VIERZEHN

»Colonel, Sir, sie bewegen sich.«

An seinem Schreibtisch in der Londoner Botschaft hatte der Spürhund dösend vor dem Monitor gesessen, der ihm zeigte, was die Drohne über Marka sehen konnte. Die Stimme kam aus dem Lautsprecher des Telefons, das mit dem Leitstand im Bunker bei Tampa verbunden war, und sie gehörte Master Sergeant Orde, der wieder im Dienst war.

Der Spürhund fuhr hoch und sah auf die Uhr. Drei Uhr früh in London, sechs in Marka. Die Dunkelheit vor dem Morgengrauen.

Die Global Hawk war von einer vollgetankten zweiten Drohne abgelöst worden, die viele Stunden am Himmel vor sich hatte, bevor auch ihre Tanks leer wären. Vor der somalischen Küste am östlichen Horizont schimmerte ein zarter rosaroter Hauch. Der Indische Ozean war noch schwarz, so schwarz wie die Nacht über den Gassen von Marka.

Aber auf dem Anwesen des Predigers waren Lichter angegangen, und kleine rote Kleckse bewegten sich umher, Wärmequellen, die von den Sensoren der Drohne wahrgenommen wurden. Ihre Kameras arbeiteten noch im Infrarotmodus und konnten im Dunkeln sehen, was sechs Meilen tief unter ihr vor sich ging.

Der Spürhund sah zu, wie das Tageslicht mit der aufgehenden Sonne immer heller wurde. Aus den roten Klecksen wurden dunkle Umrisse, die sich tief unten im Hof umherbewegten. Nach dreißig Minuten wurde ein Garagentor geöffnet, und ein Fahrzeug kam heraus.

Kein staubiger, verbeulter Pick-up, kein Allzweck-Personen-und-Lasten-Beförderer, wie er in Somalia überall benutzt wurde, sondern ein eleganter Toyota Landcruiser mit schwarz getönten Fenstern, der Wagen der Wahl für al-Qaida schon seit bin Ladens erstem Auftreten in Afghanistan. Der Spürhund wusste, dass zehn Personen darin Platz hatten.

Die Beobachter, viertausend Meilen weit voneinander entfernt in London und in Florida, sahen acht dunkle Gestalten, die in den Wagen einstiegen. Sie waren nicht nah genug, um zu sehen, dass vorn zwei der pakistanischen Bodyguards saßen, der eine am Steuer, der andere schwer bewaffnet auf dem Beifahrersitz.

Hinter ihnen saßen der Prediger in formlosen somalischen Gewändern und mit bedecktem Kopf, Dschamma, sein somalischer Sekretär, und Opal, und ganz hinten die beiden anderen pakistanischen Leibwächter. Damit waren die einzigen vier, denen der Prediger wirklich vertraute, komplett. Sie stammten alle noch aus seiner Zeit bei der Chorasan-Killertruppe. Ebenfalls hinten saß Yusuf, der Sacad aus dem Norden.

In Marka war es sieben Uhr, als andere Dienstboten das Tor öffneten und der Landcruiser sich in Bewegung setzte. Der Spürhund sah sich vor einem Dilemma. War das ein Ablenkungsmanöver? War die Zielperson noch im Haus und bereitete sich darauf vor, unauffällig zu verschwinden, während die Drohne, von deren Anwesenheit am Himmel er inzwischen wissen musste, anderswo beschäftigt war?

»Sir?«

Der Mann mit dem Steuerknüppel im Bunker in Tampa brauchte Anweisungen.

»Folgen Sie dem Wagen«, sagte der Spürhund.

Der Landcruiser führte sie durch das Labyrinth der Straßen und Gassen bis an den Stadtrand. Dann verließ er die Straße und verschwand unter dem großen Asbestdach eines Lagerhauses. Er war nicht mehr zu sehen.

Der Spürhund kämpfte seine Panik nieder und ließ die Drohne zum Anwesen zurückkehren, aber dort war alles in Schatten gehüllt und still. Nichts regte sich. Die Drohne kehrte zum Lagerhaus zurück. Zwanzig Minuten später kam der große schwarze Landcruiser wieder zum Vorschein und fuhr langsam zurück zum Anwesen.

Irgendwo da unten musste es gehupt haben, denn ein Dienstbote kam aus dem Haus und öffnete das Tor. Der Toyota rollte hindurch und blieb stehen. Niemand stieg aus. Warum nicht?, dachte der Spürhund. Dann kapierte er. Niemand stieg aus, weil niemand drin war, niemand außer dem Fahrer.

»Zurück zu dem Lagerhaus, schnell«, befahl er Master Sergeant Orde. Statt einer Antwort zog der Mann am Steuerpult in Florida nur die Objektivbrennweite auf, und die Weitwinkelaufnahme zeigte die ganze Stadt, jedoch weniger Details. Sie kamen gerade noch zur rechten Zeit.

Nicht ein, sondern vier Pick-up-Trucks mit offener Ladefläche, die sogenannten technicals, rollten nacheinander aus dem Lagerhaus. Beinahe wäre der Spürhund auf das simpelste Wechselmanöver hereingefallen.

