21

Der hapanische leichte Frachter glitt sanft in die Dunkelheit des Hyperraums, und die vier Jedi lehnten sich für die Reise zurück. Obwohl dieser Flug nach Gallinore auf Jainas Anregung hin stattfand, saß Kyp Durron auf dem Pilotensitz.

Das stellte ein Rätsel für ihn dar, denn seiner Beobachtung nach war es für Jaina ungewöhnlich, sich unterzuordnen. Sie schien mit dem Platz des Kopiloten zufrieden, und bisher hatte sie über die Schulter schon eine Reihe fröhlicher Bemerkungen mit Lowbacca und Tenel Ka gewechselt. Trotz aller Bemühungen gelang es Kyp nicht, die Schilde zu durchdringen, auf die er direkt unter Jainas gut gelaunter Fassade stieß − eine Tatsache, die ihn nur noch neugieriger machte. Wenige Jedi konnten mit seiner schieren Willenskraft mithalten, und dennoch vermochte diese Achtzehnjährige ihn aus ihrem Innenleben auszuschließen.

Da die Macht kaum eine Hilfe darstellte, Jainas Schilde zu durchbrechen, besann sich Kyp auf andere Methoden. »Bestimmt hast du unseren Ausflug mit Colonel Fei abgestimmt, ja?«

Zum ersten Mal bemerkte er einen Riss in Jainas Fassade. »Ich brauche seine Erlaubnis nicht.«

»Vielleicht du nicht, aber technisch gesehen brauche ich sie.«

»Wieso?«, gab sie zurück. »Wann hast du schon mal jemand anderem gehorcht als dir selbst?«

Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Halt doch nicht hinterm Berg, Jaina. Irgendwann musst du auch mal lernen, einige Dinge von dir preiszugeben.«

Darauf schnaubte sie nur verächtlich. »Jag Fei ist ein unabhängiger Aufklärungsflieger, der locker mit den Chiss in Verbindung steht. Er braucht Piloten, und du hast dich bereit erklärt, mit ihm zu fliegen. Das ist alles.

Warum solltest du ihm Gehorsam schuldig sein? Du bist ein Jedi-Meister und Anführer einer unabhängigen Staffel.«

»Deren Mitglieder allesamt tot sind«, sagte er trocken. Jaina verstummte. Nach einigen Momenten fuhr sie fort: »Du hast wirklich ein Talent dafür, andere dazu zu bringen, den Mund zu halten.«

»Diese Fähigkeit habe ich erlernt«, antwortete er. »Wenn man jemanden ausreichend lange reizt, bekommt man viel Gerede zu hören. Hin und wieder ist es auch ganz praktisch, jemanden zum Schweigen zu bringen.«

»Gehört diese Fähigkeit auch zu denen, die du mir beibringen willst?«

Kyp drehte sich zu der jungen Jedi um. Sie sah ihn stur an, ihre braunen Augen gaben nichts preis. »Denkst du über mein Angebot nach? Möchtest du wirklich meine Schülerin werden?«

»Vielleicht. Ist die Stelle noch frei? Oder war sie das je?«

Er schaute zurück in die kleine Passagierkabine. Lowbacca beschäftigte sich intensiv mit einem mechanischen Gerät, und Tenel Ka hatte sich in eine große Datenkarte vertieft. Was sie da auch lesen mochte, ihr Gesicht wirkte noch ernster als gewöhnlich. Ihr anderer »Passagier« war nicht in der Verfassung zuzuhören, sogar wenn er nicht im Frachtraum beim Gepäck untergebracht gewesen wäre.

