26

Nach der Zeremonie nahm Ta’a Chume Jaina für ein persönliches Gespräch zur Seite.

»Sie haben Hervorragendes geleistet, aber die Yuuzhan Vong werden zurückkommen. Es ist Zeit, dass Sie meine Pläne erfahren. Ich möchte, dass Teneniel Djo nicht mehr auf dem Thron sitzt und dass Isolder eine Königin heiratet, die fähig ist, in Kriegszeiten zu regieren.«

Jaina zuckte mit den Schultern. »Solange Sie mich nicht auffordern wollen, Teneniel Djo beim Packen zu helfen, habe ich keine Ahnung, warum Sie mir dies erzählen.«

Die alte Königin warf ihr einen durchtriebenen Seitenblick zu. »Ich habe oft gedacht, wie frustrierend es sein muss, stets im Schatten einer so berühmten Mutter zu stehen.«

»Der Torpedo wurde abgefeuert, aber es ist kein Ziel in Sicht«, meinte Jaina.

»Das Ziel liegt offen vor Ihnen. Es ist eine ganz allgemeine Sorge um junge Frauen in Ihrer Lage.«

»Sicherlich denkt man manchmal über solche Dinge nach, doch der Krieg lässt doch die Angst vorm Erwachsenwerden ziemlich kleinlich aussehen.«

»Aber Kleinlichkeit endet nicht im Erwachsenwerden«, fuhr Ta’a Chume fort. »Ohne Zweifel haben Sie bemerkt, wie feindselig sich Tenel Ka in letzter Zeit Ihnen gegenüber verhält.«

»Wir haben Differenzen. Unter den Jedi gibt es eine Menge Bewegung.«

»Wann genau hat meine Enkelin denn angefangen, sich Sorgen über Ihre Philosophie zu machen? Nein, Tenel Ka hat einfach Angst, von jemandem verdrängt zu werden, der würdiger ist.«

Jaina massierte sich mit beiden Händen die Schläfen und war ein wenig benommen von diesem irrealen Gespräch. »Von jemandem wie meiner Mutter, nehme ich an. Wollen Sie mich darauf vorbereiten? Falls das so ist, kann ich der Logik nicht folgen. Anstelle von Prinzessin Leias Tochter, wäre ich dann die Thronfolgerin von Königin Leia. Damit trete ich nicht gerade aus ihrem Schatten, wenn Sie sich deswegen Sorgen machen.« Die Königin lächelte wie ein Sabacc-Spieler, der kurz davor steht, ein Siegerblatt auf den Tisch zu legen. »Sie verstehen mich falsch, meine Liebe. In diesen brutalen Zeiten braucht Hapes eine Kriegerin als Königin − nicht Teneniel, nicht Tenel Ka, nicht Prinzessin Leia. Eine Königin, die versucht, den Feind zu verstehen, und es wagt, ihn verwegen anzugreifen.« Der Sinn ihrer Worte traf Jaina wie ein Yuuzhan-Vong-Knallkäfer. Unerklärlicherweise begann sie zu kichern. »Ich kann mir vorstellen, wie mein Vater auf diesen Vorschlag reagiert hat. Wir sprechen übrigens über Han Solo − und ich bin jetzt eigentlich überrascht, dass Ihre Gesandten ihn nicht in Notwehr töten mussten!«

»Das ist eine ernste Angelegenheit«, beharrte Ta’a Chume.

Nur unter Schwierigkeiten gelang es Jaina, ihre Miene zu beherrschen. »Das verstehe ich wohl. Ich möchte Sie nicht beleidigen − ehrlich, allein der Vorschlag ist eine riesige Ehre. Aber ich bin nicht interessiert.«

»Warum nicht?«

»Warum nicht? Erstens bin ich zu jung.«

»Unfug. Sie sind achtzehn, und in diesem Alter hat Ihre Mutter ihr Herz einem älteren Mann geschenkt.«

»Wo wir gerade von meinem Vater sprechen, wie viele Tage haben Ihre Gesandten in einem Bacta-Tank verbracht?«, fragte sie spitz.

»Ich bin sicher, er wird sich wieder beruhigen. Er ist ein vernünftiger Mann.«

»Das hat ihm noch nie jemand nachgesagt«, gab Jaina zurück. »Aber darum geht es auch eigentlich gar nicht. Ich kenne mich mit den hapanischen Gebräuchen nicht aus, doch wird mir niemand vorschreiben, wen ich zu heiraten habe. Nicht meine Eltern und nicht meine Freunde.«

»Und ich auch nicht«, endete Ta’a Chume mit einem schwachen Lächeln. »Denken Sie wenigstens darüber nach.«

Jaina versprach, das zu tun, und suchte nach Jag Fei, um ihn über diese Prügelei auszufragen, die er zugunsten ihres Vaters beendet hatte.

