SECHZEHN
Sie marschierten in einer lockeren Reihe hintereinander. Curly ging an der Spitze und würde sie beim ersten Anzeichen von Widerstand warnen. Es gab keinen. David, der Captain, ging als Zweiter. Er schwenkte sein Wärmebildsystem hin und her, aber kein anderes warmblütiges Wesen zeigte sich.
Dai hatte sein Funkgerät in der Tagestasche hinter seinem Kopf, oben auf dem Bergen-Rucksack, und durch einen Ohrhörer verfolgte er alles, was über Dschibuti aus Tampa kam, wo man sie aus der Stratosphäre beobachtete. Um zehn vor vier kam er an Davids Seite und flüsterte: »Eine halbe Meile, Boss.«
Die nächsten achthundert Meter legten sie geduckt zurück, gebeugt unter der Vierzig-Kilo-Last auf ihrem Rücken. Unterdessen zogen hoch über ihnen Wolken auf und ließen es dunkler werden.
Der Captain blieb stehen und machte mit dem Arm eine weiche Wellenbewegung nach unten. Die anderen ließen sich in den Sand sinken. David zog ein monokulares Nachtsichtgerät hervor und spähte nach vorn. Dann entdeckte er das erste der flachen, quaderförmigen Häuser des Dorfes. Der Silva-Kompass hatte sie an die Schwelle des Zielgebiets geführt.
Er steckte das Monokular ein und holte seine Brille heraus, und die anderen sechs taten es ebenfalls. An die Stelle des langsam schwindenden Sternenlichts trat ein hellerer, fast unterwassergrüner Tunnel. Das Nachtsichtgerät fängt jedes Fünkchen Umgebungslicht ein und konzentriert es auf einen vorwärts gerichteten Tunnel. Der Träger hat kein Raumgefühl mehr und muss den Kopf hin- und herdrehen, um nach rechts und links zu schauen.
Als das Ziel in Sicht war, brauchten die Männer ihre Rucksäcke nicht mehr, wohl aber die Munition und die Granaten, die sie enthielten. Sie ließen die Bergens vom Rücken gleiten, zogen die Arme aus den Schultergurten und füllten ihre Taschen mit Munition. Ihre M4-Sturmgewehre und die Pistolen waren mit vollen Magazinen geladen.
David und der Spürhund krochen zusammen weiter. Sie sahen genau das, was sie auf einer der Aufnahmen gesehen hatten, die der Hawk aus schrägem Blickwinkel gemacht hatte. Eine Gasse führte von der Dorfmitte in die Wüste, in der sie kauerten. Irgendwo auf ihrer linken Seite stand das größere Haus, das man als das des Dorfoberhaupts identifiziert hatte und in dem jetzt die Gruppe des Predigers untergebracht war.
Ein kleiner Hund kam herangetrabt, blieb stehen und schnupperte. Ein zweiter kam dazu. Beide waren räudig, möglicherweise tollwütig und daran gewöhnt, im Abfall zu wühlen und Exkremente oder – an Festtagen – die Eingeweide einer geschlachteten Ziege zu fressen. Sie witterten noch einmal, ahnten wohl, dass da draußen etwas war, aber es beunruhigte sie nicht so sehr, dass sie bellten und einen mehrstimmigen Hundealarm auslösten.
Der Spürhund zog etwas aus der Brusttasche und schleuderte es wie ein Baseballwerfer zu den Kötern hinüber. Es landete mit leisem Klatschen im Sand der Gasse. Beide Hunde machten einen Satz und schnupperten wieder, bevor sie einmal bellten. Rohes Beefsteak. Sie kamen heran, beschnupperten es, und der vordere verschlang den Leckerbissen mit einem Happs. Ein zweiter Fetzen flog für seinen Freund herüber und verschwand ebenfalls.
Der Spürhund warf eine ganze Salve von Fleischfetzen in die Gasse. Weitere Straßenköter erschienen, neun insgesamt. Sie sahen, wie ihre Leithunde das Fleisch fraßen, und taten es ihnen nach. Es gab genug für alle, und jeder bekam mindestens eins ab. Dann stöberten sie herum und suchten nach mehr.
