen konnte? Unter der Wasseroberfläche?
Jetzt war die Stimme direkt neben ihm.
„Öffne die Augen!“, befahl sie.
Doch er wollte nicht. Er hatte so viel Schreckliches gesehen.
„Öffne die Augen!“ Die Stimme war unerbittlich.
Langsam hob er seine Lider. Er war bereit, vor Grauen sofort losschreien. Aber das war nicht nötig.
Da war nichts Schreckliches.
Er lief auf dem Wasser! Der Mond leuchtete so hell, dass er am Ufer eine Landschaft erkennen konnte. Tony drehte den Kopf zur Seite, dorthin, wo die Stimme herkam. Neben ihm schritt ein Wesen in einem langen silberweißen Gewand. Das Gesicht konnte Tony nicht sehen; es leuchtete zu sehr. Das Wesen strahlte eine große Ruhe und Zuversicht aus. Und obwohl es bedeutend größer war als er, glaubte er für einen Moment, Melanie zu sehen.
„Lass los, Tony!“, sagte das Wesen.
Loslassen? Das Wesen und er hielten sich doch gar nicht an den Händen?
Dann verstand er. Er sollte das Schreckliche loslassen.
Zurückkehren ins Leben.
Wollte er das?
Er wandte sich dem Ufer zu und lief plötzlich leichtfüßig über die Wellen. Aber auch nachdem er wieder festes Land unter den Füßen hatte, fühlte er sich leicht und spürte den Boden kaum.
Er kam an einem nächtlichen Dorf vorbei und lief durch Felder und Wiesen, auf denen Pferde grasten.
Eine hohe Mauer mit einem Tor tauchte vor ihm auf. Die bewaffneten Wächter schienen ihn jedoch nicht zu bemerken.
Er ging hindurch.
Drinnen erstreckten sich Reihen um Reihen von einstöckigen Gebäuden, dazwischen schurgerade Straßen. Die Anlage war riesig. Und weiter hinten, im Zentrum, entdeckte er höhere, mehrstöckige Häuser. Alles war sehr exakt und rechtwinklig angelegt.
Er näherte sich einem der Gebäude. Mühelos schwebte er durch die dämmrigen Gänge und betrat ein Zimmer. Es war heimelig. Öllampen brannten vor Götterstatuen. Und davor kniete ein Soldat.
Er wusste, dass er den Mann kannte.
Dann sah er auf einem Bett einen bleichen Jungen. Neben ihm lag ein schwarzer Hund.