Der Schimpanse Cholmondely

Als sich der Schimpanse Cholmondely zu meiner Sammlung gesellte, wurde er sofort der ungekrönte König, nicht nur wegen seiner Größe, sondern weil er auch so bemerkenswert intelligent war.

Cholmondely war das Haustier eines Distriktbeamten gewesen, der den Schimpansen dem Londoner Zoo schicken wollte. Als er hörte, daß ich in dieser Gegend freilebende Tiere sammelte und die Absicht hegte, binnen kurzem nach England zurückzukehren, schrieb er mir und fragte an, ob ich bereit wäre, Cholmondely mitzunehmen und der Zoodirektion zu überbringen. Ich antwortete ihm, da ich bereits eine große Affenkollektion hätte, würde ein zusätzlicher Schimpanse keinen großen Unterschied bedeuten, und es wäre mir ein Vergnügen, Cholmondely nach England zu begleiten. Ich stellte mir einen jungen Schimpansen vor, vielleicht zwei Jahre alt und ungefähr sechzig Zentimeter groß. Als Cholmondely erschien, bekam ich einen tüchtigen Schrecken.

Eines schönen Tages fuhr beim Lager ein Lieferwagen vor, der eine ungeheure Holzkiste enthielt. Meiner Schätzung nach war sie groß genug, einen Elefanten zu beherbergen. Ich wunderte mich, was wohl darin sein mochte, und als der Fahrer mir mitteilte, der Kratten enthielte Cholmondely, dachte ich noch, wie dumm es von dem Eigentümer sei, einen kleinen Schimpansen in einer so großen Kiste zu versenden.

Ich machte die Tür auf und schaute hinein, und da saß Cholmondely. Ein Blick auf ihn, und ich erkannte, daß dies kein junger chimpanse war, sondern ein voll ausgewachsener von acht oder neun Jahren. Wie er da in dem dunklen Kratten hockte, wirkte er ungefähr doppelt so groß wie ich, und nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, war die Reise nicht nach seinem Geschmack gewesen. Doch bevor ich die Tür zuschlagen konnte, hatte Cholmondely schon einen langen, behaarten Arm ausgestreckt, meine Hand ergriffen und sie herzlich gedrückt. Dann drehte er sich um, hob eine lange Kette auf (das eine Ende war an einem Halsband befestigt), drapierte sie sorgfältig über seinen Arm und trat aus der Kiste.

Ein Weilchen blieb er stehen, betrachtete erst mich und dann das Lager mit großem Interesse, worauf er die Hand ausstreckte und mich fragend ansah. Ich nahm seine Hand, und wir gingen zusammen ins Zelt.

Cholmondely setzte sich sofort in einen der Stühle beim Klapptisch, ließ die Kette zu Boden fallen, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Eine Zeitlang schaute er sich mit ziemlich hochmütiger Miene im Zelt um, und nachdem er es anscheinend als annehmbar befunden hatte, blickte er mich wieder fragend an. Offensichtlich wünschte er, daß ihm nach seiner ermüdenden Reise etwas angeboten würde.

Man hatte mir mitgeteilt, daß er ein gewohnheitsmäßiger Teetrinker war; deshalb trug ich dem Koch auf, eine Kanne Tee zu machen. Dann ging ich hinaus, um mir Cholmondelys Kiste näher anzusehen, und dort fand ich eine sehr große und arg verbeulte Blechtasse. Als ich damit ins Zelt zurückkehrte, zeigte Cholmondely riesige Freude und lobte mich sogar für meine Findigkeit, indem er fröhliche «Hu-hu»-Laute ausstieß.

Während wir auf den Tee warteten, ließ ich mich Cholmondely gegenüber nieder und zündete mir eine Zigarette an. Zu meiner Verwunderung wurde er sehr aufgeregt und streckte die Hand über den Tisch aus. Voller Neugier, was er nun tun würde, reichte ich ihm das Zigarettenpäckchen. Er öffnete es, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. Hierauf streckte er wieder die Hand aus, und ich gab ihm die Streichhölzer. Erstaunt sah ich zu, wie er ein Hölzchen herausnahm, es anrieb, sich die Zigarette anzündete und die Schachtel auf den Tisch warf. Behaglich lehnte er sich zurück und stieß wie ein Könner Rauchwolken aus. Niemand hatte mir gesagt, daß Cholmondely rauchte. Ich fragte mich etwas ängstlich, welch andere schlechte Gewohnheiten er noch haben mochte, von denen mir sein Herr nichts verraten hatte.

In diesem Augenblick wurde der Tee gebracht, und Cholmondely begrüßte ihn mit lauten, ausdrucksvollen Freudenkundgebungen. Er schaute aufmerksam zu, während ich seine Tasse zur Hälfte mit Milch füllte und dann den Tee hinzufügte. Da man mir gesagt hatte, er sei ein Leckermaul, tat ich sechs Eßlöffel Zucker hinein, was er mit befriedigtem Grunzen quittierte.

