VI
„Kann der Junge auch reiten?“, fragte Fabius Pudens.
Bassus schüttelte den Kopf. „Das scheint in der Zeit, aus der er kommt, auch gar nicht wichtig zu sein. Angeblich bewegt man sich dort mit Fahrzeugen vorwärts, die mit Hilfe von Öl von selber fahren.“
„Wahnsinn. Wenn ich nicht die seltsamen Gegenstände gesehen hätte, die der Junge bei sich hatte, hätte ich seine Geschichte niemals geglaubt. Nur schade, dass wir die Dinge verstecken müssen. Sie hätten uns sehr nützlich sein können.“
„Ja, das ist wirklich schade“, bestätigte Severus.
Er hatte sich mit Bassus und Pudens in einen abgelegenen Raum zurückgezogen, damit sie ungestört reden konnten. Ihre Stimmung war gedrückt, denn ein Reiter der Turma war gefallen und acht weitere waren schwer verwundet.
„Ohne Tony wären unsere Verluste noch viel höher ausgefallen“, sagte Pudens. „Jemanden wie ihn könnten wir gut gebrauchen. Das Reiten würde er sicher schnell lernen.“
„Ich halte das für keine gute Idee. Mir ist der Junge unheimlicher denn je“, meinte Bassus.
„Wieso das?“
„Die Art und Weise, wie er immer wieder das Wort ‚pater‘ rief, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.“
„Ich dachte, er ruft irgendeinen Kriegsgott an, den er Vater nennt.“
„Für mich klang das anders. Nach Hass, nach purem Hass auf einen Vater.“
„Oder auf Väter im Allgemeinen“, ergänzte Severus. „Das würde auch seine beharrliche Weigerung erklären, mich pater zu nennen.“
„Ich finde das furchtbar.“
„Wahrscheinlich gibt es dafür eine ganz harmlose Erklärung“, meinte Pudens.
Aber Bassus ließ sich nicht beruhigen. „Außerdem befand Tony sich in einem Blutrausch. Solche Menschen sind zu allem fähig.“
„He, ich hatte das früher auch ein paar Mal während eines Kampfes“, entrüstete sich Severus, „das kennen die meisten Soldaten.“
„Ich kenne das nicht.“
Pudens lachte. „Du hast ja auch die Seele eines Philosophen, Bassus, und nicht die eines Kriegers.“ Er schlug ihm auf die Schulter. „Obwohl du ein verdammt guter Krieger bist.“
Severus nickte zustimmend. Nach einer Weile sagte er: „Tony hat auch mehrmals die Namen ‚Flavia‘ und ‚Aurelius‘ gerufen. Und das hat mir sehr gefallen.“
Widerwillig gab Bassus zu: „Ja, er hat offensichtlich für deine Kinder gekämpft. Trotzdem. Wie er das Wort ‚Vater‘ hinausschrie, das klang anders.“
Es klopfte, und ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte ein Sklave herein.
„Die Herrin schickt mich. Ihr sollt sofort zu den toten Germanen kommen.“
Sie sprangen auf.
Nur wenige der Germanen waren entkommen. Die meisten waren tot. Normalerweise hätten die Römer Gefangene gemacht, um sie als Sklaven zu verkaufen. In diesem Fall war es jedoch wichtiger, dass die Männer nie wieder gefährlich werden könnten.
Die Toten lagen nebeneinander im Hof. Unter ihnen war auch der Anführer, der selbst im Tod noch einen höhnischen Ausdruck im Gesicht hatte.
Und vor ihm stand Marcia.
Sie war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Severus legte behutsam seine Arme um sie und wollte sie wegführen.
Sie deutete auf den Mann und sagte: „Das ist Audicas Bruder.“
„Das kann nicht sein.“
„Er ist es. Sie sahen sich sehr ähnlich. Im ersten Moment dachte ich sogar, dass es Audica selbst ist.“
Severus wandte sich an Fabius Pudens und Bassus.
„Was hat das zu bedeuten?“
„Nun, es könnte natürlich ein Zufall sein“, antwortete Pudens vorsichtig.
„Dass er ausgerechnet das Gut überfällt, auf dem die Frau und die Tochter seines verstorbenen Bruders leben?“ Severus schüttelte heftig den Kopf. „An solche Zufälle glaube ich nicht.“
Auch Bassus glaubte nicht daran. Doch er wollte Marcia nicht noch mehr beunruhigen.
„Aber das ergibt doch keinen Sinn. Nach so langer Zeit. Und wie hätte er überhaupt herausfinden sollen, dass Marcia hier lebt? Außerdem tragen sie und Flavia seit Jahren römische Namen.“
„Aber ich sehe noch genauso aus“, sagte Marcia. „Genau wie ich ihn erkannt habe“, sie deutete auf den toten Anführer, „wird auch er mich wieder erkannt haben.“
„Wie denn?“, fragte Severus. „Du bist doch immer auf dem Gut.“
„Im März war ich einen Tag in der Colonia, erinnerst du dich nicht? Und ich hatte Flavia dabei. Er weiß, wie alt sie jetzt sein muss, und hat daher leicht erraten, dass sie Audicas Tochter ist.“
„Falls er euch überhaupt gesehen hat.“
Marcia schmiegte sich in die Arme ihres Mannes. Über ihren Kopf hinweg sah Severus Bassus und Fabius Pudens alarmiert an.
Schade, dass sie keinen der Germanen mehr befragen konnten.
Ruhig sagte Pudens: „Was auch immer geschehen ist, Marcia. Jetzt ist es vorbei.“
Danach zog er Bassus ein Stück weg und fragte leise: „Was denkst du?“
„Ich habe ein äußerst ungutes Gefühl.“
„Mir geht es genauso.“
Während Tony bewusstlos war, hatte man sein Zimmer in ein Lazarett verwandelt. Die Verletzten lagen auf lederbespannten Liegen. Mehrere Sklaven kümmerten sich um sie, unter ihnen auch Herklides.
Tony richtete sich auf.
„Was fehlt mir denn?“, fragte er Herklides.
„Ihr wart zusammengebrochen, Herr. Aber ansonsten habt Ihr nur einige Schnitte und blaue Flecken.“
Vorsichtig stand Tony auf. Kein Schwindel. Keine Schmerzen. Er tastete nach seinen Rippen. Erträglich.
Der Verletzte neben ihm war noch sehr jung. Sein Gesicht glänzte. Tony nahm einen Lappen und tunkte ihn in eine der Schüsseln mit frischem Wasser. Gerade als er dem Soldaten den Schweiß von der Stirn wischte, kam Bassus herein und sah ihn überrascht an.
Es war Tony peinlich, bei einer derart fürsorglichen Geste erwischt worden zu sein.
„Er hat Fieber“, knurrte er unfreundlich.
Bassus trat besorgt an das Bett des Soldaten und nahm seine Hand.
„Wie fühlst du dich, Justus?“, fragte er.
Der Verletzte versuchte zu grinsen. „Keine Ahnung. Ich glühe.“
„Wackeron und Morvran sind auf dem Weg hierher.“
Das schien den Soldaten zu beruhigen.
Neugierig fragte Tony: „Wer sind Wackeron und Morvan?“
„Morvran“, verbesserte Bassus. „Sie sind die Ärzte unserer Ala. Ausgezeichnete Ärzte. Selbst die Legionen in Bonna und Moguntiacum beneiden uns um unser Valetudinarium.“
Dann sah er Tony genauer an. „Du siehst auch nicht gerade wie das blühende Leben aus. Solltest du dich nicht noch etwas hinlegen und auch auf unsere Ärzte warten?“
„Nein. Ich muss nur etwas essen. Danach geht es wieder.“
„Dann komm mit, ich habe seit dem Frühstück auch nichts mehr gegessen.“
Unterwegs fragte er Tony beiläufig: „Hast du Erfahrung in der Pflege von Kranken?“
„Ich habe meine Schwester betreut.“ Er hätte sich am liebsten wieder auf die Zunge gebissen.
„Was hat sie?“
„Eine Krankheit, bei der man allmählich die Kontrolle über seinen Körper verliert.“
Bassus blieb stehen. „Das tut mir leid. Wie alt ist sie?“
„Sie war elf, als sie starb. Jemand hat sie erschlagen.“
„Wer?“
„M… hmh … Sie ist jedenfalls tot.“
Hoffentlich sagte Bassus jetzt nicht, dass das für Melanie sicher besser war, als noch länger zu leiden.
Doch stattdessen fragte er: „Erhielt derjenige, der das getan hat, seine gerechte Strafe?“
„Nein.“
„Das ist nicht in Ordnung.“
Niemand hielt Tony auf, als er durch das Hoftor marschierte und einfach loslief. Jetzt saß er mitten im Wald auf einem Steinbrocken und lauschte dem Gesang der Vögel.
Bassus’ Reaktion hatte ihn überrascht. Aber was, wenn Bassus wüsste, dass Melanie von ihrem eigenen Vater getötet worden war? Würde er dann immer noch sagen, dass das nicht in Ordnung war? Wahrscheinlich nicht. Denn Väter hatten in der Römerzeit nun einmal das Recht, ihre Kinder zu töten. Der Staat mischte sich da nicht ein.
Er wusste das von Herklides. Aber Herklides hatte auch hinzugefügt, dass dies nur sehr selten geschah, denn im Allgemeinen liebten römische Väter ihre Kinder.
Trotzdem. Prinzipiell war das Töten von Kindern bei den Römern Privatsache.
Und in so einer Welt konnte Tony nicht leben.
Aber er hatte keine Wahl.