»Folgen Sie der Kolonne«, befahl er Tampa. »Egal, wohin sie fährt. Kann sein, dass ich wegmuss, aber ich bleibe am Handy.«

In Garacad erwachte Mr. Ali Abdi vom Motorenlärm vor seinem Fenster. Er sah auf die Uhr. Sieben. Noch vier Stunden bis zu seiner regulären Vormittagskonferenz mit London. Er spähte zwischen den Fensterläden hindurch und sah zu, wie zwei Technicals den Hof der Festung verließen.

Egal. Er war ein sehr zufriedener Mann. Am Abend zuvor hatte al-Afrit seinen Vermittlungsbemühungen endgültig zugestimmt. Der Pirat würde sich mit Chauncey Reynolds und den Versicherern auf ein Lösegeld in Höhe von fünf Millionen Dollar für die Malmö einschließlich Ladung und Mannschaft einigen.

Auch wenn ein kleines Haar in der Suppe schwamm, war Abdi sicher, dass Mr. Gareth ebenfalls glücklich sein würde, wenn er hörte, dass die Malmö, zwei Stunden nachdem die Bank des Piraten in Dubai den Eingang der Dollars bestätigt hätte, ihre Fahrt fortsetzen dürfte. Bis dahin würde sicher ein westlicher Zerstörer aufgekreuzt sein, um sie in sichere Gewässer zu geleiten. Mehrere rivalisierende Clans hatten bereits Schnellboote losgeschickt, die den schwedischen Frachter umkreisten, um zu sehen, ob er vielleicht schlecht gesichert wäre und noch einmal gekapert werden könnte.

Abdi dachte an die Zukunft. Die zweite Million seines Honorars wäre ihm sicher. Gareth Evans würde ihn nicht betrügen, denn vielleicht würden sie ja wieder miteinander zu tun bekommen. Nur Abdi selbst konnte wissen, dass er sich zur Ruhe setzen und eine hübsche Villa in Tunesien beziehen würde, wo er in Frieden und Sicherheit würde leben können, meilenweit entfernt vom mörderischen Chaos in seinem Heimatland. Er sah noch einmal auf die Uhr und drehte sich auf die andere Seite, um noch ein bisschen zu schlafen.

Der Spürhund saß nach wie vor in seinem Büro und erwog seine begrenzten Möglichkeiten. Er wusste viel, doch er konnte nicht alles wissen.

Er hatte einen Agenten im feindlichen Lager, der wahrscheinlich nur ein paar Schritte weit entfernt von dem Prediger in einem der vier Technicals saß, die da sechs Meilen weit unter der Global Hawk durch die Wüste rollten. Aber er konnte mit dem Mann nicht kommunizieren, und der nicht mit ihm. Opals Funkgerät lag immer noch in seinem Versteck unter der Hütte bei Kismaju. Es wäre Selbstmord gewesen, wenn er versucht hätte, irgendetwas außer dem harmlos aussehenden Gegenstand, den er bei den Kasuarinenbäumen bekommen hatte, nach Marka mitzunehmen.

Der Spürhund nahm an, dass es irgendwo zu einem Treffen kommen würde, bei dem Geld für den schwedischen Gefangenen übergeben würde. Er hatte keine Bedenken bei dem, was er getan hatte. Der Kadett aus Stockholm war in größerer Gefahr bei dem Mann, den selbst seine eigenen Clanangehörigen den »Teufel« nannten, als bei dem Prediger, der ihn für sein Geld am Leben und bei Gesundheit erhalten würde.

Nach dem Austausch würde der Prediger vermutlich nach Marka zurückkehren, wo man ihm nichts anhaben konnte. Die einzige Chance, ihn zu eliminieren, bestand darin, ihn hinaus in die somalische Wüste zu locken, in das weite, offene Gelände, in dem keine Zivilisten zu Schaden kommen konnten.

Aber Raketen waren trotzdem verboten. Gray Fox hatte das am Abend zuvor noch einmal klar zum Ausdruck gebracht. Während die Sonne, die jetzt auf Somalia niederbrannte, das erste Licht nach London brachte, erwog der Spürhund noch einmal die Möglichkeiten, die ihm offenstanden. All seinen Bitten zum Trotz war der Spielraum nicht groß.

Das Team Six der SEALs war auf seinem Stützpunkt in Little Neck, Virginia, und er hatte nicht die Zeit, sie um die halbe Welt einfliegen zu lassen. Die Night Stalkers mit ihren Langstreckenhubschraubern saßen in Fort Campbell, Kentucky. Aber Hubschrauber würden wahrscheinlich auch zu viel Lärm machen. Er war im Dschungel und in der Wüste gewesen. Er wusste, dass der Dschungel bei Nacht von einem infernalischen Getöse von Fröschen und Insekten erfüllt ist, während in der Wüste gespenstische Stille herrscht und die Geschöpfe, die dort leben, das Gehör des fledermausohrigen Fuchses haben, der den Sand mit ihnen teilt. Das Knattern von Hubschrauberrotoren im Nachtwind kann man dort meilenweit hören.

Es gab eine Einheit, von der er gehört, die er jedoch nie in Aktion gesehen oder auch nur kennengelernt hatte. Aber er kannte ihren Ruf und ihre Spezialität. Sie waren nicht einmal Amerikaner. Nur zwei amerikanische Einheiten konnten ihnen dem Vernehmen nach das Wasser reichen. Aber die SEALs und die Delta Boys waren jenseits des Atlantiks.

