Seilziehen mit einem Waran

Bevor der Tierfänger eine Reise antritt, muß er wissen, welche Tiere von den Zoologischen Gärten gewünscht werden; wenn er dann weiß, wo sie Vorkommen, wählt er ein Gebiet aus, in dem nicht nur die gesuchten Exemplare zu finden sind, sondern auch andere seltene Geschöpfe. Zoologen und Biologen haben im allgemeinen weder Zeit noch Geld, diese fernen Erdenwinkel zu bereisen und das Wildleben an Ort und Stelle zu beobachten. Also müssen die Tiere gefangen und ihnen gebracht werden, so daß sie im Zoo auf bequemere Weise erforscht werden können. In fast allen Zoologischen Gärten sind die größeren und gewöhnlicheren Geschöpfe aus den meisten Teilen der Welt vertreten, und man weiß eine ganze Menge über sie. Deshalb wollte ich die kleineren und selteneren Tiere fangen, über die wenig bekannt ist. Von ihnen will ich hier erzählen.

In vielerlei Hinsicht beeinflussen gerade die kleinen Tiere das Dasein des Menschen in stärkerem Maße als die großen. So richtet die Ratte alljährlich weitaus mehr Schaden an als manch ein größeres Tier. Aus diesem Grunde befaßte ich mich auf meinen Reisen als Tierfänger besonders mit den kleineren Lebewesen. Für meine erste Expedition wählte ich Kamerun, einen kleinen, beinahe vergessenen Winkel Afrikas, der mehr oder weniger noch genauso aussieht wie vor dem Eindringen der Weißen. Hier führen die Tiere in den riesigen Regenwäldern das gleiche Leben wie vor Jahrtausenden.

Es ist sehr wertvoll, das Wildleben vor dem Einfluß durch die Zivilisation kennenzulernen und zu erforschen, denn wildlebende Tiere sind der Wandlung ebenso unterworfen wie Menschen. Wenn Wälder gerodet, Städte gebaut, Flüsse eingedämmt und Straßen durch Urwald gelegt werden, wird ihre Lebensweise gestört, und sie müssen sich den neuen Umständen anpassen, oder sie sterben aus.

Ich hatte die Absicht, so viel wie möglich über die Bewohner der großen Wälder herauszufinden und eine möglichst reichhaltige und große Sammlung ihrer Kleintiere zurückzubringen, nämlich die Geschöpfe, die der Afrikaner «kleines Fleisch» nennt.

Kamerun ist ein verhältnismäßig kleines Gebiet, beinahe schachtelförmig, eingeklemmt zwischen Nigerien und Französisch-Westafrika. Es liegt im sogenannten Regenwaldgebiet; man findet dort den gleichen dichten, feuchten Urwald wie im Kongo.

Als ich zum erstenmal in Kamerun ankam, fielen mir vor allem die lebhafte Färbung des Unterholzes und die ungeheure Größe der Bäume auf. Das Laub spielte in allen denkbaren grünen und roten Schattierungen, von Flaschengrün zu hellem Jade, von Rosa zu Purpurrot. Die Bäume ragten bis zu hundert Meter auf, die Stämme hatten fast den Umfang eines Fabrikschornsteins, und die massiven Äste wurden von Blättern, Blüten und Schlingpflanzen niedergedrückt.

Ich ging in dem kleinen Hafen von Victoria an Land und verbrachte dort eine Woche mit den Vorbereitungen für die Reise ins Innere. Viele Dinge mußten erledigt werden, bevor ich mit dem eigentlichen Tierfang beginnen konnte. Ich brauchte Dienerschaft und Gehilfen, außerdem Vorräte und Ausrüstungen. Überdies mußte ich mir die Jagd- und Fangbewilligungen beschaffen, denn in Kamerun sind alle Tiere streng geschützt, und ohne Erlaubnis der Regierung darf man kein einziges Tier fangen oder erlegen. Nach Erledigung all dieser Dinge wurde ein Lastwagen gemietet, auf den wir Vorräte und Ausrüstung luden, und endlich brach ich auf. Damals gab es nur einen einzigen Weg ins Innere von Kamerun, der, wenn man ihm weit genug folgte, zum Dorf Mamfe am Ufer des Cross führte, etwa vierhundertfünfzig Kilometer von der Küste entfernt. Dieses Dorf hatte ich als Basis ausersehen.

