Kleine Banditen

Jeder, der am Käfig neben den Buschbabies vorbeigekommen wäre und die erschreckenden Laute dort drinnen vernommen hätte, müßte annehmen, dort seien zwei Tiger oder ähnliche wilde Tiere eingesperrt. Fast immer hörte man aus diesem Käfig Knurren, Quietschen, Kreischen und Brummen, dazu Schnüffelgeräusche. All dieser Lärm wurde von drei Tierchen verursacht, etwas kleiner als das durchschnittliche Meerschweinchen, die ich Banditen nannte. In Wirklichkeit waren es junge Kusimanses oder Zebramangusten, die Ähnlichkeit mit dem Ichneumon haben, und in Anbetracht ihrer Größe machten sie mehr Mühe als fast alle übrigen Tiere zusammen.

Als sie eintrafen, war jedes ungefähr so groß wie eine kleine Ratte, und sie hatten die Augen gerade erst geöffnet. Ihr Fell war leuchtend orangefarben, es stand am ganzen Körper in Büscheln und Borsten ab; sie hatten eine lange, rosa Gumminase, die neugierig hin und her zuckte. Zuerst mußte ich sie mit Milch ernähren, was keine leichte Arbeit war, denn sie tranken mehr Milch als jedes andere Jungtier, das ich jemals gesehen hatte. Das Unternehmen wurde dadurch noch erschwert, daß sie wegen ihrer Kleinheit nicht aus der Milchflasche trinken konnten, die ich sonst für die Jungtiere benutzte. Die Fütterung ließ sich nur bewerkstelligen, wenn ich das Ende eines Stäbchens mit einem Wattebausch umwickelte, ihn in Milch tauchte und sie dann daran saugen ließ.

Anfangs ging das recht gut, weil sie noch keine Zähne hatten; doch sobald die Zähne durchgebrochen waren, begannen die Schwierigkeiten. Die Tierchen waren so gierig, daß sie sich wie Bulldoggen in die Watte verbissen, auf keinen Fall loslassen wollten und mich so daran hinderten, den Wattebausch erneut in die Milch zu tauchen. Manchmal bissen sie so hart zu, daß sich die Watte vom Ende des Stabes löste, worauf sie den Wattebausch zu verschlingen versuchten. Ich konnte sie vor dem Erstickungstod nur retten, indem ich ihnen den Finger in den Hals steckte und die Watte herausangelte. Sie schätzten es nicht, meinen Finger im Hals zu spüren, da er sie zum Würgen brachte, und natürlich waren sie, nachdem sie sich übergeben hatten, gleich wieder hungrig, und so mußte die ganze Vorstellung wiederholt werden.

Nachdem sie mit ihren scharfen Zähnchen bewehrt waren, fühlten sie sich sehr tapfer und abenteuerlustig, und sie waren stets dazu bereit, ihre lange Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. Zuerst hielt ich sie neben meinem Bett in einem Korb, so daß ich sie nachts leichter füttern konnte. Der Deckel dieses Korbes saß nicht sehr fest; die Folge war, daß die Banditen fortwährend hinauskletterten und Besichtigungstouren im Lager unternahmen. Das stimmte mich besorgt, weil wir dort etliche gefährliche Tiere hatten, und die Banditen schienen keine Furcht zu kennen, denn sie steckten ihre Nase ebenso unverfroren in den Käfig eines Affen wie in die Kiste einer Schlange. Sie verbrachten ihr Leben in endloser Suche nach Nahrung, und sie bissen in alles, worauf sie stießen, weil sie etwas Schmackhaftes erhofften.

Einmal entschlüpften sie ihrem Korb, ohne daß ich es merkte, und wanderten zu der langen Reihe von Affenkäfigen, um zu sehen, ob sie etwas Leckeres zu fressen finden könnten. Damals hatte ich eine Äffin mit sehr langem, seidigem Schwanz, auf den sie außerordentlich stolz war. Stundenlang putzte und striegelte sie ihn jeden Tag, so daß das glänzende Fell fleckenlos sauber war. Als die Banditen auf dem Schauplatz erschienen, saß sie zufällig auf dem Boden ihres Käfigs, um sich zu sonnen, und ließ ihren schönen Schwanz durchs Gitter hängen.

