Kröten und Frösche
Beim Dorf Santa Maria gab es ringsum so viele Bäche, daß wir sozusagen auf einer Insel lebten. In den kleinen Flüssen wimmelte es von jungen Kaimanen, von denen ich mir unbedingt einen guten Vorrat beschaffen wollte. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß sie sich nicht so leicht fangen ließen wie die Krokodile in Kamerun. Dort watet man nämlich an den seichten Flüssen entlang und fängt die Tiere auf den Sandbänken. Die Bäche rings um Santa Maria waren dazu viel zu tief, abgesehen davon, daß sie nicht nur von Kaimanen bewohnt wurden, sondern auch von anderen Geschöpfen wie beispielsweise Zitteraalen und den bösartigen, blutdürstigen Karibenfischen, auch Piranhas genannt, die beide eine höchst ungemütliche Badegesellschaft sein können. Um die jungen Kaimane zu fangen, mußte ich also meine Jagdmethode den Gegebenheiten des Landes anpassen.
Wir besaßen ein großes Kanu und machten uns eines späten Abends auf die Wasserfahrt, ausgerüstet mit einem starken Leuchtstab und einer langen Stange mit angebundenem Strick, der in einem Zugknoten endete. Mit der Lampe und der Stange in den Händen saß ich im Bug, während der Paddler im Heck uns langsam und sanft über die dunklen Gewässer beförderte. Ich fand bald heraus, daß die jungen Kaimane am liebsten an Stellen lagen, wo das Kraut dicht auf der Oberfläche schwamm, so daß nur ihre vorgewölbten Augen und die Nase herausragten. Während wir sacht dahinglitten, ließ ich den Schein der Lampe da und dort über diese Krautflecken huschen, bis ich endlich die Augen eines jungen Kaimans etwa dreißig Meter entfernt aufglühen sah. Indem ich mit der einen Hand Zeichen gab, führte ich den Paddler zum Rande des Grünflecks und bedeutete ihm dann, langsamer zu fahren und zu halten.
Während ich dem Kaiman direkt in die Augen leuchtete, beugte ich mich vor, streifte ihm die Seilschlinge behutsam über den Kopf und zog ihn mit plötzlichem Ruck aus dem Wasser und hierauf ins Boot, wo er sich wand und ein lautes Entrüstungsgrunzen ausstieß.
Sowie die andern jungen Kaimane diesen Widerspruch vernahmen, stimmten sie meilenweit in der Runde mitfühlend ein; aber das gereichte ihnen zum Nachteil, denn lauschend konnte ich feststellen, wo sich die größte Anzahl verbarg, und so dauerte es nicht lange, bis auf dem Boden des Kanus ein prallgefüllter Sack lag, der die unglaublichsten Bewegungen vollführte und herumrutschte. Die vielen Kaimane machten einen solchen Lärm, daß wir die Jagd aufgeben mußten; da die Gefangenen im Chor grunzten und knurrten, hörte alles Getier in der Runde das Kanu kommen.
Zu den eigenartigsten Bewohnern dieser Wasserwelt gehört die Pipakröte, auch Wabenkröte genannt, da sie in der Rückenhaut wabenförmige Vertiefungen hat, Bruttaschen, die sich auch oben deckelartig schließen. Ich fing einige dieser sonderbaren Geschöpfe in einem kleinen, lauberstickten Kanal, der von einem der großen Hauptbäche abführte. Sie waren den schmutzigen, verwesenden Blättern so ähnlich, daß ich auf den ersten Blick keine Lebewesen in ihnen erkannte. Sie sind ungefähr zwölf Zentimeter lang und sehen aus wie ganz flache, ledrige braune Papierdrachen mit einem Bein an jeder Ecke. Im Gegensatz zu den meisten Fröschen und Kröten wehrten sie sich nicht spuckend, wenn ich sie aufhob, sondern sie lagen ganz schlaff; offenbar verließen sie sich darauf, daß ihre Ähnlichkeit mit totem Laub ihnen genügend Schutz bot.
Eines der gefangenen Exemplare war ein Weibchen mit Eiern, worüber ich mich besonders freute, da ich nun Gelegenheit hatte, — die erstaunliche Brutpflege der Pipakröten zu beobachten. Das Männchen befruchtet die hervortretenden Eier des Weibchens und streift sie ihm auf den warzigen Rüchen, wo sich infolge des Hautreizes für jedes Ei eine wabenartige Zelle bildet. Zuerst sehen die Eier wie durchsichtige Perlen aus, halb verborgen in der braunen, ledrigen Haut. Allmählich verhärtet die Hälfte des Eies, das über der Haut liegt, und bildet einen konvexen Deckel. Die Eier bleiben in diesen Zellen, machen die Verwandlung zur Kaulquappe durch, und dann entsteht die junge Pipakröte, die so winzig ist, daß es deren sechs bedürfte, um eine Briefmarke zu bedecken. Wenn die jungen Pipakröten fertig ausgebildet sind, wird der Deckel der Zelle weich, und mit Stoßen und Winden öffnen sie ihn wie eine Falltür, strecken einen Fuß oder den Kopf hervor und turnen aus ihrer Brutstätte auf den Rücken des Muttertieres, das dann an Steinen oder Pflanzen die Überreste der Zellen abreibt und eine neue Haut erhält.
