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Jaina hielt den Kurs und flog direkt auf die herannahenden Plasmageschosse zu. Im letztmöglichen Moment zog sie das Schiff in einen Spiralflug. Die Plasmaflut zischte an dem wirbelnden Schiff vorbei und richtete keinen nennenswerten Schaden an. Als das Kreischen, mit dem das Plasma über die lebende Koralle kratzte, nachließ, brachte sie das Schiff aus der Spirale und hielt direkt auf ein herankommendes Skip zu.
»Lowbacca, hierher«, rief sie. »Ganner, mach mir den Weg frei.«
Der Jedi-Schütze schleuderte Plasma auf den Korallenskipper, der ihnen im Weg war. Als der Dovin Basal das Geschoss absorbierte, feuerte Ganner erneut. Sein Timing war perfekt, und das Skip löste sich in einer kurzen grellen Explosion auf.
Rasch lenkte Jaina ihren Dovin Basal auf den vorderen Schild um und wich instinktiv zurück, als die Korallentrümmer gegen den Rumpf krachten. Über die Schulter blickte sie zu Zekk zurück.
»Zekk, hast du eigentlich viel Dejarik gespielt?«
»Was habe ich gespielt?«
»Habe ich mir schon gedacht«, murmelte sie. Während sich Zekk darauf konzentriert hatte, jeweils den unmittelbaren Angriff abzuwehren, hatte die von einem Yammosk koordinierte Flotte mehrere Züge im Voraus geplant und das gestohlene Schiff in eine sorgfältig aufgestellte Falle manövriert. Dejarik oder andere Strategiespiele hatte sie nie besonders gern gemocht, obwohl Chewbacca großen Wert darauf gelegt hatte, sie ihr beizubringen. Zum ersten Mal begriff sie nun den Grund dafür.
Lowbacca trat zu ihr und heulte eine Frage. »Übernimm die Navigation«, sagte Jaina und deutete mit dem Kopf auf eine abgerundete, hirnähnliche Konsole. »Hyperraumsprung. Ziel: gleichgültig, nur nicht Myrkr. Kannst du die Koordination eingeben?« Der Wookiee setzte sich, betrachtete den biologischen »Computer« und kratzte sich an der Schläfe genau an der Stelle, wo sich ein schwarzer Streifen durch sein rotbraunes Fell zog.
»Je schneller, desto besser«, meinte Ganner. Lowbacca knurrte eine Beleidigung auf Wookiee und zog sich die Kontrollhaube über den Kopf. Nach einem Moment fuhr er eine seiner Kletterkrallen aus und schlitzte vorsichtig die dünne obere Membran durch. Mit erstaunlichem Fingerspitzengefühl berührte er Nervencluster und sortierte schlanke, lebendige Fasern, wobei er mit jeder neuen Erkenntnis zufrieden grunzte. Schließlich wandte er sich Jaina zu und knurrte eine Frage.
»Setz den Kurs nach Coruscant.«
»Warum Coruscant?«, protestierte Alema Rar. Ihre Kopftentakel, die mit blauen Flecken gesprenkelt waren und praktisch nur noch von Bacta-Pflastern zusammengehalten wurden, zuckten vor Aufregung. »Wir werden von den Schiffen der Republik abgeschossen, ehe wir die Atmosphäre des Planeten erreichen, falls wir nicht vorher der Friedensbrigade in die Hände fallen!«
»Die Friedensbrigade besteht aus Kollaborateuren. Die haben keinen Grund, dieses Schiff anzugreifen«, konterte Ganner. »Auf der anderen Seite hat die Republik keinen Grund, darauf zu verzichten.« Tenel Ka schüttelte den Kopf heftig und ließ ihre zerzausten rotgoldenen Zöpfe schwingen. »Manchmal ist ein lebendiger Feind so viel wert wie hundert tote. Ein kleines Schiff wie dieses stellt keine Bedrohung dar. Die Patrouille wird uns zur Landung zwingen, in der Hoffnung, ein lebendiges Schiff in die Hände zu bekommen, und man wird neugierig sein, welcher Grund ihnen die Besatzung in die Arme getrieben hat.«
»Genau das habe ich mir auch überlegt«, stimmte Jaina zu. »Also, das Renegaten‐Geschwader hat eine Basis auf Coruscant, und in der Flugkontrolle sitzen Leute, die alle Tricks und Eigenheiten der einzelnen Piloten kennen. Wenn ich mit diesem Felsen ein paar eindeutige Manöver durchführe, haben wir eine gute Chance, dass man mich tatsächlich erkennt. Wie sieht es aus, Lowbacca?« Der Wookiee nahm geschickt eine Reihe von Einstellungen vor, dann signalisierte er Bereitschaft, indem er die massigen Pranken jeweils auf eine Seite der Konsole legte und resigniert stöhnte.