Der eine Bandit sah diesen langen, seidigen Schwanz auf dem Boden liegen, und da er keinem zu gehören schien, fand das Tierchen ihn offenbar einer Kostprobe wert, lief darauf zu und schlug die Zähne hinein. Als die beiden andern sahen, was ihr Gefährte gefunden hatte, gesellten sie sich sofort hinzu und machten ebenfalls von ihren Zähnen Gebrauch.

Die Äffin erschrak sehr und kletterte laut schreiend am Gitter in die Höhe. Aber davon ließen sich die Banditen nicht beirren; wie ein Schraubstock klammerten sie sich an, und je höher die Äffin kletterte, desto höher wurden die Banditen von dem Schwanz emporgetragen, so daß sie, als ich auf dem Schauplatz anlangte, ungefähr dreißig Zentimeter in der Luft schwebten, langsam kreiselnd, im Chor knurrend, ohne den Affenschwanz loszulassen.

Es dauerte mehrere Minuten, bis ich sie dazu brachte, von dem Schwanz abzulassen, und sie taten es schließlich nur, weil ich ihnen Zigarettenrauch ins Gesicht blies, so daß sie husten mußten.

Nicht lange darauf taten mir die Banditen ungefähr das gleiche an. Jeden Morgen ließ ich sie, nachdem ich sie gefüttert hatte, auf meinem Bett herumspazieren, bis mein Tee kam. Sie untersuchten das Bett sehr gründlich, wobei sie einander zugrunzten und zuquiekten, trabten auf und ab und steckten ihre lange rosa Nase in jede Falte der Bettücher, um sich zu vergewissern, daß dort nichts Eßbares verborgen war.

An diesem Morgen lag ich im Halbschlaf, während die Banditen im Bett herumkletterten und auf der Decke Bergsteigerkunststücke vollführten. Plötzlich fühlte ich am Fuß einen peinigenden Schmerz. Ich fuhr in die Höhe und stellte fest, daß der eine Bandit beim Herumschnüffeln meinen Zeh aufgedeckt hatte. Er hielt ihn für eine Delikatesse, die ich für ihn versteckt hatte. Mit der üblichen Gier hatte er versucht, von meinem Zeh so viel wie möglich ins Mäulchen zu bekommen, und daran nagte er eifrig, entzückte Grunzlaute ausstoßend, als ich ihn am Schwanz packte und wegriß. Er ließ den Zeh höchst ungern los, ja, er schien sich sehr zu ärgern, daß er mitten in einer herrlichen Mahlzeit gestört worden war.

Schließlich wurden die Banditen so groß, daß sie nicht mehr in einem Korb gehalten werden konnten, und ich mußte sie in einen Käfig überführen. Sie hatten nämlich in das Flechtwerk so große Löcher gebissen, daß es kaum mehr einen Korb für sie gab. Inzwischen waren sie imstande, aus einem Schüsselchen zu fressen, und sie erhielten, vermischt mit ihrer Milch, rohe Eier sowie feingehacktes Fleisch.

Ich baute ihnen einen sehr hübschen Käfig, der ihnen durchaus gefiel. In dem einen Winkel stand ein Schlafhüttchen, der übrige Käfigraum wurde zum Füttern und Spielen benutzt. Zwei Türen, jede auf einer Seite des Käfigs, führten in den Schlafraum und auf den Spielplatz. Ich hatte gehofft, kein Ungemach mehr mit ihnen zu haben, sobald sie sich in ihrem neuen Heim eingewöhnt hatten, aber darin irrte ich mich gewaltig. Die Schwierigkeit bestand jetzt darin, sie zu füttern.

