34. Kapitel


In welchem die Novelle vom grübelnden Fürwitzigen fortgesetzt wird.

»Wie man zu sagen pflegt, daß eine Armee ohne ihren General wie ein Kastell ohne seinen Kastellan sich übel befinde, so sage ich, daß eine junge verheiratete Frau ohne ihren Mann noch schlimmer steht, wenn ihn nicht die dringendsten Ursachen entfernen. Ich befinde mich ohne Dich so übel, und es fällt mir so unmöglich, diese Trennung zu ertragen, daß, wenn Du nicht schnell kommst, ich mich in das Haus meiner Eltern begeben werde, wenn auch das Deinige ohne Aufsicht bleibt; denn diejenige, die Du zurückgelassen hast, wenn sie anders mit solchem Anspruch hier war, scheint mehr ihr Vergnügen, als Dein Bestes zu beachten, und weil Du verständig bist, mag ich nicht mehr hinzufügen; auch ist es überflüssig, noch ein Wort zu sagen.«

Diesen Brief bekam Anselmo, und er sah daraus, daß Lotario die Unternehmung begonnen hatte, und daß Camilla ihm nach seinen Wünschen geantwortet haben müsse; sehr vergnügt über diese Neuigkeiten, ließ er Camilla mündlich sagen, sie möchte durchaus ihren Wohnort nicht verändern, weil er sehr bald zurückkomme. Camilla war über diese Antwort Anselmos verwundert und in noch größere Verwirrung als zuvor gebracht; denn sie wagte nun nicht, in ihrem Hause zu bleiben, noch weniger aber zu ihren Eltern zu gehen, denn wenn sie blieb, so lief ihre Sittsamkeit Gefahr, und ging sie fort, so handelte sie gegen den Befehl ihres Gemahls. Sie entschloß sich endlich zum Schlimmern, nämlich zu bleiben, mit dem Vorsatze, Lotarios Gegenwart nicht zu vermeiden, um ihren Dienern keine Gelegenheit zu geben, darüber zu sprechen; ja es gereuten sie selbst die Worte, die sie ihrem Gemahl geschrieben hatte, weil sie fürchtete, er möchte auf die Gedanken kommen, Lotario habe etwas Ungeziemliches an ihr bemerkt, welches ihn veranlaßt habe, den Anstand gegen sie nicht mehr zu beachten. Doch, auf ihre Tugend gestützt, vertraute sie Gott und ihren edlen Gesinnungen, mit denen sie glaubte, allem, was Lotario sagte, widerstehen zu können, ohne ihrem Manne weiter etwas zu klagen, um ihn nicht in Händel und Verdrießlichkeiten zu verwickeln; sie suchte sogar ein Mittel, um Lotario vor Anselmo zu entschuldigen, wenn er sie fragen sollte, wodurch sie bewogen sei, ihm jenes Blatt zu senden. Mit diesen Vorstellungen, die mehr tugendhaft als sicher und dienlich waren, hörte sie am folgenden Tage den Lotario an, der sich so benahm, daß Camillas Standhaftigkeit zu wanken anfing und sie die Sittsamkeit ihrer Augen zu Hilfe rufen mußte, um in ihren Blicken nicht Spuren eines zärtlichen Mitleidens zu zeigen, welches Lotarios Worte und Tränen in ihrem Busen erweckt hatten. Dies bemerkte Lotario, und es entzündete ihn noch mehr. Er glaubte endlich, er müsse die Gelegenheit der Abwesenheit Anselmos benutzen, um die Festung völlig zu umzingeln; er bestürmte daher ihre Eitelkeit mit Lobpreisungen ihrer Schönheit, denn nichts überwältigt so schnell und bezwingt die umschanzten Bollwerke der Eitelkeit der Schönen, als eben diese Eitelkeit, wenn sie von der Zunge der Schmeichelei sich hören läßt. Kurz, er untergrub mit solchem Eifer den Felsen ihrer Tugend, daß Camilla wohl hätte nachgeben müssen, wäre sie auch Erz gewesen. Er weinte, flehte, beschwur, vergötterte und erdichtete so viel Rührendes, das durchaus wahr schien, daß er Camillas Sittsamkeit überwand und über etwas triumphierte, was er am wenigsten gedacht hatte und am meisten wünschte. Er ergab sich Camilla, Camilla ergab sich ihm; war es aber zu verwundern, da Lotarios Freundschaft selbst nicht hatte ausdauern können? Wodurch wir deutlich einsehen, daß die Leidenschaft der Liebe nur durch die Flucht überwunden wird, und daß niemand mit einem so starken Feinde handgemein werden soll; denn es ist vonnöten, mit göttlichen Kräften gegen seine eigenen menschlichen zu streiten.