»Als ich dir das Angebot gemacht habe, wollte ich dich vor allem aus dem Konzept bringen«, gab er zu. »Du kanntest die Geschichten über mich, und du hast einige meiner Streits mit Meister Skywalker mitbekommen. Demnach standest du mir misstrauisch gegenüber. Es ist viel schwieriger, jemanden abzulehnen, wenn man ihn, sei es auch nur unterbewusst, als möglichen Lehrer betrachtet.«

Sie nickte und war durch diese offenen Worte nicht beleidigt. »Das habe ich mir schon gedacht. Mir gefällt es immer noch nicht, auf diese Weise manipuliert worden zu sein, aber es war eine gute Strategie. Als du mir eingeredet hast, bei dem unfertigen Weltschiff der Yuuzhan Vong handele es sich um eine Superwaffe, ging diese Behauptung durch die gleichen Filter, die ich für die Worte anderer Jedi-Meister reserviert habe. Ohne das hätte ich vielleicht deine wahren Absichten durchschaut.«

Aus irgendeinem Grund wurde Kyp angesichts der Bewunderung in ihrer Stimme wachsam. »Und mit diesem Wissen könntest du mir noch als Meister vertrauen?«

Als Antwort blickte sie nach hinten zum Frachtraum, wo ihr unfreiwilliger Passagier lag. »Ich habe dir gestern Abend vertraut.«

»Ja«, sagte er trocken. »Über die Sache müssen wir uns unterhalten.«

»Machen wir«, gab sie zurück. »Im Augenblick wäre es vielleicht besser, wenn du davon Abstand nimmst. Der Name meiner Familie und meine Verbindung zum Renegaten-Geschwader haben dir geholfen, diesen Angriff auf die Vong Werften von Sernpidal zu starten. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber dein Name und dein Ruf würden mein gegenwärtiges Projekt wohl kaum in gleichem Maße fördern.«

Diese Erklärung ließ Kyp mitleidig kichern, trotzdem stachelte es ihn zu einem Gegenangriff an. »Warum hast du dann nicht eine Datei aus meinen Datenbanken genommen? Jag Feis hervorragender Ruf hätte diesem mysteriösen Unternehmen möglicherweise ein wenig Glanz verliehen.«

Das leicht spöttische Funkeln in Jainas Augen erstarb, doch ihr Lächeln hielt sich. »Vielleicht möchte er diesen Ruf nicht dadurch gefährden, dass er mit einem heruntergekommenen Rebellen in Verbindung gebracht wird«, sagte sie geringschätzig.

Kyp spürte Wahrheit hinter ihren Worten, und plötzlich sah er Jaina mit anderen Augen. Bisher hatte er das älteste Solo-Kind als eine Jedi-Prinzessin betrachtet − nicht gerade verzogen und sicherlich auch an schwere Arbeit und die Härten des Lebens gewöhnt, doch in der glücklichen Lage, eine liebevolle Familie, ein enormes Talent, eine gute Ausbildung und eine komfortable Existenz zu haben. Trotzdem ging Jaina davon aus, der Sohn von Baron Fei halte sie für ein wenig zwielichtig. Und seltsamerweise hatte sie vermutlich recht.

Noch eigenartiger, soweit es Kyp betraf, war der aufkeimende Verdacht, Jag Fei liege möglicherweise gar nicht so falsch. Vielleicht war dies die Erklärung für seine Unfähigkeit, Jainas mentale Schilde zu durchdringen. Die dunkle Seite war extrem schwierig wahrzunehmen und wer sollte das besser wissen als er. Er und Jaina waren sich unter Umständen allen Unterschieden der Herkunft und des früheren Lebens zum Trotz ähnlicher, als er für möglich gehalten hätte. Die meisten Jedi waren bereit, ihr Leben zu riskieren. Er und Jaina setzten allerdings weitaus mehr aufs Spiel.

Jaina beugte sich zu ihm hinüber und wedelte mit der Hand vor seinen Augen herum. »Kopilot an Kyp Durron. Melden Sie sich, Jedi-Rebell.«

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie und schenkte ihr ein, wie er hoffte, aufmunterndes Lächeln. »Ich würde mir über die Meinung von Colonel Fei nicht so sehr den Kopf zerbrechen. Er ist ein exzellenter Pilot, und er kämpft in diesem Krieg, so gut er kann. Aber wie ich gern allen sage, die mir zuhören, und auch denen, die es nicht tun: Die Jedi müssen darüber hinausgehen.«

»Da bin ich mit dir einig. Schließlich habe ich schon vor langer Zeit gelernt, dass man ein Schiff nicht reparieren kann, ohne sich die Hände schmutzig zu machen«, sagte Jaina leise.

Einen Moment lang sahen sie sich in völliger Übereinstimmung an.