Die ersten, die gefressen hatten, begannen zu taumeln. Ihre Beine knickten ein, sie fielen auf die Seite und strampelten kraftlos mit den Füßen. Schließlich rührten sie sich nicht mehr. Innerhalb von zehn Minuten waren sie alle bewusstlos.
David richtete sich in der Hocke auf und deutete nach vorn, das Gewehr im Anschlag, den Finger am Abzug. Fünf Mann folgten ihm, und Barry blieb zurück und behielt die Häuser im Auge. Ein Esel schrie irgendwo im Dorf. Nichts rührte sich. Die Feinde vor ihnen schliefen entweder, oder sie lagen in einem Hinterhalt. Der Spürhund vermutete, dass Ersteres der Fall war. Die Männer aus Marka waren ja Fremde wie sie, und die Hunde hätten ihretwegen ebenfalls gebellt.
Er hatte recht.
Der Stoßtrupp drang in die Gasse ein und näherte sich dem Haus zur Linken. Es war das dritte und stand dem Platz zugewandt. Die maskierten Männer konnten eine Tür zur Gasse erkennen, aus dicken alten Holzbalken, die von woanders hergebracht worden sein mussten, denn hier wuchs nichts als struppiger Kameldorn. An der Plankentür hingen zwei Eisenringe, doch man sah weder Schloss noch Schlüsselloch. David drückte mit den Fingerspitzen dagegen. Die Tür gab nicht nach. Sie war von innen verriegelt. Plump, aber wirkungsvoll. Man würde einen Rammbock brauchen. Er winkte Tim, dem Sprengstoffexperten, deutete auf die Tür und zog sich zurück.
Tim hielt etwas in der Hand, das aussah wie ein kleiner Kranz. Er befestigte ihn vor dem Spalt zwischen dem rechten und dem linken Türflügel. Wäre die Tür aus Metall gewesen, hätte er einen Magneten oder ein Stück Kitt benutzen können, doch am Holz verwendete er Heftzwecken. Dazu musste er nicht hämmern. Ein Druck mit dem Daumen genügte. Als der Kranz angebracht war, stellte er den Kurzzeitzünder ein und winkte die andern zurück.
Sie wichen fünf Schritte zurück und duckten sich. Da es sich um eine Hohlladung handelte, würde es keinen Explosionsdruck nach außen geben. Die ganze Sprengkraft des PETN-Plastiksprengstoffs würde sich nach innen richten und das Holz wie mit einer Motorsäge in einem Sekundenbruchteil durchdringen.
Der Spürhund war überrascht, wie leise die Explosion klang – ein gedämpftes Krachen wie von einem brechenden Zweig. Dann stürmten die ersten vier durch die Tür, die sich mühelos aufstoßen ließ. Der innere Querriegel war gesplittert und gebrochen. Tim und Dai blieben draußen und sicherten den Platz mit den drei Pick-ups, den angebundenen Eseln und dem Ziegenpferch.
Der Captain war als Erster im Haus, dicht gefolgt vom Spürhund. Drei Männer richteten sich, noch halb schlafend, auf dem Boden auf. Die Stille der Nacht wurde vom automatischen Feuer aus zwei M4-Sturmgewehren zerrissen. Alle drei gehörten zu der Gruppe aus Marka. Sie waren die Leibwächter des Predigers. Alle drei waren tot, bevor sie aufspringen konnten. Schreie kamen aus einem anderen Raum hinter einer weiteren Tür.
Der Captain blieb einen Moment lang stehen und vergewisserte sich, dass die drei wirklich tot waren. Pete und Curly kamen von der Gasse herein. Der Spürhund trat die innere Tür ein und stürmte hindurch. Hoffentlich, betete er, hatte Opal, wo immer er sein mochte, auf die erste Salve reagiert und sich auf den Boden geworfen, vorzugsweise unter ein Bett.
In dem Zimmer waren zwei Männer. Anders als die im Vorraum hatten sie zwei Betten der Familie beschlagnahmt, zwei roh behauene Plankenbetten mit Kamelhaardecken. Sie fuhren hoch, konnten aber in der pechschwarzen Finsternis nichts sehen. Der Stämmige, der vierte Leibwächter, hatte wohl gedöst, jedoch nicht fest geschlafen. Offensichtlich hatte er Nachtwache und sollte wach bleiben. Mit einer Pistole in der Hand sprang er auf und schoss.