Master Sergeant Orde riss ihn aus seinen Gedanken.

»Colonel, sie scheinen sich zu trennen.«

Er wandte sich dem Bildschirm zu, und wieder war die aufsteigende Panik wie ein Schlag in die Magengrube. Unten in der Wüste fuhren die vier Technicals in weitem Abstand hintereinander. Mindestens vierhundert Meter trennten sie voneinander.

Mit dieser Vorsichtsmaßnahme sorgte der Prediger dafür, dass die Amerikaner nicht wagten, eine Rakete einzusetzen, weil sie befürchten mussten, den Truck, in dem er saß, zu verfehlen. Er konnte nicht wissen, dass er wegen des jungen Äthiopiers, der hinter ihm saß, in Sicherheit war.

Doch jetzt fuhren sie nicht nur in großem Abstand in einer Reihe, sondern fächerten sich auch noch auf.

Der Konvoi befand sich nördlich der von Soldaten gesicherten Enklave von Mogadischu und fuhr nach Nordwesten ins Tal des Schebele. Um den Fluss zu überqueren, gab es ein halbes Dutzend brauchbare Brücken zwischen Äthiopien und dem Meer, und jetzt trennten sich die vier Technicals, als wollten sie verschiedene Brücken benutzen. Seine eine Drohne konnte sie nicht alle verfolgen. Selbst bei maximaler Brennweite konnte sie nur zwei im Auge behalten, aber dann wären die Wagen schon zu klein, um noch etwas zu erkennen. Die Stimme aus Tampa klang drängend.

»Welchen soll ich nehmen, Sir?«

Gareth Evans kam kurz nach acht ins Büro. Anwälte sind selten Frühaufsteher, und er war immer der Erste im Haus. Der Nachtwächter war es inzwischen gewohnt, aus seiner Kabine hinter dem Empfangstisch zu kommen, die Glastür aufzuschließen und den Unterhändler hineinzulassen – vorausgesetzt, Evans hatte die Nacht nicht gleich auf seiner Pritsche oben in seinem Büro verbracht.

Er hatte sich eine Thermosflasche Kaffee aus dem nahen Hotel mitgebracht, wo Chauncey Reynolds ihn vorläufig untergebracht hatten. Später würde die liebe Mrs. Bulstrode kommen. Sie würde in den Deli gehen, ihm ein ordentliches Frühstück besorgen und wieder da sein, bevor es kalt werden konnte. Er ahnte nicht, dass jede Phase seiner Verhandlungen wortgetreu an den Secret Intelligence Service weitergemeldet wurde.

Um halb neun zeigte ein rotes Blinklicht an, dass Mr. Abdi in der Leitung war. Optimistische Anwandlungen gestattete Gareth Evans sich niemals gern. Er war zu oft enttäuscht worden. Aber er und der somalische Vermittler, dachte er, waren dicht davor, ein Lösegeld von fünf Millionen Dollar zu vereinbaren, und dafür hatte er hundertprozentig grünes Licht. Der Transfer des Geldes war nicht sein Problem; dafür würden andere sorgen. Und er wusste, dass eine britische Fregatte nicht weit vor der Küste kreuzte und die Malmö in sichere Gewässer geleiten würde, wenn es so weit wäre.

»Ja, Mr. Abdi, hier ist Gareth Evans. Haben Sie Neuigkeiten für mich? Sie kommen früher als sonst.«

»Allerdings, Mr. Gareth. Und es sind sehr gute Neuigkeiten. Die allerbesten. Mein Auftraggeber ist bereit, sich auf nur fünf Millionen Dollar zu einigen.«

»Ausgezeichnet, mein Freund.« Er bemühte sich, nicht allzu erfreut zu klingen. Das war die schnellste Freigabe, die er je erreicht hatte. »Ich denke, ich kann die Überweisung noch heute veranlassen. Geht es der Besatzung gut?«

»Ja, sehr gut. Es gibt noch ein … wie sagt man bei Ihnen? … ein Haar in der Sauce, doch das ist nicht so wichtig.«

»Ich glaube, das Haar ist in der Suppe. Ein Problem eben. Wie auch immer. Was ist das für ein Haar, Mr. Abdi?«

»Der schwedische Junge, der Kadett …«

Evans erstarrte. Er hob die Hand, und Mrs. Bulstrode blieb mit dem Frühstück in der Hand wie angewurzelt stehen.

»Sie meinen Ove Carlsson. Was gibt es da für ein Problem, Mr. Abdi?«

»Er kann nicht kommen, Mr. Gareth. Mein Auftraggeber … ich fürchte … es hat nichts mit mir zu tun … er hat ein Angebot bekommen …«

»Was ist mit Mr. Carlsson passiert?« Evans’ Stimme klang nicht mehr gut gelaunt.

»Ich fürchte, er ist an al-Schabaab in den Süden verkauft worden. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Gareth. Er war nur ein Kadett.«

Gareth Evans legte den Hörer auf, beugte sich nach vorn und vergrub das Gesicht in den Händen. Mrs. Bulstrode stellte sein Frühstück hin und ging.

Agent Opal saß zwischen Dschamma und der Tür, der Prediger auf der anderen Seite. Der Technical, der schlechter gefedert war als der Landcruiser, holperte bockend, wippend und erzitternd über Steine und durch Schlaglöcher. Sie waren seit fünf Stunden unterwegs. Es war kurz vor Mittag, und die Hitze war erstickend. Falls der Wagen einmal eine Klimaanlage gehabt hatte, war sie längst Geschichte.