Das Pipaweibchen, welches ich im Land der Bäche fing, verbrachte seine Zeit in einer großen Blechdose; es lag ganz still auf der Oberfläche des Wassers und sah aus, als ob es nicht nur mehrere Tage tot wäre, sondern als hätte die Verwesung schon eingesetzt. Ich sah, wie die Eier auf seinem Rücken allmählich zu Deckelchen verhärteten, und dann wartete ich geduldig auf das Erscheinen der jungen Pipakröten. Aber sie verschoben ihren Eintritt in die Welt, bis ich mich auf der Heimreise halbwegs auf dem Atlantischen Ozean befand, und selbst dann wählten sie keine allzu günstige Stunde.
Es ging auf Mitternacht zu; ich hatte gerade meine Arbeit beendet und wollte mich in meine Kabine zurückziehen. Zufällig warf ich noch einen Blick auf die Pipakröte, bevor ich das Licht im Laderaum ausschaltete, und da gewahrte ich ein sonderbares scharzes Zweiglein, das aus ihrem Rücken zu wachsen schien. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, daß die eine kleine Zelle gesprengt worden war, und das schwarze Ding war das Beinchen einer kleinen Pipakröte, das aus seiner Kinderstube hervorkam und hin und her schwankte. Während ich zuschaute, trat das zweite Bein hervor und dann der Kopf. Als das Tierchen einen Augenblick innehielt, sah es wahrhaftig aus wie ein winziger schwarzer Arbeiter, der aus einem Einsteigloch in der Straße hervorkommt.
Es brauchte noch vier bis fünf Minuten, um sich aus seiner Kinderstube zu strampeln, und dann lag es eine Zeitlang auf dem Rücken der Mutter, offenbar erschöpft von der Anstrengung. Schließlich glitt es hinunter und plumpste ins Wasser, wo es vergnügt umherzuschwimmen begann.
Ich wartete geduldig, und auf einmal wurde ein anderer Deckel aufgestoßen, und das zweite Krötlein winkte mir mit dem Bein zu.
Während ich dort hockte, ganz vertieft und verzaubert von diesem außergewöhnlichen Anblick, gesellten sich zwei Seeleute zu mir, die nach ihrer Wacht auf der Brücke heruntergekommen waren und das Licht im Laderaum gesehen hatten. Sie wunderten sich, mich zu dieser Nachtstunde bei einer Dose sitzen zu sehen, und erkundigten sich, was denn da los wäre. Ich erklärte ihnen die Geschichte des Pipaweibchens, das wir im geheimnisvollen Land der Bäche gefangen hatten, und dessen Junge nun aus seinem Rücken ausschlüften. Die beiden Matrosen hockten sich neben mich, und als sie die Ankunft eines neuen Krötleins beobachteten, waren sie bald ebenso verzaubert wie ich.
Nach einer Weile bekamen wir drei noch mehr Gesellschaft; andere Matrosen erschienen, die sich gewundert hatten, was ihren Kameraden zugestoßen sein mochte. Abermals beschrieb ich die Kröte mit den Bruttaschen, und sie wurden so neugierig, daß sie sich dazusetzten, um das Ausschlüpfen der Jungen mitzuerleben. Als ein Krötlein, schwächer als die andern, besonders lange Zeit brauchte, um aus seiner Zelle zu gelangen, machten sich die Matrosen Sorgen, und sie wollten ihm mit einem Zündholz helfen. Aber ich sagte ihnen, daß dem winzigen Krötchen ein Zündholz wie ein Baumstamm Vorkommen müßte, und daß man ihm wahrscheinlich die fadendünnen Beinchen brechen würde, selbst wenn man noch so vorsichtig wäre.
Als sich dieses Krötlein endlich aus der Zelle gearbeitet hatte und erschöpft auf dem Rücken der Mutter zusammensank, wurde ein allgemeiner Seufzer der Erleichterung laut. Der Tag brach schon an, als die letzte junge Pipa ins Wasser plumpste und wir uns aus unserer verkrampften Stellung erhoben. Wir gingen in die Kombüse, um zu sehen, ob wir dem Koch einen frühen Morgentee entlocken könnten. Obwohl wir an diesem Tage bei unserer Arbeit gähnten, stimmten wir alle darin überein, daß es sich gelohnt hatte, die ganze Nacht aufzubleiben und die Ankunft der jungen Pipakröten zu beobachten.