Die Kugel pfiff am Kopf des Spürhunds vorbei. Was wirklich wehtat, war das grelle Licht des Mündungsfeuers, vielfach verstärkt durch die Nachtsichtbrille. Es strahlte ihm in die Augen wie ein Suchscheinwerfer. Er feuerte blindlings zurück, einen automatischen Feuerstoß von rechts nach links. Der Strom der Kugeln erwischte beide Männer, den vierten Pakistani und den, der sich später als Dschamma, der Privatsekretär, erwies.
Draußen, wo die Gasse auf den Platz mündete, beharkten Tim und Dai wie verabredet das Haus auf der anderen Seite des Platzes, in dem der Sacad-Clan aus Garacad untergekommen war. Die Fallschirmjäger jagten lange Feuerstöße durch jedes Fenster. In den Fenstern war kein Glas. Sie waren nur mit festgenagelten Wolldecken bespannt. Die beiden wussten, dass ihre Kugeln über die Betten hinweggefahren sein mussten. Also rammten sie neue Magazine in ihre Waffen und warteten auf eine Reaktion. Sie mussten nicht lange warten.
Im Haus des Dorfältesten war ein leises Rascheln zu hören. Etwas bewegte sich. Der Spürhund fuhr herum. Versteckt in einer Ecke stand ein drittes Bett. Jemand lag darunter. Eine Baseballkappe schimmerte hervor.
»Bleib da«, schrie der Spürhund. »Nicht bewegen. Nicht rauskommen.« Das Rascheln hörte auf, die Kappe wich zurück.
Der Spürhund wirbelte zu den drei Männern hinter ihm herum.
»Alles klar hier drin. Los, kümmert euch um die Bande aus dem Norden.«
Sechs Mann aus Garacad, die annahmen, die Leute aus Marka hätten sie verraten, kamen über den Platz gestürmt. Die Kalaschnikows tief im Anschlag, duckten sie sich zwischen den Eseln, die sich schreiend an ihren Pflöcken aufbäumten, und den drei Pick-ups hindurch.
Aber für sie war es dunkel. Die Sterne waren hinter den Wolken verschwunden. Tim und Dai nahmen jeweils einen ins Visier und schalteten ihn aus. Das Mündungsfeuer genügte den anderen vier. Sie rissen ihre russischen Sturmgewehre hoch. Tim und Dai warfen sich der Länge nach auf den Boden. Hinter ihnen kamen Pete, Curly und ihr Captain in die Gasse, sahen die Mündungsblitze der Kalaschnikows und warfen sich ebenfalls flach hin.
Im Liegen erledigten die fünf Fallschirmjäger noch zwei der laufenden Männer. Der fünfte hatte sein Magazin leer geschossen und blieb stehen, um ein neues einzuschieben. Er stand deutlich sichtbar neben dem Ziegenpferch, und zwei Kugeln aus einer M4 rissen ihm den Kopf ab.
Der letzte kauerte unsichtbar hinter den Technicals. Das Schießen hörte auf. Er schob den Kopf vorn um die Motorhaube eines Pick-ups herum und suchte im Dunkeln nach einem Ziel. Von den Nachtsichtgeräten seiner Feinde ahnte er nichts. Sein Kopf sah aus wie ein grüner Fußball. Eine Kugel ließ sein Gehirn zerspritzen.
Dann war es wirklich still. Aus dem Haus der Piraten kam nichts mehr, aber den Fallschirmjägern fehlten zwei Mann. Sie brauchten acht, hatten jedoch erst sechs. Sie bereiteten sich darauf vor, das Haus zu stürmen und Verluste zu riskieren, aber das war nicht nötig. Hinter dem Dorf hörten sie weitere Schüsse, drei insgesamt, in Sekundenabständen.
Als Barry gesehen hatte, dass das Dorf aus dem Schlaf erwacht war, hatte er seinen nutzlosen Posten vor der Gasse aufgegeben und war außen herumgelaufen. In seinem Nachtsichtgerät sah er drei Gestalten hinten aus dem Haus der Piraten kommen. Zwei trugen Gewänder, der dritte, der stolpernd und schreiend von den beiden Somalis mitgezerrt wurde, hatte blondes Haar.