Die Erde in Kamerun ist rot, und so wand sich durch die Berge eine ziegelrote Straße, auf beiden Seiten gesäumt von ungeheuren Bäumen. Unterwegs sah ich Scharen leuchtender Vögel, winzige glitzernde Sonnenvögel, die Nektar von den Blüten naschten, große glänzende Pisangfresser ähnlich Riesenelstern, die an wilden Feigen pickten, und manchmal schreckte der Lastwagen einen Schwarm Nashornvögel auf, die quer über die Straße flogen, wobei ihre Schwingen stark rauschten, und ärgerlich kreischten.

Im Unterholz am Straßenrand huschten zahlreiche Drachen umher. Diese Echsen, die zur Familie der Agamen gehören, waren fast so bunt wie die Vögel; denn die Männchen haben einen lebhaft orangegelben Kopf und einen blau, silbern, rot und schwarz schillernden Körper; die Weibchen sind rosenrot und hell apfelgrün getüpfelt. Sie haben die sonderbare Gewohnheit, heftig mit dem Kopf zu nicken, und es sieht sehr lustig aus, wenn sie hin und her schießen und einander jagen, plötzlich aber innehalten, um mit dem lebhaft gefärbten Kopf zu nicken. Fast ebenso zahlreich wie die Drachen waren die Zwergeisvögel, winzigkleine Vögel, kleiner als ein Sperling, mit hellblauem Rücken, orangefarbener Brust, korallenroten Füßen und Schnabel. Im Gegensatz zum europäischen Eisvogel leben diese kleinen Vögel von Heuschrecken und anderen kleinen Insekten. Zu Dutzenden saßen sie auf den Telegrafenstangen oder auf abgestorbenen Baumstümpfen am Straßenrand, und alle äugten hoffnungsvoll in Gras und Sträucher hinab. Mitunter fiel einer von ihnen wie ein Stein von seinem Sitz, und wenn er aus dem Gras wieder aufflatterte, hatte er eine Heuschrecke von fast gleicher Größe wie er selbst fest im Schnabel.

Drei Tage nach dem Aufbruch von der Küste gelangte ich nach Mamfe. Ich hatte dieses Dorf aus verschiedenen Gründen als Basis ausgesucht. Wenn man freilebende Tiere sammelt, muß man den Standort sehr sorgsam auswählen: Ein Laden sollte ziemlich leicht zu erreichen sein, so daß man sich genügend Vorräte an Konservenbüchsen, Nägel, Drahtnetz und andere wichtige Dinge beschaffen kann, und auch eine Straße muß leicht erreichbar sein, damit man beim Aufbruch den Wagen möglichst nahe heranfahren kann, wenn es ans Aufladen geht. Zweitens muß man sich vergewissern, daß die Basis in einem guten Fanggebiet liegt, an einem Ort, der noch nicht von Farmen und Leuten so übervölkert ist, daß die meisten freilebenden Tiere vertrieben worden sind. Mamfe eignete sich in dieser Hinsicht vorzüglich; deshalb wurde am Ufer des Flusses, etwa anderthalb Kilometer vom Dorf entfernt, eine Lagerrodung geschaffen und das große Zelt, das ich mitgebracht hatte, aufgeschlagen. Dieses Zelt sollte mir und meinen Tieren in den nächsten sechs Monaten als Heim dienen.

Ehe ich mit dem eigentlichen Fang beginnen konnte, mußte ich dafür sorgen, daß das Lager als Basis reibungslos funktionierte. Käfige, Gehege und Wasserlöcher mußten geschaffen werden, ebenso palmgedeckte Hütten für die Afrikaner, die ich beschäftigte. Ich mußte Vorkehrungen für angemessene Nahrungs- und Wasserversorgung treffen, denn wenn man zweihundert oder dreihundert Tiere gefangen hat, ist der tägliche Verbrauch ungeheuerlich. Ebenso wichtig war es, mit möglichst vielen Häuptlingen zu sprechen, ihnen Zeichnungen und Fotografien der gewünschten Tiere zu zeigen und ihnen zu sagen, wieviel ich für das einzelne Exemplar bezahlen würde. Wenn sie dann in ihre Dörfer zurückkehrten, gaben sie ihren Leuten Bescheid, und so hatte ich schließlich alle Dorfbewohner meilenweit in der Runde als Helfer für meine Arbeit gewonnen.

Als endlich alles fertig war und viele leere Käfige auf einen Inhalt warteten, konnte ich mit der Jagd auf die fremdartigen Tiere beginnen, um deretwillen ich eine so weite Reise gemacht hatte.

