20
Jag Fei jagte in dem geliehenen Landspeeder durch die Straßen der hapanischen Stadt. Zu einem anderen Zeitpunkt hätten ihn vielleicht die prachtvollen Gebäude und ihre tropischen Gärten interessiert, doch heute war er zu sehr in Gedanken vertieft, um seiner Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken.
Den größten Teil seiner bisherigen zwanzig Lebensjahre hatte sich Jag dem Erlernen militärischer Taktiken gewidmet, zuerst in der Familie und später an der Chiss-Militärakademie. Ebenso hatte er sich bemüht, Logik und problemorientiertes Denken zu lernen, während er seine Fliegerfähigkeiten entwickelte. Wenn es jedoch um Jaina Solo ging, ließen ihn seine hart erarbeiteten Fertigkeiten im Stich.
Jaina Solo war eine exzellente Pilotin, doch konnte selbst sie ihm nicht das Wasser reichen. Im Flugsimulator schoss er sie fast jedes Mal ab. Zudem konnte er mehrere Chiss nennen, die unter seinem Kommando geflogen waren und durchaus ihre Klasse erreichten; manche waren sogar ein wenig besser. Jaina war eine Jedi, allerdings spielte das im Grunde keine Rolle.
Heute Morgen hatte er wieder nach Jaina gesucht in der Hoffnung, ihren unverständlichen Streit beizulegen, doch hatte er erfahren, dass sie gerade zu einer anderen Welt im ausgedehnten Hapes-Cluster aufgebrochen war.
Und sie hatte einen von Jags besten Piloten mitgenommen und deswegen weder offiziell noch auf anderem Weg bei ihm angefragt.
Es störte ihn, dass sie wegen Kyp Durron nicht um Erlaubnis gebeten hatte. Sogar eine Pilotin des Renegaten-Geschwaders sollte das Protokoll beachten!
Hatte sie jedoch nicht, und nun waren sie und Kyp verschwunden.
Jag war unterwegs zum Flüchtlingslager, was für ihn noch weniger Sinn ergab als das, was Jaina getan hatte.
Aber wenn er sich nichts vormachte − was in der Regel der Fall war, obwohl Jag es für eine unangenehme Gewohnheit hielt −, musste er sich eingestehen, dass sein eigentlicher Grund darin bestand, den berüchtigten Han Solo kennen zu lernen.
Prinzessin Leia hatte hohe persönliche wie politische Verbindungen zugunsten eines Rebellen aufgegeben, einem in Ungnade gefallenen imperialen Offizier, der sich seinen Lebensunterhalt als Schmuggler verdiente. Falls in ihrer Entscheidung eine Logik lag, dann beabsichtigte Jag, sie herauszufinden. Und wenn es keine gab, würde die Verbindung, die Jaina Solo hervorgebracht hatte, vielleicht zur Erleuchtung führen − oder als Abschreckung fungieren.
Ohne es recht zu bemerken, ließ Jag die Stadt hinter sich. Auf den riesigen Landeanlagen drängten sich Schiffe und Flüchtlinge, und von Letzteren schienen die meisten entschlossen zu sein, umgehend wieder vom Planeten abzureisen. Die Gemüter waren erhitzt, und überall sah Jag die weiße Uniform der hapanischen Miliz im Einsatz.
Hinter den Landeanlagen befand sich ein riesiger offener Bereich, eine Parklandschaft mit Seen und tiefen Wäldern, die der Jagd und der Erholung für die Bewohner der königlichen Stadt dienten. Dieses Gebiet hatte man den Flüchtlingen überlassen. Während sich Jag näherte, musste er schon genau hinsehen, um die angebliche Schönheit dieses Landstrichs zu entdecken. Das Ausmaß des Flüchtlingslagers verblüffte ihn. Die Zelte erstreckten sich über das gesamte Areal des Parks bis zu einem fernen Wald. Jag zeigte seinen Ausweis einer Wache und machte sich auf den Weg zwischen den schier endlosen Reihen der Zelte hindurch.
Das Lager war ein lauter, stinkender Ort. Die Vertriebenen von Coruscant lebten dicht gedrängt, und Tausende Stimmen mischten sich in einer lauten, disharmonischen Symphonie. In den schmalen Gängen wimmelte es von Wesen vieler Spezies. Die meisten schoben sich an Jag mit abgewandtem Blick vorbei und umgaben sich so mit einer künstlichen Privatsphäre, wie sie solches Gedränge oft hervorruft.
