60. Kapitel
Was dem Don Quixote begegnete, als er nach Barcelona ging.
Der Morgen war frisch und verhieß, daß der ganze Tag so sein würde, an welchem Don Quixote die Schenke verließ, nachdem er sich vorher erkundigt hatte, welches der nächste Weg nach Barcelona sei, ohne Saragossa zu berühren; so sehr war er darauf bedacht, den neuen Geschichtschreiber, der, wie er gehört, ihn so geschmäht hatte, als einen Lügner erscheinen zu lassen. Es fügte sich, daß ihm in vier bis sechs Tagen nichts begegnet war, was des Niederschreibens wert gewesen, nach welcher Zeit ihn die Nacht einmal, da er sich vom Wege entfernt hatte, unter einigen dicken Eichen oder auch Korkbäumen überfiel, denn hierin ist Cide Hamete nicht so genau, wie er in anderen Dingen zu sein pflegt. Herr und Diener stiegen von ihren Tieren ab, und nachdem sie sich unter den Zweigen hingestreckt hatten, überließ sich Sancho, der an diesem Tage viel geschmaust hatte, ohne weiteres einem tüchtigen Schlafe; Don Quixote aber, den seine Phantasien noch mehr als der Hunger wach erhielten, konnte kein Auge zutun, sondern schweifte und kreuzte mit seinen Gedanken durch tausend verschiedene Gebiete. Bald glaubte er in der Höhle des Montesinos zu sein, bald sah er die in eine Bäuerin verwandelte Dulcinea rennen und auf die Eselin springen, bald ertönten in seinen Ohren die Worte des weisen Merlin, der ihm die Bedingungen und die Art entdeckte, auf welche allein nur die Entzauberung der Dulcinea geschehen könne. Er war in Verzweiflung, wenn er die Saumseligkeit, das geringe Mitleid seines Stallmeisters Sancho betrachtete, der sich, soviel er wußte, erst fünf Streiche gegeben hatte, eine nur geringe und unbeträchtliche Anzahl gegen die vielen, die ihm noch übrig waren. Darüber stieg ein solcher Verdruß und Zorn in ihm auf, daß er zu sich selber sagte: »Wenn Alexander Magnus den Gordischen Knoten mit den Worten entzweihieb: ›gleichviel, entzweihauen oder auflösen!‹ und er dessenungeachtet der unumschränkte Herr von ganz Asien wurde, so kann sich auch ein Gleiches jetzt mit der Entzauberung der Dulcinea zutragen, wenn ich den Sancho auch gegen seinen Willen geißele. Denn wenn die Bedingung dieser Erlösung die ist, daß Sancho dreitausend und mehr Streiche empfange, was kümmert’s mich, ob er sie sich gibt oder ob sie ihm ein anderer zuteilt, denn das Wesentliche besteht darin, daß er sie empfange, mögen sie auch herkommen, woher sie immer wollen.«
Mit diesen Gedanken näherte er sich dem Sancho, nachdem er vorher den Zaum des Rosinante genommen und ihn so zurechtgemacht hatte, daß dieser ihm zur Geißel dienen konnte, und fing ihm an, den Gürtel aufzulösen (man meint, dieser habe nur vorn eine Schleife gehabt, von welcher seine Beinkleider gehalten wurden); er war ihm aber kaum nahe gekommen, als Sancho auch gleich ganz wach wurde und sagte: »Was ist das, wer faßt mich an und macht mir den Gürtel los?«
»Ich bin es«, antwortete Don Quixote, »weil ich deine Unterlassung gutmachen und meiner Qual Linderung verschaffen will; ich komme, dich zu geißeln, Sancho, und die Schuld zum Teil abzutragen, zu welcher du dich verpflichtet hast. Dulcinea vergeht, du lebst sorglos und ich sterbe vor Sehnsucht; und darum ziehe dich nur gutwillig aus, denn ich bin willens, dir in dieser Einsamkeit wenigstens zweitausend Streiche zu geben.«
»Ja nicht«, sagte Sancho, »haltet Euch ruhig oder, beim lebendigen Gott, die Tauben sollen uns hören können; die Streiche, die ich auf mich genommen habe, sollen freiwillige sein und ohne Gewalt geschehen, und jetzt habe ich keine Lust, mich zu geißeln, genug, daß ich Euch mein Wort gebe, mich zu geißeln und zu hauen, sobald ich Lust dazu habe.«