Ihre ursprüngliche Sicherheit begann zu bröckeln. Sie hoffte, ihr Vater habe einfach nur vorhersagbar gehandelt, doch ihr Sensor für Gefahren löste ein Kribbeln aus.

Wenn er nun nicht »vernünftig reagiert« hatte? Wenn Teneniel Djo nicht einfach zur Seite trat? Wie weit würde Ta’a Chume gehen, um ihre Ziele zu verwirklichen?

Seit ihrer Landung auf Hapes war Jaina davon überzeugt gewesen, dass Ta’a Chume etwas mit ihr vorhatte.

So etwas wollte sie kaum von ihr annehmen, trotz allem, was sie von der älteren Frau wusste und bei ihr spürte.

Jag konnte sie nirgendwo auftreiben, obwohl sie schließlich sein Schiff in einem besonders unauffälligen Winkel des Stadthafens fand. Niemand hatte ihn gesehen.

Kurz dachte sie nach, dann nutzte sie die Macht, um ihn zu finden. Jacen hatte sich in tiefe Meditation versenkt, um Corran Horn nach dem Angriff auf Yavin 4 zu entdecken, doch dies war niemals ihre Stärke gewesen, und sogar jene Jedi, die über ein besonderes Wahrnehmungsvermögen verfügten, hatten Schwierigkeiten, bestimmte Personen zu finden − solange sie jedenfalls nicht in einer tiefen Verbindung zu ihnen standen. Sie beschloss, die Antwort in einer Jedi-Trance zu suchen, und zog sich in die Stille ihres Zimmers im Palast zurück.

Während sie tief in Gedanken versank und sich dem Strom der Macht überließ, erhob sich ein Bild wie aus einem dunklen Nebel. Jaina sah ein kleines, schlankes Mädchen in einem braunen Fliegeroverall. Die Schultern des Mädchens waren vor Anspannung zusammengezogen, und es umklammerte ein unbekanntes Lichtschwert mit beiden Händen.

Jainas Herz machte einen Sprung, als sie sich selbst erkannte und den Kontext dieser Vision begriff. Und dann wurde sie tiefer hineingerissen, verlor die Distanz des Zuschauers und wurde Teil einer von der Macht inspirierten Erinnerung.

Eine große, schwarz gekleidete Gestalt trat auf sie zu und hielt das rote Lichtschwert zum Angriff bereit. Das Bild von Darth Vader löste nicht die Angst aus, die ihr niederträchtiger Großvater verdient hätte, sondern eine andere Form des Schreckens. Erneut durchlebte sie den Augenblick entsetzter Erkenntnis, dass sie einst gegen Jacen gekämpft hatte, der hinter einem Hologramm getarnt war. »Jacen?«, flüsterte sie.

Das Gespenst trat näher. Sie erhob sich widerwillig auf die Füße und schaltete die Klinge ein, die ihr die Meister der Schattenakademie gegeben hatten. Der Kampf brach auf dunklen Schwingen über sie herein, hart und schnell und erbittert. Jaina musste ihre sämtlichen Fertigkeiten aufwenden, um die Hiebe zu parieren und gleichzeitig keine Treffer zu landen. Angesichts von Jacens Begabung war dies eine schwierige Aufgabe.

Doch in dieser Vision war sie kein ausgebildeter Jedi-Ritter, sondern ein junges Mädchen, das eine Gruppe Dunkler Jedi seinem Zuhause entrissen hatte, um es ohne Training zu einem Kampf zu zwingen. Jaina focht nicht so, wie sie heute kämpfte, sondern so, wie sie damals dazu in der Lage gewesen war. Am Ende traf sie unabsichtlich ihren Gegner.

Der Dunkle Lord stolperte, ging zu Boden und umklammerte mit den behandschuhten Händen die rauchende Linie, die Jainas Lichtschwert über seine Kehle gezogen hatte.

Sie ließ die Waffe fallen und eilte zu ihrem Gegner, zog an seinem Helm und betete, sie möge darunter Darth Vaders Gesicht finden oder sogar ihr eigenes.