Das Medaillon hatte nicht funktioniert.
Er war gefangen.
Resigniert vergrub er sein Gesicht in den Armen.
Die Bilder der vergangenen Nacht stiegen in ihm auf. Das Schlachten und die Rolle, die er dabei gespielt hatte. Sein Verhalten entsetzte ihn. Es war, als ob eine böse Macht von ihm Besitz ergriffen hätte. Natürlich freute er sich, dass Flavia, Aurelius und die anderen Bewohner des Guts gerettet waren. Aber was da während des Kampfes mit ihm vorgegangen war, beunruhigte ihn zutiefst.
Warum?
Ihm wurde kalt ums Herz. Denn plötzlich kannte er die Antwort.
Sein Verhalten erinnerte ihn an das von Roland!
War er am Ende wie er? Hatte er mit seinen Genen auch seine Gewalttätigkeit geerbt? Neigte auch er dazu, genau wie Roland, auszurasten und Leben zu zerstören?
Er stöhnte auf. Das konnte, das durfte nicht sein! Und es stimmte auch nicht. Im Gegensatz zu Roland würde er Kleineren und Schwächeren nie etwas tun. Im Gegenteil. Er würde sich für sie in Stücke reißen lassen.
Aber sich deswegen in einen Blutrausch hineinsteigern?
Er krümmte sich zusammen. Vielleicht sollte er noch tiefer in diesen Wald laufen, sich verirren und verhungern und die Sache so lösen?
Allmählich beruhigte er sich wieder.
Dieser Ort war so friedlich.
Er richtete sich auf. Nein, das war kein Weg. Nie im Leben würde er hier verhungern oder verdursten. Um das Gut herum erstreckten sich riesige Obstplantagen. Und im Herbst würde es Beeren und Pilze geben. Außerdem konnte er jagen.
Im Winter würde es natürlich hart werden. Aber auch das würde er schon irgendwie überleben.
Vielleicht war das ja die Lösung: Er blieb hier und wurde so eine Art Waldschrat.
Andererseits: Wenn ein Leben im Wald ein Ausweg war, konnte er damit auch noch ein wenig warten. Diese Möglichkeit lief ihm schließlich nicht weg. Zuerst würde er noch einmal versuchen, mehr über das Medaillon zu erfahren. Vielleicht genügte es nicht, wenn er einfach nur in Lebensgefahr geriet. Vielleicht musste er weitere Kriterien erfüllen, damit es ihn wieder zurückbrachte.
Wen konnte er fragen?
Natürlich Bassus. Schließlich war er derjenige, dem das Medaillon eigentlich gehörte. Vielleicht hatte ihm der Druide ja einen Hinweis gegeben.
Auf dem Hof begegnete Tony vier Männern, die Holzkisten schleppten. Zwei von ihnen waren bewaffnete Reitersoldaten. Die beiden anderen waren unbewaffnet. Der eine war etwa Mitte Dreißig, ein großer, schlanker Mann mit kohlrabenschwarzen Haaren, außergewöhnlich heller Haut und seltsamen Augen. Der andere war älter und untersetzt, seine Haare waren weiß.
Die Kisten schienen schwer zu sein. Auf jede war ein Stab gemalt, um den sich eine Schlange wand.
Der Äskulapstab! Die Ärzte waren da!
Wie würden sie den verletzten Männern helfen können? Ohne Narkose, Schmerzmittel und Antibiotika?
Das musste er sich ansehen.
Tony folgte ihnen ins Haus.
Auf dem Flur fing Marcia ihn ab.
„Da bist du ja, Tony. Komm, ich zeige dir dein neues Zimmer.“
„Aber es macht mir nichts aus, bei den Verwundeten zu bleiben. Ich kann mich nützlich machen“, protestierte er.
„Du bist ein guter Junge, Tony. Aber für die Verwundeten ist gesorgt.“
Sie zog ihn mit sich.
Unterwegs fiel ihm das Medaillon wieder ein.
„Weißt du, wo Bassus steckt? Ich müsste etwas Wichtiges mit ihm besprechen.“
Sie blieb stehen und sah ihn verwundert an. „Er ist weg. Die gesamte Turma ist vor einer Stunde abgezogen.“
Verdammte Scheiße.
„Nur die Verwundeten sind noch hier.“
Obwohl Tony in seinem neuen Zimmer völlig ungestört war, kam er nicht zur Ruhe. Jetzt war es bereits nach Mitternacht.
Im Krankenzimmer schliefen sicher alle.
Tony wälzte sich auf die andere Seite.
Aber vielleicht war ja doch noch jemand wach!
Er stand auf und schlich auf Zehenspitzen in sein altes Zimmer. Der weißhaarige Arzt arbeitete noch. Der schwarzhaarige mit der hellen Haut schlief. Auch die Verwundeten schliefen, bis auf einen, der sich mit dem weißhaarigen Arzt flüsternd unterhielt. Tony setzte sich neben einen müden Sklaven.
„Ist der da dieser Arzt Wackeron?“, flüsterte er.
Der Sklave nickte.
Wackeron fühlte den Puls des Verletzten und legte eine Hand auf dessen Stirn. Dann legte er ein Ohr an die Brust des Mannes und lauschte. Ein anderer Patient wurde unruhig und wälzte sich hin und her. Wackeron ging sofort zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Der andere Soldat rief, er müsse jetzt mal. Wackeron nickte. Der Sklave neben Tony ging mit einer Glasflasche zu dem Verwundeten. Er schob sie unter die Decke. Nach einer Weile zog er sie mit Urin gefüllt wieder heraus und brachte sie Wackeron. Der hielt sie sich unter die Nase und schnüffelte ausgiebig daran. Dann ging er zu einer der Öllampen, schwenkte den Inhalt vorsichtig hin und her und betrachtete ihn im Licht der Lampe. Schließlich gab er die Flasche wieder dem Sklaven, und der verließ mit ihr das Zimmer.
„Was kannst du aus dem Urin ablesen?“, fragte Tony leise.
Wackeron kam zu ihm.
„Alles Mögliche. Ob er eine schwere Entzündung im Körper hat, ob er bald Wundbrand bekommen wird; manchmal, ob er sterben wird.“
„Das alles kannst du nur aus dem Urin herauslesen?“
Wackeron lächelte. „Meistens. Ich betrachte aber auch die Wunde, außerdem seine Augen, seine Zunge, seinen Blick, seine Körperhaltung und ob er Appetit hat und worauf. Alles zusammen vermittelt mir dann eine recht gute Vorstellung davon, wie es um den Kranken bestellt ist.“
„Hast du das auf einer Akademie gelernt?“
„Anfangs ja. Danach bin ich bei einem sehr guten Arzt in die Lehre gegangen.“
Wackeron setzte sich neben ihn.
„Du bist Tony, nicht wahr? Warum interessiert dich das?“
Tony verstand selbst nicht, warum er zu Wackeron sofort Vertrauen fasste. „Ich hatte eine kranke Schwester, um die ich mich gekümmert habe. Wegen ihr wollte ich sogar Arzt werden. Ich hatte gehofft, dass ich ihr dann helfen könnte.“
Wackeron hatte ihm aufmerksam zugehört. „So ähnlich fing es auch bei mir an. Meine Mutter und meine Schwester sind kurz nacheinander gestorben. Da habe ich mir geschworen, alles zu tun, um Menschen wieder gesund zu machen. Ich könnte mir keine andere Tätigkeit vorstellen.“
„Wackeron ist ein seltsamer Name.“
Der Arzt lächelte. „Ich bin Grieche.“
„Grieche? Wie Hippokrates?“
Überrascht fragte Wackeron, „Was weißt du über Hippokrates?“
Mist. Was sollte er antworten? Er konnte doch nicht sagen, dass er aus einer anderen Zeit kam, in der alle Ärzte sich an den Hippokratischen Eid halten mussten?
„Ich habe gehört, dass er ein großer Arzt war, der ethische Prinzipien für Ärzte formuliert hat.“
„Und was weißt du über diese Prinzipien?“
„Nur, dass ein Arzt Leben retten, aber niemals Leben beenden darf. Und dass er schweigen muss.“
Wackeron schüttelte ungläubig den Kopf. „Ja, das sind zwei seiner Regeln, und bei Gott, es wäre schön, wenn alle Ärzte sie befolgten.“
Tony hätte ihm gerne gesagt, dass das selbst 2000 Jahre später noch der Fall war. Es hätte Wackeron sicher gefreut.
Stattdessen fragte er: „Wie lange wirst du hier bleiben?“
„Bis morgen Vormittag. Dann kehre ich mit den transportfähigen Soldaten wieder zurück in unser Valetudinarium.“
„Bleibt er hier?“ Tony deutete auf den schlafenden Arzt mit den schwarzen Haaren.
„Ja. Morvran wird noch eine Weile bleiben.“
„Sein Name klingt weder römisch noch griechisch.“
„Er ist Kelte. Der Sohn eines Druiden. Aber nicht aus dieser Gegend, sondern aus Britannia. Sie sind uns dort in einigen Bereichen der Heilkunst überlegen. Mal kann Morvran besser helfen, mal ich.“
Ein Kelte aus Britannien!
Er würde diesem Morvran das Medaillon zeigen. Vielleicht erfuhr er ja von ihm etwas Brauchbares. Auf einmal fühlte er sich viel besser.