»Ich kann mich auf deinen Edelmut nicht verlassen, Sancho«, sagte Don Quixote, »denn dein Herz ist grausam, und so sehr du Bauer bist, ist dein Fleisch doch zärtlich.« Hierbei arbeitete er und bestrebte sich, ihm die Schleife aufzubinden. Als Sancho das wahrnahm, stand er auf und ergriff seinen Herrn, mit dem er sich umfaßte und herumschwenkte, worauf er ihm ein Bein unterschlug und ihn mit dem Gesicht nach oben auf die Erde hinschmiß; er stemmte ihm hierauf sein rechtes Knie auf die Brust und hielt ihm mit den Händen die seinigen so fest, daß er sich weder rühren noch regen konnte. Don Quixote sagte zu ihm: »Wie Verräter, du empörst dich gegen deinen Herrn und rechtmäßigen Gebieter? Das unterstehst du dich gegen den, der dich ernährt?«
»Was da von Verrat und Empörung«, antwortete Sancho, »ich helfe mir selbst, denn ich bin mein eigener Herr; Ihr versprecht mir hier, daß Ihr mich in Ruhe lassen und mich nicht zwingen wollt, mich zu geißeln, und ich lasse Euch los und ledig, wo nicht,
Mußt, Verräter, allhier sterben,
O du Feind der Doña Sancha.«
Don Quixote versprach es ihm und schwor ihm bei dem Leben seiner Gedanken, auch nicht einen Faden seines Gewandes anzurühren, und daß er es ganz seiner Willkür und Laune anheimstellen wolle, sich zu geißeln, wenn es ihm gefiele. Sancho stand auf und entfernte sich von dem Orte eine geraume Strecke, und indem er sich unter einen anderen Baum lagern wollte, fühlte er, wie ihm etwas an den Kopf stieß, worauf er mit der Hand tappte und zwei menschliche Beine mit ihren Schuhen und Strümpfen ergriff. Er zitterte vor Furcht, lief zu einem anderen Baum und ihm begegnete das nämliche; er schrie laut nach Don Quixote, daß dieser ihm helfen solle. Don Quixote kam und fragte ihn, was ihm begegnet sei, daß er sich so fürchte, worauf Sancho antwortete, daß alle Bäume dort voller menschlicher Füße und Beine hingen. Don Quixote fühlte danach und erriet, was es sein würde, weshalb er zu Sancho sagte: »Es ist nichts, worüber du dich zu fürchten brauchtest, denn diese Füße und Beine, welche du fühlst und nicht siehst, gehören ohne Zweifel einigen Spitzbuben und Straßenräubern, die an diesen Bäumen aufgehängt sind, denn hier pflegt sie die Obrigkeit zu hängen, wenn sie ergriffen werden, zu zwanzig und zu dreißig, woraus ich abnehme, daß wir uns nahe bei Barcelona befinden müssen.« Und so verhielt es sich auch in der Tat. Gegen Sonnenaufgang hoben sie die Augen auf und sahen die Trauben dieser Bäume, welche Körper von Räubern waren.
Indem wurde es Tag, und wenn die Toten sie schon erschreckt hatten, so taten dies vierzig lebendige Räuber noch mehr, welche sie plötzlich umzingelten und ihnen in katalonischer Sprache zuriefen, daß sie sich ruhig verhalten und warten sollten, bis ihr Hauptmann käme. Don Quixote war zu Fuß, sein Pferd unaufgezäumt, seine Lanze an einen Baum gelehnt, er also mit einem Worte ohne alle Verteidigung, und deshalb hielt er es für gut, die Arme unterzuschlagen und den Kopf hängen zu lassen, um sich für eine bessere Zeit und Gelegenheit aufzusparen. Die Räuber gingen hin, um den Grauen zu plündern, auf dem sie nichts von alledem ließen, was sie nur im Schnappsacke und im Felleisen fanden. Es war für Sancho ein Glück, daß sich in einer Geldkatze, die er umgegürtet hatte, die Dukaten des Herzogs sowie diejenigen befanden, die er aus seiner Heimat mitgenommen hatte, aber trotz dessen würden diese wackeren Leute so lange nachgeforscht und untersucht haben, bis sie gefunden, was er zwischen Haut und Fleisch verborgen hätte, wenn nicht in diesem Augenblicke ihr Hauptmann herzugekommen wäre, der ungefähr vierunddreißig Jahre alt, von starkem Körper, mehr als mittlerer Größe, von ernstem Blick und brauner Farbe war. Er ritt auf einem gewaltigen Pferde, mit einem Panzerhemde bekleidet und