Beim Tierfang gibt es eigentlich keine feststehenden Regeln. Alles hängt von der Beschaffenheit des Landes oder der Gegend ab, in der man arbeitet, und von der Tiergattung, die man fangen möchte. In Kamerun benutzte ich mehrere verschiedene Methoden; am erfolgreichsten erwies es sich, den Wald mit eingeborenen Jagdhunden zu durchstöbern. Diese Hunde tragen hölzerne Glöckchen am Hals, so daß man am Geschepper erkennen kann, wo sie sich aufhalten, wenn sie im dichten Gebüsch verschwinden, um ein Tier zu verfolgen.

Eine der aufregendsten Jagden dieser Art ergab sich, als ich den N’da Ali erstieg, einen vierzig Kilometer von der Basis entfernten Berg. Von eingeborenen Jägern hatte ich erfahren, daß man an den oberen Berghängen ein seltenes Tier finden konnte, das ich mir ganz besonders wünschte, den Bärenmaki, einen großen Halbaffen von reinem Kremweiß mit schokoladebraunen Beinen und Füßen. Ich wußte, daß ein lebendes Exemplar dieser Gattung in England noch nie zu sehen gewesen war, deshalb war ich entschlossen, eines zu fangen, wenn nur irgend möglich.

Wir brachen eines Morgens sehr früh zu unserer Jagd auf, vier Jäger und ich, außerdem eine Meute von fünf ziemlich räudig aussehenden Hunden. Hinderlich bei einer solchen Jagd ist es, daß man den Hunden nicht erklären kann, was für ein Tier man wünscht, und so nehmen sie die Witterung irgendeines Waldgeschöpfes auf und folgen ihr. Dadurch kann es geschehen, daß man bei der Jagd nach einem Maki zum Schluß etwas ganz anderes fängt.

Das war mir in der Tat beschieden. Nachdem wir etwa eine halbe Stunde lang den Wald durchstreift hatten, nahmen die Hunde eine frische Witterung auf und rannten mit erregtem Kläffen davon; das Scheppern ihrer Glöckchen widerhallte durch die Bäume. Wir nahmen die Verfolgung auf, liefen eine halbe Stunde lang den fernen Geräuschen der Meute nach, rannten so schnell, wie wir konnten, und wurden immer erschöpfter. Plötzlich blieb der vorderste Jäger stehen und hielt die Hand in die Höhe. Wir standen wie angewurzelt, rangen nach Atem und spitzten die Ohren, aber der Wald ringsum war still; von den Glocken war nichts zu hören.

Wir fächerten aus und schlugen verschiedene Richtungen ein, um festzustellen, welchen Weg die Meute genommen hatte. Endlich ließ uns der gellende Ruf eines Jägers zu der Stelle eilen, wo er wartete, und hier hörten wir in einiger Entfernung Wasser rauschen. Während wir dorthin liefen, erklärte mir der Jäger keuchend, daß die Glöckchen vom Wasserrauschen übertönt würden, wenn die Hunde ihrer Beute zum Fluß gefolgt wären. Beim Fluß angekommen, planschten wir stromaufwärts, bis wir eine Stelle erreichten, wo das Wasser in einem sieben Meter hohen Fall schäumend herabtoste. Unten am Wasserfall häuften sich in einem Wirrwarr mächtige Felsblöcke, dicht bewachsen mit Moos und kleinen Pflanzen, und unter diesen Felsen gewahrten wir die Schwänze und Hinterteile der Hund6, die hier das Wasserrauschen mit ihrem schrillen Gekläff übertönten. Als wir zwischen die Felsblöcke spähten, sahen wir zum erstenmal, was sie gejagt hatten: einen Nilwaran, eine gewaltige Echse, deren Gesamtlänge anderthalb Meter betrug, mit peitschenartigem Schwanz und mit starken Nägeln bewehrten Füßen. Er hatte sich zwischen den Felsen in eine Sackgasse zurückgezogen und hielt die Meute in Schach, indem er mit seinem langen Schwanz peitschte und mit offenem Maul fauchte, wenn sie sich zu nahe heranwagte.

