Samstag, 25. Juni

Am Samstag morgen, es dämmerte schon, kam Anna nach Hause zurück. Völlig erledigt schleppte sie sich die Treppe ins obere Stockwerk hoch, zog ihre Kleidung aus, ließ sie fallen, wo sie gerade stand, und legte sich ins Bett. Doch sie konnte nicht einschlafen, denn die vergangene Nacht tobte noch durch ihr System. Sie hatte Pete nach dem Vortrag in die nächstgelegene Kneipe im Univiertel geschleppt und mit ihm getrunken. Sie hatte viel zu viel getrunken, vermutlich immer noch bemüht, den Nachmittag mit ihren Eltern wenn nicht zu vergessen, so doch zu ertränken. Pete war eine gute Ablenkung gewesen. In charmantem Plauderton hatte er ihr von seiner deutsch-amerikanischen Herkunft erzählt, vom Studium in Chicago und seiner Ausbildung beim BKA und FBI. Die politische Diskussion, die sie um Bush, den Irak, Guantánamo und die Todesstrafe anzuzetteln bemüht war, wurde von ihm mit der souveränen Eleganz eines geübten Wortfechters pariert und im Keim erstickt. Er wollte mehr über sie und ihre Arbeit wissen, doch sie weigerte sich mit einem für sie untypischen Anflug von Koketterie, ihm den Vortrag noch einmal zu halten.

»Im Grunde interessieren wir uns für ein und dasselbe«, hatte Pete gesagt. »Für Mörder.«

»Ich interessiere mich nicht für Mörder, sondern für Menschen, die sich für Mörder interessieren«, entgegnete sie.

»Dann interessieren Sie sich für mich«, war Petes mit aufforderndem Lächeln vorgebrachte Schlußfolgerung.

Nach diesem Satz lief der Abend irgendwie aus dem Ruder. Das vierte Bier erleichterte Anna das Flirten ungemein, außerdem war es schon einige Monate her, daß ihr ein Mann sein Begehren so offensichtlich gezeigt hatte. Die Angebote, die sie üblicherweise bekam, waren von linkischen Studenten linkisch formuliert und würden unweigerlich zu ebenso linkischen Nummern in einer WG führen, wo sie beim Hinausgehen vermutlich den Müll mit runternehmen müßte. Pete jedoch war der beeindruckendste Mann, den Anna seit langem kennengelernt hatte: intelligent, gebildet, gutaussehend, selbstsicher, humorvoll, wenn auch leicht arrogant und etwas dominant. Ein Alphamännchen. Nach dem fünften Bier gingen sie in sein Hotel, fielen wild übereinander her und trieben es bis in die frühen Morgenstunden. Danach schlief er ein. Anna hatte seinen schweren Oberschenkel, den er, unbewußt besitzergreifend, über ihre Hüfte gelegt hatte, zur Seite geschoben, sich angezogen und war nach Hause gefahren. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen. Aber er wußte ihren Namen. Wenn er wollte, könnte er sie ja anrufen. Anna spürte deutlich, daß sie sich das wünschte. Um endlich einschlafen zu können, überredete sie sich geduldig, nichts zu wollen oder zu wünschen. Nicht mal, einschlafen zu wollen. Es funktionierte halbwegs. Immerhin schlief sie ein.