Wackeron sah ihn noch immer aufmerksam an und sagte lächelnd: „Ich sehe, die Aussicht, meinen Kollegen noch länger da zu haben, bereitet dir Freude. Aber nun entschuldige mich, Tony. Da alle Patienten schlafen, werde auch ich mich ein bisschen aufs Ohr legen.“
Morvran wechselte gerade einen Verband, als Tony am nächsten Tag das Zimmer betrat. Er sah dem Arzt eine Weile zu.
„Was ist das für ein rotes Öl?“, fragte er nach einer Weile.
Morvran sah kurz auf. „Hypericum.“
Hypericum? Wenn er sich nicht täuschte, war es Johanniskraut. Schade, dass er sein Heilkräuter-Lexikon nicht dabei hatte.
„Kann man damit nicht auch die Stimmung aufhellen?“
„Das kann man in der Tat.“
„Benutzt du für Wunden auch Calendula und Chamomilla?“
„Natürlich, und Honig.“
„Man kann auch einfach Honig auf Wunden auftragen?“, fragte Tony skeptisch.
„Ja, er heilt vorzüglich.“
Das war ihm neu. Er nahm sich vor, es auszutesten, wenn er sich das nächste Mal verletzte.
„Und wenn eine Wunde einfach nicht heilen möchte, sondern sich immer mehr entzündet?“
„Da gibt es verschiedene Wege. Aber vorsichtshalber setzen wir immer gleich Acetum ein, damit es erst gar nicht so weit kommt.“
Tony trat näher. „Und was machst du, wenn jemand eine große Wunde hat, sagen wir durch einen Schwerthieb? Wie sorgst du dafür, dass sie sich schließt? Nähst du sie zusammen?“
„Man kann sie nähen oder klammern. Sieh her.“
Er zeigte ihm die Wunde, die er gerade verband. Sie war genäht. Es sah sehr gleichmäßig aus.
„Und was sind das für Klammern?“
„Komm, ich zeige sie dir.“
Er führte Tony zum Tisch, auf dem neben vielen Fläschchen und Schälchen ein breiter, flacher Holzkasten lag. Morvran klappte ihn auf, so dass die beiden Hälften wie ein offenes Buch dalagen. Wie in einem Besteckkasten lagen darin penibel geordnet medizinische Instrumente aus Metall. „Die waren sicher nicht billig“, entfuhr es Tony.
Morvran lachte schallend. „Da hast du recht. Nur wenige Handwerker können solche Instrumente herstellen. Dafür halten sie auch ewig. Man vererbt sie weiter.“
Ehrfürchtig fuhr Tony mit den Fingerspitzen über die Griffe. Bei den Skalpellen passte er auf, dass er nicht an die rasiermesserscharfen Klingen kam. Einige Instrumente sahen aus wie winzige Löffel mit langen Stielen. Die Pinzetten, Klammern und Nadeln waren zwar nicht ganz so fein wie die Nadeln aus Edelstahl der Jetztzeit, aber sie sahen trotzdem viel feiner und schöner aus, als er das den Handwerkern der Römerzeit zugetraut hätte.
Tonys Herz schlug schneller. Wenn er noch länger in der Römerzeit bleiben musste, wäre es vielleicht gar keine schlechte Idee, sich mit Medizin zu beschäftigen.
Morvran klappte den Kasten wieder zu. „Du scheinst beeindruckt zu sein, aber diese Instrumente sind nicht so wichtig.“
„Wieso nicht?“
„Damit kann man Menschen zwar reparieren, aber nicht heilen.“
Er musste Morvran so verwundert angesehen haben, dass der fragte: „Verstehst du, was ich damit sagen will?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber vielleicht meinst du damit, dass der Körper, um zu heilen, auch eigene Kräfte mobilisieren muss?“
„Bravo, Tony“, sagte Morvran und sah ihn mit seinen seltsamen Augen an. „Dass der Kranke selbst wieder gesund werden möchte, ist dabei das Wichtigste. Aber genau so wichtig ist, dass auch die Götter es wollen.“
Die Götter. Das war der perfekte Übergang zu seinem Medaillon. Aber auf einmal wusste Tony nicht, wie er das Thema anpacken sollte.
„Was ist?“, fragte Morvran.
„Nichts.“
Seine hellen Augen irritierten Tony. Sie waren eher grün als blau. Oder war es umgekehrt? Nein, es wechselte! Es war, als würde man in ein tiefes Meer blicken und hineingezogen werden. Auf einmal glaubte Tony sogar das Rauschen von Wellen zu hören. Mit aller Macht riss er sich los.
Auf dem Hof begegnete er Severus. Der war in Eile, aber seit dem Überfall viel freundlicher.
„Wie geht es dir?“, fragte er und blickte dabei hektisch um sich.
„Danke, ganz gut. Ich habe nur mein übliches Problem.“
„Das da wäre?“
„Ich habe nichts zu tun. Wie soll ich nur meine Tage verbringen?“
„Nun, das müssen wir natürlich besprechen“, sagte Severus zerstreut und eilte davon.
Tony rannte ihm hinterher. „Publius Flavius!“
„Ja?“ Severus lief dabei weiter und betrat das Haus.
Tony blieb neben ihm.
„Könnte ich nicht Arzt werden?“
Severus blieb augenblicklich stehen. „Medicus?“, fragte er in einem Ton, als hätte Tony etwas schrecklich Unanständiges vorgeschlagen.
„Das ist doch ein schöner Beruf. Man heilt Menschen.“
Severus prustete los und eilte weiter. „Entschuldige, dass ich lache“, sagte er, „Ärzte heilen doch nicht, sie sind geldgierige Scharlatane.“
Wie bitte? Tony war verwirrt.
„Auch Wackeron und Morvran?“
„Die natürlich nicht. Die dienen ja auch in der Armee. Aber die Mehrzahl. Es ist kein angesehener Beruf, Tony. Selbst Sklaven üben ihn aus.“
Verdammt. Er war es leid, dass sich dauernd alle seine Pläne zerschlugen.
Aus dem Unterrichtszimmer hörte er die Stimmen von Flavia und Herklides. Nach kurzem Zögern trat er ein. Wenigstens konnte er etwas lernen, wenn er schon sonst nichts tun konnte.
Flavia freute sich wie immer, ihn zu sehen. Aber auch Aurelius und Herklides lächelten ihn an. Seit dem Überfall behandelten sie ihn jedoch auch mit einer gewissen Scheu.
Tony setzte sich und hörte zu. Flavia übersetzte laut aus einem griechischen Text. Nach einer Weile wurde Tony hellhörig. Der Text interessierte ihn.
„Außerdem muss uns bewusst sein, dass das Künftige weder völlig in unserer Macht liegt, noch völlig nicht in unserer Macht liegt. Wir sollten weder erwarten, dass das Künftige genau so kommen wird, noch verzweifeln, wenn es überhaupt nicht so kommt“, übersetzte Flavia.
„Aber wie können wir wissen, was in unserer Macht liegt und was nicht?“, rief Tony.
Sie sahen ihn interessiert an. Er fuhr fort: „Haben wir überhaupt irgendeinen Einfluss auf das, was kommen wird?“
Herklides schritt langsam auf und ab und strahlte dabei etwas Königliches aus. Tony fand es beschämend, dass dieser Lehrer, der gebildeter war als alle anderen Bewohner des Gutes, ein rechtloser Sklave war.
„Laut Epikur haben wir sehr wohl einen Einfluss“, sagte Herklides. „Wir sind nicht nur einem blinden Schicksal unterworfen. Denn das würde uns von jeglicher Verantwortung entbinden. Es ist vielmehr so, dass wir mit jeder unserer Handlungen etwas bewegen und die Welt mitgestalten können. Daher ist es wichtig, dass wir mit Bedacht das Gute und Richtige tun.“
„Aber es gibt doch die Götter, die angeblich alles bestimmen“, warf Tony ein.
Herklides blieb stehen. „In der Tat, aber sie sind zugänglich. Wir können sie um Hilfe bitten.“
„Aber im Letzten ist es ihre Entscheidung, ob sie uns unterstützen. Das heißt, wir sind ihnen völlig ausgeliefert.“
Herklides dachte kurz nach. „Einem Menschen, der sich um den rechten Weg bemüht, sind sie wohlgesonnen. Auch wenn sie vielleicht auf eine Art und Weise helfen, die wir zunächst nicht verstehen.“
Nein. Das gefiel Tony nicht.
„Ich weiß, auf was du und dieser Epikur hinauswollt, wir sollen auch in schweren Zeiten gelassen bleiben und darauf vertrauen, dass alles zu unserem Besten ist.“
Er hatte es so aggressiv gesagt, dass Herklides und Flavia ihn erschocken ansahen.
Nach einer Weile sagte Herklides: „Ja, wir sollten uns in der Tat bemühen, zu einer Haltung der Unerschüttlichkeit zu gelangen.“
Tony hörte sich selbst bitter auflachen. „Wir sind den Göttern ausgeliefert wie Kinder einem Vater. Wir haben keinerlei Macht.“
Jetzt wurde auch Herklides leidenschaftlich. „Ganz so ist es nicht. Wir Menschen haben sogar sehr viel Macht. Wir müssen nur einen Fuß auf den Boden setzen, und schon können wir eine Ameise oder einen Käfer töten. Tiere, winzig und schön, bei deren Erschaffung sich die Götter viel Mühe gegeben haben. Mit einem einzigen Schlag unserer Faust oder einem Hieb unseres Schwertes können wir Menschen töten. Wir können sie aber auch zuerst foltern oder sie versklaven. Wir können Felder anzünden und Ernten zerstören. Wir können unsägliches Leid über die Erde bringen, die bis ins Kleinste von den Göttern mit unbeschreiblicher Schönheit ausgestattet wurde. Der zerstörerischen Macht der Menschen sind keine Grenzen gesetzt.“
Es war still im Klassenzimmer. Tony hatte verstanden.
