Cuthbert der Hocko
Zu den entzückendsten, aber aufreizendsten Tieren, die ich in Guayana fand, gehörte Cuthbert der Hocko. Ich kaufte ihn, als ich mich im Land der Bäche aufhielt, und fast von Anfang an war er eine Plage. Hockos gehören zur Familie der Hühnervögel; sie sind so groß wie ein Truthahn, haben ein glänzend blauschwarzes Gefieder, gelbe Füße und einen dicken gelben Schnabel. Am Kopf haben sie einen kurzen Schopf, und ihre großen, dunklen Augen zeigen einen Irrsinnsausdruck.
Cuthbert wurde mir von seinem Besitzer gebracht, einem dicken und scheuen kleinen Chinesen. Nachdem ich den Vogel gekauft hatte, bückte sich der Chinese und setzte ihn vor midi auf den Boden. Eine Weile blieb er blinzelnd stehen und stieß ein leises, klägliches «Piep-piep-piep» aus, das bei dem großen und feurig aussehenden Vogel verblüffend klang. Ich neigte mich zu ihm und begann seinen Schopf zu kraulen, worauf Cuthbert die Augen schloß und platt zu Boden fiel, vor Freude sein Gefieder schüttelte und ein kehliges Gurren von sich gab.
Der Chinese versicherte mir, der Vogel sei so zahm, daß ich ihn nicht in einen Käfig zu sperren brauchte, er werde nicht weglaufen. Da Cuthbert eine Liebe zu mir gefaßt zu haben schien, dünkte mich das durchaus zutreffend. Als ich aufhörte, seinen Kopf zu kraulen, erhob er sich und ging dicht neben meinen Beinen, immer noch lächerlich piepsend. Sehr langsam kam er zu mir heran, legte sich quer über meine Schuhe, schloß die Augen und begann wieder zu gurren. Er war so sanft und rührselig, daß ich ihn sogleich nach dem englischen Mönch und Bischof Cuthbert taufte, da ich diesen Namen für ihn sehr passend fand.
Am Abend nach Cuthberts Ankunft saß ich in unserer Hütte an einem Tischchen, um mein Tagebuch zu führen, und diesen Augenblick hielt Cuthbert, der nachdenklich umherstolziert war, für die geeignete Zeit, mir etwas Liebe zu bezeigen. Er flog also mit viel Flügelschlagen auf den Tisch, lief vergnügt piepsend darüber und versuchte sich auf den Papierbogen zu legen, den ich gerade bekritzelte. Ich schob ihn ärgerlich weg, und als er mit dem Ausdruck empörter Verwunderung ob solcher Behandlung rückwärts trat, warf er mit dem einen großen hühnerähnlichen Fuß das Tintenfaß um, dessen Inhalt sich — überflüssig zu sagen — über meine Notizen ergoß, so daß ich zwei Seiten ganz neu schreiben mußte.
Während ich mich dieser Aufgabe unterzog, machte Cuthbert mehrmals den Versuch, auf meinen Schoß zu klettern; aber ich wehrte ihn streng ab, so daß er sich schließlich verzog und eine Weile in tiefen Gedanken stand. Er entschied, daß es zwecklos wäre, sich mir auf diese gemächliche Weise zu nähern, und daß er es mit einer Überrumpelung versuchen mußte.
Er wartete, bis ich nicht hinschaute; dann hob er ab, um mir auf die Schulter zu fliegen. Natürlich verfehlte er sein Ziel und krachte mit ausgebreiteten Flügeln auf den Tisch, wobei er ein schrilles Verzweiflungsgequäk ausstieß und das Tintenfaß zum zweitenmal umwarf. Da ich ihn nicht im Zweifel darüber ließ, wie böse ich auf ihn war, zog er sich in einen Winkel des Zimmers zurück, wo er schmollend saß. Eine Weile später kam mein Freund herein, um wie üblich die Hängematten aufzuhängen, in denen wir schliefen. Er holte sie aus dem Winkel hervor, wo sie tagsüber aufbewahrt wurden, und beschäftigte sich eifrig damit, sie zu entwirren, und diesen Augenblick wählte Cuthbert, um die Aufmerksamkeit meines Gefährten zu erregen, nachdem es ihm bei mir mißlungen war. Er schlich vorsichtig durchs Zimmer, legte sich dann genau hinter den Füßen meines Freundes hin und schloß die Augen.