mit vier großen Pistolen an den Seiten bewaffnet. Er sah, daß seine Knappen (denn so nennen sich diejenigen, die dies Gewerbe treiben) den Sancho Pansa plündern wollten; er befahl ihnen, es zu unterlassen, worauf sie sogleich gehorchten und dadurch die Geldkatze gerettet wurde. Er verwunderte sich, die Lanze zu sehen, die am Baume lehnte, den Schild auf der Erde und Don Quixote gewaffnet und melancholisch, in der traurigsten und kummervollsten Gestalt, welche nur die Traurigkeit selbst jemals zeigen könnte. Er ging zu ihm und sagte: »Seid nicht so traurig, lieber Freund, denn Ihr seid nicht in die Hände eines grausamen Osiris, sondern in die des Roque Guinart gefallen, dessen Natur mehr mitleidig als streng ist.«
»Meine Traurigkeit rührt nicht daher«, antwortete Don Quixote, »daß ich mich in deiner Gewalt befinde, o tapferer Roque, dessen Ruhm auf der ganzen Erde keine Grenzen kennt, sondern daß ich so sorglos gewesen, daß deine Soldaten mich unberitten haben überfallen können, da es meine Pflicht heischt, dem Orden der irrenden Ritterschaft gemäß, zu welchem ich mich bekenne, im ewigen Aufmerken zu leben und zu aller Zeit meine eigene Schildwache zu sein. Denn du mußt wissen, o großer Roque, hätten sie mich zu Pferde angetroffen, mit meiner Lanze und meinem Schilde, so würde es ihnen nicht leicht geworden sein, mich zu überwältigen, denn ich bin Don Quixote von la Mancha, welcher mit seinen Taten den Erdkreis angefüllt hat.«
Roque Guinart sah sogleich ein, daß der Mut des Don Quixote mehr Narrheit als Tapferkeit sei, ob er gleich seinen Namen einigemal gehört hatte, so hatte er doch seine Taten nie für Wahrheit gehalten, auch hatte er sich nie überreden können, daß eine solche Phantasie das Herz eines Menschen beherrschen solle; darum freute er sich außerordentlich, auf ihn gestoßen zu sein, um das in der Nähe zu sehen, was er aus der Ferne gehört hatte. Er sagte also zu ihm: »Tapferer Ritter, betrübt Euch nicht, haltet es auch für kein schlimmes Geschick, in welchem Ihr Euch jetzt befindet, denn es ist möglich, daß sich Euer erzürntes Schicksal in dergleichen Unfällen versöhne; denn der Himmel pflegt durch seltsame, von Menschen nie ersonnene Mittel die Gefallenen aufzurichten und die Armen reich zu machen.«
Don Quixote wollte seinen Dank abstatten, als sie hinter sich ein Geräusch hörten, wie von einem Trupp Pferden, es war aber nur ein einziges, auf welchem in voller Wut ein Jüngling herbeisprengte, dem Scheine nach von zwanzig Jahren, in grünen Damast gekleidet, mit goldener Stickerei, einem aufgekrempten wallonischen Hut, eng anschließenden Stiefeln, Sporen, Dolch und Degen vergoldet; in der Hand hatte er eine kleine Büchse und zwei Pistolen an den Seiten. Bei dem Geräusche drehte Roque den Kopf um und sah diese schöne Gestalt, welche, da sie nahe gekommen war, sagte: »Dich zu suchen kam ich, o tapferer Roque, denn bei dir finde ich, wenn nicht Hilfe, doch Trost in meinem Unglücke, und damit du nicht ungewiß bleibst, weil ich weiß, du kennst mich nicht, so will ich dir sagen, wer ich bin. Ich bin Claudia Geronima, die Tochter des Simon Forte, deines vertrauten Freundes, des Todfeindes des Clauquel Torrellas, der auch der deinige ist, weil er zu einer dir feindseligen Bande gehört; du weißt, daß dieser Torrellas einen Sohn hat, welcher Don Vincente Torrellas heißt, oder wenigstens noch vor zwei Stunden so hieß. Um die Erzählung meines Unglücks abzukürzen, will ich dir alles nur mit wenigen Worten sagen. Dieser sah mich, warb um mich, ich gab ihm Gehör und schenkte ihm meine Liebe ohne Wissen meines Vaters, denn es gibt kein Mädchen, wenn sie auch noch so einsam und strenge gehalten wird, die nicht Gelegenheit finden sollte, das auszuführen, was sie sich