Ihr Käfig stand ziemlich hoch über dem Boden auf einem ganzen Stapel anderer Käfige, die verschiedene Tiere beherbergten. Sowie die Banditen mich mit der Futterschüssel kommen sahen, brachen sie in lautes Gekreisch aus, drängten sich an der Tür zusammen und steckten die lange rosa Nase durchs Gitter. Die Aussicht auf ein Mahl brachte sie derartig in Aufregung, und jeder war so entschlossen, als erster ans Futter zu gelangen, daß sie sich, kaum hatte ich die Käfigtür geöffnet, quietschend und kreischend hindurchstürzten, mir die Futterschüssel aus der Hand schlugen und zu Boden plumpsten. Das ließ ich ihnen zweimal durch, weil ich dachte, daß sie nach dem zweiten Sturz so klug wären, nicht mehr hinauszurasen, sowie die Tür geöffnet wurde; aber dem war nicht so. Wie Raketen schossen sie hinaus, die Schüssel flog in die Luft, und sie landeten knurrend, wild um sich beißend auf dem Boden. Dann mußte ich sie aufheben und sie wieder in ihren Käfig setzen, mußte hingehen und eine neue Schüssel voll Nahrung zubereiten. Wenn sie derartig aufgeregt waren, mußte man sie außerdem sehr vorsichtig aufheben, denn sie bissen dann nach allem und jedem in Reichweite.

Schließlich hatte ich es satt, die Banditen bei jeder Mahlzeit aus ihrem Käfig fallen zu sehen; deshalb heckte ich einen recht schlauen Plan aus. Wie gewohnt ging ich mit ihrem Futter zum Käfig, worauf sie sich bei der Tür zusammendrängten und auf den Augenblick warteten, wo sie hinausstürzen konnten. Ich aber ließ einen Gehilfen zum andern Ende des Käfigs gehen und an der Tür rütteln, die zu ihrem Schlafraum führte. Als sie das hörten, dachten sie, die Futterschüssel wäre dorthin gesetzt worden; kreischend und knurrend huschten sie durch den Käfig und verschwanden im Schlafraum. Wenn sie glücklich außer Sicht waren, mußte ich die andere Tür öffnen; daraufhin merkten sie, daß ich ihnen ein Schnippchen geschlagen hatte, und sie stürzten wieder aus dem Schlafraum hervor. Wenn ich dann meine Hand nicht draußen hatte, konnte es geschehen, daß sie sich an meinen Fingern festbissen.

Diese Tierchen verursachten mir mehr Schwierigkeiten und versetzten mir mehr Bisse und Kratzer als alle andern Lebewesen, die ich gesammelt habe. Trotzdem mußte ich sie gern haben. Ich wußte ja, daß sie mich nicht aus Bosheit bissen, sondern einfach, weil sie mich in ihrer Erregung irrtümlicherweise für einen Teil ihrer Mahlzeit hielten. Doch manchmal wurde ich recht ärgerlich, und dann stellte ich mir vor, wie angenehm es sein würde, sie einem Zoo zu übergeben, wo ein anderer sich mit ihnen abplagen und von ihnen beißen lassen konnte. Aber als es schließlich soweit war und ich sie dem Zoo überbrachte, für den sie bestimmt waren, fiel mir der Abschied wirklich schwer. Ich besuchte sie, um einen letzten Blick auf sie zu werfen, und sie sahen so unschuldig und reizend aus, wie sie da in ihrem großen Zookäfig im Sägemehl umhertrotteten und mit ihrer dümmlich wirkenden Nase schnüffelten, daß ich mich fragte, ob ich sie vielleicht nicht doch falsch beurteilt hatte. Der Gedanke an die Trennung stimmte mich traurig.

Ich rief sie ans Gitter, um Abschied zu nehmen, und sie sahen so friedlich und lieb aus, daß ich den Finger durchs Gitter steckte, um ihnen zum letztenmal das Köpfchen zu kraulen. Ich hätte es wirklich besser wissen sollen. Im Nu verwandelten sie sich aus harmlos aussehenden Tierchen zu den kreischenden Banditen, die ich längst kannte, und ehe ich den Finger zurückziehen konnte, hingen sie in einem Bündel daran. Nachdem ich mich endlich befreit hatte, trat ich von dem Käfig zurück, wischte mir das Blut mit meinem Taschentuch ab und entschied, daß ich doch sehr froh sein könnte, wenn in Zukunft ein anderer für sie sorgen mußte.

Ein Noah von heute
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