Barry rief die Laufenden nicht erst an. Er erhob sich aus dem Kameldorngestrüpp, als sie noch zwanzig Schritte entfernt waren, und feuerte. Der mit der Kalaschnikow, der einäugige Yusuf, fiel als Erster. Der ältere Mann, der später als al-Afrit, der Teufel, identifiziert wurde, bekam zwei Kugeln in die Brust.
Der riesenhafte Fallschirmjäger ging auf seine beiden Opfer zu. Der blonde Junge lag zwischen ihnen auf der Seite, zusammengekrümmt wie ein Fötus, und weinte leise.
»Alles gut, mein Junge«, sagte der Veteran. »Es ist vorbei. Jetzt bringen wir dich nach Hause.«
Er versuchte, den Jungen auf die Beine zu ziehen, aber dessen Beine knickten ein. Barry hob ihn auf wie eine Puppe, warf ihn über die Schulter und lief zum Dorf zurück.
Der Spürhund starrte durch seine Nachtsichtbrille in das Zimmer, in dem der letzte der Männer aus Marka gestorben war. Der letzte bis auf einen. An einer Seite war eine Tür, besser gesagt ein Durchgang, vor dem eine Wolldecke hing.
Mit einem Hechtsprung schnellte er sich hindurch, rollte herum und blieb unten, unterhalb der wahrscheinlichen Schusslinie eines Schützen in diesem Raum. Neben der Tür sprang er auf und riss sein M4 hoch. Kein Schuss fiel.
Er sah sich um. Es war das letzte Zimmer des Hauses, das beste, das Zimmer des Dorfältesten. Er sah ein Bett, bezogen, aber leer, die Decke beiseitegeworfen.
In einer Feuerstelle glühte noch Asche, leuchtete schmerzhaft weiß in seiner Brille. In einem großen Holzsessel daneben saß ein alter Mann und beobachtete ihn. Sie starrten einander ein paar Sekunden lang an, dann sprach der alte Mann leise und ruhig.
»Du kannst mich erschießen. Ich bin alt, und meine Zeit ist gekommen.« Er sprach Somali, doch dank seiner Arabischkenntnisse konnte der Spürhund ungefähr verstehen, was der Alte sagte. Er antwortete ihm auf Arabisch.
»Ich will dich nicht erschießen, Scheich. Du bist nicht der, den ich suche.«
Der alte Mann schaute ihm furchtlos ins Gesicht. Was er sah, war natürlich ein tarnfarbenes Ungeheuer mit Froschaugen.
»Du bist ein kafir, aber du sprichst die Sprache des heiligen Koran.«
»Das stimmt, und ich suche einen Mann. Einen sehr bösen Mann. Er hat viele ermordet. Auch Muslime, Frauen und sogar Kinder.«
»Habe ich ihn gesehen?«
»Du hast ihn gesehen, Scheich. Er war hier. Er hat« – der alte Mann hatte sicher noch keinen Bernstein gesehen –, »er hat Augen mit der Farbe von frisch gewonnenem Honig.«
»Ah.« Der alte Mann winkte geringschätzig ab, als wischte er etwas beiseite, das ihm nicht gefiel. »Er ist zu den Frauenkleidern gegangen.«
Eine Sekunde lang war die Enttäuschung wie ein Schlag in die Magengrube. Entkommen, in eine Burka gehüllt, versteckt in der Wüste, unauffindbar. Doch dann sah er, dass der alte Mann nach oben schaute, und er verstand.
Wenn die Frauen des Dorfes ihre Kleider im Wasser des Brunnens wuschen, wagten sie nicht, sie draußen auf dem Platz zum Trocknen aufzuhängen, denn die Ziegen, die den stachligen Kameldorn fraßen, würden sie in Fetzen reißen. Also stellten sie Gerüste auf die flachen Dächer.
Der Spürhund lief durch die Tür auf der anderen Seite hinaus. An der Seite des Hauses führte eine Treppe nach oben zum Dach. Er lehnte sein M4 an die Wand und zog die Pistole. Die Gummisohlen seiner Springerstiefel machten kein Geräusch auf den Lehmziegelstufen. Auf dem Dach sah er sich um. Da waren sechs Trockengestelle.