vorgesetzt hat. Kurz, er versprach mir, mein Gemahl zu sein, und ich gab ihm mein Wort, die seinige zu werden, ohne daß wir weiter schritten; gestern erfuhr ich, daß er, uneingedenk dessen, was er mir schuldig war, sich mit einer anderen verheiratete, und daß diesen Morgen die Vermählung vor sich gehe: eine Nachricht, die mir die Sinne verwirrte und aller Geduld ein Ende machte. Und da mein Vater nicht zu Hause war, fand ich Gelegenheit, die Tracht anzulegen, in der du mich siehst, worauf ich auf diesem Pferde fortsprengte, den Don Vincente eine Meile von hier einholte, und ohne mich aufzuhalten, mich zu beklagen oder Entschuldigungen anzuhören, schoß ich diese Büchse und zum Überfluß auch diese beiden Pistolen auf ihn ab, so daß er, wie ich glaube, mehr als zwei Kugeln im Körper haben muß, wodurch ich Tore eröffnet habe, aus welchen mit seinem Blute vermischt meine Ehre wieder zum Vorschein kommen soll. So ließ ich ihn unter seinen Dienern, die nicht wagten und vermochten, ihn zu verteidigen; ich komme, dich zu suchen, daß du mich nach Frankreich hinüberschaffst, wo ich Verwandte habe, bei denen ich leben kann, zugleich will ich dich bitten, daß du meinen Vater beschützest, damit es die Anhänger des Don Vincente nicht wagen, an ihm eine schmähliche Rache zu nehmen.«
Roque, in Bewunderung über die Schönheit, den Anstand und das Schicksal der reizenden Claudia, sagte zu ihr: »Komm, Señora, damit wir sehen, ob dein Feind tot ist, denn alsdann können wir beratschlagen, was dir am nötigsten ist.«
Don Quixote, der aufmerksam zugehört, was Claudia gesprochen und Roque geantwortet hatte, sagte: »Niemand darf sich der Mühe unterziehen, diese Dame zu verteidigen, weil ich es über mich nehme; gebt mir mein Pferd und meine Waffen und erwartet mich hier, denn ich will gehen, um diesen Ritter zu suchen, und tot oder lebendig soll er das Wort erfüllen, welches er dieser edlen Schönheit gegeben hat.«
»Daran darf niemand zweifeln«, sagte Sancho, »denn mein Herr hat zum Verheiraten eine sehr glückliche Hand, denn es ist noch nicht gar lange, als er auch einen anderen zwang, sich zu verheiraten, der auch einer Jungfrau sein Wort nicht halten wollte, und wenn es nicht geschehen wäre, daß die Zauberer, die ihn verfolgen, seine wahrhaftige Gestalt in die eines Lakaien verwandelt hätten, so würde zur jetzigen Stunde jene Jungfrau keine mehr sein.«
Roque, der mehr über das Schicksal der schönen Claudia nachdachte, als auf die Reden des Herrn und Dieners acht gab, hörte nicht nach ihnen, und befahl seinen Knappen, daß sie dem Sancho alles wiedergeben sollten, was sie von dem Grauen genommen hatten, zugleich gebot er ihnen, sich wieder nach der Gegend zurückzuziehen, in welcher sie diese Nacht zugebracht hatten, und hiermit entfernte er sich mit Claudia eilig, um den verwundeten oder toten Don Vincente aufzusuchen. Sie kamen an die Stelle, an welcher Claudia ihn getroffen hatte, und fanden hier nichts als frisch vergossenes Blut; da sie sich aber nach allen Seiten umsahen, entdeckten sie Leute auf der Höhe eines Hügels. Sie glaubten, wie es auch in der Tat war, daß sich Don Vincente unter diesen befinden müsse, indem ihn seine Diener tot oder lebendig fortführten, um ihn entweder zu heilen oder ihn zu begraben; sie machten sich eilig auf, um sie einzuholen, welches ihnen bald gelang, da jene nur langsam fortschritten. Sie fanden den Don Vincente in den Armen seiner Diener, die er mit schwacher und matter Stimme bat, ihn dort sterben zu lassen, denn der Schmerz seiner Wunden erlaube ihm nicht, sich weitertragen zu lassen. Glaudia und Roque sprangen vom Pferde und eilten herbei, die Diener fürchteten die Gegenwart des Roque, und Claudia zitterte beim Anblick des Don Vincente; halb gerührt und halb erbittert ging sie zu ihm, faßte ihn bei den Händen und sagte: »Hättest du mir diese nach unserer Übereinkunft gegeben, so hättest du dich nicht in diesem Zustande befunden.«
