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Die Korona der aufgehenden Sonne ließ die riesigen Wälder im Norden des Planeten Myrkr grünlich leuchten. Aus dem Raum betrachtet wirkte der Planet so fruchtbar und grün wie Yuuzhan’tar, die verlorene Heimatwelt aus den Legenden der Yuuzhan Vong. Zwei männliche Yuuzhan Vong standen am Sichtfenster eines Priesterschiffes und hatten sich tief in die Betrachtung der Szene vor sich versenkt. Einer war groß und hager, hatte eine flache Stirn, und sein Gesicht wies scharfe, aristokratische Züge und die Narben vieler Opfer auf. Diese Male sowie sein geschickt gewickeltes Kopftuch machten ihn als hochrangigen Priester kenntlich. Sein Gefährte war jünger und breiter und körperlich so imposant, dass man auf den ersten Blick keine sichtbaren Grenzen zwischen Rüstung und Waffen und dem Krieger, der sie trug, erkennen konnte. Er zog stets die Blicke aller auf sich und erweckte den unauslöschlichen Eindruck einer lebendigen Waffe. Doch nun hatte er respektvoll Haltung angenommen. Der Priester wies mit der dreifingrigen Hand auf die Szene vor ihnen. »Dämmerung: heller Tod der sterblichen Nacht«, rezitierte er.

Harrars Worte folgten dem abgedroschenen Pfad der Sprichwörter, aber in seinen Augen funkelte eine aufrichtige Ehrfurcht, während er die ferne Welt betrachtete. Der junge Krieger legte in einer frommen Geste zwei Finger an die Stirn, doch seine Aufmerksamkeit galt weniger dem strahlenden Anblick von Myrkr, sondern viel mehr dem Gefecht, das sich über dem Planeten abspielte.

Vor der grünen Welt zeichnete sich ein faustgroßer Klumpen schwarzer Yorikkoralle ab. Das alte Weltschiff, auf dem Hunderte Yuuzhan Vong mit ihren Sklaven und Dienstwesen lebten, wirkte wie ein lebloser Stein. Doch als sich Harrars Priesterschiff näherte, konnte man die Zeichen eines Kampfes erkennen: Winzige Korallenflieger schwärmten umher und stachen zu wie Feuermücken, Plasmageschosse wogten in wildem, unregelmäßigem Rhythmus hin und her. Wenn das Leben aus Schmerz bestand, war das Weltschiff sehr lebendig. »Wir treffen zur rechten Zeit ein«, stellte der Priester fest und blickte den jungen Krieger an. »Diese jungen Jeedai scheinen entschlossen zu sein, sich als würdige Opfer zu präsentieren!«

»Wie Sie meinen, Eminenz.«

Die Worte klangen höflich, doch abwesend, als schenke der Krieger ihnen nur wenig Aufmerksamkeit. Harrar betrachtete seinen Begleiter forschend. Die Missklänge zwischen Priester und Kriegerkaste waren längst nicht mehr zu übersehen, doch fiel ihm bei Khalee Lah nichts auf, das auf solche Vorbehalte hindeutete. Der Sohn des Kriegsmeisters Tsavong Lah war ein stolzer Yuuzhan Vong. Seine ursprünglich graue Hautfarbe war nur noch an wenigen Stellen zwischen den schwarzen Narben und Tätowierungen sichtbar. Der Kommandantenmantel hing an den Haken, die in die Schultern implantiert waren. Weitere Implantate in Form von Stacheln zierten seine Ellbogen und die Fingerknöchel seiner Hände. Ein kurzer, dicker Dorn ragte aus der Mitte seiner Stirn − eine schwierige Operation, die auf wahre Würde schließen ließ.

Harrar fühlte sich geehrt, dass dieser viel versprechende Krieger ihm als militärische Eskorte zugeteilt worden war, aber er war wachsam und dazu ziemlich neugierig. Wie jeder gute Priester von Yun-Harla, der Göttin der List, genoss Harrar Spiele der Täuschung und der Strategie. Sein alter Freund Tsavong Lah beherrschte das vielschichtige Handeln meisterhaft, und von dem jungen Kommandanten erwartete Harrar das Gleiche.