Jaina aktivierte den Hyperantrieb des Schiffes. Die Wucht des Sprungs drückte sie in den übergroßen Sitz und zerrte an den Versorgungsschnüren, die Haube und Handschuhe mit dem Schiff verbanden. Plasmablitze dehnten sich aus wie ein goldener Sonnenaufgang im Dunst; Sterne streckten sich zu langen Linien. Dann breitete sich um die Jedi Stille und Dunkelheit aus, und ein Gefühl des Schwebens ersetzte den intensiven Druck der Subraumbeschleunigung. Jaina nahm die Haube ab und ließ sich in ihren Sitz zurückfallen. Während der Adrenalinstoß langsam nachließ, spürte sie, wie die Trauer sich wieder einstellte. Sie verdrängte die Emotionen und konzentrierte sich auf ihre Begleiter. Das nervöse Zucken von Alema Rars Kopftentakeln verlangsamte sich zu dem subtilen Schlängeln, das für weibliche Twi’leks so typisch war. Tenel Ka schüttelte ihre Haltegurte ab und begann, im Schiff hin und herzuschreiten − bei den meisten Leuten wäre dies ein Zeichen für Rastlosigkeit gewesen, doch die Dathomiri fühlte sich am wohlsten, wenn sie in Bewegung war. Der Wookiee studierte weiter das Navihirn. Ganner nahm die Kontrollhaube ab, erhob sich und strich sorgfältig sein schwarzes Haar glatt. Er ging zum hinteren Teil des Schiffs, vermutlich, weil er nach Tahiri sehen wollte.
Jaina wollte nicht über Tahiri nachdenken, wollte sich die Totenwache des Mädchens nicht vorstellen.
Sie verdrängte das grimmige Bild, das diese Gedanken hervorriefen. Als Zekk sich dem Pilotensitz näherte, schenkte sie ihm ein dankbares Lächeln. Warum auch nicht? Er war ihr ältester Freund und eine Ablenkung zur rechten Zeit − und mit ihm konnte man wesentlich leichter umgehen als mit den meisten anderen Ablenkungen, die sich ihr in diesen Zeiten boten.
Dann leuchteten seine grünen Augen in einer Weise auf, dass sich Jaina überlegte, ob diese letzte Feststellung tatsächlich zutraf.
»Eine Weile dachte ich schon, wir würden nie nach Hause kommen«, meinte Zekk. Er ließ sich auf dem Platz nieder, den Ganner gerade geräumt hatte, blinzelte Jaina an und grinste halbherzig. »Ich hätte es besser wissen sollen.«
Sie nickte und akzeptierte seine zurückhaltende Entschuldigung, die allerdings sehr zögerlich ausfiel. Ihr alter Freund versuchte, seine Gefühle abzuschotten, doch seine Zweifel und Sorgen drangen durch.
»Bringen wir die Sache lieber jetzt hinter uns, damit wir nicht in der nächsten Krise wieder wie eine Diskussionsgruppe dastehen. Du wolltest nicht, dass ich das Schiff fliege, weil du mir nicht vertraust«, sagte sie.
Zekk starrte sie einen Moment lang an. Dann stieß er einen langen Pfiff aus und schüttelte den Kopf. »Ganz die alte Jaina − so feinsinnig wie eine Thermogranate.«
»Wenn du wirklich glauben würdest, ich hätte mich nicht geändert, dann würden wir dieses Gespräch nicht führen.«
»Lassen wir es also. Ist sowieso nicht der richtige Augenblick.«
»Du hast recht«, gab sie zurück. »Wir hätten das schon vor einigen Tagen austragen sollen − alle zusammen. Vielleicht wären wir dann dort unten nicht auseinander gefallen.«
»Was meinst du damit?« fragte er vorsichtig. »Ach, komm schon. Du warst dabei. Du hast gehört, wie sich Jacen ständig unnötige Sorgen über Anakins Motive und Methoden gemacht hat und seine Entscheidungen bei jedem Schritt infrage gestellt hat. Du hast gesehen, was passiert, wenn sich Jedi nicht mehr auf das konzentrieren, was sie tun, sondern über das Wie und Warum streiten.«
Über ihr Gesicht huschte ein schwaches, wenig amüsiertes Lächeln. »Es ist wie die alte Geschichte mit dem Tausendfüßer, der nie Schwierigkeiten beim Laufen hatte, bis ihn jemand fragte, wie er eigentlich die vielen Beine koordiniert. Nachdem er einmal damit angefangen hatte, darüber nachzudenken, konnte er überhaupt nicht mehr laufen. Höchstwahrscheinlich ist er als Abendessen einer Falkenfledermaus geendet.«
»Jaina, du kannst Jacen nicht die Schuld an dem geben, was Anakin passiert ist!«
»Das will ich auch gar nicht«, sagte sie rasch. Und weil es Zekk war, mit dem sie sprach, fügte sie hinzu: »Jedenfalls nicht die Ganze.«
»Und dir selbst kannst du nicht die Schuld geben für das, was mit Jacen geschehen ist.« Sie war noch längst nicht bereit, das einzuräumen, und sie hatte keine Lust, darüber zu diskutieren. »Ich habe mich bis zu einem bestimmten Punkt vorgearbeitet«, erwiderte sie. »Jacen war von seiner nebulösen Vision seines Jedi-Ideals abgelenkt. Und du warst von der Furcht abgelenkt, welche die beiden dunklen Jedi in dir freigesetzt haben.«
»Aus gutem Grund. Sie sind einfach weggeflogen und haben uns sitzen lassen. Sie haben Lowbacca verwundet und Raynar entführt. Nach allem, was wir wissen, haben sie ihn getötet.«
»Dafür werden sie sich verantworten müssen. Kann ich jetzt weitererzählen?«
Ein Mundwinkel zuckte bei Zekk nach oben. »Ich habe mich schon gefragt, wann du darauf zu sprechen kommst.«
Dieser trockene Kommentar war so vertraut, so normal. Für einen flüchtigen Moment erinnerte sich Jaina daran, wer sie noch vor ein paar Jahren gewesen waren: ein furchtloser Junge, der Schreckliches überlebt hatte, und ein Mädchen, das stets voller Vorfreude auf das nächste Abenteuer zusteuerte.