Der verwundete Ritter öffnete die fast geschlossenen Augen, erkannte Claudia und sagte: »Ich sehe wohl, meine schöne und getäuschte Gebieterin, daß du diejenige bist, die mich umgebracht hat, eine Strafe, die ich nicht verdiente und die meine Absichten nicht verschuldet haben, nach denen ich dich niemals durch Taten kränken wollte oder es jemals gekonnt hätte.«
»So ist es nicht Wahrheit«, sagte Claudia, »daß du dich heute morgen mit Leonora vermählen wolltest, der Tochter des reichen Balvastro?«
»Gewiß nicht«, antwortete Don Vincente, »mein schlimmes Geschick hat dir diese Nachricht überbracht, damit du mir aus Eifersucht das Leben raubtest, und da ich es in deinen Händen und Armen aufgebe, so halte ich mein Schicksal immer noch für glücklich, und um dich von der Wahrheit zu überzeugen, so drücke mir die Hand und nimm mich zu deinem Gatten an, wenn du es willst, denn das ist meine letzte Freude, dich aus dem Irrtum zu ziehen, als habest du von mir eine Kränkung erlitten.«
Claudia drückte ihm die Hand, wobei ihr das Herz so bedrückt wurde, daß sie ohnmächtig auf die blutende Brust des Don Vincente hinsank, und ihn ergriff eine tödliche Erstarrung. Roque war gerührt und wußte nicht, was er tun sollte. Die Diener liefen fort, um Wasser zu suchen, das sie ihnen ins Gesicht spritzen könnten, was sie auch fanden und sie damit benetzten. Claudia erwachte wieder aus ihrer Ohnmacht; aber Don Vincente nicht aus seiner Erstarrung, denn er hatte sein Leben beschlossen. Als Claudia sah, daß ihr süßer Gemahl nicht mehr lebte, zerriß sie die Luft mit ihrem Jammer, schickte ihre Klagen zum Himmel, raufte ihre Haare aus und streute sie in den Wind, entstellte ihr Antlitz mit ihren eigenen Händen und zeigte alle Zeichen des Schmerzens und der Verzweiflung, die sich nur von einem geängsteten Herzen denken lassen. »O grausames, o liebloses Mädchen!« rief sie aus, »wie leicht hast du dich bewegen lassen, einen so schrecklichen Gedanken auszuführen! O rasende Wut der Eifersucht, zu welchem fürchterlichen Ziele führst du die, welche dir ihre Brust öffnen! O mein Gemahl, welch elendes Verhängnis! Weil du der meinige bist, so macht es dein Hochzeitsbett zu deinem Grabe!«
So betrübte Klagen stieß Claudia aus, so daß die Augen des Roque in Tränen übergingen, die er sonst bei keiner Gelegenheit zu vergießen pflegte. Die Diener weinten, und Claudia wurde in jeder Minute ohnmächtig, und das ganze Feld schien nur eine Bühne der Tränen und ein Ort des Unglücks zu sein. Endlich befahl Roque Guinart den Dienern des Don Vincente, seinen Leichnam nach dem Wohnsitz seines Vaters zu bringen, der nicht weit entlegen war, um ihn dort zu begraben. Claudia sagte dem Roque, daß sie in ein Kloster gehen wolle, in welchem die Äbtissin ihre Tante sei, um dort ihr Leben zu beschließen, mit einem anderen schönen Bräutigam auf die Ewigkeit verbunden. Roque lobte ihren guten Vorsatz und erbot sich, sie zu begleiten, wohin sie nur wolle, auch ihren Vater gegen die Verwandtschaft des Don Vincente und gegen die ganze Welt zu verteidigen, wenn ihm einer zu nahe treten wolle. Claudia aber wollte seine Begleitung auf keine Weise annehmen, sondern sie dankte, so höflich sie nur konnte, für seine Freundschaft und nahm mit Tränen Abschied. Die Diener des Don Vincente trugen seinen Leichnam fort, und Roque begab sich wieder zu seinen Leuten; dieses Ende nahm die Liebe der Claudia Geronima. Wie konnte es aber anders sein, da das Gewebe ihrer kläglichen Geschichte von der unüberwindlichen und grimmigen Gewalt der Eifersucht aufgeschlagen war?