Der Prediger und Dschamma dösten. Ohne das Gerüttel wäre Opal vielleicht in einen unruhigen Schlaf verfallen und hätte nichts mitbekommen.

Der Prediger wachte auf, beugte sich vor, klopfte dem Fahrer auf die Schulter und sagte etwas. Auf Urdu, doch was es bedeutete, wurde bald klar. Sie waren seit der Abfahrt aus Marka in Kolonne gefahren, und ihr Wagen war der zweite von vieren. Sofort nach dem Schultertippen verließ der Fahrer die Piste, auf der das erste Fahrzeug unterwegs war, und bog ab.

Opal schaute durch das Rückfenster. Der dritte und der vierte Truck taten das Gleiche. Die Sitzverteilung war anders als im Landcruiser: Vorn saß nur der Fahrer, und auf der Sitzbank hinter ihm saßen der Prediger, Dschamma und er selbst. Die drei Bodyguards und Yusuf hockten hinten auf der offenen Ladefläche.

Von oben würden alle vier Technicals gleich aussehen – wie achtzig Prozent aller Pick-ups in Somalia. Die drei anderen in ihrem Konvoi waren Mietwagen aus Marka. Opal wusste, was Drohnen waren. Sie hatten in seiner Agentenausbildung beim Mossad eine große Rolle gespielt. Er fing an zu würgen.

Dschamma sah ihn erschrocken an.

»Ist alles in Ordnung?«

»Das kommt von dem Geschaukel«, sagte er. Der Prediger schaute herüber.

»Wenn dir schlecht wird, musst du draußen sitzen«, sagte er.

Opal öffnete die Tür neben sich und schwang den Oberkörper hinaus. Der Wüstenwind wehte ihm das Haar ins Gesicht. Er streckte eine Hand nach hinten zur Ladefläche, und ein kräftiger Pakistani packte sie. Eine wilde Sekunde lang baumelte er über einem wirbelnden Rad und wurde dann auf die Ladefläche gezogen. Dschamma beugte sich herüber und riss die Tür von innen zu.

Opal lächelte den drei pakistanischen Leibwächtern und dem einäugigen Yusuf matt zu. Alle vier ignorierten ihn. Unter seinem Dischdasch zog er hervor, was er bei den Kasuarinen bekommen und schon einmal benutzt hatte. Er setzte es auf.

»Welchem sollen wir folgen, Sir?« Die Frage wurde dringlich. Die Global Hawk erweiterte ihr Blickfeld, und die Wüste entfernte sich. Alle vier Trucks rückten an den Rand des Bildes. Der Spürhund sah Bewegung auf einem der Technicals.

»Was macht der Kerl?«, fragte er. »Auf Nummer zwei.«

»Anscheinend ist er rausgeklettert, an die Luft«, erwiderte Master Sergeant Orde. »Jetzt setzt er etwas auf. Eine Baseballkappe, Sir. Knallrot.«

»Nehmen Sie Truck zwei«, sagte der Spürhund hastig. »Lassen Sie die andern. Sie sollen nur ablenken. Folgen Sie Truck zwei.«

Die Kamera rückte Truck zwei in die Mitte des Bildes und zoomte auf ihn hinunter. Die fünf Männer auf der Ladefläche wurden immer größer. Einer trug eine rote Kappe. Die Beobachter konnten das New-York-Logo erkennen.

»Gott segne dich, Opal«, flüsterte der Spürhund.

Er erwischte seinen Kollegen, den Verteidigungsattaché, als der Mann von seinem morgendlichen Fünf-Meilen-Lauf über die Landstraßen rund um Ickenham zurückkam, wo er wohnte. Es war acht Uhr früh. Der Attaché war ein Colonel vom 82. Airborne Regiment der »Screaming Eagles«. Die Frage, die der Spürhund ihm stellte, war kurz und einfach.

»Natürlich kenne ich ihn. Er ist ein guter Mann.«

»Haben Sie seine Privatnummer?«

Der Attaché sah auf seinem BlackBerry nach und diktierte ihm eine Nummer. Ein paar Sekunden später hatte der Spürhund den Mann am Apparat, den er suchte, einen britischen Major General, und bat um ein Treffen.

»In meinem Büro. Um neun.«

»Ich werde da sein«, sagte der Spürhund.

Das Büro des Direktors der Special Forces der britischen Armee befindet sich in Albany Barracks in der Albany Street, in dem eleganten Wohnviertel um Regent’s Park. Eine drei Meter hohe Mauer schirmt die Ansammlung von Gebäuden von der Straße ab, und das Flügeltor ist bewacht und öffnet sich nur selten für Fremde.

Der Spürhund trug Zivil und kam mit einem Taxi, das er wegschickte. Der Posten studierte seinen Botschaftspass, in dem sein militärischer Dienstgrad angegeben war, telefonierte kurz und ließ ihn dann durch. Ein anderer Soldat führte ihn ins Hauptgebäude, zwei Treppen hoch und ins Büro des Special-Forces-Direktors im hinteren Teil.