„Warum lassen die Götter das zu?“, fragte er schließlich.
Herklides setzte sich. „Darüber können wir nur spekulieren.“
Der Soldat, den Morvran gerade untersuchte, würde sterben. Seine Haut glänzte vor Schweiß, und seine Augen blickten aus tiefen Höhlen in einem Gesicht, das gelb und ausgezehrt wirkte, obwohl er ein kräftig gebauter Mann war.
Es traf Tony wie ein Blitz. Natürlich setzten die Götter den Menschen Grenzen! Krankheit und Tod.
Niemand, auch nicht der mächtigste Tyrann, konnte verhindern, dass er starb. Hatten die Götter den Tod am Ende aus Gnade eingeführt? Damit die Bösen nicht noch mehr grausame Taten begehen konnten? Dieser Gedanke gefiel Tony. Doch das konnte nicht ganz stimmen. Denn warum starben dann Menschen, die gut waren jung? Menschen wie Melanie? Während viele böse Menschen ein hohes Alter erreichten?
Qualvolles Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken. Der Soldat hatte offensichtlich furchtbare Schmerzen.
Morvran nahm die Hände des Verwundeten und hielt sie fest. Er wartete, bis der Mann ihm in die Augen sah. Dann begann er in einem seltsamen, singenden Tonfall zu sprechen:
„Quintus Gabinius, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Ich habe nach Urrum schicken lassen. Es ist die seltenste und stärkste Medizin der Welt. Sie wird nur in Epidauros, Kos und Pergamon kultiviert, in den Heiligtümern des Gottes Asklepios. Und nur Ärzte, die viele Monate mit Fasten und Gebet in diesen Heiligtümern verbracht haben, dürfen sie verwenden. Wackeron ist einer dieser Ärzte.“
Der sterbende Soldat sah Morvran unverwandt an. Der Kelte fuhr mit seiner zwingenden Stimme fort:
„Gestern Nacht erschien mir der Gott Asklepios im Traum. Er befahl mir, Wackeron zu bitten, etwas von seinem Urrum hierher zu schicken, damit ich es dir geben kann. Ich habe sofort einen Boten geschickt.“
Morvran beugt sich noch tiefer über den Soldaten. „Ich erwarte ihn eigentlich jeden Moment zurück.“
Wenige Sekunden später ging die Tür auf, und ein Sklave stürzte herein. Er hielt ein Stoffsäckchen in die Höhe und rief: „Herr, das Urrum. Wir haben es.“
„Gut. Ich werde es zubereiten und dir zu trinken geben, Quintus Gabinius. Bist du damit einverstanden?“
Der Soldat nickte. Seine Augen waren plötzlich voller Hoffnung.
Morvran erhob sich und nahm das Säckchen feierlich entgegen. Er drückte es ehrfürchtig an seine Brust und verneigte sich in Richtung der Götterstatue. Dabei murmelte er ein Gebet. Der Sklave rannte wieder hinaus. Morvran ging zum Tisch. Er schüttete getrocknete Blätter aus dem Säckchen und zerpflückte sie. Der Sklave kehrte mit einem hölzernen Tablett zurück, auf dem ein kleines Metallgefäß mit einer dampfenden Flüssigkeit stand. Morvran streute die Blätter in das Gefäß und murmelte dabei unverständliche Worte, die wie magische Beschwörungen klangen. Der verletzte Soldat beobachtete ihn gebannt.
Tony wurde mulmig zumute. Urrum? Was sollte das sein? Er hatte nie davon gehört. Konnte es eine Medizin sein, die nur den Kelten bekannt war und die danach in Vergessenheit geriet? Aber wie konnte eine angeblich so mächtige Medizin in Vergessenheit geraten?
Er schnupperte. Das Gebräu roch wie Petersilie! Oh nein. Als er begriff, war er plötzlich furchtbar enttäuscht.
Es gab gar kein Urrum. Morvran machte dem Soldaten nur etwas vor.
Tony wurde so wütend, dass er den Becher am liebsten auf den Boden gefegt hätte. Doch ein Blick in das Gesicht von Morvran hielt ihn auf. Er warnte Tony.
Mit dem Becher in der Hand ging er zu dem sterbenden Soldaten.
„Quintus Gabinius“, sagte er feierlich, „es ist bisher kein einziger Fall eines Kranken bekannt, der von Urrum nicht wieder gesund wurde. Bei manchen wirkt es schnell, bei anderen langsamer, aber immer heilt es. Bist du bereit, dass der mächtige Gott Asklepios dir hilft?“
„Ich bin bereit“, flüsterte der Soldat kaum hörbar.
Morvran nickte dem Sklaven zu. Gemeinsam hoben sie den Oberkörper des Mannes hoch. Morvran hielt den Becher an seine Lippen, und der Soldat mühte sich ab, die Flüssigkeit in kleinen Schlucken zu trinken.
Es war einfach widerlich, wie dieser Sterbende zu einem letzten sinnlosen Kraftakt gezwungen wurde!
Als der Becher endlich leer war, sank der Mann wieder auf sein Kissen zurück und schloss die Augen.
Severus hatte recht gehabt. Und wie sehr! Arzt sein hatte in der Römerzeit mehr mit Voodoo als mit Heilkunst zu tun. Seit dem Vorfall mit dem Urrum lief Tony erregt auf dem Hof umher. Zu Beginn war er von den Gänsen verfolgt worden. Doch inzwischen ignorierten sie ihn.
Er setzte sich auf den Rand der steinernen Tränke. Die beiden Hunde waren heute angekettet. Doch die Ketten waren lang, und jeder Hund hatte seine eigene Hütte.
Tony zuckte zusammen. Eine Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt. Er hasste es, wie manche Leute sich immer anschlichen! Ärgerlich drehte er sich um und sah in die blaugrünen Meeresaugen von Morvran.
Wütend fragte er den Arzt: „Wer passt eigentlich auf das kostbare Urrum auf, während du hier draußen bist?“
Morvran setzte sich neben ihn und sagte ruhig: „Es tat mir in der Seele weh, dass Quintus Gabinius dabei war, unsere Welt zu verlassen. Deshalb beschloss ich, alles zu tun, um ihn zu heilen, und zog meine Zaubernummer ab.“
„Heilen? In meinen Augen ist es Unrecht, einen Sterbenden noch so zu quälen.“
„Warten wir doch einfach ab“, erwiderte Morvran gelassen.
„Du glaubst also selbst nicht an die wunderbaren Kräfte des Asklepios?“
Morvran hatte wohl den ironischen Unterton überhört.
„Wackeron war tatsächlich am Asklepiosheiligtum in Kos.“
„Aber du glaubst nicht daran?“
„Wer weiß.“
„An was glaubst du wirklich?“
Morvran lächelte. „Ich bin noch mit den Druiden aufgewachsen. Aber die Römer fürchten sie wegen ihrer magischen Kräfte.“
„Die sie aber gar nicht haben?“
„Sie sind einfach nur sehr überzeugend.“
„So wie du vorhin bei dem armen Quintus Gabinius?“
„Genau darin besteht Magie.“
„Glaubst du überhaupt an Götter?“
Wieder lächelte er. „Tony, manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass du aus einer anderen Welt kommst. Wir wissen doch alle: Das Imperium Romanum hat eine Staatsreligion, und wer sie in Frage stellt, kann mit dem Tod bestraft werden.“
Tony stöhnte wieder einmal innerlich auf. Diese verdammte Römerzeit war voller Fallstricke.
„Um auf deine Frage zurückzukommen“, fuhr Morvran fort, „ich glaube an eine Macht, die unser Schicksal begleitet. Aber ich bezweifle, dass unsere Vorstellungskraft auch nur annähernd ihr Wesen erfassen kann.“
Jetzt oder nie. Tony zog das Medaillon über den Kopf und reichte es Morvran. „Kannst du mir darüber etwas sagen?“
Morvran betrachtete es lange.
„Woher hast du es?“
„Eine Keltin aus Britannia hat es mir geschenkt.“
„Warst du selbst einmal in Britannia?“
„Nein. Nie.“
„Diese Frau lebt also jetzt in Germania?“
„Ja. Sie lebt in der Colonia Agrippinensium.“
„Steht diese Frau dir nahe?“
„Nun, in gewisser Weise ja.“
Morvran nickte verstehend. „Denn sonst wäre es nicht zu begreifen, dass sie dir etwas so Wertvolles einfach schenkt.“
„Davor gehörte es Titus Flavius Bassus. Du siehst es an seinen Initialen auf der Rückseite.“
Morvran drehte das Medaillon um und runzelte die Stirn. „Titus Flavius diente in Britannia, als die Römer unsere Druiden abschlachteten, das weiß ich. Hat er es dort jemandem abgenommen?“
Morvrans Stimme hatte keine Gemütsregung verraten, doch Tony spürte die Spannung dahinter.
„Er hat es geschenkt bekommen. Von einem Druiden, dem er das Leben gerettet hat.“
Es war, als wäre in Morvrans Gesicht plötzlich die Sonne aufgegangen. Mit großer Wärme sagte er: „Sieh an. Titus Flavius hat einen Druiden gerettet. Warum überrascht mich das nicht?“
„Ja, warum überrascht dich das nicht?“
Morvran gab ihm das Medaillon zurück. „Weil er in jeder Hinsicht ein ungewöhnlicher Mann ist.“
Bassus? Der war doch nur ein einfacher Reitersoldat aus Thrakien!