Über dem ganzen Komplex lag eine böse Vorahnung, die so greifbar wie der Morgennebel war. Ohne Zweifel kannten alle Insassen die Vorgehensweise der Yuuzhan Vong. Die Anwesenheit von Flüchtlingen lockte die Invasoren mächtig an. Jag hatte das Gefühl, ein roter Knopf sei gedrückt worden, und alle warteten auf die bevorstehende Explosion.
Er zählte die Zelte, bis er dasjenige erreichte, welches der Familie Solo zugewiesen worden war. Als er noch einige Schritte entfernt war, hörte er gedämpfte Schläge und Schnaufen von dort.
Jag zog seinen einhändigen Charrik aus dem Waffengürtel und rannte los. Er riss die Zeltklappe auf und stürmte ins Innere, wobei er den kleinen Chiss-Blaster vor sich hielt.
Eine Faust traf ihn ins Gesicht. Jags Kopf ruckte nach hinten, und er taumelte zwei Schritte, bis er den Hieb verdaut hatte.
Jag brauchte nur ein oder zwei Sekunden, aber sein Angreifer hatte sich bereits einem anderen Gegner zugewandt, einem großen Mann in hapanischer Uniform. Der Kerl verpasste ihm einen Schlag, von dem der andere herumgewirbelt wurde und auf einen Klapptisch krachte. Ein bekanntes schiefes Grinsen zog den Mundwinkel der gespaltenen Lippen hoch, und er warf sich auf einen stämmigen Krieger, der sich duckte. Die beiden gingen zu Boden, rissen ein behelfsmäßiges Regal und Geschirr mit sich nach unten.
Dies musste also Han Solo sein, Jainas Vater. Jag schaute sich das Schlachtfeld an. Han Solo und der Mann, den er gerade zu Boden geworfen hatte, kamen wieder auf die Beine. Sie taumelten durch das Zelt und versuchten abwechselnd, den Gegner in einen Haltegriff zu bekommen oder ihm einen Stoß mit dem Arm zu versetzen.
Der uniformierte Hapaner schob sich von dem zerschmetterten Tisch fort und kam auf Hände und Knie hoch. Er legte eine Hand an den Gürtel und fummelte nach seinem Blaster.
Jag feuerte einen Betäubungsblitz auf den Mann ab, der diesen vornüber warf, dann richtete er seine Waffe auf den nächsten Angreifer − eine stämmige Hapanerin, die sich einen Stuhl geschnappt hatte und damit gerade zum Schlag ausholte. Diesen warf sie in Richtung der beiden ringenden Männer.
Jag feuerte schnell eine Betäubungsladung ab, doch damit verstärkte er nur den beachtlichen Schwung, mit dem sich die Frau bereits vorwärts bewegte. Die drei Kämpfer gingen in einem Knäuel zu Boden. Nun eilte Jag hinzu und zog den uniformierten Mann, die einzige Person, die sich noch rührte − hoch und zerrte ihn von dem alternden Rebellenhelden weg. Der Hapaner warf sich in Richtung der Zeltwand und krabbelte unter der Duraseide hindurch. Jag überlegte kurz, ob er ihn verfolgen sollte, dann kniete er sich neben dem reglosen Mann hin.
Han Solo war mit dem Gesicht voran in das zerbrochene Geschirr gestürzt. An seiner Schläfe befand sich eine große Beule, wo ihn der Stuhl getroffen hatte. Jag drehte ihn um und zuckte angesichts des tiefen Schnitts zusammen, der sich vom Wangenknochen bis zum Haaransatz erstreckte. Das ergrauende Haar war feucht und dunkel vom Blut.
Rasch erhob sich Jag und trat aus dem Zelt. Er fasste einen vorbeigehenden männlichen Bothan, der irgendeine Militäruniform trug, am Arm.
Der Bothan kniff die katzenartigen Augen zusammen und riss seinen pelzigen Arm aus Jags Griff. »Rufen Sie die Wachen und holen Sie sofort einen Medidroiden«, brüllte Jag. »Han Solo braucht medizinische Versorgung.«
Wie Jag erwartet hatte, machte der Bothan nun große Augen. »Sofort«, antwortete er. »Ich werde auch veranlassen, dass nach Leia Solo gesucht wird.« Der Bothan eilte davon, und Jag duckte sich unter der Klappe hindurch ins Zelt. Die Wirkung der Betäubungsblitze hatte längst nachgelassen, auch die anderen Angreifer waren verschwunden. Jag blickte sich nach etwas um, mit dem er die Blutung in Han Solos Gesicht stillen konnte, und zum ersten Mal bemerkte er den funkelnden Stapel an der einen Zeltwand.
