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Schon seit einer halben Stunde wartete ich auf Alexa. Sie wollte nach der Schwangerschaftsgymnastik kommen, hatte sie mir versprochen. Die war um halb drei und dauerte eine halbe Stunde. Jetzt war es halb vier, und Alexa war immer noch nicht da. Meine Unruhe wuchs. Alexa hatte gestern Abend Wehen gehabt, die sich aber nach einer guten Stunde wieder verzogen hatten. Wer weiß, was jetzt die Schwangerschaftsgymnastik bewirkt hatte. Alexa sah das viel lockerer – wenn er raus will, will er raus, mit Gymnastik oder ohne. Alexa dachte eben in tierärztlichen Kategorien. Wollte Kalb raus, kam Kalb raus. Wollte Walmutter zur Schwangerschaftsgymnastik, ging Walmutter eben zur Schwangerschaftsgymnastik. Egal, ob ich mir Sorgen machte. Ich blickte im Zimmer herum. Herr Peters war eben hinausgeschoben worden, zum Röntgen, glaubte ich. Es war furchtbar still im Zimmer. Just, als ich mich entschlossen hatte, Alexa zu suchen, klopfte es.
Marlene Oberste. Sie kam allein.
»Herr Jakobs, ich müßte noch mal kurz mit Ihnen sprechen.« Die Hauptkommissarin sah übernächtigt aus. Das wunderte mich nicht.
»In Folge Ihrer gestrigen Mitteilung haben wir versucht, Dr. Wolkov aufzuspüren.«
Die Ausdrucksweise sagte alles. Sie hatten den Kerl nicht gefunden.
»Leider war er nicht zu Hause. Da er nach Aussagen seiner Frau ein paar Sachen zusammengepackt hat, müssen wir davon ausgehen, daß er sich auf der Flucht befindet. Sie wissen, was das bedeutet. Dr. Wolkov ist als Täter hochverdächtig.« Ich nickte, obwohl ich anderer Meinung war. Dr. Wolkov hatte Angst. Er hatte alles verloren. Vielleicht hatte er sich nur deshalb aus dem Staub gemacht.
»Nun meine Frage: Sie haben das Gespräch zwischen Wolkov und Dr. Lübke gestern mit angehört. Ich will gar nicht wissen, wie es dazu gekommen ist. Nur eins: Hat Wolkov irgendeine Andeutung gemacht? Hat er verlauten lassen, was er vorhatte, wenn er gekündigt wird?«
Ich versuchte mich an das Gespräch zu erinnern. Dann schüttelte ich den Kopf. Ich war mir sicher. Wolkov hatte nichts dergleichen angedeutet.
»Nein, er hat nichts gesagt. Er war viel zu perplex.«
»Dasselbe hat Dr. Lübke auch ausgesagt«, Marlene Oberstes Stimme klang ein klein wenig resignativ. »Trotzdem wollte ich es bei Ihnen noch mal versuchen.«
»Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Wir kriegen ihn«, verkündete die Hauptkommissarin selbstsicher. »Wir haben alles dichtgemacht. Sein Foto ist an alle Polizeistationen in der Bundesrepublik gegangen. Die Nachbarländer, Grenzübergänge und Flughäfen sind informiert. Früher oder später kriegen wir ihn, ganz klar.«
»Aber Sie hätten ihn lieber früher als später, nicht wahr?« Ich sah Marlene Oberste in die Augen.
»Sie haben es erkannt, Herr Jakobs!« Dann verließ die Hauptkommissarin das Zimmer.
Als sie draußen war, öffnete ich die Schublade meines Nachtschränkchens. Ganz obenauf lag der Tesastreifen mit den verklebten schwarzen Haaren. War es Unterschlagung von Beweismaterial, was ich gerade betrieben hatte? Nein, ich war mir sicher. Die Kripo war auf den Fersen des russischen Assistenzarztes. An schwarzen Locken war sie kein bißchen interessiert.
Redete ich mir jedenfalls ein.