Zwei weitere Opfer der Yuuzhan Vong. »Es ist so«, sagte sie leise. »Während der letzten zwei Jahre habe ich mir ständig Anakins und Jacens Debatte über die Rolle der Jedi und unsere Beziehung zur Macht angehört. Und wohin hat das am Ende geführt?«
Zekk beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie schüttelte sie ab, ehe er leere Phrasen von sich geben konnte, um sie zu trösten, ehe er die abgedroschenen Argumente wiederholte, die sie zu oft in den Auseinandersetzungen zwischen Kyp Durron und ihrem Onkel Luke gehört hatte.
»Anakin war langsam dahinter gekommen«, fuhr sie fort. »Ich habe es bei ihm nach Yavin 4 gespürt. Er hatte etwas gelernt, das dem Rest von uns fehlte, etwas, das den Unterschied hätte ausmachen können, wenn er nur Zeit gehabt hätte, es vollständig zu begreifen. Wenn es so etwas wie ein vorbestimmtes Schicksal gibt, glaube ich, wäre Anakin diesen Weg gegangen. Er war immer anders. Auf besondere Weise.«
»Natürlich. Er war dein Bruder.«
»Er ist …« Sie unterbrach sich abrupt, schüttelte die Trauer ab, die sie wie ein Stich durchfuhr, und nahm die notwendige Korrektur vor. »Er war mehr als das.« Für die nächsten Worte nahm sich Jaina Zeit, sie gründlich zu überlegen. Von Natur aus war sie nicht gerade introvertiert; dies jedoch brannte ihr schon seit Anakins Heldentaten auf Yavin 4 auf der Seele, und noch immer konnte sie es nicht recht fassen. »Mit Anakins Tod habe ich einen Bruder verloren, doch die Jedi haben etwas verloren, was ich überhaupt nicht zu beschreiben vermag. Meine Gefühle sagen mir, dass es etwas Wichtiges darstellte, etwas, das wir vor langer Zeit verloren haben.«
Eine Weile lang schwieg Zekk. Schließlich sagte er: »Vielleicht. Aber wir haben die Macht, und wir haben einander.«
Einfache Worte, doch mit dieser persönlichen Note wurden sie wie ein Geschenk dargeboten, das Jaina nur anzunehmen brauchte.
»Einander«, wiederholte sie leise. »Doch für wie lange, Zekk? Wenn die Jedi weiterhin solche ›Erfolge‹ feiern wie diese letzte Mission, wird bald niemand mehr von uns übrig sein.«
Er nickte und akzeptierte ihre Ausflucht, als habe er sie erwartet. »Wenigstens geht es jetzt erst einmal nach Hause.« Abermals brachte sie ein schwaches Lächeln zustande, und im Stillen bemerkte sie einen weiteren Unterschied zwischen der Wahrnehmung ihres Freundes und ihrer eigenen. Zekk war auf Enn-Ta geboren und mit acht Jahren nach Coruscant gebracht worden. Dort hatte er sich in den rauen unteren Ebenen des Stadtplaneten durchschlagen müssen. Jainas Eltern hatten während des größten Teils ihres Lebens in den prestigeträchtigsten Türmen der Stadt gewohnt, doch sie selbst hatte erstaunlich wenig Zeit ihrer bisherigen achtzehn Jahre auf Coruscant verbracht.
Für Jaina war Coruscant nicht ihr Zuhause. Es stellte lediglich den logischen nächsten Zug auf dem Dejarik-Brett dar.