Morvran schickte sich an zu gehen.
„Moment, was ist jetzt mit dem Medaillon?“
„Hat dir denn niemand gesagt, dass es ein Schutzamulett ist?“
„Schon. Aber das ist auch alles.“
„Was möchtest du denn noch wissen?“ Morvran war auf einmal sehr vorsichtig.
Tony druckste herum. Er konnte Morvran ja schlecht sagen, dass er aus der Zukunft kam.
„Dieses Medaillon hat mich von sehr weit her in dieses Reich gebracht. Jetzt möchte ich wissen, was ich tun kann, damit es mich wieder zurückbringt.“
Morvran sah ihn an. „Hat es dich gegen deinen Willen hierher gebracht?“
„Ja.“
„Dann wird deine Rückkehr möglicherweise ähnlich vonstatten gehen.“
Was war das denn für eine Antwort? Wieso sollte das Medaillon ihn gegen seinen Willen zurückbringen? Das war doch schließlich genau das, was er wollte.
Doch Morvrans Augen hielten Tony davon ab, nachzufragen. Er glaubte in einen Gletschersee zu blicken.
„Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?“
Aber der Ton, in dem Morvran es sagte, ließ Tony frösteln.
Er schüttelte den Kopf.
Die Untätigkeit, zu der er verdammt war, machte ihn zunehmend mürbe. Hoffentlich kam Bassus bald wieder, damit er endlich erfuhr, ob der Druide damals noch etwas zu ihm gesagt hatte.
Tony stand gerade am Ziegengatter, als ein Sklave sich an ihn wandte.
„Verzeiht, Herr, dass ich Euch anspreche. Aber da ist etwas, das einige von uns beschäftigt.“
„Was denn?“
„Seid ihr mit Flavius Bassus verwandt?“
„Wie kommt ihr darauf?“
„Nun, Ihr seht ihm recht ähnlich.“
Zum Glück rief in diesem Moment Severus’ Verwalter nach dem Mann, und er lief davon.
Tony schüttelte irritiert den Kopf.
Er musste unbedingt mit jemandem reden. Doch mit wem?
Auf dem Gut wussten nur zwei Menschen, wer er wirklich war: Severus und Marcia. Severus war jedoch immer gestresst, blieb also nur Marcia. Außer Smalltalk beim Abendessen hatte er sich noch nie länger mit ihr unterhalten. Aber er mochte sie. Sie war warmherzig und eine gute Mutter. Nie würde sie, wie es seine Mutter getan hatte, ihren Mann über ihre Kinder stellen. Auf der anderen Seite musste sie das auch gar nicht, denn Severus liebte seine Kinder abgöttisch. Selbst Flavia, die gar nicht seine leibliche Tochter war.
Auch zu den Sklaven war Marcia immer freundlich.
Doch konnte sie ihm weiterhelfen? Konnte sie sich in ihn hineinversetzen?
Eine Sklavin sagte ihm, dass Marcia bei den Verwundeten war. Dort wollte er jetzt eigentlich nicht hin. Er hatte keine Lust, Morvran zu begegnen.
Schließlich ging er aber doch Richtung Krankenzimmer. Er würde einfach draußen auf dem Flur auf Marcia warten.
Die Tür stand weit offen. Marcia kniete neben einem der Verwundeten und munterte ihn auf. Tonys Blick schweifte unwillkürlich zu Quintus Gabinius - und ihn traf fast der Schlag.
Es ging dem Verwundeten besser! Er aß sogar.
Tony trat ein. Morvran lag auf einem der freien Betten und schlief. Er wirkte erschöpfter als Quintus.
Marcia sagte lächelnd: „Ich habe ihn überredet, sich etwas hinzulegen. Morvran neigt dazu, sich völlig zu verausgaben.“
Sie sah Tony aufmerksam an. „Wie geht es dir? Bedrückt dich etwas?“
„Ja, da ist etwas, das mich bedrückt.“
„Komm mit.“
In einem kleinen, gemütlichen Zimmer, das anscheinend genau für solche privaten Gespräche gedacht war, deutete Marcia auf einen der Lehnstühle.
„Setz dich.“
Er platzte heraus: „Ich werde langsam wahnsinnig. Ich kann hier nicht leben. Ich muss wieder in meine Zeit zurück.“ Er holte das Medaillon hervor. „Aber meine einzige Verbindung dorthin ist das hier.“
Er reichte es Marcia.
„Ich weiß, dass es seinen Träger an einen sicheren Ort bringen kann, wenn dessen Leben in Gefahr ist. Aber beim Überfall der Germanen hat es das nicht getan.“
Marcia dachte nach.
„Vielleicht hilft es nur dann, wenn der Träger des Medaillons der Gefahr nicht gewachsen ist.“
„Es wusste, dass ich den Überfall überleben würde?“
Marcia nickte.
„Das heißt, ich muss mich noch viel schlimmeren Gefahren aussetzen?“
Marcia sah ihn erschrocken an.
„Ich bezweifle, dass das Medaillon mitspielt, wenn du dich absichtlich in Gefahr begibst.“
„Wieso nicht?“
„Die Götter lassen sich nicht erpressen.“
Tony stand auf.
„Aber es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann!“
Marcia deutete auf den Stuhl, und widerstrebend setzte sich Tony wieder.
Ruhig sagte sie: „Deine Rückkehr wird geschehen, wann immer die Götter es beschließen. Du kannst nichts tun.“
„Aber was, wenn ich noch viele Jahre hier bleiben muss? Zehn, zwanzig Jahre oder … ?“
Für einen Moment bekam er keine Luft mehr. „Oder für immer?“
„Alles ist denkbar. Du musst dich vorerst hier einrichten.“
„Das halte ich nicht aus!“
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Aber du hast doch uns, Tony. Du hast eine Familie. Besonders Flavia hängt sehr an dir.“
„Aber ich habe keine Aufgabe! Ich kann doch nicht jahrelang hier auf dem Gut herumhängen!“
„Das ist Severus auch klar. Er hat längst Pläne für dich. Da du so gut kämpfen kannst, sollst du Soldat werden. In der Ala Noricorum. Jetzt bist du noch etwas zu jung, aber wenn du 18 bist, oder vielleicht sogar schon mit 17, werden sie dich sicher nehmen.“
Tony wäre fast explodiert. Mit aller Gewalt riss er sich zusammen. Das war wieder typisch. Severus entschied über seine Zukunft, ohne mit ihm zu kommunizieren. Soldat! Es schüttelte ihn bei dem Gedanken.
„Soldat kommt für mich nicht in Frage. Ich möchte Menschen helfen, nicht erobern und töten.“
„Die Armee kämpft nicht nur, sie baut auch Straßen und Wasserleitungen.“
„Soldaten müssen gehorchen.“
„Alle Menschen müssen irgendjemandem gehorchen.“
„Ich nicht!“
Er lief dieselbe Strecke wie beim letzten Mal. Im Wald ließ er sich ins weiche Moos fallen und blieb auf dem Bauch liegen.
Wenn er nur weinen könnte!
Nach einer Weile rollte er sich auf den Rücken. Die Sonne schien strahlend hell. Selbst durch dieses dichte Blätterdach hindurch schafften es einige Strahlen, helle Muster auf den Boden oder auf die Rinden der Baumstämme zu zeichnen. Hier war es so friedlich!
In seiner Zeit gab es solche Wälder nicht mehr. Zumindest nicht in dieser Gegend. Alles war zubetoniert. Es gab so gut wie keine Stille. Autobahnen, Straßenbahnen, Züge, Flugzeuge, Motorsägen, Fernseher, Smartphones.
Und doch war es eine Welt, in der er freier leben konnte als in der Römerzeit. Gerade diese Errungenschaften der Technik hatten ihm das ermöglicht.
Es half nichts, er musste dafür sorgen, dass er auch in der Römerzeit ein möglichst unabhängiges Leben führen konnte. Und dazu musste er das Gut von Severus verlassen. Genau wie in seinem alten Leben würde er sich als Dieb durchschlagen.
Das ging am besten in einer größeren Stadt.
Köln! Die Colonia Agrippinensium.
Zum ersten Mal kam er zu spät zum Abendessen. Doch anstatt schweigsam und trotzig einzutreten, verneigte er sich zerknirscht vor Severus und bat ihn um Verzeihung für seine Verspätung. Tony überraschte ihn damit so, dass Severus einfach auf seinen leeren Platz deutete, und damit war die Sache erledigt. Tony triumphierte innerlich. Solange er noch hier war, würde er niemandem mehr eine Angriffsfläche bieten.
Er langte tüchtig zu. Jetzt noch etwas von dem Fleischsalat. Er hatte bereits das halbe Schälchen geleert, als Marcia plötzlich danach griff und es sich unter die Nase hielt. Dann reichte sie es einer Sklavin und sagte: „Wirf es weg. Es ist nicht mehr gut.“
Sie wandte sich an Tony.
„Du solltest dir den Finger in den Hals stecken und es wieder herauswürgen.“
Er winkte ab. „Kein Problem. Ich trinke etwas unverdünnten Wein dazu, dann ist es gut.“
„Bitte, Tony, tu, was Mama sagt“, bat Flavia.
Es ging ihm prächtig. „Das ist wirklich nicht nötig.“
„Einer der Sklaven kann dir dabei helfen“, bot Marcia an.
Das fehlte noch, dass ihm ein Fremder seine schmutzigen Finger in den Rachen steckte.
Severus mischte sich ein. „Lasst ihn doch.“
Tony sah ihn dankbar an. Warum konnte er nicht immer so locker sein?