Khalee wandte sich um und stellte sich der Musterung durch den Priester. Sein direkter Blick ließ keinesfalls den nötigen Respekt vermissen. »Darf ich offen sprechen, Eminenz?«

Harrar vermutete langsam eine Absicht dahinter, dass Tsavong Lah seinen Sohn zu einem Priester der List geschickt hatte. Offenheit war eine Schwäche − eine potenziell tödliche.

»In dieser Angelegenheit sollten Sie das Urteil des Kriegsmeisters bedenken«, riet er und versteckte mahnende Worte hinter seiner scheinbaren Zustimmung.

Der junge Mann nickte ernst. »Tsavong Lah hat Sie mit dem Opfer der Zwillings-Jeedai betraut. Noch liegt es in den Händen der Götter, ob sein letztes Implantat erfolgreich anwachsen wird, und Sie sind der Fürsprecher seiner Wahl. Wen der Kriegsmeister achtet, den verehre ich.« Er beendete seine Worte, indem er sich auf ein Knie niederließ und sich voller Respekt verneigte.

Dies war keineswegs die Botschaft, die Harrar zu übermitteln beabsichtigte, aber Khalee Lah schien mit dem Gespräch zufrieden zu sein. Er erhob sich und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Weltschiff.

»Offene Worte also. Mir kommt es so vor, als würde der Kampf nicht so verlaufen wie erwartet. Vielleicht nicht einmal so gut, wie Nom Anor berichtet hat.«

Harrars vernarbte Stirn verzog sich finster. Er selbst hatte ebenfalls keine gute Meinung von dem Spion. Aber Nom Anor durfte den Rang eines Exekutors sein Eigen nennen, und man konnte ihn nicht so ohne Weiteres kritisieren.

»Solche Worte nähern sich gefährlich Verrat, mein junger Freund.«

»Die Wahrheit ist niemals Verrat«, widersprach Khalee Lah. Der Priester wog diese Worte sorgsam ab. Für die Priesterschaft von Yun-Harla und auch für einige andere Gruppen stellte dieses Sprichwort nur einen ironischen Scherz dar, die Ernsthaftigkeit des jungen Mannes ließ sich hingegen nicht verkennen.

Harrar setzte ebenfalls eine ernste Miene auf. »Erklären Sie.«

Khalee Lah zeigte auf einen kleinen dunklen Punkt, der sich von dem Weltschiff fort und in schrägem Winkel auf das Priesterschiff zubewegte. »Das ist die Ksstarr, die Fregatte, mit der Nom Anor nach Myrkr gekommen ist.«

Der Priester beugte sich zu dem Sichtfenster vor, doch verfügte er nicht über so scharfe Augen wie Khalee Lah mit seinen Implantaten. Er tippte gegen das Portal. Als Reaktion wischte eine dünne Membran über die transparente Oberfläche und reinigte sie. Das lebende Gewebe formte sich neu und verstärkte die konvexe Wölbung, was zu einer leichten Vergrößerung führte.

»Ja«, murmelte der Priester und bemerkte die eindeutigen Knoten und Knollen an der Unterseite des sich nähernden Schiffes. »Wenn der Kampf gegen die Jeedai so gut wie gewonnen ist, wie Nom Anor berichtet hat, warum flieht der Exekutor dann? Ich muss sofort mit ihm sprechen!«

Khalee Lah wandte sich der Tür zu und wiederholte Harrars Worte als Befehl. Die Wachen, die dort standen, schlugen die Fäuste mit gekreuzten Armen an die Schultern und entfernten sich, um den Wünschen ihres Kommandanten nachzukommen.

Das Klicken chitinartiger Stiefel kündigte die Untergebene an. Eine Kriegerin, die protzig grün und gelb tätowiert war, betrat den Raum, und in den krallenartigen Händen hielt sie einen verzierten Gegenstand. Sie verneigte sich, zeigte den Villip Harrar und stellte ihn auf einen kleinen Ständer.

Der Priester schickte sie mit einem abwesenden Wink hinaus und streichelte die empfindungsfähige Kugel.