Eine leise Stimme in Kyps Hinterkopf warnte ihn, er habe es hier mit Han Solos Tochter zu tun, und erinnerte ihn an die großen Schulden, die er bei seinem alten Freund hatte, und an das, was er außerdem noch Luke schuldete. Was er mit Jaina vorhatte, würde ihm als weiterer Verrat angekreidet werden, und diesmal würde man ihm nicht mehr verzeihen.

Kyp begriff sehr wohl die Gefahren des Wegs, den er eingeschlagen hatte, und er wusste, Jainas Kapitulation sollte ihm Sorgen bereiten. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, begrüßte er ihr Abweichen vom konventionellen Denken der Jedi.

Anakin war tot, und mit ihm hatte sich Kyps größte Hoffnung auf ein neues und weiter gefasstes Verständnis der Macht verflüchtigt. Vielleicht wäre nun Jaina diejenige mit der großen Vision. Er hatte beobachtet, wie sie stets automatisch das Kommando übernahm, wie die anderen Jedi ihr voller Vertrauen folgten. Möglicherweise verfügte sie über die Kraft und die Glaubwürdigkeit, um die Jedi aus ihrer Selbstgefälligkeit zu reißen. Und wenn nicht, würden zumindest zwei Jedi die Gewissheit haben, dass sie alles gegeben und alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgenutzt hatten, ohne Rücksicht auf den Preis zu nehmen, den sie persönlich dafür zahlen mussten.

Für Kyp war dies die Pflicht eines wahrhaften Wächters.

Das für seine Regenbogenedelsteine berühmte Gallinore war eine grüne Welt mit einer vielfältigen Fauna und Flora. Die Regenbogenedelsteine, Lebewesen, die Jahrtausende brauchen, um zur Reife heranzuwachsen, stellten nur eines der großen Wunder dar, die man auf den Feldern und in den Wäldern fand. Und viele dieser Lebewesen waren in den Laboratorien der einzigen Stadt des Planeten entstanden.

Während Tenel Ka sich zu Gesprächen mit den Offiziellen der Stadt aufmachte und Kyp die Wache über ihr »Gepäck« übernahm, suchten Jaina und Lowbacca den ausgedehnten Forschungskomplex auf. Mithilfe von Ta’a Chumes Empfehlungsschreiben erhielten sie uneingeschränkte Unterstützung und Zugang zu der Einrichtung. Schon bald darauf saß Lowbacca vor einem Terminal und ließ die fellbewachsenen Finger fliegen, während er die Forschungsberichte von Gallinore sichtete und nach allem suchte, das eine Verbindung zwischen für ihn und Jaina verständlichen Technologien und den Geheimnissen der Trickster, des gestohlenen Yuuzhan-Vong-Schiffes, darstellen könnte. Jaina wandte sich an die Technikerin, die dem Wookiee über die Schulter schaute. »Ich muss mit Sinsor Khal sprechen. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?« Ein seltsamer Ausdruck huschte über das Gesicht der jungen Frau, doch zog sie ein Komlink hervor und gab Jainas Anliegen weiter. Augenblicke später traf eine bewaffnete Eskorte ein und führte sie durch ein Labyrinth weißer Gänge. Vor einer großen Tür ließ man sie mit einem Wink auf das Handflächenlesegerät neben dem Eingang allein.

Jaina zuckte mit den Schultern und legte ihre Hand auf das Gerät. Die Tür schob sich kreisförmig auseinander. Hinter ihr schlug sie mit einem lauten Knall wie eine Gefängnistür wieder zu.

Die Jedi betrat einen großen Raum, der mit so viel technischer Ausrüstung in solcher Unordnung voll gestellt war, dass Jaina sich im ersten Moment wie auf einem großen Schiff nach einer Kollision vorkam. Sie schlich durch den Raum und schaute sich vorsichtig um, als befinde sie sich auf einem Schlachtfeld. Als sie alles erfahren hatte, was sie wissen musste, verließ sie den Raum auf gleichem Weg, ging durch die Korridore zurück und machte sich auf den Weg zu ihrem Schiff. Rasch beschrieb sie die Situation Kyp. Er hörte aufmerksam und mit unergründlicher Miene zu. Als sie ihren Vorschlag beendete, blinzelte er. »Du hast mich gefragt, ob ich deine Schülerin sein möchte. Jetzt geht es also los.«

»Das ist demnach dein Preis«, meinte er. »Du hast eine hohe Meinung von deinem Wert.« Jaina breitete beide Hände aus. »Ich bin die Letzte der Solo-Kinder. Das muss doch etwas wert sein. Willst du mich oder nicht?« Eine Weile lang starrten sich die beiden Jedi an. »Du weißt, wir könnten niemals mit jemandem darüber reden«, sagte Kyp.