Während sich mein Freund mit den Schnüren und dem Netzwerk herumschlug, machte er plötzlich einen Schritt rückwärts und stolperte über den Vogel. Cuthbert quäkte erschrocken auf und verzog sich wieder in seinen Winkel. Als mein Freund nach Cuthberts Ansicht vollauf beschäftigt war, kam er hervor, kroch zu ihm und legte sich quer über seine Schuhe. Ehe ich mich’s versah, krachte es, und mein Freund lag am Boden, zusammen mit den Hängematten, und unter dem Durcheinander von Moskitonetzen, Schnüren und Plachen äugte Cuthbert hervor und piepste voller Entrüstung ob solch unziemlicher Behandlung.
Da ich fand, daß er für einen Abend genug Unheil angerichtet hatte, trug ich ihn zu dem Teil der Hütte, wo ich die Tiere hielt, und fesselte sein eines Bein mit einer langen Schnur an eine schwere Kiste. Dort ließ ich ihn, während er unmutig vor sich hin piepste.
Mitten in der Nacht, als wir in unseren Hängematten schliefen, weckte mich ein fürchterlicher Lärm aus der Richtung der Tierkäfige. Ich sprang aus meiner Hängematte, ergriff die kleine Laterne, die ich für derartige Notfälle immer neben meinem Lager stehen hatte, und stürzte hinüber, um zu sehen, was da los war. Cuthbert saß mit sehr ärgerlicher Miene auf dem Boden und piepste vor sich hin. Anscheinend hatte er sich die verschiedenen Käfige angesehen und entschieden, daß sich der Käfig mit einer Gruppe kleiner Eichhornaffen am besten für ihn als Sitz eignete. So war er hinaufgeflogen, um dort zu schlafen. Unglücklicherweise beachtete er nicht, daß sein Schwanz an den Stangen herniederbaumelte, und im hellen Mondschein konnten die Affen ihn deutlich sehen. Der Schwanz erregte ihre Neugier, und so steckten sie die Hände durchs Gitter, um ihn zu befühlen und herauszufinden, was das eigentlich war. Als Cuthbert merkte, daß sein Schwanz erfaßt wurde, glaubte er offenbar, von einem ungeheuerlichen Tier angegriffen zu werden, und flog wie eine Rakete zur Decke empor; dabei blieben zwei schöne Schwanzfedern in den Händen der Affen zurück. Es dauerte lange, bis seine verletzten Gefühle durch mein Zureden soweit beschwichtigt worden waren, daß er sich von mir einen neuen Schlafplatz anweisen ließ, an dem er sich vor einem Angriff aus dem Hinterhalt sicher wußte.
Als Cuthbert in unser Basislager in Georgetown kam, ließ ich ihn in dem großen Garten, in dem die Tiere gehalten wurden, frei herumlaufen, und er verursachte fortwährend Aufruhr, weil es ihm so großes Vergnügen machte, auf den Füßen der Menschen zusammenzusinken, wenn sie gerade nicht hinschauten. Der Garten war von einem sehr hohen Wellblechzaun umgeben, den Cuthbert nicht zu überfliegen vermochte. Er hegte jedoch die Überzeugung, daß es ihm schließlich gelingen würde, über den Zaun zu gelangen, wenn er nur energisch probte. Also übte er jeden Tag. Er legte etwa zehn Meter zurück, kehrte dann um und rannte mit Flügelschlagen verbissen auf den Zaun zu, so daß sich sein schwerer Körper allmählich vom Boden hob und er dem Zaun zusegelte.
Aber es glückte ihm nie, genügend Höhe zu gewinnen, und da er nie die Kunst gemeistert hatte, mitten in der Luft plötzlich zu wenden, flatterte er geradenwegs weiter auf den Zaun zu, und wenn es ihm beim Näherkommen klar wurde, daß es mit einem Zusammenstoß enden mußte, stieß er ein lautes Gequäke aus, wie um dem Zaun zu befehlen, sich aus dem Wege zu scheren.