Im Bett formulierte er seinen Plan. Spätestens Ende nächster Woche wollte er in Köln sein.
Zu den Details kam er jedoch nicht mehr.
Noch nie ein seinem Leben war ihm so übel. Er schaffte es gerade noch zur Latrine, wo er sich heftig übergeben musste. Und der Durchfall hörte gar nicht mehr auf.
Ab einem bestimmten Punkt war ihm alles egal. Seine Welt, diese Welt, Melanie, Flavia, Roland, Severus. Es gab nur noch diese entsetzliche Übelkeit, die schlimmer war als der schlimmste Schmerz. Dazu der Schwindel. Alles drehte sich um ihn, als ob er in einem Karussell säße. Hatte jemand unter dem Fußboden ein Feuer gemacht? Es war so warm. Er griff sich an die Stirn. Klatschnass.
Vom Fieber bekam er Gliederschmerzen. Doch vor allem die Kopfschmerzen waren unerträglich. Er stöhnte. Zum ersten Mal war er dankbar, dass es in der Latrine keine Trennwände gab. So konnte er auf der einen Öffnung dem Durchfall freie Bahn lassen und gleichzeitig in das Loch daneben hineinkotzen.
Während er unsäglich litt, lachte jemand.
Er sah auf.
Severus lehnte an der Tür.
„Ich sterbe.“
„Wirklich?“
„Bitte hilf mir.“
„Ich soll dir doch nicht etwa den Kopf halten oder den Hintern abwischen?“
„Nein. Du sollst es abkürzen. Bitte töte mich mit irgendetwas, das schnell geht.“
Severus bog sich vor Lachen.
„Keine Chance, Tony. Da musst du durch.“
„Bitte!“
„Severus, das ist grausam!“ Marcia war dazugekommen.
Es war Tony entsetzlich peinlich, dass sie ihn so sah. Er krümmte sich zusammen und zog sein Hemd über die Knie.
„Der arme Junge.“
Marcia eilte zu ihm und legte ihm die Hand auf die Stirn.
„Severus, bitte hol Morvran.“
„Morvran braucht seinen Schlaf.“
„Severus!“ Marcia klang jetzt streng.
Langsam und gemächlich drehte Severus sich endlich um und schlenderte hinaus.
„Ich weiß, dass du dich ganz furchtbar fühlst, aber das wird wieder, Tony, glaube mir.“ Marcia war voller Mitleid. „Du bist jung und kräftig. Da stirbt man nicht an so einer Sache.“
„Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die Übelkeit oder die Kopfschmerzen.“
„Ich weiß, wir haben das alle schon durchgemacht. Mehr als einmal.“
„Wird Morvran etwas für mich tun können?“
Marcia tätschelte seine Wange. „Natürlich. Morvran kann immer etwas tun.“
„Oh mein Gott!“
Es ging wieder los. Aus seinem Hintern schoss nur noch Wasser, doch es hörte einfach nicht auf. Wieder krümmte er sich zusammen und würgte dünnen Schleim heraus.
Nach einer Ewigkeit erschien Severus zusammen mit Morvran, der eine Glaskaraffe trug. Morvran untersuchte ihn kurz und fragte ihn dann verwundert: „Du hast das zum ersten Mal in deinem Leben?“
„Ja.“
„Wie hast du das denn geschafft?“
„Ich werde nicht sterben?“
„Diesmal nicht.“
„Wie lange wird dieser Zustand dauern?“
„Das Schlimmste ist morgen um diese Zeit vorbei.“
„Kannst du mir etwas geben?“
Bedauernd antwortete Morvran: „Nicht wirklich. Die Sache geht ihren Gang. Das Fieber erledigt alles. Aber du musst viel trinken, auch wenn es gleich wieder herauskommt.“
Er reichte ihm die Karaffe. Misstrauisch schnupperte Tony daran.
„Es ist ein Kräutersud mit Honig“, sagte Morvran.
Tony trank, und sofort schoss die Flüssigkeit wieder hinaus. Er fühlte sich so schwach, dass er sich kaum aufrecht halten konnte.
„Du musst dich hinlegen. Lentulus wird dich betreuen“, sagte Marcia.
Der kleine Lentulus?
„Nein. Das will ich nicht.“
„Es ist egal, was du willst“, fuhr jetzt Severus dazwischen. „So wird es gemacht.“
Tony war einfach zu schwach, um sich zu wehren. Mittlerweile waren auch zwei Sklaven erschienen. Sie brachten ihn in sein Zimmer und legten ihn aufs Bett. Lentulus wischte ihm mit nassen Tüchern das Gesicht ab. Doch Tony wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden
Morvran hatte recht gehabt. Am nächsten Abend war das Fieber gewichen und mit ihm die furchtbaren Glieder- und Kopfschmerzen. Es dauerte jedoch, bis die alte Kraft wieder in Tonys Arme und Beine zurückkehrte. Und das, obwohl er plötzlich dauernd Hunger hatte. Sein Körper sehnte sich offensichtlich danach, die leeren Energiespeicher wieder aufzufüllen. Gleichzeitig ekelte er sich vor den meisten Speisen, vor allem vor denen, die leicht verdarben. Doch das Schlimmste war, dass er ein fast unerträgliches Verlangen nach Nahrungsmitteln verspürte, die es in der Römerzeit nicht gab. Er träumte nachts sogar von ihnen: Pommes mit Mayo, Burger, Coca Cola, Chicken Nuggets, Schwarzwälder Kirschtorte, Cappuccino und Currywürste liefen auf einem unendlich langen Fließband an ihm vorbei.
Und in dieser Verfassung entdeckte er das Garum.
Ausgerechnet diese widerliche Soße schmeckte ihm auf einmal. Sie enthielt offensichtlich Stoffe, die sein Körper jetzt unbedingt brauchte. Er wollte gar nicht mehr wissen, was so alles in das Garum hineinkam, sonst wäre ihm vielleicht wieder schlecht geworden. Hauptsache, es tat ihm gut.
Ansonsten bestärkte ihn jeder neue Tag darin, das Gut zu verlassen. Schuld daran war Severus. Er hatte Tony eines Morgens in sein Arbeitszimmer gebeten und verdächtig freundlich begonnen: „Marcia hat mir gesagt, dass du dich nicht für das Leben eines Soldaten erwärmen kannst. Darf man erfahren, was du gegen diesen ehrenvollen Beruf vorzubringen hast?“
„Ich eigne mich nicht für Tätigkeiten, bei denen man sich Befehlen unterordnen muss.“
„So funktionieren Armeen nun einmal.“
„Eben.“
„Du bist ein ausgezeichneter Kämpfer, und du bist mutig. Was für eine Tätigkeit sollte denn sonst für dich in Frage kommen?“
„Eine Arbeit, bei der ich selbst über mein Schicksal bestimmen kann.“
„Niemand bestimmt über sein eigenes Schicksal.“
„Du bist doch auch frei.“
Severus sah ihn überrascht an. Dann schüttelte er den Kopf. „Da irrst du dich aber.“
Wie bitte? „Aber du bist doch der pater familias. Alle müssen dir gehorchen.“
„Mein Leben ist wie das eines jeden Menschen völlig in den Händen der Götter.“
Mein Gott, waren diese Römer fromm.
„Das habe ich nicht gemeint.“
„Freiheit ist nur eine Illusion“, fuhr Severus fort. „Jeden Moment können uns die Götter Prüfungen schicken oder uns abberufen von dieser Welt.“
„Ja, klar. Aber du bist jedenfalls freier als ich.“
„Das scheint nur so. Wir müssen alle unseren Pflichten nachkommen, ob wir nun Befehle empfangen oder Befehle geben. Ich ebenso wie du.“
„Pflichten?“
„Ja, gegenüber der Familie, den Schutzbefohlenen, dem Imperium, den Göttern. Seine Pflichten zu erfüllen ist der Sinn des Lebens. Denn nur so funktioniert das Zusammenleben der Menschen. Und nur so wird die Ordnung des Kosmos bewahrt.“
Tony schnürte es den Brustkorb zu.
„Ich habe nichts gegen Pflichten. Aber ein Mensch hat auch Rechte.“
Severus sah ihn verständnislos an. „Was meinst du damit?“
„Ich habe zum Beispiel ein Recht darauf, Tätigkeiten nachzugehen, die meinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechen.“
Severus’ Miene hellte sich auf. „Genau darum bemühe ich mich ja als der pater familias. Und du kannst nun einmal gut kämpfen.“
„Aber es genügt nicht, dass wir eine Fähigkeit beherrschen, sie muss uns auch Freude machen.“
Als er das verständnislose Gesicht von Severus sah, fügte er hinzu: „Wir müssen sie auch gerne tun.“
„Ich habe dich schon beim ersten Mal verstanden. Aber ich begreife deinen Einwand nicht. Wenn du etwas gut kannst, dann hast du doch automatisch Freude daran.“
Gutes Argument.
„Aber was, wenn wir Fähigkeiten nur gezwungenermaßen erworben haben?“
„Dann müssen wir das akzeptieren und uns damit aussöhnen.“
Tony musste es anders anpacken.
„Aber ich habe doch nicht nur diese eine Fähigkeit. Ich kann auch noch andere Dinge. Ich kümmere mich zum Beispiel gerne um Kranke. Überhaupt bin ich ein eher friedfertiger Mensch.“
Severus schnaubte und verdrehte die Augen.