Er legte seine Zigarette auf den Tisch und ergriff die Tasse mit beiden Händen. Dann schob er die Unterlippe vor und tauchte sie sehr behutsam in den Tee, um sich zu vergewissern, daß das Getränk nicht zu heiß wäre. Da der Tee ziemlich warm war, blies er heftig darauf, bis er genügend abgekühlt war, erst dann trank er die Tasse in einem Zuge leer. Als der letzte Tropfen verschwunden war, äugte er in die Tasse und holte so viel Zucker wie möglich mit dem Zeigefinger heraus. Danach kippte er sich die Tasse auf die Nase und saß so etwa fünf Minuten, bis das letzte bißchen Zucker ihm in den Mund getropft war.

Ich hatte Cholmondelys große Box etwas entfernt vom Zelt aufgestellt und zwar so, daß ich das Ende seiner Kette an einem Baumstumpf befestigen konnte. Meiner Meinung nach war er auf diese Weise zu weit entfernt, um lästig zu fallen, jedoch nahe genug, um alle Vorgänge beobachten und lange Gespräche mit mir in seiner «Hu-hu»-Sprache führen zu können.

Schon am Tage seiner Ankunft rief er Unannehmlichkeiten hervor, kaum daß ich ihn an seinem Baumstumpf angebunden hatte. Außerhalb des Zeltes waren mehrere zahme Äffchen mit langen Schnüren an eingerammten Pfählen angebunden. Es waren ungefähr zehn an der Zahl, für die ich ein Palmblattdach als Schutz vor der Sonne errichtet hatte. Als Cholmondely seine Umgebung besichtigte, bemerkte er diese Affen, die teils Obst verzehrten, teils in der Sonne schliefen, und er beschloß, sich ein bißchen im Kegeln zu üben.

Ich arbeitete gerade drinnen im Zelt, als ich plötzlich draußen einen fürchterlichen Aufruhr vernahm. Die Affen schrien und kecerten wütend, und ich eilte hinaus, um zu sehen, was eigentlich los war. Cholmondely hatte offenbar einen Stein von der Größe eines Kohlkopfs auf genommen und ihn nach den Äffchen geworfen; zum Glück hatte er alle verfehlt, aber sie gebärdeten sich vor Angst wie toll. Wäre eins von ihnen von einem so großen Stein getroffen worden, so wäre es auf der Stelle tot gewesen.

Gerade als ich auf dem Schauplatz ankam, hatte Cholmondely einen zweiten Stein ergriffen, den er wie ein Diskuswerfer hin und her schwang, um besser zielen zu können. Er ärgerte sich, daß er beim ersten Schuß sämtliche Affen verfehlt hatte.

Ich ergriff die nächstbeste Rute und eilte brüllend auf ihn zu. Zu meiner Überraschung ließ Cholmondely den Stein fallen, legte die Arme über den Kopf und wälzte sich schreiend auf dem Boden. In meiner Hast hatte ich einen sehr kleinen Zweig erwischt, der ihm nicht den geringsten Eindruck machte, denn sein Rücken war so breit und so hart wie ein Tisch.

Mit diesem albernen kleinen Zweig versetzte ich ihm zwei scharfe Hiebe, denen eine ernste Standpauke folgte. Indessen saß er mit sehr schuldbewußter Miene da und zupfte sich Blättchen aus dem Fell.

Mit meinen Gehilfen zusammen räumte ich alle Felsbrocken und Steine in der Nähe seiner Box weg, schalt ihn nochmals tüchtig aus und kehrte zu meiner Arbeit zurück. Ich hoffte, daß diese Strafpredigt ihre Wirkung tun würde; doch als ich einige Zeit später zum Zelt hinausschaute, sah ich ihn in der Erde wühlen, offenbar auf der Suche nach Munitionsnachschub.

Nicht lange nach seiner Ankunft im Lager erkrankte Cholmondely zu meinem Entsetzen. Fast zwei Wochen nahm er nichts zu sich; er verweigerte sogar die verlockendsten Früchte und andere Delikatessen, ja, er lehnte auch seine tägliche Teeration ab. Er begnügte sich mit ein paar Schlücken Wasser, und allmählich wurde er immer dünner, er bekam eingesunkene Augen, und ich dachte wirklich, er werde eingehen. Er zeigte überhaupt keine Anteilnahme mehr, sondern hockte den ganzen Tag mit geschlossenen Augen in seiner Box. Es war schädlich für ihn, sich gar nicht zu bewegen, deshalb nahm ich ihn abends nach Sonnenuntergang, wenn es kühl wurde, zu einem Spaziergang mit. Diese Spaziergänge waren ganz kurz, und wir mußten alle paar Meter haltmachen, weil Cholmondely infolge des Nahrungsmangels geschwächt war.

