33

»Das sieht alles ziemlich böse für Wolkov aus!« Alexa saß inzwischen auf meinem Bett und hatte sich einigermaßen beruhigt. Erst hatte ich gedacht, daß das jetzt vielleicht der Beginn der Geburt war. Aber dann hatten Alexas Schmerzen nachgelassen – also doch nur ein paar Probewehen.

»Obwohl mir nicht einleuchtet, warum dieser Mensch auch noch die Frau seines Chefs umbringen sollte. Peuler selbst, ja. Dafür hatte er ein Motiv, aber seine Frau? Das begreife ich einfach nicht.«

»Er tickt aus. Er rächt sich am System.«

»Am System?«

»Wolkov hat zu Lübke gesagt, er habe immerzu arbeiten müssen. Vielleicht warf er Peuler vor, sich in der Zwischenzeit auf die faule Haut zu legen und im Schlaf das Geld zu scheffeln.«

»Aber so einer ist Peuler doch überhaupt nicht«, warf Alexa ein. »Er hat sich eingesetzt, er hat für den Erhalt aller Abteilungen gekämpft, er hat Dienste geschoben. Das hat Benno dir doch alles erzählt.«

»Ja, schon«, verteidigte ich mich. »Aber ich versuche doch nur, mich in diesen Wolkov hineinzuversetzen. Irgend etwas muß ihn doch treiben.«

»Er war’s nicht.« Alexa verschränkte trotzig beide Arme vor der Brust. »Wenn du mich fragst – er war’s einfach nicht.«

»Und wer war’s dann?«

»Da steckt eine ganz andere Geschichte dahinter. Der Wolkov hätte niemals dieses Kreuz in seinen Chef hineingeritzt. Der hätte sich nach der Tat vom Acker gemacht, fertig. Aber der eigentliche Täter, der möchte uns etwas sagen. Der will sagen: Dieser Mann hat’s verdient, seht her, und diese Frau hat’s auch verdient, und zwar aus dem und dem Grund.«

»Und was ist der und der Grund?«

»Das weiß ich auch nicht genau. Aber es hat etwas mit Schneewittchen zu tun.«

»Mit Schneewittchen?«

»Die Idee ist mir schon gestern Abend gekommen, kurz nachdem du mir von der Locke erzählt hast. Aber eigentlich geisterte mir das Bild schon länger durch den Kopf, ohne daß ich es genauer hätte benennen können.«

»Welches Bild? Das von Schneewittchen?«

Alexa setzte sich jetzt aufrecht hin, um besser erklären zu können.

»Weißt du noch, als du mir zum ersten Mal von dem Mord erzählt hast? Du hast den Tatort beschrieben und du hast gesagt, da sei ein rotes Kreuz auf weißem Untergrund gewesen, und das Opfer habe auf einem Schreibtisch aus dunklem Holz gelegen.«

»Das stimmt, und du meinst –«

»Rot wie Blut, weiß wie Schnee und schwarz wie Ebenholz. Der Täter hat da etwas inszeniert. Der hat Peuler nicht im Affekt getötet. Der hat gewußt, daß er da morgens an seinem dunklen Schreibtisch sitzt. Und er hat auch gewußt, daß er um die Zeit bereits seinen weißen Kittel trägt.« Alexa sah mich eindringlich an. »Und jetzt noch diese schwarze Locke. Die stammt von Schneewittchen. Ich bin sicher. Die stammt von Schneewittchen.«

»Du meinst, der Täter hat auch diese Locke absichtlich am Tatort hinterlassen?«

»Natürlich, das ist doch kein Zufall.«

»Aber warum so versteckt? Um ein Haar wäre sie gar nicht gefunden worden. Warum hat er sie nicht auffälliger deponiert?«

»Das habe ich mich auch schon gefragt«, Alexas Feuer verglühte langsam. Sie wurde nachdenklich. »Vielleicht war dieses Zeichen nur für ihn selbst gedacht. Ein Gruß, der nur für ihn selbst wichtig war. Oder es ist einfach ein Tick. Vielleicht macht der Täter das öfter, daß er hinter einer Schublade etwas verbirgt.«

»Wenn das alles stimmt«, bemerkte ich nachdenklich, »dann habe ich jetzt ein Problem.«

Alexa sah mich fragend an.

»Ich habe Marlene Oberste nichts von der Locke erzählt.«

»Wie bitte?«

»Ich dachte, daß das Haar auf jeden Fall von Peuler selbst an dieser Schublade befestigt worden ist.«

»Ach, erzähl doch nichts! In Wirklichkeit war es dir peinlich, daß du dich bei Peuler im Zimmer rumgetrieben hast. Wenn du von der Locke erzählt hättest, hättest du das nicht länger verschweigen können.« Alexa stand auf. Dabei stöhnte sie hörbar vor sich hin. »Seit der Schwangerschaftsgymnastik kann ich mich kaum noch bewegen.«

»Du wolltest ja unbedingt hingehen!«

»Henry meint auch, das sei kein Problem.«

»Wer ist Henry?« Meine Frage war eine rhetorische. Ich wußte, wer Henry war. Dieser knackige, braun gebrannte Krankengymnast. Alexa grinste.

»Nun sag schon, wer ist Henry?«

»Mein Schwangerschaftstrainer. Ein Traum von einem Mann!« Alexa setzte ihr liebenswürdigstes Lächeln auf. »Falls du wegen Unterschlagung von Beweismaterial hinter Gitter mußt, wird er mich bestimmt gerne vorübergehend betreuen.«

Als Alexa das sagte, wußte ich nicht, wen ich mehr haßte. Braun gebrannte Krankengymnasten oder hochschwangere Sauerländerinnen, mit denen ich seit kurzer Zeit verheiratet war.