»Wem sollte ich es schon erzählen?«, fragte sie zurück. »Onkel Luke?«

Er senkte den Kopf und nickte langsam, sah ihr jedoch weiter in die Augen. »Also gut. Bringen wir es hinter uns.«

Zwei Stunden später stand Jaina wieder hinter Lowbacca, fast genauso wie zu dem Zeitpunkt, bevor sie gegangen war. Der Wookiee schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, und studierte dann den Monitor, als hätte er sich gerade erst mit dem System vertraut gemacht.

Die Zeit, die er damit verbracht hatte, alle Spuren von Jainas Abwesenheit auszulöschen, war vergessen.

Sie wandte sich an die Technikerin, die hinter ihnen stand. »Ich müsste mit Sinsor Khal sprechen. Können Sie mir zeigen, wo ich ihn finde?«

Die Frau reagierte auf diese Frage mit der gleichen verwunderten Miene wie beim ersten Mal. Dank Kyp hatte sie keine Erinnerung mehr an die vorherige Unterhaltung.

Sie erteilte einen Befehl über Komlink, und mehrere bewaffnete Wachen kamen und begleiteten Jaina zum Raum des Wissenschaftlers. Diesmal gingen sie allerdings langsamer. Jaina vermutete, sie würden über die Blasen verwundert sein, die sie nach Schichtende an den Füßen entdecken würden.

Erneut wurde sie vor der Tür allein gelassen. Zum zweiten Mal an diesem Tag betrat Jaina den Arbeitsraum des Wissenschaftlers.

Ein großer Mann mit rotblondem Bart und einem roten Laborkittel trat ihr entgegen und strahlte sie an. »Leutnant Solo! Das Objekt ist bereit. Kommen Sie mit. Wir wollen sofort anfangen.«

Sie folgte Sinsor Khal durch ein anscheinend wahlloses Labyrinth von Tischen und Computern zu einer glänzenden Versuchsanordnung aus Metall, einem großen Tisch, der von schmalen Rinnen umgeben war, die zu einem Abfluss führten. Der gefangene Pirat war bereits bäuchlings auf den Tisch geschnallt. Jaina zwang sich, nicht an den Transfer zu denken, oder daran, was dieser sie gekostet hatte. Wie Kyp schon angemerkt hatte, würden sie darüber niemals sprechen können.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erfreut ich bin, mich endlich einmal mit dieser neuen Biotechnologie befassen zu können. Schauen wir doch mal, was wir hier haben.«

Rasch trat er zu dem Piraten und nahm ein kleines Lasergerät zur Hand. Mit einem geschickten Schnitt entfernte er das Korallending und ließ es in eine kleine Laborflasche fallen.

»Wir werden Tests mit dem Lebewesen selbst durchführen, und auch mit dem Wirt. Bluttests, Gewebeproben, Gehirnwellen − das wird Ihnen alles in Kürze zur Verfügung stehen.«

Der Wissenschaftler begann mit der Arbeit und vergaß darüber anscheinend ihre Anwesenheit. Jaina stand daneben und sah ohne Protest zu, wie Sinsor Proben nahm und die gewonnenen Informationen in den Zentralcomputer lud.

»Interessant«, sagte er grübelnd und starrte auf den Monitor. »Höchst interessant.«

Jaina stellte sich hinter ihn. Der Computer zeigte mehrere Zahlenreihen und ein animiertes Bild, das sie an einen Schwarm dagobahnischer Froschkaulquappen mit Eihülle erinnerte.