Eines Abends füllte ich meine Taschen vor dem Spaziergang mit einem bestimmten Gebäck, das er sehr gern gehabt hatte. Wir erstiegen langsam einen kleinen Hügel hinter dem Lager und setzten uns dann, um die Aussicht zu bewundern. Während der Ruhepause nahm ich einen Keks aus meiner Tasche und verzehrte ihn, wobei ich genußvoll schmatzte, aber ich bot Cholmondely nichts an.

Er sah sehr verwundert aus, denn er wußte, daß ich mein Essen immer mit ihm teilte, wenn wir zusammen draußen waren. Als ich den zweiten Keks aß, schaute er aufmerksam zu, um zu sehen, ob er mir so gut schmeckte wie der erste. Als er mich vergnügt schmatzen sah, steckte er die Hand in meine Tasche, zog einen Keks heraus und beschnüffelte ihn mißtrauisch. Dann aß er ihn zu meiner Freude auf und kramte nach einem zweiten. Da wußte ich, daß es ihm besser ging.

Am folgenden Morgen trank er eine Tasse süßen Tee und aß siebzehn Kekse. Von dieser Diät lebte er drei Tage lang. Danach kehrte sein Appetit auf einmal zurück; in den nächsten zwei Wochen fraß er doppelt so viel wie früher und kostete mich ein kleines Vermögen an Bananen.

Zwei Dinge gab es, die Cholmondely nicht liebte, erstens die Afrikaner und zweitens Schlangen. Meiner Vermutung nach muß er als Jungtier von Negern geneckt oder gequält worden sein. Worin der Grund auch bestehen mochte, er kühlte sein Mütchen des öfteren. Er versteckte sich in der Box und wartete, bis irgendein Schwarzer nahe vorbeikam, und dann stürzte er mit gesträubtem Fell hinaus, schwenkte die langen Arme und schrie auf höchst beängstigende Weise. Manch eine dicke Negerin, die zufällig mit einem Obstkorb auf dem Kopf an Cholmondelys Box vorbeikam, ließ erschrocken den Korb fallen, hob ihre Röcke in die Höhe und rannte ums liebe Leben, während Cholmondely frohlockend am Ende seiner Kette tanzte und mit lautem Hu-hu alle seine Zähne in verzücktem Grinsen zeigte.

Schlangen gegenüber war er natürlich keineswegs so tapfer. Wenn er mich mit einer Schlange sah, regte er sich sehr auf, rang die Hände und stöhnte vor Angst, und wenn das Reptil, nachdem ich es auf den Boden gesetzt hatte, auf ihn zuzukriechen begann, lief er so weit, wie es seine Kette zuließ, schrie laut um Hilfe und bewarf die Schlange mit Holzstückchen und Gras, um ihr Näherkommen zu verhindern.

Als ich ihn eines Abends wie gewöhnlich in seiner Box einschließen wollte, weigerte er sich zu meiner Überraschung, hineinzugehen. Sein Lager aus Bananenblättern war ordentlich gemacht, und so hielt ich es einfach für Ungezogenheit; aber als ich ihn schalt, nahm er mich bei der Hand, führte mich zu seiner Box und ließ mich dort stehen, während er bis zum Ende seiner Kette zurückwich und mich ängstlich beobachtete. Da wurde mir klar, daß drinnen etwas sein mußte, wovor er sich fürchtete, und tatsächlich fand ich bei vorsichtiger Untersuchung eine kleine Schlange, die sich mitten in seinem Lager zusammengerollt hatte. Nachdem ich sie gefangen hatte, stellte ich fest, daß es eine harmlose Art war; Cholmondely aber kannte den Unterschied natürlich nicht, und er ließ es auf kein Wagnis ankommen.

Cholmondely lernte so schnell Kunststücke und zeigte sie so gern, daß er nach seiner Ankunft in England recht berühmt wurde und sogar mehrmals vor dem Bildschirm auftrat. Er entzückte die Fernseher, indem er mit einem Hut auf dem Kopf auf einem Stuhl saß, eine Zigarette entgegennahm und sie anzündete, sich ein Glas Bier einschenkte und viele andere Dinge trieb.

Der Erfolg muß ihm wohl zu Kopf gestiegen sein, denn kurz darauf glückte es ihm, aus dem Zoo zu entweichen. Er wanderte allein durch den Regent’s Park, sehr zum Schrecken aller, denen er begegnete. Als er zur Straße gelangte, stand dort ein Autobus, den er prompt erkletterte, da er sehr gern spazierenfuhr. Die Fahrgäste hingegen wollten mit diesem Autobus lieber nicht fahren, wenn Cholmondely ihn benutzte, und alle drängten gerade verzweifelt hinaus, als einige Wärter aus dem Zoo erschienen und Cholmondely in ihre Obhut nahmen. Er wurde ungnädig zu seinem Käfig zurückgebracht, doch wie ich Cholmondely kenne, muß er die Schelte gern auf sich genommen haben als Entgelt für den Anblick all der Menschen, die sich gleichzeitig aus dem Autobus drängten und in der Tür steckenblieben. Cholmondely hatte ausgesprochenen Sinn für Humor.

Ein Noah von heute
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