Roque Guinart fand seine Knappen auf der Stelle, wo er sie beordert hatte, und Don Quixote auf dem Rosinante unter ihnen, indem er ihnen eine Rede hielt, wodurch er sie bewegen wollte, diese Lebensweise, die ihrer Seele nicht weniger als ihrem Leibe gefährlich sei, aufzugeben; da aber die meisten Gaskogner waren, rohe und wilde Menschen, so fand die Rede des Don Quixote keinen sonderlichen Eingang bei ihnen. Als Roque herbeigekommen war, fragte er den Sancho, ob sie ihm alle seine Sachen zurückgegeben, die sie dem Grauen abgenommen hätten. Sancho antwortete: »Ja, außer daß noch drei Mützen fehlten, die wohl den Wert von drei Städten hätten.« »Was sprichst du, Kerl?« sagte einer von den Anwesenden, »hier sind sie und sie haben nicht den Wert von drei Realen.«
»Das ist wahr«, sagte Don Quixote, »aber mein Stallmeister schätzt sie so hoch, weil ich sie von jemand empfing, der sie mir teuer macht.«
Roque Guinart befahl, sie sogleich zurückzugeben, worauf er alle seine Leute in eine Reihe stellte und ihnen gebot, ihm alles an Kleidern, Kostbarkeiten und Gold, samt allem, was sie seit der letzten Teilung erbeutet hatten, vorzulegen; er machte schnell die Schätzung, und was nicht geteilt werden konnte, setzte er in Geld um. Hierauf teilte er mit solcher Gerechtigkeit und Klugheit allen seinen Leuten aus, daß auch keiner im geringsten dabei zu kurz kam oder Schaden litt. Nachdem dieses geschehen war und alle zufrieden, vergnügt und bezahlt waren, sagte Roque zu Don Quixote: »Wenn man nicht diese Pünktlichkeit beobachtete, so ließe sich nicht mit ihnen leben.«
Worauf Sancho sagte: »Wie ich gesehen habe, ist die Gerechtigkeit etwas so Gutes, daß sie auch sogar unter den Spitzbuben notwendig ist.«
Dieses hörte ein Knappe und legte sogleich das Rohr seiner Flinte an, worauf er ohne Zweifel dem Sancho den Kopf zerschmettert hätte, wenn Roque Guinart ihm nicht zugeschrien, daß er einhalten möchte. Sancho erschrak und nahm sich vor, die Lippen nicht mehr aufzutun, solange er sich unter diesen Leuten befände.
Indem kam einer und noch mehrere von den Knappen, die auf den Wegen als Schildwachen ausgestellt waren, um die Reisenden zu beobachten und ihrem Oberhaupte Nachrichten zu geben, und dieser sagte: »Señor, nicht weit von hier, auf dem Wege nach Barcelona kommt ein großer Trupp Menschen.«
Worauf Roque antwortete: »Hast du gesehen, ob sie von denen sind, die uns suchen, oder von denen, die wir suchen?«
»Sie sind von denen, die wir suchen«, antwortete der Knappe.
»So geht alle«, versetzte Roque, »und bringt sie sogleich hierher, ohne daß euch einer entrinne.«
Sie gingen fort, und Don Quixote, Sancho und Roque blieben allein zurück, indem sie erwarteten, wen die Knappen mit sich bringen würden, indessen sagte Roque zu Don Quixote: »Eine neue Lebensweise muß die unserige dem Herrn Don Quixote scheinen, neue Abenteuer, neue Begebenheiten, und alle gefährlich, ich verwundere mich nicht, wenn sie so erscheint, denn ich muß in der Tat gestehen, daß es keine unruhigere Art zu leben, keine angstvollere als die unserige gibt. Mich hat, ich weiß selbst nicht wie, die Rachsucht dahin getrieben, welche auch die allerruhigsten Gemüter in Empörung bringen kann, ich bin von Natur mitleidig und gutmütig, aber