Jag betrachtete kurz die kleinen Skulpturen, die Ketten aus Azursteinperlen, die verzierten Metallgefäße, die mit Edelsteinen besetzt waren. Dieses Rätsel stand allerdings im Augenblick nicht zur Lösung an. Er schob eine bemalte Vase zur Seite und hob ein Stück Stoff auf, das ein kleines Leinenhemd zu sein schien. Das rollte er zusammen und wollte es auf die Wunde drücken. »Augenblick«, befahl eine weibliche Stimme. Eine gealterte, grimmige Version von Jaina schob sich an ihm vorbei und ließ sich neben Han Solo auf die Knie nieder. Mit zarten Fingern tastete sie das verklebte Haar ab und untersuchte die Wunde kurz. Dann schnitt sie eine Grimasse und zog einen scharfen Splitter heraus.
»Gut. Der saß nicht sehr tief«, murmelte sie und streckte Jag die Hand entgegen. Er reichte ihr das zusammengeknüllte Hemd. Sie drückte es vorsichtig mit einer Hand auf die Wunde. Die andere legte sie ihrem Mann auf die Brust, schloss die Augen, und ihre Miene wirkte, als würde sie konzentriert lauschen. Ein Medidroide rollte ins Zelt und schob Leia sanft zur Seite. Jag hielt ihr eine Hand hin, die sie mit instinktiver Anmut ergriff. Sie erhob sich und schaute dem Droiden zu, wie er den verwundeten Mann versorgte.
»Es gibt einen leichten Riss in der Schädeldecke«, verkündete der Droide.
»In Hans Schädel? Wie ist das denn möglich?«, wunderte sie sich abwesend.
Daraufhin holte sie tief Luft. Als sie sich Jag zuwandte, stellte sie wieder die ruhige, beherrschte Diplomatin dar, die er bei einem Empfang über Ithor kennen gelernt hatte.
»Ich habe gehört, Sie hätten den Kampf beendet und Hilfe gerufen. Vielen Dank. Es wäre schön, wenn Sie mir etwas über den Angriff erzählen könnten.«
Er beschrieb ihr die Szene, in die er gestolpert war, beschrieb die Angreifer kurz und lenkte Leias Aufmerksamkeit auf die Kostbarkeiten in der Ecke des Zeltes. Ihr stockte vor Überraschung der Atem.
»Ich nehme an, das war kein versuchter Raub«, schloss Jag daraus.
»Diese Sachen gehören mir nicht«, sagte Leia und musste ihre Stimme stark kontrollieren, »und ich will sie auch nicht in meinen Besitz aufnehmen.«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe«, hakte Jag nach.
Leia blickte ihn an. »Es ist eine hapanische Mitgift. Vor zwanzig Jahren hat Prinz Isolder Botschafter nach Coruscant geschickt, die mir einen noch größeren Haufen überbracht haben.« Sie hielt kurz inne und lächelte wenig amüsiert. »Anscheinend habe ich im Laufe der Zeit an Wert verloren.«
»Wahrscheinlich sind die Mittel der Hapaner durch den Krieg einfach nur beschränkt.«
Diesmal wirkte die Frau tatsächlich belustigt. »Wenn der Krieg vorüber ist, Colonel Fel, würden Sie sich gut im diplomatischen Dienst machen. Im Augenblick hätte ich zunächst noch ein paar Fragen. Sie sagten, einige der Angreifer hätten Uniformen getragen. Was für welche?«
»Die der hapanischen königlichen Wache, glaube ich. Die Uniformen waren aus einem Stück, wie ein Fliegeroverall. Sehr gut gearbeitet, tiefrot.«
»Nicht einmal Ta’a Chume würde es wagen, uniformierte Attentäter zu schicken«, grübelte Leia. »Sie wollten vermutlich mit mir sprechen und sind stattdessen auf Han gestoßen. Er war bestimmt nicht von ihrem Angebot begeistert.«
Der Droide drehte sich zu ihnen um. »Der Zustand des Patienten ist stabil. Er ist nun für weitere Behandlungen transportfähig. Direkt vor dem Lager wartet ein medizinischer Transporter. Bitte um Erlaubnis, den Transport zu arrangieren.«
Leia nickte dankbar, und der Droide rollte hinaus. Sie kniete neben ihrem Mann und betrachtete ihn unentschlossen.
»Sie haben ein ungutes Gefühl dabei, ihn einer hapanischen Einrichtung zu überlassen?«, vermutete Jag.