Die Pipakröten waren natürlich nicht die einzigen ungewöhnlichen Amphibien, die man im Land der Bäche finden konnte. Guayana schien einen mehr als gerechten Anteil an seltsamen Kröten und Fröschen zu haben. Nächst den Pipakröten dünkten mich die Sternguckerfrösche unsere eigenartigste Beute. Vom Vorhandensein dieses Geschöpfes erhielten wir zum erstenmal Kenntnis, als mein Freund und ich eines Abends einen Bach abdreggten, um zu sehen, was sich dort fangen ließ. Plötzlich rief mich mein Freund zu sich und sagte, er habe ein sehr merkwürdiges Tier gefangen: Es sah genau wie eine Kaulquappe aus, nur war es ungefähr fünfzehn Zentimeter lang, und der Leib hatte die gleiche Größe wie ein Hühnerei.
Mein Freund und ich führten eine lange Diskussion, was für ein Tier das sein mochte; er behauptete steif und fest, es müsse ein Fisch sein, denn wenn es eine Kaulquappe wäre, würde sie sich zu einem Riesenfrosch auswachsen. Ich war ebenso überzeugt, daß es doch eine Kaulquappe wäre. Erst nachdem wir eine Zeitlang hin und her geredet hatten, fiel mir plötzlich ein, daß ich von diesem gespenstischen Amphibium gelesen hatte, und daraufhin ging mir auf, daß wir die Kaulquappe des Sternguckerfrosches gefangen hatten.
Der Sternguckerfrosch entwickelt sich anders als der gewöhnliche Wasserfrosch. Beim Wasserfrosch entsteht aus dem Keimling eine winzige Kaulquappe, die wächst, bis sie eine bestimmte Größe erreicht hat, worauf sie Beine entwickelt, den Schwanz verliert und als mittelgroßer Frosch in Erscheinung tritt. Der Sternguckerfrosch hingegen ist im Kaulquappenstadium größer als in der fertigen Gestalt.
Zu den eigenartigen Fröschen in diesem Teil von Südamerika gehört außerdem der Beutelfrosch. Das Tier hegt seine Jungen auf fast ebenso ungewöhnliche Weise wie die Pipakröte. Das Weibchen hat in der Rückenhaut einen langen Schlitz, der in eine Art Beutel mündet. Dahinein werden die Eier gelegt, die das Weibchen dann mehr oder weniger vergißt. In dem Beutel vollzieht sich die Umwandlung in Kaulquappen; die Kaulquappen entwickeln Beine, und ihr Schwanz verschwindet, und wenn sie fürs Leben bereit sind, schlitzt die Mutter die Haut an ihrem Rücken auf, worauf die Jungen herauskrabbeln, jedes nicht viel größer als das Knöpfchen am Ende einer Stricknadel.
Das kleinste, aber mächtigste Amphibium, das wir in Guayana fingen, war der Baumsteigerfrosch, den man dort Giftpfeilfrosch nennt. Das ist ein kleiner Laubfrosch, etwa vier Zentimeter lang, von wunderbarster Färbung und Musterung. Es gibt mehrere Arten; sie können auf hellem Grund rote und goldene Streifen haben, auf schwarzem Grund rosa und blaue oder irgendeine andere Farbzusammenstellung. Es sind reizende Tierchen, und ein Glas, das mit ihnen gefüllt ist, scheint eher bunte Bonbons zu enthalten als Lebewesen. Den Indianern sind diese kleinen Frösche sehr nützlich. Sie fangen eine Anzahl und setzen sie nahe an ein Feuer. Sobald es den Fröschen heiß wird, sondert ihr Körper einen Schleim ab, den die Indianer abkratzen und sammeln. Wird dieser Schleim auf eine bestimmte Weise behandelt, so ergibt er ein sehr wirksames Gift, in das die Indianer ihre Pfeilspitzen tauchen. Wird ein Tier von dem Pfeil getroffen — selbst ein kräftiges Tier wie ein Wildschwein — , so wirkt das Gift sehr schnell und führt den Tod herbei. Für die Indianer ist also jeder dieser kleinen Laubfrösche sozusagen eine Giftfabrik, und wenn sie für ihre Pfeile neues Material brauchen, gehen sie in den Wald und sammeln eine Anzahl Baumsteigerfrösche, die ihnen neuen Vorrat liefern.