Die beiden Männer waren etwa gleichaltrig, und es gab noch andere Gemeinsamkeiten. Beide sahen hart und fit aus. Der Brite stand zwei Dienstgrade über einem Lieutenant Colonel. Er war in Hemdsärmeln, aber am Revers der Jacke, die an einem Haken in der Ecke hing, leuchteten die roten Abzeichen des Generalstabs. Beide hatten die undefinierbare Ausstrahlung von Männern, die schwere Gefechte erlebt hatten, und das schon oft.

Will Chamney hatte bei den Guards angefangen und dann zum Special Air Service gewechselt. Er hatte den strapaziösen Auswahlkurs überstanden und drei Jahre als Troop Commander bei der D Squadron, 16. Troop, verbracht – bei den »Freifall-Springern«.

Im Regiment – so lautet die schlichte Bezeichnung – kann ein Offizier, ein »Rupert«, sich nicht dafür entscheiden, eine zweite Dienstperiode anzuhängen. Er braucht eine Einladung. Chamney kam gerade rechtzeitig als Squadron Commander wieder, um bei der Befreiung des Kosovo und dann in Sierra Leone dabei zu sein.

Er gehörte zu dem SAS-Team, das zusammen mit den Fallschirmjägern eine Gruppe von irischen Soldaten rettete, die einer Meute von blutrünstigen Rebellen auf ihrem Stützpunkt tief im Dschungel in die Hände gefallen waren. Die West Side Boyz, wie die vom Rauschgift befeuerten Aufständischen genannt wurden, verloren in weniger als einer Stunde über hundert Mann, bevor sie im Busch verschwanden. Bei seinem dritten Einsatz auf der SAS-Basis in Hereford hatte Chamney das Regiment im Rang eines Colonels befehligt.

Zum Zeitpunkt des Meetings führte er die vier offiziellen Einheiten der Special Forces: den SAS, den Special Boat Service, die Special Forces Support Group und das Special Reconnaissance Regiment.

Die extreme Flexibilität der Offizierseinsätze bei den Special Forces hatte dazu geführt, dass er zwischen drei Stationierungen in Hereford Fallschirmjägereinheiten in Großbritannien und in Helmand in Afghanistan befehligt hatte.

Chamney hatte vom Spürhund gehört, er wusste, dass er in der Stadt war, und er kannte den Grund. Auch wenn TOSA die Führung hatte, war die Eliminierung des Predigers seit Langem eine Gemeinschaftsoperation. Der Mann hatte schließlich vier Morde auf britischem Boden zu verantworten.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er nach einem Händedruck und den üblichen Begrüßungsworten.

Der Spürhund gab eine ausführliche Erläuterung. Er wollte um eine Gefälligkeit bitten, und Geheimhaltungsprobleme gab es hier nicht. Der Special-Forces-Direktor hörte schweigend zu, und als er schließlich sprach, kam er sofort zur Sache.

»Wie viel Zeit haben Sie?«

»Ich vermute, bis zum Sonnenaufgang morgen früh, und zwischen hier und Somalia liegen drei Zeitzonen. Dort ist es jetzt schon nach Mittag. Entweder erwischen wir ihn heute Nacht, oder er entgeht uns, und dann wahrscheinlich für immer.«

»Sie verfolgen ihn mit einer Drohne?«

»In diesem Augenblick kreist eine Global Hawk über ihm. Wenn er haltmacht, wird er wahrscheinlich übernachten. Da unten ist es zwölf Stunden lang dunkel, von sechs bis sechs.«

»Und eine Rakete kommt nicht infrage?«

»Ausgeschlossen. Bei den Leuten ist ein israelischer Agent. Er muss lebend herausgeholt werden. Wenn er draufgeht, wird der Mossad ungehalten sein. Zurückhaltend gesagt.«

»Wundert mich nicht. Und diese Bande möchte man nicht verärgern. Was wollen Sie denn von uns?«

»Die Pathfinder.«

General Chamney zog langsam eine Braue hoch.

»HALO-Fallschirmjäger?«

»Ich schätze, das dürfte das Einzige sein, das funktioniert. Haben Sie zurzeit Pathfinder in der Region?«

Die Pathfinder sind nicht nur die am wenigsten bekannte Einheit der britischen Streitkräfte, sondern mit nur sechsunddreißig ausgewiesenen Angehörigen auch die kleinste. Sie werden überwiegend bei den Fallschirmjägern rekrutiert, wo sie bereits eine rigorose Ausbildung durchlaufen haben, und erhalten ein weiteres, mörderisches Training.

Sie operieren in Sechserteams. Selbst wenn man die Unterstützungseinheit dazuzählt, sind es nicht mehr als sechzig Mann, und niemand bekommt sie je zu sehen. Sie können meilenweit vor den konventionellen Streitkräften operieren; bei der Irakinvasion 2003 waren sie sechzig Meilen weit vor der amerikanischen Angriffsspitze.

Am Boden benutzen sie skelettierte, verstärkte Land Rover mit rosafarbener Wüstentarnung, die sie »Pinkies« nennen. Eine kämpfende Einheit besteht aus zwei Pinkies mit je drei Mann Besatzung. Ihre Spezialität aber ist der Fallschirmabsprung aus großer Höhe mit niedriger Schirmöffnungshöhe – High Altitude, Low Opening oder kurz HALO.