Gerade wollten wir sie abrufen, als eine Hündin, dümmer als die andern, zwischen die Felsen vorstürzte, nach dem Hals des Warans schnappte und sich darin verbiß. Der Waran gab die Liebenswürdigkeit zurück, indem er ihr Ohr zwischen die Zähne nahm und dann, sich aufrichtend, mit den kräftigen Hinterbeinen nach dem Rücken der Hündin schlug und ihr mit den scharfen Krallen die Haut aufriß. Die Hündin ließ seinen Hals jaulend los, doch als sie zurückzuweichen begann, teilte ihr der Waran mit dem Schwanz einen Peitschenhieb aus, so daß sie über die Felsblöcke kullerte. Hastig riefen wir die übrigen Hunde ab und banden sie am nächsten Baum fest. Nun galt es zu entscheiden, wie die Echse am besten zu fangen war, die da gleich einem großen vorgeschichtlichen Ungeheuer fauchend zwischen den Felsen lag.

Wir versuchten ein Netz über den Waran zu werfen, aber es verfing sich immerzu an den scharfkantigen Felsen, und schließlich gaben wir das als untaugliches Unternehmen auf. Mir fiel kein anderes Verfahren ein, als in die Höhe zu klettern und ihm von oben, während er von einem andern abgelenkt wurde, eine Schlinge um den Hals zu werfen. Nachdem ich den Jägern mein Vorhaben auseinandergesetzt hatte, erklomm ich die schlüpfrigen Felsen, bis ich etwa einen Meter über der Stelle hockte, wo der Waran lag. Ich brachte am Ende eines langen Seiles eine Ziehschlinge an, lehnte mich vor und ließ sie vorsichtig zu dem Waran hinunter. Anscheinend brachte er das lange Seil mit den Menschen vor ihm nicht in Verbindung, und so fiel es mir nicht schwer, ihm die Schlinge über den Kopf zu streifen und langsam anzuziehen, bis sie ihm um den Hals lag. Dann zog ich sie fest.

Unglücklicherweise hatte ich in meiner Aufregung vergessen, das andere Ende des Seiles irgendwo anzuknüpfen, und was noch schlimmer war, ich kniete auf dem losen Ende. Sowie der Waran fühlte, daß sich die Schlinge um seinen Hals zuzog, schoß er wie eine Rakete vorwärts, wobei sich das Seil so straff spannte, daß es mir unter den Knien weggerissen wurde und ich abrutschte. Da ich mich an der glatten Oberfläche, die vom Wasserfall bespritzt wurde, nirgends festhalten konnte, rutschte ich über den Felsrand und stürzte hinunter. Ich weiß noch, während des Sturzes hoffte ich, daß der Waran vor Schrecken über mein plötzliches Erscheinen auf einen Kampf verzichten und die Flucht ergreifen würde. Ich hegte kein Verlangen, mit seinen gutbewaffneten Füßen in nähere Berührung zu kommen. Zum Glück traf das ein. Der Waran erschrak so sehr, daß er zwischen den Felsen hervorstürzte und der Uferböschung zustrebte, wobei er das Seil nachschleppte. Er kam jedoch nicht sehr weit, denn sobald er aus dem Felsengewirr auftauchte, warfen ihm die Eingeborenen das Netz über, und binnen Sekunden wand er sich fauchend in den Maschen. Als es uns endlich gelungen war, ihn von dem Netz zu befreien und an einer langen Stange festzubinden, schickte ich einen der Jäger mit ihm zum Lager zurück. Ich freute mich sehr über den Fang dieser großen Echse; doch da wir nicht ihretwegen in die Berge gestiegen waren, setzten wir unseren Weg durch den Wald fort.

Kurz darauf nahmen die Hunde eine neue Fährte auf. Diesmal ergab sich eine viel längere und interessantere Jagd. Erstens einmal lief das Tier, dem wir nachsetzten, bergab, und wir mußten auf dem Hang im raschen Lauf über Felsbrocken springen, was recht gefährlich war, da ein Sturz zu einem gebrochenen Bein oder etwas noch Schlimmerem hätte führen können.

Auf einmal kehrte unsere Beute um und rannte bergauf. Wir mußten wohl oder übel schwitzend und keuchend hinterher. Diese Jagd dauerte drei Viertelstunden, bis wir, den Glocken der Hunde folgend, zu einer ebenen Stelle kamen, wo sich die Meute um das eine Ende eines großen hohlen Baumstammes drängte, der auf dem Waldboden lag. In der Höhlung saß ein weißes Tier mit ulkigem bärenhaftem Gesicht und kleinen Ohren. Mit zornigem Ausdruck starrte es die Hunde an, die es ankläfften. Der eine Hund war, wie ich bemerkte, in die Nase gebissen worden, und so begriff ich, warum die Meute diskreten Abstand von diesem sonderbaren Tier hielt.