„Du hilfst Menschen lieber, als dass du sie tötest. Marcia hat mir berichtet, was du ihr gesagt hast.“
„Aber so ist es nun einmal.“
„In keiner Institution kannst du den Menschen mehr helfen als in der Armee.“
„Das ist Unsinn. Der Sinn einer Armee ist es, Krieg zu führen.“ Er spürte, wie er lauter wurde.
Auch Severus wurde lauter. „Aber der Krieg ist doch nur ein Mittel. In Wirklichkeit geht es darum, den Menschen Sicherheit zu geben.“
„Und freie Völker zu unterjochen!“
„Wir bringen ihnen die Zivilisation!“
„Ich werde niemals Soldat werden!“
Das hatte er gebrüllt.
Danach war es totenstill.
Schließlich sagte Severus: „Es gehört zu meinen Pflichten als pater familias, dein Bestes zu wollen. Du wirst Soldat. Basta.“ Er stand auf. „Und bis es so weit ist, wirst du lernen, Befehlen zu gehorchen. Ich werde ab jetzt andere Seiten aufziehen.“
Nein! Tony stürzte zur Tür, riss sie auf und prallte mit Morvran zusammen. Er merkte es kaum. Blind vor Wut und Verzweiflung rannte er weiter.
Severus hielt Wort. Die Tage, an denen er auf dem Gut tun und lassen konnte, was er wollte, waren vorbei. Dauernd musste er hierhin oder dorthin laufen. Meist waren es Botengänge. Severus sagte ihm, was er von einem bestimmten Bewohner des Gutes erwartete, und Tony übermittelte es dem Betreffenden.
Wenn er noch drei oder vier Jahre so verbringen musste, würde er gerne in die römische Armee eintreten!
Nur noch einmal fand er die Zeit, Morvran im Krankenzimmer zu besuchen. Allen Patienten ging es inzwischen besser. Und es herrschte eine geradezu heitere Stimmung. Für einen Moment fiel alles von Tony ab. Wenn er sich in der Römerzeit irgendwo wohlfühlte, dann war es in diesem Krankenzimmer.
Morvran, der gerade eine Salbe mischte, begrüßte ihn freundlich. Mit Sorge stellte Tony fest, dass er und die anderen Soldaten wohl nicht mehr lange da sein würden.
„Wann kehrt ihr zurück zu eurer Ala?“, fragte er.
„Morgen“, antwortete Quintus Gabinius.
Tony spürte eine Welle von Trauer. „Das tut mir leid“, sagte er und fügte hastig hinzu: „Ich meine damit, dass ich euch vermissen werde.“
Sie lachten.
„Viel Zeit, uns zu vermissen, hast du ja jetzt nicht mehr, so wie Severus dich herumscheucht“, meinte Morvran leichthin.
„Er möchte, dass ich die richtige innere Einstellung bekomme für meinen zukünftigen Beruf als Soldat.“
Morvran sah ihn an.
„Ich habe zufällig mitbekommen, dass du da etwas anderer Meinung bist.“
„Es wäre das Letzte, was ich tun wollte.“
„Warum hast du diese ungewöhnlichen Kampftechniken erlernt, wenn du einen solchen Widerwillen gegen das Kämpfen hast?“
Tony wollte eigentlich sagen: „Es spielt keine Rolle mehr.“ Doch dann hörte er zu seiner eigenen Verwunderung, wie er antwortete: „Ich wollte meine jüngere Schwester und mich vor jemandem beschützen, der unser Leben bedroht hat.“
„Und? Ist es dir gelungen?“
„Nein. Ich habe versagt.“
Die blaugrünen Augen von Morvran sahen ihn noch immer an.
„Hm“, brummte er nach einer Weile.
„Was meinst du mit ‚hm‘?“
„Dass du ein guter Arzt wärst.“
„Danke“, sagte Tony bitter. „Nur leider interessiert das niemanden.“
Tony musste sich beeilen. Der Sommer würde bald in den Herbst übergehen. Und bevor der Winter kam, wollte er bereits in Köln leben.
Er brauchte unbedingt einige seiner Sachen. Die Taschenlampe, das Taschenmesser, das Feuerzeug und den Laserpointer. Und brauchte eine unauffällige Tasche, in die alles hineinpasste. Einen Sack vielleicht. Und warme Kleidung. Dumm, dass er nicht seine eigenen Kleider anziehen konnte. Doch damit wäre er zu sehr aufgefallen.
Die Sklaven kümmerten sich um die Kleider, in seinem Fall also Lentulus. Der sorgte dafür, dass seine schmutzigen Tuniken nach dem täglichen Bad immer verschwunden waren und an ihrer Stelle saubere Sachen lagen.
„Wozu willst du wissen, wo saubere Kleidung aufbewahrt wird? Ich kümmere mich doch um alles“, sagte Lentulus.
Tony erklärte ihm, dass er schrecklich fror und einfach mehrere Sachen übereinander anziehen musste. Daraufhin brachte ihm Lentulus sofort zusätzliche Tuniken, einen Wollschal, mehrere Socken und einen Umhang, schließlich sogar eine Wollhose, die bis übers Knie ging.
„Was soll ich denn mit dir machen, wenn erst der Winter kommt?“, jammerte er.
Auf der Suche nach einem Sack, in dem er seine Sachen transportieren konnte, entdeckte Tony an der Wand der Scheune einen hohen, geflochtenen Korb mit zwei Schulterriemen. Der perfekte Ersatz für seinen Rucksack! Er ließ ihn dort hängen, sammelte jedoch in den nächsten Tagen alle Schnüre ein, die er irgendwo entdeckte, und warf sie in den Korb.
Seine Botengänge für Severus nutzte er dazu, mit den Gänsen und Hunden vertraut zu werden. Er steckte jeden Tag Leckerbissen ein und verteilte sie an die Tiere. Ferox und Harpalos machte er sich damit schnell zu Freunden. Bei den Gänsen war er da nicht so sicher. Und das beunruhigte ihn, denn sie konnten viel mehr Lärm machen als ein Hund.
Aber aufhalten würde ihn niemand. Auch die Wachen nicht, die nachts auf dem Gelände patrouillierten.
An der Stelle, wo der Bach unter dem Zaun hervorkam, lockerte Tony einige Bretter, aber so, dass es nicht auffiel. Die Bretter könnte er schnell zur Seite biegen, und durch diese Lücke würde er in der Nacht seiner Flucht verschwinden und dann eine Weile durch das Bachbett laufen.
Bei den Sklaven, die für Severus mit den Ochsenkarren zu den Märkten in Köln oder zum Hafen fuhren, erkundigte er sich nach Entfernungen und den Gebräuchen beim Kaufen oder Handeln. Und er fragte nach Stützpunkten der Armee. Schließlich wollte er nicht von einer Patrouille aufgegriffen werden.
Er war überrascht, wie viel Militär es um sie herum gab. In Bonna waren zwei komplette Legionen stationiert, in Durnomagus die Ala Noricorum, in Burungum die Ala Indiana, und in Novaesium eine Ala und eine Kohorte. Entlang des Rheins und der großen Verbindungsstraßen gab es praktisch alle paar hundert Meter Wachtürme oder Kastelle. Tag und Nacht wurde patrouilliert.
„Und südlich der Colonia ist zudem das Hauptquartier der Rheinflotte. Sie überwachen den Fluss und setzen Kundschafter über“, erklärte ein Sklave.
„Gibt es denn keine Brücke?“
Der Sklave lachte. „Vielleicht später einmal.“
Tony erinnerte sich wieder an den Anblick vom Wachturm aus, an seinem ersten Tag in der Römerzeit. Wenn der Rhein überall so breit war, würde es in der Tat schwer sein, eine Brücke zu bauen.
Er fragte auch nach den Lebensbedingungen in Köln. Da die Sklaven jedoch nicht wussten, dass sie alles einem Menschen erzählten, der aus einer anderen Zeit kam, waren die Dinge, die sie schilderten, für ihn nicht wirklich brauchbar. Dass es laut war, dass es viele Menschen gab, viele hohe Häuser, das wusste er schon. Aber sicher gab es in der Colonia Agrippinensium auch Viertel, in denen es leere Wohnflächen gab und wo er fürs Erste unterkriechen konnte, Viertel, in denen Menschen lebten, die kein richtiges Zuhause hatten, weil sie kein Teil der Gesellschaft waren.
Jede Nacht, bevor er einschlief, stellte er sich vor, wie er genug Geld zusammenstehlen würde, um sich eine eigene Wohnung zu mieten. Vielleicht konnte er sogar eine kaufen. Dafür brauchte er jemanden, der erwachsen war und den er vorschicken konnte. Er würde diese Person natürlich gut bezahlen.
Er musste nur überleben, bis er erwachsen war oder zumindest so aussah. In drei bis vier Jahren hätte er es geschafft.
Am einfachsten wäre es, wenn er mit irgendetwas Handel trieb. Er würde zu einem gewissen Wohlstand gelangen und ein zurückgezogenes Leben führen. Es war keine berauschende Vorstellung, aber das Beste, das ihm unter den gegebenen Umständen einfiel.
Bis er wieder zurückkonnte.
Bis das Medaillon ihn endlich in sein altes Leben zurückbrachte und dieser Wahnsinn aufhörte.