»Das ist eine einzelne Zelle, die ich aus der Nebenniere entnommen habe. Sehen Sie die kleinen, beweglichen schwarzen Punkte? Sie sind genetisch mit dem Korallenwesen verwandt.«

»Es laicht?«

»So könnte man es ausdrücken. Korallenriffe sind Gemeinschaften von lebenden Organismen. Die Yuuzhan Vong haben diese Gemeinschaften veredelt und zu etwas organisiert, das wie ein einziges Lebewesen funktioniert. Offensichtlich kann sich die Koralle reproduzieren und mikroskopische Nachkommen durch das Blut in alle Zellen schicken.«

»Aber wie kommuniziert das Implantat mit diesen Nachkommen?«

Der Wissenschaftler tippte auf den Bildschirm. Das Bild verschwand, und ein Strom von Symbolen zog vorüber. »Das ist die Gensequenz der Nachkommen, die ich im Blut gefunden habe. Ich werde sie mit denen aus anderen Teilen des Wirtskörpers vergleichen. Wenn meine Vermutung stimmt, unterscheiden sich diese Organismen alle leicht, abhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort − Blut, Nerven, Milz und so weiter. Und ich denke, wenn sie sich ausbreiten, verleiben sie sich ihren Wirt ein. Jeder Impuls, der an die zentrale Koralleneinheit geschickt wird, geht durch den gesamten Wirt. An diesem Punkt ist es überwiegend eine Frage der Philosophie, wo der eine Organismus anfängt und der andere aufhört.«

Jaina nickte langsam, während sie zuhörte. »Wenn Sie eines dieser Implantate verändern wollten, wie würden Sie da vorgehen?«

»Wir würden den genetischen Kode dieser Nachfahren untersuchen und dann entscheiden, welche Elemente natürlich vorkommen und welche implantiert erscheinen. Diese Ergänzungen oder Veränderungen bilden den fruchtbarsten Boden für Anpassungen.«

Jaina schnitt eine Grimasse. »Und wie viele Jahre würde das dauern?«

Sinsor wirkte beleidigt. »Sie wären überrascht, wie auffällig diese kleinen Nahtstellen für das geübte Auge sind. Unsere Computer sind fortschrittlich und wesentlich schneller als alles, was den sogenannten Wissenschaftlern der Neuen Republik zur Verfügung steht.«

»Sie glauben, Sie könnten einen dieser Organismen verändern?«

»Da bin ich ganz zuversichtlich. Kommen Sie morgen Früh wieder, dann sollten wir in der Lage sein, mit der nächsten Generation herumzuspielen.« Jaina nickte und ging durch den überfüllten Arbeitsraum zur Tür. Das Handflächenlesegerät auf dieser Seite öffnete die Tür nicht sofort, sondern leitete ihre Bitte an die zentrale Kontrolle weiter. Eine metallische Stimme versicherte ihr, in Kürze würde eine Eskorte für sie eintreffen, und so stellte sie sich darauf ein zu warten. Offensichtlich befand sich Sinsor Khal unter einer Art Hausarrest. Nachdem sie ihn bei der Arbeit beobachtet hatte, vermutete Jaina, dass seine Missachtung für das Wohlergehen seiner Forschungsobjekte ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte. Auf der anderen Seite bot dieses Halbgefängnis einen perfekten Raum für unerlaubte Experimente.

Sie fragte sich, was der nächste Morgen bringen würde. Ohne Zweifel würde es eine Möglichkeit geben, dem manipulierten Organismus ihren Willen aufzuzwingen − und auch allen zukünftigen Empfängern. Das führte zu einer interessanten Frage: Die Geschöpfe der Yuuzhan Vong wurden von der Macht nicht berührt, und trotzdem konnten einige − zum Beispiel der Schimmererkristall in Anakins Lichtschwert − mithilfe einer Art Gedankenübertragung kommunizieren, manchmal auch mit Individuen, die machtsensitiv waren. Das widersprach aller Logik und allem, was Jaina über das Wesen der Macht wusste.

Sie spürte, wie nah sie einem neuen Verständnis war sie fühlte es, wie einen Schatten, den man nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt.

