Es ist nicht so, dass ich sagen könnte, meine Mutter sei in den Jahren, in denen sie ihn getroffen hat, eine andere geworden. Aber manchmal überrascht sie mich. Vor kurzem hat sie mich gefragt, wie es mit meiner Arbeit bei der Zeitung läuft, was ich derzeit so lese und ob ich eine Freundin habe. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie mich so etwas zum letzten Mal gefragt hat. Wir sehen uns auch wesentlich häufiger als in den Jahren zuvor. Meist komme ich bei ihr vorbei, und dann sitzen wir auf ihrem Sofa oder an ihrem Küchentisch und ich höre zu. Sie war noch nie in der Wohnung, in der ich seit sieben Jahren lebe. Manchmal lädt sie mich in »Rudis Eck« ein, eine seltsame Eckkneipe mit Eichentischen und Stühlen, in der ich schon beim Eintreten vom Wirt begrüßt werde. In der Regel sind wir nicht allein, weil immer ein paar ihrer Bekannten vorbeischauen, meist Männer, die sie schon lange kennt und mir vorstellt, der Peter, der Sepp, der Guido, die alle irgendwelche Filme gemacht oder Bücher geschrieben haben. Ich bin dann der Benno, auch wenn sie es nicht sagt, denke ich, dass der Peter, der Sepp, der Guido wissen, dass ich ihr Sohn bin. In der Regel fragt auch einer von ihnen, was ich gerade so mache, wie es so läuft im Leben, ich bin mir aber nie sicher, ob meine Mutter auch zuhört, weil sie meist seltsam abwesend wirkt, wenn es um mich geht.

Um es kurz zu machen: Ich schreibe nach wie vor Artikel für eine Berliner Tageszeitung und kann davon nur leben, weil ich mir nicht viel leiste. Eine Freundin habe ich nicht, ich lebe allein, schon seit zwei Jahren. Und das Buch, das ich derzeit lese, trägt den Titel: Wenn Frauen Mörder lieben. Und eine Stelle, die mir nicht aus dem Kopf geht, lautet: Der Mörder erwecke Mitleid, weil er im Tod lebe. Er strahle eine sexuelle Macht aus, weil er die Vernichtung verkörpere. Er sei die absolute Herausforderung der Zärtlichkeit.