Dann kam die Nacht, in der es geschehen sollte. Lange lauschte Tony. Als er sicher war, dass außer den Wächtern alle in ihren Betten lagen und schliefen, schlich er mit den Kleidungsstücken, die er gesammelt hatte, aus dem Zimmer. Auf dem Flur legte er sie auf den Boden. Im Prinzip war es möglich, zur Scheune zu gelangen, ohne ins Freie zu müssen. Tony lief im Dunklen mehrere Gänge entlang, betrat die Scheune und nahm den Korb von der Wand. Dann lief er in den Flur zurück und verstaute die Kleidung im Korb. Anschließend schlich er zur Vorratskammer. Den Proviant für sich steckte er in den Korb, die Leckereien für die Gänse und Hunde wickelte er in ein Stück Stoff, das er sich an den Gürtel band.
Jetzt wurde es heikler. Er schlich zum Arbeitszimmer von Severus und trat ein. Den Schlüssel für die Truhe holte er aus dem Versteck und schloss sie auf. Er nahm heraus, was er brauchte. Schade, dass er das Nachtfernglas zurücklassen musste. Aber es war einfach zu schwer und fiel zu sehr auf. Die Taschenlampe, den Laserpointer und das Taschenmesser steckte er in eine kleine Ledertasche, damit er sie im Notfall schnell zur Hand hatte.
In der Truhe lag auch ein kleiner Kasten voll Münzen. Doch obwohl er vorhatte, ab jetzt vom Stehlen zu leben, fiel es ihm schwer, damit bei Severus anzufangen. Es war nicht nett. Mehr als das, es war nicht in Ordnung.
Andererseits - Severus würde den Verlust verschmerzen. Der eigentliche Tresor der Villa Rustica lag unter der Klappe im Fußboden. Und auf ihr stand der tonnenschwere Schreibtisch. Im Kasten war nur Geld für den täglichen Gebrauch.
Er öffnete ihn. Wow! Das war viel mehr, als er gedacht hatte. Damit würde er wirklich sehr weit kommen! Trotzdem zögerte er und kämpfte mit seinem Gewissen. Am Ende nahm er etwa ein Drittel der Münzen. Damit sie nicht klimperten, steckte er sie zusammen mit etwas Wolle in die Ledertasche an seinem Gürtel.
Er setzte sich an den Schreibtisch. Sollte er einen Brief hinterlassen? Wenigstens für Flavia? Oder ein kleines Geschenk? Aber was? Ihm fiel nichts ein. Es war außerdem besser, wenn sie ihn für einen schlechten Menschen hielt. Das würde es für sie leichter machen.
Zurück in der Scheune, knotete er das Säckchen mit den Leckereien auf. Danach betrat er den Hof und warf sofort Futter für die Gänse auf den Boden. Leise schnatternd kamen sie an.
„Schschsch“, dazu machte er eine weit ausholende, besänftigende Armbewegung.
Die Gänse blieben tatsächlich relativ ruhig und wandten sich den Leckereien zu. Er ging weiter. Verdammt. Ferox und Harpalos waren nicht angekettet! Während Ferox eines der mitgebrachten Fleischstücke fraß, befestigte Tony seine Kette am Halsband. Aber Harpalos war so lebhaft und verspielt, dass er ihn einfach nicht zu fassen bekam. Sein Herumgetobe verärgerte einige der Gänse, die schon lauter wurden.
Mist. Verdammter Mist.
Er musste Harpalos mitnehmen. Nach einer Weile würde er sicher von allein wieder zum Gut zurückkehren.
Tony schlich geduckt über den Hof, immer außerhalb des Blickwinkels der Wächter. An der Stelle mit den losen Brettern zog er seine Sandalen aus und schlüpfte hinaus. Der schwarze Hund folgte ihm und lief genau wie er im kniehohen Wasser des Baches weiter. Als sie nach mehreren Metern herausstiegen, schüttelte der Hund sich ausgiebig, während Tony sich die Füße abtrocknete und die Sandalen wieder anzog. Danach begleitete Harpalos ihn wie selbstverständlich weiter. Es war, als hätte der Hund nur darauf gewartet, dass auch in seinem Leben endlich etwas Aufregendes passierte.
Sie liefen zügig in die Richtung, aus der Tony an seinem ersten Abend zusammen mit Bassus und Donatus gekommen war.
Nach drei oder vier Meilen blieb er stehen und drehte sich um. Das Gut war bereits verschwunden, und er war sicher, dass er es nie wieder betreten würde.
Als sie die Straße endlich erreichten, hatten dichte Wolken sich vor den Mond und die Sterne geschoben. Ein kalter Wind setzte ein. Harpalos lief unbeirrt neben ihm her. Tony tastete nach seinem Halsband. Er nahm eine Schnur aus dem Korb und verknotete sie mit dem Halsband. Jetzt konnte er Harpalos wie einen Blindenhund benutzen.
Bald hatten sie einen langsamen, stetigen Rhythmus gefunden. Hin und wieder streichelte er dem Tier über den Kopf.
Allmählich ging ihm das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Gab es jenseits dieser quadergroßen Steine, auf denen Harpalos ihn sicher führte, überhaupt noch eine Welt?
Wieder versank er in einer ungeheuren Verlassenheit. Würde es in seinem Leben jemals eine Zeit geben, in der er sich nicht einsam fühlte?
„Wuff“, machte der Hund auf einmal. Es klang freundlich.
Gut, dass er bei ihm war. Nicht nur, weil er ihm Gesellschaft leistete und ihn führte, sondern weil Harpalos von jetzt an auf ihn angewiesen war. Genau wie er brauchte auch der Hund Nahrung und eine Unterkunft. Schon allein seinetwegen musste er sich zusammenreißen.
Kaum war es hell geworden, begegneten ihnen die ersten Reisenden. Tony fragte einen Mann mit einem Wanderstab und einer großen Umhängetasche.
„Ist es noch weit bis zur Colonia Agrippinensium?“
„Nein. Du wirst noch vor dem Mittag dort sein.“
Einige Zeit später näherten sich zwei Reiter einer Ala. Tony hatte sich genau zurechtgelegt, was er sagen würde, falls Soldaten ihn ansprechen und nach seiner Familie fragen sollten. Doch die Männer ritten weiter, ohne sich um ihn zu kümmern. Gut. Das bedeutete, dass er nicht auffiel.
Nach diesem Adrenalinschub fühlte er sich unbeschreiblich müde. Er setzte sich auf die niedrige Mauer, die die Straße abgrenzte, holte seine Plastikflasche aus dem Korb und trank von dem Wasser. Hoffentlich hielten die Passanten sie für eine Glasflasche.
Harpalos hatte sich zu seinen Füßen niedergelassen und beobachtete den inzwischen regen Verkehr. Tony schüttete etwas von dem Wasser in seine Hand, und der Hund trank. Harpalos war wirklich problemlos. Danach teilten sie das Essen.
Wieder musste er an die Allgegenwart der römischen Armee denken. Der eigentliche Test stand ihnen noch bevor: die Soldaten an den Stadttoren von Köln.
Was, wenn sie seinen Korb durchsuchten und die Ledertasche mit den Gegenständen aus seiner Zeit fanden? Der Hund legte seinen Kopf auf Tonys Knie und sah ihn an. Das half: Ihm fiel die Lösung ein. Gut, dass er die vielen Schnüre hatte. Er nahm die Ledertasche und bohrte mit dem Taschenmesser zwei Löcher hinein. Dann fädelte er eine Schnur durch und band sie am Halsband von Harpalos fest.
Sie liefen weiter. Tony roch Rauch und musste husten. Die ersten Holzkohlemeiler tauchten zu beiden Seiten der Straße auf. Dann sah er rußende Schornsteine. So hätte er sich eher eine Industrieanlage des neunzehnten Jahrhunderts vorgestellt. Er drückte seinen Ärmel auf Mund und Nase. Es dauerte lange, bis die Luft endlich wieder besser wurde.
Bald danach tauchten am Straßenrand die ersten Grabmäler auf. Tony staunte. Hier in der Nähe hatten Bassus und Donatus ihn damals entdeckt. In jener Nacht war ihm nicht aufgefallen, was für eine lange Strecke sie zurückgelegt hatten.
Die Grabmäler standen jetzt immer dichter. Ein Zeichen, dass sie bald da sein mussten. Und dann war es so weit: Am Horizont der fast schnurgeraden Straße tauchte allmählich eine gewaltige Mauer auf.
Köln! Tonys Herz schlug schneller. Würde ihm an seiner Heimatstadt noch irgendetwas vertraut vorkommen?
Als sie sich den Wachposten neben dem wuchtigen Portal näherten, entdeckte er in den Steinen, die sich darüber bogen, die Buchstaben CCAA.
Colonia Claudia Ara Agrippinensium!
Darunter und daneben standen Soldaten mit prächtigen Helmen und bunten, rechteckigen Schilden. Über den roten Wollhemden und Hosen trugen sie Lederpanzer. In den Händen hielten sie Speere und musterten aufmerksam jeden, der nach Köln hineinwollte.
Tony beobachtete die anderen Reisenden. Die meisten beachteten die Soldaten nicht. Doch einige tauschten mit ihnen scherzhafte Bemerkungen aus. Tony hängte sich an einen Mann mit einem Eselskarren. Es sollte so aussehen, als gehörten er und Harpalos zu ihm. Doch zu seinem Unglück kannte der Mann einen der Soldaten und rief ihm einen Gruß zu.
„Gehört der Junge mit dem Hund zu dir?“, fragte der Soldat prompt.
Der Mann drehte sich um. „Nein. Die gehören nicht zu mir.“
„Bitte entschuldige“, murmelte Tony schnell ehrerbietig und trat einige Schritte zur Seite.
Der Mann sah ihn misstrauisch an.
Zum Glück gab der Soldat ihm zu verstehen, dass er weitergehen solle, und zusammen mit Harpalos betrat er den dunklen Durchgang.