Daher schloss sie die Augen und ließ die Eindrücke auf sich einwirken. Das reiche Leben von Gallinore wogte wie eine stille Welle über sie hinweg. Die hellgrüne Musik des Waldes füllte ihre Sinne, und Antworten, die sie nicht ganz dechiffrieren konnte, mischten sich unter das Scharren der Insekten und den Gesang der Vögel.

Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Wenn die Antworten auf ihre Fragen dort draußen in der Wildnis zu suchen waren, kannte Jaina genau die Person, die sie vermutlich finden würde.

 

Der Pfad war ein schmaler Felssims, das an einer steilen Wand hing. Tenel Ka bewegte sich sicher voran und mit einer Anmut und Freude, die Jaina an einen fliehenden Vogel erinnerte. Tenel Ka hatte ihre Jedi-Robe gegen die kurze Kleidung aus Eidechsenhaut getauscht, die sie bevorzugte, und ihr rotgoldenes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten. Ihre Arme schlenkerten beim Gehen leicht hin und her, und von hinten sah man überhaupt nicht, dass ihr ein Unterarm fehlte. Der Weg verbreiterte sich zu einem kleinen, flachen Absatz, von dem aus man ein dicht bewaldetes Tal und die Berge dahinter überblicken konnte. Die Dathomiri blieb stehen und wartete, bis die anderen Jedi aufgeschlossen hatten. Jaina stöhnte nach den letzten Schritten und setzte sich auf einen großen Felsen. »Großartige Aussicht«, sagte sie zu Tenel Ka. »Das habe ich wirklich gebraucht.« Ihre Freundin nickte. »Wie wir alle. Wir haben uns in letzter Zeit viel zu wenig bewegt. Es ist schwierig, das Konditionsniveau aufrechtzuerhalten, das wir uns als Studenten antrainiert haben.«

Lowbacca kam gerade rechtzeitig angekeucht, um diese Bemerkung zu hören, und jaulte einen unwirschen Widerspruch.

»Du kannst morgen Früh wieder an den Computer zurück«, erklärte Jaina ihm.

Tenel Kas suchender Blick blieb auf einem nahen Berg liegen, und ihre Augen leuchteten auf. Sie zeigte über das Tal hinweg zu einem Felshang. »Wenn ihr genau hinseht, bemerkt ihr die Höhlenöffnung. Seht ihr die bunten Lichtblitze?«

Jaina schirmte die Augen mit einer Hand ab und blinzelte. »Was ist das?«

»Wir nennen sie Feuerdrachen. Es sind sehr große Fluginsekten, die farbiges Licht aussenden, dazu Hitze und Energiefunken. Im Dunkeln sind ihre Muster ziemlich beeindruckend und sehr schön. Die Sonne geht bald unter. Bald werden sie ihre Verstecke verlassen.«

Lowbacca schaute zur untergehenden Sonne und knurrte.

»Ich verstehe nicht, wieso wir nicht bleiben können«, erwiderte Jaina. »Sicherlich ist der Weg steil, aber es ist der gleiche wie auf dem Hinweg.«

»Ich bin diesen Pfad schon oft gegangen. Man kann ihm leicht folgen, und der Anblick ist wirklich sehenswert«, sagte Tenel Ka. »Als ich ein Kind war, hat man versucht, die Feuerdrachen nach Hapes zu bringen, doch sie konnten sich auf anderen Welten nicht eingewöhnen.«

Ihr Lächeln nahm eine gewisse Schärfe an. »Meine Großmutter duldete keinen Widerstand, nicht einmal von der Natur selbst. Ich kann mich an Festbeleuchtungen erinnern, künstliche Schauspiele, die mithilfe von Geräten und Chemie versuchten, die Feuerdrachen nachzuahmen. Aber es war nicht dasselbe.«

»Wir bleiben«, sagte Jaina und sah den Wookiee an.

Lowbacca grunzte zustimmend, und die beiden anderen ließen sich ebenfalls nieder.

Die Nacht senkte sich rasch über die Berge, und die Feuerdrachen kamen aus ihren Höhlen. Bald hatte sich ein ganzer Schwarm versammelt, der elegant seine Kreise zog. Die vielfarbigen Lichter zogen Spuren durch die zunehmende Dunkelheit.

Die Jedi betrachteten fasziniert das Schauspiel. Tenel Ka strahlte eine wehmütige Zufriedenheit aus.