Im Zwielicht untersuchte er sie alle. Auf den aus Zweigen konstruierten Gestellen hingen Kleidungsstücke, dschalabib für die Frauen, makaui für die Männer. Eins der Gestelle sah größer und schmaler aus. Daran hing ein langes weißes pakistanisches salwar kamiz, es hatte einen Kopf und einen buschigen Bart, und es bewegte sich. Und dann passierten drei Dinge gleichzeitig, so schnell, dass es ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
Der Mond kam endlich hinter den Wolken hervor. Ein Vollmond, strahlend weiß. Mit seinem Nachtsichtvermögen war es in einer Sekunde vorbei. Das konzentrierte Licht seiner Brille blendete ihn.
Der Mann vor ihm griff an. Der Spürhund riss sich die Nachtsichtbrille herunter und hob die dreizehnschüssige Browning. Der Angreifer hatte den rechten Arm erhoben, und in seiner Hand blitzte etwas.
Der Spürhund drückte ab. Der Bolzen fiel auf eine leere Kammer. Ladehemmung – und als er wieder abdrückte, gleich noch einmal. Das war selten, aber möglich. Er wusste, dass ein volles Magazin in der Waffe steckte, doch in der Kammer war keine Patrone.
Mit der linken Hand packte er ein baumwollenes Gewand, knüllte es zusammen und warf es auf die herabsausende Messerklinge. Der Stahl traf den flatternden Stoff, der sich um das Messer wickelte, sodass es stumpf auf seine Schulter traf. Mit der rechten Hand warf er die Browning weg und zog das Kampfmesser der U. S. Marines aus der Scheide an seinem Oberschenkel, fast das Einzige, was er von den Dingen, die er aus London mitgebracht hatte, noch bei sich trug.
Der Bärtige benutzte kein dschambija, das kurze, krumme, hauptsächlich als Zierde dienende Messer des Jemen, sondern ein billao, ein großes, rasierklingenscharfes Messer, das nur Somalis verwenden. Zwei Schnitte mit einem Billao können einen Arm abtrennen, ein Stich, und die nadelspitze Klinge durchdringt den Oberkörper von vorn bis hinten.
Der Angreifer wechselte den Griff und drehte sein Handgelenk so, dass die Klinge einen Stoß von unten nach oben führen konnte, wie es ein Streetfighter tun würde. Der Spürhund konnte wieder besser sehen. Er sah, dass der Mann vor ihm barfuß war. So fanden seine Füße guten Halt auf den Lehmziegeln des Daches. Aber seine eigenen Gummisohlen waren genauso gut.
Der nächste Angriff des Billao kam schnell und zielte von unten auf seine linke Seite, wo er ihm die Eingeweide zerfetzen würde, doch damit hatte der Spürhund gerechnet. Seine linke Hand fuhr auf das aufsteigende Handgelenk herunter und blockte die Stahlspitze eine Handbreit vor seinem Körper. Sein eigenes rechtes Handgelenk wurde ebenfalls gepackt.
Der Prediger war zwölf Jahre jünger und abgehärtet von einem asketischen Leben in den Bergen. Wenn es um brutale Körperkraft ginge, würde er vielleicht gewinnen. Die Spitze des Billao schob sich einen Zoll näher heran. Der Spürhund erinnerte sich an seinen Ausbilder beim Fallschirmspringerlehrgang in Fort Bragg. Der Mann war nicht nur ein guter Springer gewesen, sondern auch ein erfahrener Einzelkämpfer.
»Östlich von Suez und südlich von Tripoli haben sie keine guten Streetfighter«, hatte er bei einem Bier im Sergeants’ Club erzählt. »Sie verlassen sich auf ihre Klinge und ignorieren Eier und Nase.«
Der Spürhund legte den Kopf in den Nacken und ließ ihn nach vorn schnellen. Er spürte den Schmerz an der Stirn und wusste, er würde eine Beule bekommen, aber er fühlte das Krachen, als das Nasenbein seines Gegners zersplitterte.