Die äußere Schicht stülpte sich um, das weiche Gewebe nahm die Gestalt von Nom Anors vernarbtem Gesicht an. Eine Augenhöhle war leer, das geschwollene Lid schien in dem blauen sichelförmigen Sack unter der Höhle zu verschwinden. Das Gift spritzende Plaeyrin Bol, das einst Nom Anors Äußeres geprägt hatte, war verschwunden, und offensichtlich hatte der Exekutor noch nicht die Möglichkeit erhalten, es zu ersetzen.

Harrar kniff zufrieden die Augen zusammen. Nom Anor hatte wiederholt versagt, doch niemals hatte er die Verantwortung für seine Handlungen übernommen. In einer Weise, die für einen Yuuzhan Vong höchst unwürdig war, hatte er stets anderen die Schuld zugewiesen.

Harrar war für seinen Anteil an einer missglückten Spionageaktion zeitweise degradiert worden; Nom Anor hatte man lediglich eine Rüge erteilt, obwohl seine Agenten eine wichtige Rolle beim Scheitern des Plans gespielt hatten. Für Harrar sah es nun so aus, als würde der Gerechtigkeit der Götter in nicht ferner Zukunft Genüge getan.

Dem etwas undeutlichen Abbild von Nom Anor gelang es, ein Gefühl der Ungeduld oder sogar der Sorge zu übermitteln.

»Eminenz?«, sagte Nom Anor.

»Ihr Bericht«, erwiderte Harrar knapp.

Nom Anor kniff das eine Auge zusammen, und einen Moment lang glaubte Harrar, der Exekutor wolle protestieren. Als Agent hinter den feindlichen Linien wurde Gehorsam gegenüber der Priesterschaft selten von ihm verlangt. Sein Schweigen dauerte jedoch länger, als es sein Stolz verlangt hätte, und Harrar befürchtete langsam, Khalee Lahs Verdacht sei möglicherweise gar nicht so weit von der bitteren Wahrheit entfernt. »Sie haben verloren?«

»Wir mussten Verluste hinnehmen«, berichtigte Nom Anor. »Die Voxyn-Königin und ihre Nachkommenschaft wurden vernichtet. Die beiden Jedi, die auf dem Weltschiff gefangen gehalten wurden, sind befreit worden. Ihnen, wie auch einigen der anderen, gelang die Flucht.« Harrar blickte Khalee Lah an. »Haben Sie das Fluchtschiff der Ungläubigen gesichtet?« Der Krieger riss die Augen auf, und einen Moment lang leuchtete das Gesicht begreifend und voller Entsetzen auf, ehe dieses Gefühl sich verflüchtigte und die Miene sich zornig verdüsterte.

»Fragen Sie, wer die Ksstarr fliegt: der Exekutor oder die Ungläubigen?«

An diese Möglichkeit hatte Harrar noch gar nicht gedacht. Rasch gab er die Frage über den Villip weiter. »Einigen der Jedi ist es gelungen, die Fregatte unter ihre Kontrolle zu bringen«, räumte Nom Anor ein. »Wir verfolgen sie, und die Kaperung dieses Schiffes wird einen weiteren Sieg für uns darstellen.« Kaperung. Harrar drehte sich der Magen um, denn das eine Wort bestätigte die Identität der entkommenen Jedi. »Kaperung!«, wiederholte Khalee Lah verächtlich. »Sie sollten das besudelte Ding lieber in Korallenstaub verwandeln! Welcher Yuuzhan Vong würde noch ein von Ungläubigen verunreinigtes Schiff fliegen wollen?«

»Mehrere Jedi sind durch unsere Krieger gefallen«, fuhr Nom Anor fort, der offensichtlich den Hohn des Kriegers nicht bemerkte. »Der jüngere Solo wurde getötet. Der Kriegsmeister wird sich freuen zu erfahren, dass Jacen Solo lebt und sich in unserer Gewalt befindet.«

»Jacen Solo?«, fragte Harrar. »Was ist mit Jaina Solo, seiner Zwillingsschwester?«

Das Schweigen dauerte so lange, dass der Villip begann, sich zu seiner ursprünglichen Gestalt umzustülpen.

»Wir verfolgen sie«, erklärte Nom Anor schließlich.

»Die Jedi sind nicht in der Lage, ein Schiff wie die Ksstarr richtig und über einen längeren Zeitraum zu steuern.«

»Es ist schon eine Schande, dass sie es überhaupt fliegen!«, unterbrach ihn Khalee Lah.