»Verzeihen Sie mir, aber ich kenne natürlich General Solos Ruf. Ohne Zweifel bin ich nicht der Einzige, der von ihm gehört hat. Kann es sein, dass es sich um einen verschleierten Attentatsversuch gehandelt hat?« Sie dachte darüber nach und nickte schließlich. »Eine kluge Beobachtung. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Han zu einem Kampf hat provozieren lassen. Nachdem der erste Schlag gefallen ist, wie lässt es sich hinterher nachweisen, ob es sich um einen Unfall oder ein Attentat gehandelt hat?«
»So habe ich es gemeint. Ich begreife zwar die Vorgehensweise, aber nicht die Motivation.«
»Die frühere Königin ist von der regierenden Königin nicht begeistert, und sie hat mir mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass sie mich für eine mögliche Nachfolgerin hält. Aus diesem Grund könnte es durchaus sein, dass sie Han als Unannehmlichkeit betrachtet, ein Problem, das einer Lösung bedarf.« Jag schüttelte erstaunt den Kopf. »Gewiss muss sich doch auch eine frühere Königin an Gesetze halten.«
»Natürlich, aber Ta’a Chume ist hinterlistig und rachsüchtig. Ich kann mich nicht an die hapanischen Gerichte wenden, ohne nachteilige Auswirkungen auf die Flüchtlinge zu riskieren, und sie weiß sehr wohl, dass ich mir dieses Umstandes bewusst bin.« Sie seufzte. »Das ist eine delikate Situation. Vielleicht würde Jaina die Sache besser durchschauen. Sie hat im Palast gewohnt.«
»Unglücklicherweise hat sie heute Früh am Morgen Hapes verlassen und ist nach Gallinore aufgebrochen. Eigentlich bin ich gekommen, um Ihnen das mitzuteilen«, fügte er hastig hinzu, als er die Traurigkeit oder auch nur das Bedauern in Leias Augen sah. Obwohl es beinahe an eine Lüge grenzte, hoffte er, Leia würde glauben, ihre Tochter habe ihn geschickt, um ihr die Nachricht von der Abreise zu überbringen. Leia reagierte weder in die eine noch in die andere Richtung darauf. »In diesem Fall sollte ich Han vielleicht von diesem Planeten fortbringen. Die Flüchtlinge verteilen sich, die meisten Jedi sind abgeflogen, und für mich gibt es nicht mehr viel zu tun. Bleiben Sie in Kontakt mit Jaina?«
»Natürlich.«
Die Worte waren heraus, ehe er sich überlegt hatte, was damit angedeutet wurde. Leias Augen funkelten forschend, und dann zeigte sie zu seiner Überraschung tiefe Erleichterung.
Der medizinische Transporter war eingetroffen. Jag stellte keine weiteren Fragen und half den Droiden, den Verwundeten auf einen Repulsorschlitten zu legen. Während sie das Zelt verließen, wandte sich Leia wieder an ihn. »Sie haben schon so viel für uns getan, aber darf ich Sie um noch einen Gefallen bitten? Könnten Sie zu den Landeanlagen gehen und nach dem Millennium Falken fragen? Dort finden Sie einen jungen Jedi namens Zekk, der an dem Sternenschiff arbeitet. Er sieht ein wenig aus wie eine jüngere Version von Kyp Durron dunkles Haar, grüne Augen, ungefähr die gleiche Größe …« Sie unterbrach sich und musterte Jag. Einen Moment lang dachte Jag, sie würde eine Bemerkung darüber machen, dass diese Beschreibung genauso gut auf ihn passen würde. Seiner Meinung nach kreisten in Jaina Solos Orbit viel zu viele dunkelhaarige, grünäugige Männer.
»Würden Sie ihm sagen, er möge den Falken zum Start klarmachen? Und er soll alle Jedi zusammensuchen, die bislang noch keine Reisegelegenheit gefunden haben.«
Jag versprach es ihr, dann begleitete er mit ihr den Schlitten zum Tor des Lagers. Als er sich verabschiedete, fragte er: »Was soll ich Jaina sagen?«
»Berichten Sie ihr von dem Vorfall mit ihrem Vater. Sie sollte darüber Bescheid wissen. Sagen Sie ihr, wir wären zu Onkel Luke geflogen. Sie weiß, wo er ist.« Leia zögerte, und erneut trat dieser weit blickende Ausdruck auf ihr Gesicht. »Sagen Sie ihr − und das ist wichtig −, ich würde ihr vertrauen, dass sie den richtigen Weg zurück findet.«
Jag runzelte die Stirn und war nicht sicher, ob er diese offensichtlich widersprüchlichen Anweisungen richtig entschlüsselt hatte. »Ich weiß nicht, ob ich verstehe.«
»Jaina versteht es vermutlich auch nicht«, sagte Leia und ging bereits weiter. »Zumindest nicht in der nächsten Zeit.«