Die Hand, die sein Handgelenk umklammert hielt, lockerte sich. Er riss sich los, holte aus und stieß zu. Seine Messerklinge fuhr glatt zwischen die fünfte und sechste Rippe auf der linken Seite. Eine Handbreit vor seinem Gesicht sah er die hasserfüllten bernsteinfarbenen Augen, die langsam einen fassungslosen Ausdruck annahmen, als der Stahl sich ins Herz bohrte. Das Lebenslicht in ihnen erlosch.
Die Bernsteinfarbe wurde im Mondlicht zu Schwarz, und das Gewicht des Predigers sank auf das Messer des Spürhunds. Er dachte an seinen Vater im Bett auf der Intensivstation, beugte sich vor, bis seine Lippen dicht über dem schwarzen Bart waren, und flüsterte: »Semper fi, Prediger.«
Die Pathfinder bildeten einen Verteidigungsring, um die Morgendämmerung abzuwarten, aber die Beobachter in Tampa konnten ihnen versichern, dass keine feindliche Intervention mehr zu erwarten war. Die Wüste gehörte nur den Schakalen.
Die Bergen-Rucksäcke wurden aus der Wüste geborgen, auch Petes Sanitäterausrüstung. Er versorgte den geretteten Kadetten Ove Carlsson. Der Junge war nach wochenlangem Aufenthalt im Kerker von Garacad von Parasiten infiziert, unterernährt und traumatisiert. Pete kümmerte sich um ihn, so gut er konnte, und gab ihm auch eine Morphiumspritze. Der Kadett versank zum ersten Mal seit Wochen in einen tiefen Schlaf auf einem Bett vor dem neu angezündeten Feuer.
Im Licht einer Taschenlampe untersuchte Curly die drei Technicals auf dem Platz. Der eine war von M4- und Kalaschnikow-Kugeln durchsiebt und würde offensichtlich nicht mehr fahren. Die beiden anderen waren straßentauglich, als er mit ihnen fertig war, und sie waren mit vollen Reservekanistern beladen, genug für ein paar hundert Meilen.
Im ersten Tageslicht sprach David mit Dschibuti und versicherte, die Einheit könne mit den beiden Technicals westwärts zur äthiopischen Grenze fahren. Gleich dahinter in der Wüste lag die Landepiste, die ihrer Ansicht nach als Abholplatz am besten geeignet war, falls sie es dorthin schaffen könnten. Nach Curlys Schätzung waren es zweihundert Meilen bis dorthin, eine zehnstündige Fahrt, Tankstopps und Reifenwechsel einkalkuliert und vorausgesetzt, sie stießen nicht auf feindlichen Widerstand. Man versicherte ihnen, dass die C-130 Hercules, die längst wieder in Dschibuti gelandet war, sie erwarten würde.
Agent Opal, der kohlschwarze Äthiopier, war grenzenlos erleichtert, seine zunehmend gefährliche Maskerade hinter sich zu haben. Die Pathfinder öffneten ihre Proviantvorräte und bereiteten ein passables Frühstück, dessen Mittel- und Höhepunkt ein loderndes Feuer auf dem Rost und etliche Becher mit starkem, süßem Tee mit Milch waren.
Die Leichen wurden auf den Platz geschleift und den Dorfbewohnern zum Begräbnis überlassen. Beim Prediger wurde ein dickes Bündel von somalischen Geldscheinen gefunden und dem Dorfvorsteher für seine Mühen übergeben.
Den Koffer mit einer Million Dollar in bar fanden sie unter dem Bett, von dem aus der Prediger auf das Dach geflüchtet war. Der Captain wies darauf hin, dass sie Fallschirme und Verpackung im Wert von einer halben Million Dollar in der Wüste zurückgelassen hatten. Da es keine gute Idee wäre, in die falsche Richtung zurückzufahren, um sie zu holen, könne man das Regiment doch mit dieser Beute entschädigen, oder? Man gab ihm recht.
Im Morgengrauen richteten sie auf der offenen Ladefläche des einen Technical eine Pritsche für den immer noch schlafenden Ove Carlsson her, wuchteten die sieben Rucksäcke auf den anderen Wagen, verabschiedeten sich vom Dorfvorsteher und fuhren los.