Als der Bärenmaki uns sah, verzog er sich in das hohle Innere des Baumstamms.

Wir riefen die Meute ab, legten ein Netz über das Ende des Stammes und gingen dann zum andern Ende, um uns zu vergewissern, daß dort kein Ausgangsloch vorhanden war. Hier war der Stamm nicht hohl, und so wußten wir, daß der Maki nur eine Möglichkeit hatte, seinen Schlupfwinkel zu verlassen, und dieser Ausgang wurde von unserem Netz bewacht. Jetzt handelte es sich nur noch darum, ihn aus dem Baumstamm zu treiben. Zum Glück war das Holz sehr morsch und weich, so daß wir mit unsern Messern am anderen Ende des Stammes ein Loch schneiden konnten. In der Höhlung machten wir ein kleines Feuer, und als es schön brannte, legten wir grüne Blätter darauf, so daß dicker, durchdringender Rauch durch den hohlen Baumstamm fuhr. Eine Zeitlang hörten wir den Maki drinnen gereizt husten, doch schließlich ertrug er den Rauch nicht mehr und schoß aus dem Stamm in das Netz, in dem er sich schnappend und fauchend wälzte. Wir wurden fast alle gebissen, während wir ihn mit einiger Mühe von dem Netz in einen starken Sack überführten. Dann trugen wir ihn frohlockend zum Lager zurück. In den ersten Tagen war er sehr wild und ging auf die Käfigstangen los, sooft ich mich ihm näherte. Doch nach einer Weile wurde er in der Gefangenschaft recht zahm, und einige Wochen später kam er sogar heran und fraß mir aus der Hand oder ließ sich von mir hinter den Ohren kraulen.

Im Kamerungebirge werden die dichten Wälder von einem Plateau mit Gras und Alpenkräutern abgelöst, und in dieser Gegend besteht die beste Fangmethode darin, die Tiere ins Netz zu treiben. In dieses Grasgebiet zog ich, um das Ölpalmhörnchen zu fangen, das größte Eichhorn, das in Kamerun gefunden wird und ungefähr doppelt so groß ist wie unser gemeines Eichhörnchen. Das Rieseneichhorn kommt auch im Tiefland vor, aber dort lebt es in den obersten Zweigen der größten Bäume, ernährt sich da oben von den Früchten und Nüssen und klettert sehr selten zum Boden hinunter. Infolgedessen ist es fast unmöglich zu fangen. Im Grasland hingegen lebt es in den schmalen Waldstreifen am Rande der Bäche, und sowohl frühmorgens als auch abends klettert es hinab, um auf den Wiesen zu äsen.

Meine Jäger hatten mir gesagt, sie kennten ein Waldgebiet, wo dieses Tier zahlreich vorkäme, und ich beschloß, am frühen Morgen, wenn es zur Äsung auf die Wiese herunterkam, Jagd darauf zu machen.

Wir brachen um ein Uhr nachts auf und kamen kurz vor dem Morgengrauen am gegebenen Ort an. Wir suchten uns am Waldrand eine geeignete Stelle aus, wo wir unsere Netze halbmondförmig im Gras ausbreiteten und sie mit Gräsern und Sträuchern tarnten. Das mußte getan werden, solange es noch dunkel war, und wir mußten dabei sehr leise Vorgehen, damit die Ölpalmhörnchen nichts von unserem Vorhandensein merkten. Als die Netze fertig waren, versteckten wir uns im Dickicht am Rande des Waldstreifens und warteten dort, vom Tau durchnäßt, auf den Anbruch der Morgendämmerung. Im Gebirge ist es viel kälter als im Tiefland, so daß wir bei Sonnenaufgang so durchgefroren waren, daß uns die Zähne klapperten.