Dann gab es einen fürchterlichen Krach, und Cuthbert rutschte mit fliegenden Federn am Wellblech hinunter, wobei seine langen Krallen, die sich anzuklammern versuchten, ein nervenzermürbendes Kratzgeräusch hervorriefen. Diese Zusammenstöße schienen weder ihm noch dem Zaun zu schaden, und solange ihm das Unternehmen Freude machte, ließ ich ihn in Ruhe.
Doch als sich Cuthbert eines Tages wiederum anschickte, seinen täglichen Kampf mit dem Zaun auszufechten, entdeckte er zu seiner Wonne, daß jemand dort eine Leiter vergessen hatte. Als ich das glücklich merkte, war Cuthbert schon zur obersten Sprosse gehoppelt und saß dort stolz und befriedigt. Ich erkletterte die Leiter, um ihn einzufangen; aber da schlug er mit den Flügeln und flog auf die Straße jenseits des Zaunes. Eine Weile blieb er stehen, um sich schnell das Gefieder zu putzen, bevor er in Richtung des Marktes davonhüpfte.
Hastig rief ich alle unsere Gehilfen zusammen, und wir eilten auf die Straße hinaus, um den Ausreißer zu verfolgen. Cuthbert blickte über die Schulter und sah uns hinter ihm her rasen, worauf er so schnell wie möglich rannte. Er führte uns in einem lustigen Tanz rund um den Marktplatz; die Hälfte der Budenbesitzer und die meisten Käufer beteiligten sich an der Jagd, und erst eine halbe Stunde später konnten wir ihn endlich in die Enge treiben und den laut piepsenden Hocko in den Garten zurücktragen.
Auch die großen bunten Aras verschafften uns viel Belustigung. Alle diese Papageien waren in Guayana von verschiedenen Leuten aufgezogen worden, denen wir die Vögel abkauften. Infolgedessen waren sie alle recht zahm. Aus irgendeinem Grunde wurden alle Aras in Guayana Robert genannt, ähnlich wie die Papageien in England Polly und in Deutschland Laura genannt werden, so daß man beim Kauf eines Aras ziemlich sicher sein konnte, daß er nicht nur imstande war, wie eine Fabriksirene zu kreischen, sondern auch seinen eigenen Namen zu sprechen. Wir hatten acht dieser Papageien, die lange und höchst amüsante Gespräche miteinander führten, wobei sie nur das Wort «Robert» benutzten.
«Robert?» krächzte etwa der eine in fragendem Tone.
«Robert, Robert, Robert», antwortete ein anderer.
«R-r-r-robert», schnarrte ein dritter, und so ging es weiter. Sie legten dabei den Kopf auf die Seite und sahen so weise aus, daß ich fast glauben mußte, diese einfältigen Gespräche hätten etwas zu bedeuten.
Ein Arapärchen schätzte es gar nicht, auf einen Käfig beschränkt zu sein, denn die beiden waren es gewöhnt, ein ganzes Haus zur Verfügung zu haben. Ich ließ sie frei im Garten umherlaufen, während wir in Georgetown waren, aber als die Zeit kam, wo wir uns mit der Tiersammlung einschifften, mußte ich die Aras in einen Käfig tun. Ich baute ihnen einen sehr hübschen Käfig mit starkem Drahtgitter an der Vorderseite, bedachte aber nicht, daß sich diese Vögel mit ihrem starken Schnabel durch jedes Holz einen Weg hacken können. Wir waren noch keine drei Tage auf dem Schiff, da hatten diese beiden Aras rings um das Drahtgitter das Holz aufgehackt, und mit einem Krachen fiel die Vorderfront heraus. Dreimal setzte ich den Käfig instand und schob die zornigen Aras wieder hinein, und dreimal zerhackten sie mein Flickwerk und brachen wieder aus. Zum Schluß gab ich mich geschlagen und ließ sie im Laderaum herumwandern, wann immer sie es wünschten. Sie spazierten langsam und sorgsam oben auf den Käfigen dahin und unterhielten sich mit mir oder ihren Gefährten in ihrer «Robert»-Sprache.