Nur Leonella wußte um die Schwachheit ihrer Gebieterin, denn ihr konnten sich die beiden schlimmen Freunde und Neuverliebten unmöglich verbergen. Lotario mochte der Camilla den Auftrag Anselmos nicht vertrauen, und daß dieser sein jetziges Glück veranlaßt, damit sie nicht an seiner Liebe zweifeln und auf den Gedanken fallen möchte, daß er sich ohne eigene Absicht und nur zufälligerweise um sie bemüht habe.

Nach wenigen Tagen kam Anselmo in sein Haus zurück, und es fiel ihm nicht ein, daß ihm hier wohl das fehlen dürfte, was nun mangelte, und er am höchsten schätzte. Er ging sogleich Lotario zu sehen und fand ihn in seinem Hause; sie umarmten sich, und er erkundigte sich nach den Neuigkeiten, die sein Leben oder seinen Tod bestimmen würden. Die Neuigkeiten, die ich dir geben kann, Freund Anselmo, sagte Lotario, sind die, daß du eine Frau besitzest, die mit Recht das Muster und die Krone aller edlen Frauen genannt zu werden verdient; meine Worte sind in den Wind gesprochen, meine Schmeicheleien hat sie verachtet, meine Geschenke zurückgewiesen, über meine erheuchelten Tränen hat sie gespottet. Kurz, so wie Camilla der Preis aller Schönheit ist, so ist sie auch ein Schrein aller Tugend, in welchem versammelt sind Liebenswürdigkeit und Sittsamkeit und alle die Vorzüge, welche ein edles Weib schmücken und verherrlichen, nimm hier dein Geld zurück, mein Freund, denn ich habe es noch, ohne Gebrauch davon machen zu können, denn Camillas Edelsinn wird nicht von so gemeinen Dingen bestochen, wie Geschenke und Versprechungen sind. Sei nun zufrieden, Anselmo, und stelle keine neuen Proben an; da du mit trockenem Fuße durch dieses Meer all des Argwohns und Verdachtes, den die Weiber nur immer erregen können, gewandert bist, so begib dich nicht von neuem in die hohe Flut der Zweifelsucht oder laß von keinem anderen Piloten neue Versuche über die Güte und Stärke des Fahrzeuges anstellen, das dir der Himmel dazu gab, um mit ihm das Meer dieser Welt zu durchschiffen; sondern überzeuge dich, daß du nun im sicheren Hafen bist, wirf den festen Anker des Vertrauens aus, und bleibe hier liegen, bis dir jene Schuld abgefordert wird, die kein Mensch zu bezahlen verweigern kann.

Diese Worte Lotarios vergnügten Anselmo sehr und er vertraute ihnen so, als wenn sie ein Orakel ausgesprochen hätte, aber dennoch bat er ihn, das Unternehmen nicht ganz fahren zu lassen, wenn es auch nur des Scherzes und der Unterhaltung wegen geschähe, und auch der vorige große Eifer nicht mehr nötig sei. Er wünsche bloß, daß er einige Verse auf sie unter dem Namen der Cloris schreiben möchte, weil er Camilla sagen wolle, daß er in eine Dame verliebt sei, der er diesen Namen gegeben, um sie mit dem Anstande besingen zu können, den ihre Tugend erheische, wenn Lotario aber nicht selbst die Mühe über sich nehmen wolle, diese Verse zu machen, so wolle er sie ausarbeiten.

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Lotario, »denn die Musen sind mir nicht so feindselig, daß sie mich nicht einigemal im Jahre besuchen sollten, sprich du nur zu Camilla, wie du dir vorgenommen hast, von meiner erdichteten Liebe, ich will die Verse machen, und wenn sie auch nicht so gut sind, als der Gegenstand sie verdient, so sollen sie doch wenigstens die besten sein, die ich machen kann.«