Harrar warf ihm einen ernsten Blick zu und wandte sich wieder dem Villip zu. »Ich nehme doch an, Sie werden diesen Jacen Solo nicht mitnehmen wollen, wenn Sie die Schwester verfolgen. Es heißt, die Jeedai können über weite Entfernungen miteinander kommunizieren, ohne Villips oder mechanische Abscheulichkeiten zu benutzen. Falls dies der Fall ist, würde er sein weibliches Gegenstück sicherlich von Ihrer Ankunft unterrichten.«

Khalee Lah schnaubte spöttisch. »Welcher Jäger hängt seinem Bissop-Rudel eine Glocke um den Hals?«

Bei diesem Vergleich musste Harrar trotz der Unhöflichkeit grinsen. Seiner Meinung nach war Nom Anor von der Dekadenz und der Schwächlichkeit der Ungläubigen befleckt. Das Bild des Exekutors, wie er hinter EidechsenHunden durch Schlamm und Sumpf kriecht, passte so überhaupt nicht und war dennoch ausgesprochen reizvoll.

Der Exekutor nahm sich die Zeit, über Harrars Bemerkung nachzudenken. »Haben Sie eine militärische Eskorte?«

»Zwölf Korallenskipper begleiten das Priesterschiff.

Wünschen Sie, dass wir die Verfolgung von Jaina Solo aufnehmen?«

Über das vom Villip geformte Gesicht lief eine Bewegung, als würde es nicken. »Wie Sie schon richtig erkannt haben, sollte es zwischen den beiden Jedi-Zwillingen nicht zu einem Kontakt kommen. Ich werde Jacen Solo direkt zum Kriegsmeister bringen.«

»Damit der Ruhm dem Exekutor zufällt, während sein Scheitern dem Priester angelastet wird«, knurrte Khalee Lah.

Harrar wandte sich von dem Villip ab. »Sie werden etwas lernen«, sagte er leise. »Doch lassen wir für den Moment Nom Anors Ehrgeiz außer Acht. Sie wurden dazu abgestellt, mich nach Myrkr zu eskortieren, mehr nicht.

Es ist meine Aufgabe, das Opfer der Zwillings-Jeedai zu beaufsichtigen. Ich muss sie verfolgen. Khalee Lah, Sie sind nicht verpflichtet, mich zu begleiten.«

Der Krieger brauchte darüber nicht erst nachzudenken. »Diese Jeedai, diese Jaina Solo, fliegt in einem lebenden Schiff. Das beleidigt mich. Sie ist von einem Weltschiff entkommen. Das hätte nicht möglich sein sollen. Sie ist ein Zwilling, eine Eigenschaft, die den Göttern vorbehalten ist oder den Vorboten von großen Ereignissen. Es ist Blasphemie. Ich würde sie bis in die hinterste Ecke dieser Galaxis verfolgen, und wenn ich mich dazu an ein Paar sich häutender Grutchins klammern müsste.«

»Eindrücklich vorgetragen«, erwiderte Harrar trocken. Er wandte sich an den wartenden Exekutor. »Wir werden Jaina Solo zurückholen.«

»Sie zögern. Sind Sie sicher, dass Sie Erfolg haben werden?«

»Es ist der Befehl des Kriegsmeisters«, antwortete Harrar schlicht. Er blickte Khalee Lah an und fügte mit einem Hauch Strenge hinzu: »Und ein heiliger Feldzug.«

Sein Sarkasmus entging Khalee Lah. Der Krieger neigte zustimmend den Kopf, und sein Gesicht strahlte auf eine Weise, die Harrar gelegentlich schon beobachtet, aber noch nie gutgeheißen hatte.

Plötzlich lief dem Priester ein Schauer den Rücken hinunter. Eine Leidenschaft wie die von Khalee Lah erschien Harrar stets auch gefährlich. Des Kriegers Glaube barg Gestalters Kunst, was die im Scherz gemeinten Worte Harrars mit einer verschlagenen Ironie unterlegte, die der Priester stets mit seiner Göttin in Verbindung gebracht hatte.

Und hieß es nicht, dass Yun-Harla ihre hinterhältigsten Tricks für diejenigen aufbewahrte, die ihr am besten dienten?