wie gesagt, die Sucht, eine Beleidigung, die mir widerfuhr, zu rächen, hat alle meine guten Neigungen zu Boden geworfen, so daß ich in diesem Zustande verharre, meine Einsicht möge mir auch noch soviel dagegen sagen. Und wie ein Abgrund zum anderen und eine Sünde zur anderen führt, so hat sich auch meine Begierde nach Rache so ausgebreitet, daß ich nicht nur die meinige, sondern auch fremde übernehme; aber Gott ist gnädig, so daß, wenn ich mich auch mitten im Labyrinthe meines Unglücks sehe, ich doch die Hoffnung nicht verliere, einen sicheren Ausgang zu finden.«
Don Quixote verwunderte sich, von Roque so vernünftige und erbauliche Reden zu hören, denn er glaubte, daß unter dergleichen Beschäftigungen, wie Plündern, Morden und Straßenrauben, keiner einen guten Vorsatz behalten könne, er antwortete ihm: »Herr Roque, der Anfang des Besserwerdens ist, seine Krankheit erkennen, und daß der Kranke die Arzneien einnimmt, welche ihm der Arzt verordnet. Ihr seid krank, kennt Euer Übel, und der Himmel, oder richtiger zu reden, Gott, welcher unser Arzt ist, wird Euch die Arzneien geben, welche die Heilung hervorbringen, die aber nur nach und nach und nicht plötzlich und durch ein Wunderwerk zu heilen pflegen. Da sich überdies die verständigen Sünder der Genesung näher befinden als die törichten, und da Ihr eben in Euren Reden Eure Einsicht gezeigt habt, so müßt Ihr guten Mut fassen und hoffen, daß die Krankheit Eures Gewissens sich zur Genesung wenden werde; wollt Ihr nun am Wege sparen und Euch den der Erlösung erleichtern, so kommt mit mir, und ich will Euch lehren, ein irrender Ritter sein, in welchem Stande so viele Mühseligkeiten und Leiden vorkommen, daß er für eine Buße zu achten ist und Ihr, wie man eine Hand umdreht, in den Himmel gelangen könnt.«
Roque lachte über den Rat des Don Quixote, wandte das Gespräch anders und erzählte ihm das tragische Schicksal der Claudia Geronima, worüber sich Sancho sehr betrübte, weil ihm die Schönheit, der freie Anstand und der Ausdruck des Mädchens sehr gefallen hatte.
Indem kamen die ausgesandten Knappen zurück und brachten zwei Ritter zu Pferde und zwei Pilger zu Fuß mit, samt einer Kutsche mit Weibern und sechs Bedienten, die sie zu Fuß und zu Pferde begleiteten, bei denen sich auch noch zwei junge Maultiertreiber befanden, die zu den Rittern gehörten. Die Knappen trieben sie in die Mitte, und Sieger wie Besiegte beobachteten ein tiefes Schweigen, indem sie darauf warteten, daß der große Roque Guinart sprechen sollte, der die Ritter fragte, wer sie wären, wohin sie gingen und wieviel Geld sie mit sich führten. Einer von ihnen antwortete: »Señor, wir sind Hauptleute von der spanischen Infanterie, unsere Kompagnien sind in Neapel und wir wollen uns in vier Galeeren einschiffen, die in Barcelona liegen sollen, um nach Sizilien zu fahren; wir haben zweihundert oder dreihundert Taler bei uns, mit denen wir uns reich und zufrieden dünken, denn die gewöhnliche Armut der Soldaten erlaubt ihnen keine größeren Schätze.«
Roque tat den Pilgern die nämliche Frage, die er den Hauptleuten vorgelegt hatte; er erhielt die Antwort, daß sie sich einschiffen wollten, um nach Rom zu gehen, und daß sie beide etwa an sechzig Realen aufbringen könnten.