Die holographische Tarnung verblasste, und Jaina brach das Herz. Auf dem Boden lag ein schlaksiger Junge mit wuscheligem braunem Haar, in dessen blinden Augen sich Verwirrung spiegelte.

Jaina erhob sich auf die Beine und taumelte zurück.

Sie hatte ihren Bruder nicht getötet. Nein, hatte sie nicht.

Ihre eigene Tarnung verblasste nicht, also nahm sie ihren Helm vom Kopf. Das Visier öffnete sich von selbst.

Entsetzt ließ sie den Helm fallen und schaute zu, wie er auf Jacen zurollte. Dort blieb er liegen, und Kyp Durrons Gesicht starrte sie daraus an. Seine Lippen bewegten sich, doch konnte sie seine Worte nicht hören.

Sie schreckte aus der Vision und atmete heftig, als wäre sie gerade zwanzig Kilometer mit Tenel Ka gelaufen. Langsam wurde sie sich einer drängenden Stimme bewusst und drehte sich benommen zu ihr um. Beim Anblick von Kyp Durrons besorgter Miene schauderte sie.

»Du hast mich aus der Trance gerissen«, sagte sie.

»Warum?«

Er wippte auf den Hacken und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Vielleicht habe ich gespürt, was du durchmachst.«

Sie schüttelte die Hand ab und konnte doch die Vision und ihre offensichtliche Symbolik nicht loswerden.

Und in Kyps wachsamem Blick lag etwas Zwingendes, das zumindest dieses eine Mal nichts mit der Macht zu tun hatte.

»Ich habe mit der Macht nie solche Probleme wie Jacen und Anakin«, sagte sie langsam. »Sie haben über ihre wahre Natur diskutiert und sich bemüht zu verstehen, was es heißt, ein Jedi zu sein. Ich habe einfach immer nur das getan, was zu tun war. Bislang war mir das genug. Jetzt bin ich gezwungen, mir Fragen zu stellen und eine Entscheidung zu treffen.«

Sie erzählte Kyp von Ta’a Chumes Angebot. »Ich denke nicht ernsthaft darüber nach, aber es hat mich ins Grübeln gebracht. Die Königin agiert jenseits einer Grenze, die zu überschreiten ich nicht bereit bin.«

»Ich habe selbst schon ein paar Grenzen überschritten«, meinte Kyp. »Es ist nicht schwer − und die Welt bewegt sich trotzdem weiter.«

Sie lächelte schwach. »Darum geht es bei dieser Entscheidung: Ich kann mich jetzt zurückziehen, oder ich kann weitermachen und diese Offensive so weit treiben, wie sie mich trägt.«

Kyp musterte sie. »Du wirst weitermachen, gleichgültig, wie hoch der Preis dafür ist.«

»Ich sehe keine andere Möglichkeit«, sagte sie und zuckte hilflos mit den Schultern. So, wie sie die Sache betrachtete, würde eine Jedi bereitwillig im Dienst gegen das Böse ihr Leben geben. Konnte sie nun angesichts der Bedrohung durch die Yuuzhan Vong vor diesem dunkleren, größeren Opfer zurückschrecken?

»Hast du die Antworten gefunden, nach denen du gesucht hast?«, fragte Kyp.

Jaina wollte schon Nein sagen, als in ihr eine kurze intensive Vision aufstieg − das Bild eines winzigen Jag, der im Gewirr der Schaltkreise eines X-Flüglers gefangen ist.

Das mentale Bild verschwand so rasch, wie es gekommen war, und brachte Jaina zu zwei erschreckenden Gewissheiten: Erstens folgten die äußeren Ränder des »Labyrinths« tatsächlich dem Muster der unteren Palastebenen. Doch noch mehr entsetzte es sie, dass sie Jag durch die Macht spüren konnte.

Das hätte nicht möglich sein sollen in Anbetracht der ihr eigenen Talente. Sie konnte nicht einmal eine Verbindung zu ihrem Zwillingsbruder herstellen. Jacens Tod hatte sie nur durch den kollektiven Schmerz mehrerer Jedi gespürt. Wohingegen Tenel Ka …

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Sie spürte Jag Fei aus demselben Grunde durch die Macht, weshalb Tenel Ka so offen für Jacen gewesen war. Die Verbindung war unbeobachtet gewachsen. Oder vielleicht war sie stets da gewesen.

Kyp nahm Jaina an den Schultern. »Was ist jetzt?«, wollte er wissen und schüttelte sie leicht.

Ohne zu antworten riss sie sich los und rannte in die Richtung davon, welche die Vision ihr gewiesen hatte.