Ebenso gut können sie in einer Gefechtszone aus großer Höhe und mit hoher Schirmöffnungshöhe abspringen (HAHO – High Altitude, High Opening). Sie öffnen ihre Schirme sofort nach dem Verlassen des Flugzeugs und »fliegen« dann per Lenkfallschirm meilenweit in feindliches Territorium hinein, lautlos und unsichtbar, und landen wie die Spatzen.

General Chamney drehte seinen Monitor zu sich herum und tippte kurz auf der Tastatur. Dann studierte er den Bildschirm.

»Zufällig haben wir eine Einheit in Tumrait. Lehrgang zur Wüstengewöhnung.«

Der Spürhund wusste, dass Tumrait ein Luftwaffenstützpunkt in der Wüste von Oman war, der bei der ersten Irakinvasion 1990/91 als Etappenstation gedient hatte. Im Geist fing er an zu rechnen. Eine C-130 Hercules, das bevorzugte Transportflugzeug der Special Forces, würde von Tumrait ungefähr vier Stunden bis Dschibuti brauchen. Dort war ein großer amerikanischer Stützpunkt.

»Was für eine Vollmacht würden Sie benötigen, um sie Uncle Sam zu leihen?«

»Eine von ganz oben«, sagte der Direktor. »Vom Premierminister, würde ich sagen. Wenn der grünes Licht gibt, haben wir grünes Licht. Alle anderen würden die Zuständigkeit einfach nach oben weiterreichen.«

»Und wer könnte den PM am ehesten dazu bewegen?«

»Ihr Präsident«, sagte der General.

»Und wenn er es täte?«

»Dann würde der Befehl auf dem üblichen Weg herunterkommen: zum Verteidigungsminister, Verteidigungsstabschef, Generalstabschef, Direktor für Militärische Operationen und dann zu mir. Und ich würde das Nötige veranlassen.«

»Das könnte den ganzen Tag dauern. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Der Direktor dachte nach.

»Hören Sie, die Jungs sind sowieso auf dem Heimweg. Über Bahrain und Zypern. Ich könnte sie umleiten, über Dschibuti nach Zypern.« Er sah auf die Uhr. »In Somalia ist es jetzt ungefähr ein Uhr mittags. Wenn sie in zwei Stunden starten, könnten sie bei Sonnenuntergang in Dschibuti sein. Können Sie dafür sorgen, dass man sie dort begrüßt und auftankt?«

»Auf jeden Fall.«

»Auf Kosten des Hauses?«

»Rechnung geht an uns.«

»Und können Sie da sein und sie briefen? Bilder, Ziele?«

»Sogar persönlich. Ich habe eine Grumman der Firma draußen in Northolt.«

General Chamney grinste.

»Anders kann man auch nicht fliegen.« Beide Männer hatten viele Stunden auf stahlharten Sitzbänken in bockenden Transportmaschinen verbracht. Der Spürhund stand auf.

»Ich muss gehen. Ich habe eine Menge Anrufe zu machen.«

»Ich leite die Hercules um«, sagte der General. »Und ich werde mein Büro nicht verlassen. Viel Glück.«

Eine halbe Stunde später war der Spürhund wieder in der Botschaft. Er stürmte in sein Büro und studierte den Monitor mit den Bildern aus Tampa. Der Technical des Predigers rollte noch immer holpernd durch die ockerbraune Wüste. Auf der Ladefläche saßen nach wie vor die fünf Männer, und einer trug immer noch eine rote Baseballkappe. Der Spürhund sah auf die Uhr. Elf Uhr in London, vierzehn Uhr in Somalia, aber erst sechs in Washington. Zum Teufel mit Gray Fox und seinem Schönheitsschlaf. Er wählte die Nummer. Nach dem siebten Klingeln meldete sich eine schlaftrunkene Stimme.

»Sie wollen was?«, schrie er, als er gehört hatte, was an diesem Morgen in London geschehen war.

»Bitte. Ich möchte, dass Sie den Präsidenten bitten, den britischen Premierminister um diese kleine Gefälligkeit zu ersuchen. Und unseren Stützpunkt in Dschibuti zu umfassender Kooperation zu autorisieren.«

»Dazu muss ich den Admiral aus der Koje holen«, sagte Gray Fox. Er meinte den J-SOC-Kommandanten.

»Der ist Seemann. Er ist schon öfter aus der Koje geholt worden. Bei Ihnen ist es gleich sieben. Der Oberkommandierende steht früh auf, wegen seines Fitnessprogramms. Er wird Ihren Anruf annehmen. Bitten Sie ihn einfach, mit seinem Freund in London zu sprechen und um den Gefallen zu ersuchen. Dazu sind Freunde da.«

Der Spürhund hatte noch weitere Anrufe zu tätigen. Er wies den Piloten der Grumman in Northolt an, einen Flugplan nach Dschibuti einzureichen. Dann veranlasste er, dass ihm aus dem Wagenpark in der Tiefgarage unter dem Grosvenor Square in dreißig Minuten ein Auto bereitgestellt wurde, das ihn nach Northolt fahren würde.

Sein letzter Anruf ging nach Tampa in Florida. Er verstand zwar nicht viel von Elektronik, aber er wusste, was er haben wollte, und er wusste, dass es machbar war: Die Kabine des Grumman sollte mit dem Bunker verbunden werden, der die Global Hawk über der somalischen Wüste steuerte. Ein Bild würde er nicht bekommen, doch er musste ständig darüber auf dem Laufenden sein, welchen Weg der Pick-up durch die Wüste nahm und wo er endgültig haltmachte.