»Wir sollten uns auf den Rückweg machen, ehe es ganz dunkel ist«, sagte sie widerwillig und erhob sich.

Also stiegen sie den Pfad wieder hinunter und blickten von Zeit zu Zeit ins Tal, wo die Feuerdrachen ihren Flug fortsetzten. Die Insekten waren ausgeschwärmt, überall blinkten ihre Lichter.

»Sie jagen«, erklärte Tenel Ka. »Die kurzen Blitze sind offensichtlich ein Signal, mit dem die anderen gerufen werden.«

Jaina drehte sich um und beobachtete die Feuerdrachen. Dabei stolperte sie über einen lockeren Stein und wäre gestürzt, hätte Lowbacca sie nicht am Arm gepackt.

Er warnte sie mit einem scharfen Knurren.

»Ich habe hingeschaut«, gab sie zurück. »Aber nicht mit der Macht, also hast du wohl recht …«

Sie verstummte, als sie die Umgebung mit ihren Sinnen erkundete. Da kündigte sich Gefahr an.

Sie langte nach dem Lichtschwert und fuhr in Richtung Bergspitze herum. Auf leisen Schwingen glitten riesige Wesen auf sie zu. Jaina erschienen sie wie ein dunkler Wind und ein blendender Blitz.

Sie hob das Lichtschwert, um den Angriff abzuwehren. Dabei drehte sie sich, um ihrem Hieb mehr Wucht zu verleihen, und die violette Klinge durchtrennte den herabkommenden Blitz.

Das änderte die Richtung des Angreifers, und das riesige Insekt torkelte durch die Luft, krachte auf den Pfad und taumelte auf Tenel Ka zu. Die Kriegerin sprang über das Tier hinweg und hatte das türkisfarbene Lichtschwert gezündet, ehe sie wieder auf den Füßen landete.

Instinktiv duckte sich Jaina und schlug nach oben. Ein riesiger, hauchdünner Flügel umschlang sie wie ein Schleier, und das Wesen, das ihn verloren hatte, flog gegen die Bergwand. Es prallte ab und stürzte dann den Hang hinunter. Buntes Licht spritzte auf wie Funken aus einem durchtrennten Stromkabel.

Jaina befreite sich von dem Flügel und ging in Kampfstellung. Erneut erkundete sie die Umgebung mit den Sinnen. Bei dem »Blitz« des ersten Angriffs handelte es sich um den abgetrennten Rüssel eines Feuerdrachen.

Diese Tiere ähnelten den Blut saugenden Insekten, die sie schon in den Sümpfen Dutzender Welten gesehen hatte, besaßen aber eine Größe, die sie nie für möglich gehalten hätte.

Tenel Ka schaltete ihr Lichtschwert ab. »Dunkelheit«, riet sie. »Das Licht zieht vielleicht andere an.«

Der Wookiee stapfte heran und knurrte Tenel Ka an.

»Von solchem Verhalten habe ich noch nie gehört. Sie jagen in Rudeln, und es heißt, sie sind sehr schlau.«

»Das müssen sie auch sein, um eine Ablenkung zu planen«, sagte Jaina. Sie blickte hinaus ins Tal. Das Blitzen der jagenden Insekten erhellte den Himmel.

Tenel Ka schaute ebenfalls zu den Lichtern. »Dass sie zu einem Hinterhalt fähig sind, hätte ich nicht gedacht.« Plötzlich kam Jaina die Erleuchtung, und schnell nahm ein Plan Gestalt an. Tenel Ka warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Ich habe gerade über Schlachttaktiken nachgedacht«, erklärte Jaina. »Den Feind zu unterschätzen ist ein häufiger Fehler. Jedi erwarten es nicht, von Käfern überlistet zu werden.«

»Fakt«, stimmte Tenel Ka trübselig zu. Und die Yuuzhan Vong erwarten nicht, von »Ungläubigen« überlistet zu werden, fügte Jaina im Stillen hinzu. Sie würden den Yuuzhan Vong genau das liefern, was sie erwarteten, und dann würden sie sich aus der Dunkelheit wie die jagenden Feuerdrachen auf sie stürzen.