Als der Morgennebel uns in weißen Schwaden umwogte, vernahmen wir auf einmal lautes, ärgerliches Keckem, das ringsum von den Bäumen widerhallte. Die Jäger flüsterten, dies bedeute, daß die Eichhörner Anstalten trafen, zum Äsen herunterzukommen. Bald darauf sah ich, als ich durchs Laub zu der Stelle hinüberspähte, wo unsere Netze verborgen waren, ein seltsames Ding auf und nieder hüpfen. Es sah genau aus wie ein langer schwarzweißer Ballon, und ich hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Ich machte die Jäger darauf aufmerksam, worauf sie mir erklärten, das sei eine Eichhornstandarte, die über den Gräsern auf und ab hüpfte, während der Körper außer Sicht blieb. Es dauerte nicht lange, da gesellten sich zu diesem einsamen «Ballon» mehrere andere, und als sich der Nebel hob, sahen wir die Ölpalmhörnchen selbst vorsichtig im Gras herumhüpfen und auf ihrer buschigen schwarzweiß gestreiften Fahne sitzen. Als sie unserer Schätzung nach weit genug von den Bäumen entfernt waren, richteten wir uns aus unserer verkrampften Stellung auf und rückten in einer Reihe vor. Dann gab ich das Zeichen, und wir traten alle langsam auf die Wiese hinaus. Unser Erscheinen wurde von den Eichhörnern in den Bäumen hinter uns mit einem Chor erschrockener Keckerlaute begrüßt. Die Ölpalmhörnchen auf der Wiese aber saßen nur da und starrten uns mißtrauisch an. Unser Plan bestand darin, vorwärts zu gehen, die Eichhörner immer weiter weg von den Bäumen und langsam zu den Netzen zu treiben und sie dann, wenn sie sich im Kreis der Netze befanden, plötzlich anzugreifen, so daß sie sich in ihrem Entsetzen in den Maschen verfingen. Mit diesem Plan klappte es jedoch nicht so wie erwartet.

Ein Ölpalmhörnchen, offenbar ein oberschlaues, erkannte auf einmal, daß wir es vom Schutz der großen Bäume wegtrieben, und so brach es nach links aus, rannte um die Reihe der Jäger herum und schnurstracks zurück in den Wald. Die andern blieben beobachtend sitzen, anscheinend unschlüssig, ob sie ihm folgen sollten oder nicht. Obwohl sie noch nicht ganz im Kreis der Netze waren, hielt ich es für besser, sie schon anzugreifen, damit sie nicht alle ausbrachen und wie das erste Eichhorn uns ein Schnippchen schlugen. Wir stürmten also alle vorwärts, johlten und grölten dabei und fuchtelten mit den Armen, um möglichst furchterregend zu wirken. Nach einem einzigen Blick auf uns ergriffen die Eichhörner die Flucht.

Zwei entwichen nach links und rechts; drei andere rannten geradenwegs ins Netz und zappelten binnen wenigen Sekunden hilflos in den Maschen. Es war außerordentlich schwer, sie daraus zu befreien, denn sie knurrten wütend und bissen uns mit ihren gelben Zähnen wild in die Hände. Es waren recht schöne Tiere mit rostrotem Oberkörper, zitronengelbem Bauch und buschiger, schwarzweiß geringelter Standarte; jedes maß in der Länge fast einen halben Meter. Da die Ölpalmhörnchen im Walde jetzt wußten, daß wir sie fangen wollten, wäre es nutzlos gewesen, die Jagd fortzusetzen; deshalb mußten wir uns mit den drei Exemplaren begnügen, die uns ins Netz gegangen waren. Wir trugen sie in dicken Leinwandsäcken zum Lager und setzten sie in einen geräumigen Käfig, versorgten sie mit Obst und Gemüse und ließen sie allein, damit sie sich erst einmal eingewöhnten. Nachdem sie den Käfig gründlich erforscht hatten, verzehrten sie alles Futter, rollten sich dann zusammen und schliefen.

Am folgenden Morgen entdeckte ich, warum diese Eichhörner von den Eingeborenen Kameruns «Brülltiere» genannt werden. Ich wurde bei Morgengrauen von einem sehr seltsamen Geräusch geweckt, das aus dem Käfig drang, und als ich aus meinem Bett kletterte, sah ich die Eichhörner nahe beim Käfiggitter sitzen und ihren gespenstischen Ruf ausstoßen. Er begann als leises Summen, wie man es in einer Telegrafenstange hört, wenn der Wind die Drähte schüttelt, wurde allmählich immer lauter und metallischer, bis er genauso klang wie das verebbende Dröhnen eines großes Gonges. Die Ölpalmhörnchen stießen diesen außergewöhnlichen Ruf jeden Morgen bei Tagesanbruch aus, und so wurde ich in der ersten Woche, ehe ich mich daran gewöhnte, immer zu dieser infam frühen Stunde geweckt, so daß ich es für ein ziemlich zweifelhaftes Privileg hielt, diese Tiere gefangen zu haben.

Ein Noah von heute
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