In der Kommunikationszentrale auf dem Stützpunkt in Dschibuti wollte er in Bild und Ton mit dem Bunker in Tampa verbunden werden. Und Dschibuti musste hundertprozentig mit ihm und den anfliegenden britischen Fallschirmjägern zusammenarbeiten. Weil J-SOC überall in den amerikanischen Streitkräften großen Einfluss besitzt, bekam er alles.

Der Präsident der USA nahm den Anruf des J-SOC-Kommandanten entgegen, als er nach seinem morgendlichen Fitnessprogramm geduscht hatte.

»Warum brauchen wir sie?«, fragte er, nachdem er das Ersuchen gehört hatte.

»Die Zielperson haben Sie im Frühjahr benannt, Sir. Damals hieß er einfach nur der ›Prediger‹. Er hat zu acht Morden auf amerikanischem Boden angestiftet, zusätzlich zu dem Massaker an den CIA-Mitarbeitern in dem Bus. Wir wissen inzwischen, wer er ist und wo er ist. Aber bei Tagesanbruch wird er wahrscheinlich verschwinden.«

»Ich erinnere mich, Admiral. Doch bis zum Tagesanbruch sind es noch fast vierundzwanzig Stunden. Können wir nicht rechtzeitig eigene Leute einfliegen?«

»In Somalia ist jetzt nicht Morgen, Mr. President. Es ist kurz vor Sonnenuntergang. Das britische Team ist zufällig in der Region. Sie waren auf einem Lehrgang in der Nähe.«

»Eine Rakete können wir nicht einsetzen?«

»In seiner Begleitung ist ein Agent eines befreundeten Dienstes.«

»Also ist ein Personeneinsatz aus nächster Nähe nötig?«

»Anders geht es nicht, Sir. Das sagt unser Mann vor Ort.«

Der Präsident zögerte. Als Politiker wusste er, dass eine Gefälligkeit einen Schuldschein produzierte, und ein Schuldschein wurde irgendwann fällig.

»Okay«, sagte er. »Ich rufe ihn an.«

Der britische Premierminister war in seinem Büro in der Downing Street. Es war ein Uhr mittags, und er hatte die Gewohnheit, einen leichten Salat zum Lunch zu essen, bevor er über den Parliament Square zum Unterhaus ging. Danach konnte man ihn nicht mehr erreichen. Sein Privatsekretär nahm den Anruf von der Zentrale in Downing Street an und legte die Hand auf die Sprechmuschel.

»Der amerikanische Präsident.«

Die beiden Männer kannten einander gut und verstanden sich auf persönlicher Ebene. Das ist nicht unerlässlich, aber äußerst hilfreich. Beide hatten elegante Frauen und junge Familien. Sie begrüßten einander und erkundigten sich nach dem beiderseitigen Befinden. Unsichtbare Techniker in London und Washington schnitten jedes Wort mit.

»David, ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«

»Bitten Sie.«

Der Präsident brauchte nicht mehr als fünf Sätze. Es war ein merkwürdiges Ersuchen, und der Premier war überrascht. Der Telefonlautsprecher war eingeschaltet, und der Kabinettssekretär, der oberste Beamte des Landes, sah seinen Chef misstrauisch an. Bürokraten hassen Überraschungen. Immer waren mögliche Konsequenzen zu bedenken. Pathfinder in einem fremden Land abzusetzen, konnte als kriegerischer Akt aufgefasst werden. Aber wer regierte denn in der somalischen Wildnis? Niemand, der die Bezeichnung Regierung verdiente. Er wackelte mahnend mit dem Zeigefinger.

»Ich muss mit unseren Leuten reden. Ich melde mich in zwanzig Minuten wieder. Ehrenwort.«

»Das könnte sehr gefährlich werden, Prime Minister«, sagte der Kabinettssekretär. Nicht für die beteiligten Männer, wollte er sagen, sondern was die internationalen Auswirkungen betraf.

»Verbinden Sie mich nacheinander mit dem Verteidigungsstabschef und mit dem Direktor Six.«

Der Militär war der Erste.

»Ja«, sagte er, »ich kenne das Problem, und ich weiß von dem Ersuchen. Will Chamney hat mir vor einer Stunde berichtet.«

Er ging davon aus, dass der Premierminister den Direktor der Special Forces kannte.

»Und, können wir es machen?«

»Natürlich. Vorausgesetzt, sie werden verdammt präzise gebrieft, bevor sie reingehen. Das ist Sache der Cousins. Aber wenn sie eine Drohne über dem Gebiet haben, sollten sie ihr Ziel glasklar erkennen können.«

»Wo sind die Pathfinder jetzt?«

»Über dem Jemen. Zwei Stunden von der amerikanischen Basis in Dschibuti entfernt. Da werden sie landen und auftanken. Bei der Gelegenheit werden sie umfassend gebrieft. Wenn der junge Offizier, der das Kommando hat, damit zufrieden ist, wird er Will in Albany Barracks informieren und um grünes Licht bitten. Grünes Licht kann aber nur von Ihnen kommen, Prime Minister.«

»Das kann ich Ihnen innerhalb der nächsten Stunde geben. Das heißt, ich kann die politische Entscheidung treffen. Die technische Seite liegt bei Ihnen, den Profis. Ich habe noch zwei Telefonate zu erledigen, und dann melde ich mich wieder.«

Der Mann vom SIS – vom MI6 oder kurz »SIX« –, den er an den Apparat bekam, war nicht der Direktor, sondern Adrian Herbert.