Curlys Schätzung war ziemlich genau gewesen. Acht Stunden nach ihrer Abfahrt aus dem winzigen Wüstendorf überquerten sie die unsichtbare äthiopische Grenze. Tampa informierte sie darüber und dirigierte sie zu der Landepiste. Viel war dort nicht zu sehen. Keine Betonstartbahn, sondern nur ein tausend Meter langer tischebener, steinharter Schotterstreifen. Kein Kontrollturm, keine Hangars, nur ein Windsack, unruhig flatternd in der Brise eines glutheißen Tages, der bald vorbei sein würde.
An einem Ende stand wie ein beruhigender Klotz eine C-130 Hercules mit dem RAF-Emblem des 47. Geschwaders. Sie war das Erste, was sie sahen, eine Meile weit vor ihnen in der Sandwüste von Ogaden. Als sie näher kamen, senkte sich die Heckrampe, und Jonah kam mit seinen beiden Kameraden und den zwei Packern heraus, um sie zu begrüßen. Für die Packer gab es keine Arbeit: Sieben Fallschirme, das Stück zu fünfzigtausend Pfund, waren verloren.
Neben der Hercules wartete eine Überraschung: eine weiße Beech King Air mit den Farben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Zwei sonnengebräunte Männer in Wüstentarnkleidung standen daneben. Auf den Schultern der beiden Soldaten blitzte jeweils ein sechszackiger Stern.
Als die Zweierkolonne zum Stehen kam, sprang Opal, der hinten auf dem vorderen Truck gesessen hatte, herunter und lief zu ihnen hinüber. Beide umschlossen ihn mit einer festen Männerumarmung. Neugierig ging der Spürhund auf sie zu.
Der israelische Major stellte sich nicht als Benny vor, aber er wusste genau, wer der Amerikaner war.
»Nur eine kurze Frage«, sagte der Spürhund. »Dann sage ich Goodbye. Wieso arbeitet ein Äthiopier für Sie?«
Der Major machte ein überraschtes Gesicht, denn die Antwort lag doch auf der Hand.
»Er ist ein Falascha«, sagte er. »Ein Jude wie ich.«
Der Spürhund erinnerte sich verschwommen an die Geschichte von dem kleinen Stamm äthiopischer Juden, der eine Generation zuvor vollzählig aus Äthiopien und den Klauen eines brutalen Diktators gerettet worden war. Er drehte sich zu dem jungen Agenten um und salutierte.
»Na, vielen Dank, Opal. Todah rabah … und mazel tov.«
Die Beech startete zuerst. Sie hatte gerade noch genug Treibstoff, um es bis Eilat zu schaffen. Die Hercules folgte, und die beiden ramponierten Pick-ups blieben für die nächste Truppe von Wüstennomaden zurück, die zufällig vorbeikommen würde.
In seinem Bunker unter dem Stützpunkt MacDill in Tampa saß Master Sergeant Orde und sah zu, wie sie starteten. Außerdem sah er weit im Osten eine Kolonne mit vier Fahrzeugen, die auf die Grenze zufuhr. Ein Verfolgertrupp von al-Schabaab, der viel zu spät kam.
In Dschibuti wurde Ove Carlsson in das hochmoderne Lazarett der amerikanischen Basis gebracht, wo er blieb, bis der Firmenjet mit seinem Vater an Bord kam, um ihn abzuholen.
Der Spürhund verabschiedete sich von den sechs Fallschirmjägern, bevor er seine Grumman bestieg, um nach Northolt und weiter nach Andrews in Washington zu fliegen Die RAF-Crew hatte den ganzen Tag geschlafen. Sie waren fit für den Flug, als die Maschine vollgetankt war.
»Wenn ich je noch einmal etwas derart Wahnsinniges zu erledigen habe, kann ich Sie dann wieder bitten mitzukommen?«, fragte er.
»Kein Problem, Mate«, sagte Tim. Der amerikanische Colonel konnte sich nicht erinnern, wann ihn ein einfacher Soldat das letzte Mal »Mate« genannt hatte. Er stellte fest, dass es ihm gefiel.
Seine Grumman startete kurz nach Mitternacht. Er schlief, bis sie die libysche Küste überflog und vor der aufgehenden Sonne in Richtung London weiterjagte. Es war Herbst. Das Laub in North Virginia würde rot und golden sein. Er freute sich darauf, es wiederzusehen.