Er wollte auch wissen, wer in der Kutsche sei, wohin die Reise gehe und mit wieviel Geld sie ausgerüstet seien, und einer von denen zu Pferde sagte: »Meine gnädigste Doña Guiomar de Quinnones, Gemahlin des Präsidenten zu Neapel, nebst einer kleinen Tochter, einer Kammerfrau und einer Dueña befinden sich in der Kutsche; wir sechs Bediente begleiten sie und das Geld beträgt sechshundert Taler.«
»Also«, sagte Roque Guinart, »haben wir hier neunhundert Taler und sechzig Realen; meine Soldaten belaufen sich auf sechzig, sinnt nach, wieviel auf jeden kommt, denn ich bin ein schlechter Rechner.«
Als dies die Straßenräuber hörten, erhoben sie die Stimme und schrien: »Es lebe Roque Guinart viele Jahre, allen Hunden zum Trotz, die seinen Untergang suchen!«
Die Hauptleute waren betrübt, die Frau Präsidentin bekümmert und die Pilger nicht vergnügt, als sie sahen, daß ihr Vermögen preisgegeben wurde. Roque ließ sie eine Weile in der Angst. Endlich aber wollte er ihrer Betrübnis, die man auf einen Büchsenschuß weit erkennen konnte, ein Ende machen, er wandte sich zu den Hauptleuten und sagte: »Meine Herren Hauptleute, seid so gütig und leiht mir sechzig Taler und die Frau Präsidentin achtzig, damit ich mein Gefolge zufriedenstelle, denn jedes Amt muß seinen Mann ernähren. Dann könnt ihr sogleich frei und ungehindert eure Reise fortsetzen, mit einem Passe, den ich euch geben will, damit, wenn ihr auf andere von meinen Leuten stoßt, die ich in diese Gegenden verlegt habe, sie euch keinen Schaden zufügen, denn es ist nicht meine Absicht, Soldaten zu beleidigen, noch weniger Damen, besonders so vornehme.«
Unendlich waren die Danksagungen, die die Hauptleute dem Roque für seine Artigkeit und Freigebigkeit abstatteten, denn dafür hielten sie es, daß er ihnen ihr Geld ließ. Die gnädige Frau Doña Guiomar de Quinnones wollte aus der Kutsche steigen, um dem großen Roque die Hände zu küssen, aber er gab dieses durchaus nicht zu, sondern bat sie im Gegenteil um Verzeihung, daß er sie kränke, wozu er aber von den schlimmen Verpflichtungen seines unglücklichen Amtes genötigt werde.
Die Frau Präsidentin befahl einem Bedienten, sogleich die achtzig Taler, die auf ihren Teil gefallen waren, auszuzahlen, und die Hauptleute hatten die sechzig schon abgezählt. Die Pilger wollten ihr ganzes bißchen Armut hergeben, aber Roque sagte ihnen, sie möchten ruhig sein. Er wandte sich hierauf zu seinen Leuten und sagte: »Von diesen Talern bekommt jeder von euch zwei und zwanzig bleiben übrig, zehn davon sollen diese Pilger und die anderen zehn dieser wackere Stallmeister erhalten, damit er von diesem Abenteuer etwas Gutes sagen könne. Er zog ein Schreibzeug hervor, mit welchem Roque immer versehen war, und gab ihnen einen geschriebenen Paß an die Anführer seiner Leute, worauf er sich von ihnen beurlaubte und sie frei ziehen ließ, indem sie über seinen Edelmut, seinen schönen Anstand und sein seltsames Betragen erstaunt waren, denn sie sahen ihn eher für einen Alexander Magnus als für einen bekannten Straßenräuber an.
Einer von den Knappen sagte in seiner gaskognischen und katalonischen Sprache: »Unser Kapitän taugt besser zu einem Pater als zu einem Räuber; wenn er sich in Zukunft freigebig beweisen will, so mag er es von seinem Gelde und nicht von dem unsrigen tun.«
Der Elende hatte es nicht so leise gesagt, daß es Roque nicht gehört haben sollte, der sogleich den Degen faßte und ihm den Kopf spaltete, indem er sagte: »So bestrafe ich die frechen Zungen.«
Alle erschraken, und keiner wagte ein Wort zu sprechen; so groß war der Gehorsam, den sie beobachteten. Roque ging beiseite und schrieb einen Brief an einen seiner Freunde zu Barcelona, worin er ihm Nachricht gab, daß er den berühmten Don Quixote von la Mancha, den irrenden Ritter, von dem so viele Dinge erzählt würden, bei sich habe; und daß er ihm melde, er sei der verständigste Mann von der Welt, und daß innerhalb vier Tagen, am Tage des heiligen Johannes des Täufers, er ihn mitten auf die Reede vor der Stadt liefern wolle, bewaffnet mit allen seinen Waffen, auf Rosinante, seinem Pferde, und seinen Stallmeister Sancho auf seinem Esel. Er möchte seinen Freunden, den Niarros, diese Nachricht mitteilen, damit sie sich mit ihm ergötzten, er wünsche zwar, daß die Cadells, seine Gegner, dieses Vergnügens entbehren möchten, dies sei aber unmöglich, denn die törichte und verständige Art des Don Quixote und die Anmut seines Stallmeisters Sancho Pansa müßten notwendig der ganzen Welt ein allgemeines Vergnügen erregen.
Diesen Brief schickte er durch einen seiner Knappen, der die Tracht eines Räubers mit der eines Bauern vertauschte, so nach Barcelona ging und ihn dem überlieferte, an welchen er gerichtet war.