»Der Chief ist außer Landes, Prime Minister. Aber ich arbeite seit ein paar Monaten mit unseren Freunden an diesem Fall. Wie kann ich helfen?«

»Sie wissen, was die Amerikaner wollen? Sie wollen eine Pathfinder-Einheit von uns ausborgen.«

»Ja«, sagte Herbert, »das weiß ich.«

»Woher?«

»Unsere Lauschaktivitäten sind umfangreich, Prime Minister.«

»Wussten Sie, dass die Amerikaner keine Rakete einsetzen können, weil sich ein westlicher Agent im Gefolge dieses Mistkerls aufhält?«

»Ja.«

»Ist es einer von unseren?«

»Nein.«

»Gibt es sonst etwas, das ich wissen sollte?«

»Bei Sonnenuntergang wird wahrscheinlich auch noch ein schwedischer Offizier der Handelsmarine, eine Geisel, in seiner unmittelbaren Umgebung sein.«

»Woher, zum Teufel, wissen wir das?«

»Es ist unser Job, so etwas zu wissen, Prime Minister«, sagte Herbert und nahm sich vor, Mrs. Bulstrode einen Bonus zu spendieren.

»Ist es denn machbar? Beide Männer herauszuholen? Und die Zielperson zu eliminieren?«

»Das ist eine Frage an das Militär. Solche Dinge überlassen wir denen.«

Der britische Premierminister wäre kein Politiker gewesen, wenn er keinen scharfen Blick für Vorteile gehabt hätte. Wenn britische Pathfinder einen schwedischen Schiffsoffizier dort herausholen könnten, würden die Schweden ziemlich dankbar sein. Die Wertschätzung könnte bis hinauf zu König Carl Gustaf reichen, und der könnte es Königin Elizabeth gegenüber erwähnen. Das würde nichts schaden. Überhaupt nichts.

»Ich gebe grünes Licht, vorausgesetzt, das Militär hält die Sache für durchführbar«, teilte er dem Verteidigungsstabschef zehn Minuten später mit. Dann rief er noch einmal im Oval Office an.

»Ich bin einverstanden«, sagte er zum Präsidenten. »Wenn die Militärs sagen, es ist machbar, können Sie die Pathfinder haben.«

»Danke«, sagte der Mann im Weißen Haus. »Ich werde es nicht vergessen.«

In London und Washington wurden Telefonhörer aufgelegt, und unterdessen erreichte der zweistrahlige Grumman-Jet den ägyptischen Luftraum. Wenn Ägypten und der Sudan überflogen wären, würde der Anflug auf Dschibuti beginnen.

Draußen, in 33 000 Fuß Höhe, war der Himmel noch blau, aber die Sonne stand wie ein roter Feuerball über dem westlichen Horizont. In Somalia und in Bodenhöhe würde sie jetzt untergehen. Aus dem Kopfhörer des Spürhunds kam die Stimme aus Tampa.

»Sie haben haltgemacht, Colonel. Der Technical steht in einem winzigen Dorf, meilenweit von allem anderen entfernt auf einer Linie zwischen der Küste und der äthiopischen Grenze. Es ist nur eine Ansammlung von einem Dutzend, vielleicht zwanzig Lehmziegelhäusern mit ein paar struppigen Bäumen und einem Ziegenpferch. Wir haben nicht mal einen Namen dafür.«

»Sind Sie sicher, dass sie nicht weiterfahren?«

»Sieht nicht danach aus, nein. Sie sind ausgestiegen und strecken sich. Ich zoome hinunter. Jetzt sehe ich eine der Zielpersonen im Gespräch mit zwei Dorfbewohnern. Und den Mann mit der roten Baseballkappe. Er nimmt sie ab. Halt, da kommen zwei Technicals von Norden herunter. Und die Sonne wird gleich untergehen.«

»Ermitteln Sie die GPS-Koordinaten des Dorfes. Und bevor Sie auf Infrarot schalten, machen Sie mir mit dem letzten Tageslicht eine Serie von Fotos in unterschiedlichem Maßstab und aus möglichst vielen Blickwinkeln. Schicken Sie sie an die Kommunikationsstelle der Basis in Dschibuti.«

»Wird gemacht, Sir.«

Der Kopilot kam aus dem Cockpit nach hinten.

»Colonel, wir haben einen Funkspruch von Dschibuti Control erhalten. Eine britische C-130 Hercules der RAF ist soeben aus Oman gelandet.«

»Dschibuti soll gut für sie sorgen und die Hercules auftanken Sagen Sie den Briten, ich bin gleich da. Wann werden wir landen?«

»Wir haben gerade Kairo hinter uns gelassen, Sir. Noch ungefähr neunzig Minuten bis zu Landung.«

Draußen ging die Sonne unter. Wenige Minuten später verschwanden der Südsudan, das östliche Äthiopien und ganz Somalia in einer mondlosen Nacht.