Bei dieser Abrede blieb es zwischen dem vorwitzigen und dem verräterischen Freunde, und Anselmo ging nach Hause und befragte Camilla über das, worüber sie sich schon gewundert, daß er sie nicht gleich befragt hatte, sie möchte ihm nämlich sagen, aus welchen Gründen sie ihm neulich jenen Brief gesendet hätte. Camilla antwortete, es sei ihr vorgekommen, als sähe Lotario sie mit etwas anderen Augen an, als wenn er zugegen wäre; daß sie aber nachher ihren Irrtum eingesehen, und es jetzt nur für eine Einbildung halte, denn Lotario vermeide nunmehr alle Gelegenheit sie zu sehen und mit ihr allein zu sein. Anselmo sagte, daß sie diesen Verdacht nur unterdrücken möchte, denn er wisse, daß Lotario in ein vornehmes Fräulein dieser Stadt verliebt sei, die er auch unter dem Namen Cloris besinge, wenn dies aber auch nicht wäre, so dürfte sie an Lotario wegen seiner Aufrichtigkeit und seiner zärtlichen Freundschaft zu ihm keineswegs zweifeln. Hätte Camilla nicht vom Lotario gewußt, daß diese Liebe zur Cloris nur ersonnen sei, und daß er dies dem Anselmo gesagt habe, um zuweilen Gelegenheit zu finden, sie selbst in Versen zu preisen, so hätte sie sich wohl in das unglückselige Netz der Eifersucht verstricken lassen; da sie aber schon darum wußte, hörte sie es ohne Erschrecken.

Am anderen Tage, als die drei bei Tische saßen, bat Anselmo den Lotario, ob er nicht irgend etwas hersagen wolle, was er auf seine geliebte Cloris gedichtet habe, denn da Camilla sie nicht kenne, möge er dreist alles sagen.

»Und wenn sie sie auch kennte«, antwortete Lotario, »so würde ich darum doch nichts verhehlen, denn wenn ein Liebender seine Dame wegen ihrer Schönheit lobt und sich über ihre Grausamkeit beklagt, so tut dies ihrem guten Namen durchaus keinen Eintrag; genug, ich machte gestern auf die Unnahbarkeit dieser Cloris folgendes Sonett:

Sonett
In ruh’ger Stille, wann die dunkle Nacht
Auf Sterbliche den Schlummer ausgegossen,
Wird meiner Leiden Rechnung abgeschlossen,
Dem Himmel, meiner Cloris dargebracht.
Und wann die Sonne sich in aller Pracht
Erhebt mit ihren feuerroten Rossen,
Dann wird mit Tränen, meines Grams Genossen,
Der alte Krieg von neuem angefacht.
Und wirft vorn goldnen Thron die Sonne nieder
Gerade Strahlen auf die Erde hin,
Muß Klang und Seufzen stärker wiederkehren.
Es kommt die Nacht, die Schmerzen kommen wieder,
Und immer bleibt für meinen treuen Sinn
Der Himmel taub, und Cloris will nicht hören.

Camilla gefiel das Sonett, doch mehr noch dem Anselmo, dieser lobte es sehr und sagte, daß die Dame übermäßig grausam sei, wenn sie von diesen Empfindungen nicht gerührt werde. Worauf Camilla fragte: »Ist es denn aber alles wahre Empfindung, was die verliebten Poeten sagen?«

»Nicht deswegen, weil sie Poeten sind«, antwortete Lotario, »sondern als Verliebte, die immer wahrhaft sind und stets zu wenig sagen.«

»Das leidet keinen Zweifel«, versetzte Anselmo, um nur Lotarios Rolle gegen Camilla zu unterstützen, die schon ebenso gleich gültig über Anselmos Kunstgriff, als heftig in Lotario verliebt war; weil ihr also diese Gedichte gefielen, sie auch recht gut einsah, daß seine Verse und Gedanken nur auf sie gerichtet waren, und daß sie die eigentliche Cloris sei, bat sie ihn, daß wenn er noch ein anderes Sonett oder andere Verse wüßte, er sie hersagen möchte.

»Ich weiß ein zweites«, antwortete Lotario, »ich halte es aber nicht für so gut, als das erste oder, um mich richtiger auszudrücken, für noch schlechter, Ihr mögt aber selbst urteilen, denn so klingt es:

Sonett
Ich weiß ich sterbe, dies ist mir geblieben,
Glaubst du es nicht, muß ich so eh’r vergehen,
Wie du mich, Harte, wohl magst sterben sehen,
Doch nicht bereun, daß dir geweiht mein Lieben.
Bin ich in jeder Schattenwelt dort drüben,
Wo alle Freuden, Leben, Ruhm verwehen,
Dann sieh im offnen Busen Zeugnis stehen,
Dein schönes Angesicht ihm eingeschrieben.
Dies Heiligtum will ich mir treu bewahren
Für jenen Weg, auf den mich treibt mein Sinn,
Den deine Grausamkeit noch treuer stählet.
Wie muß mein Schiff bei dunklem Himmel fahren
Durch fremd gefahrenvolle Meere hin,
Wo Kompaß mir und Stern und Hafen fehlet!

Auch dieses zweite Sonett lobte Anselmo ebenso wie das erste, und so fügte er selbst einen Ring nach dem anderen an die Kette, aus der seine Entehrung zusammengefügt war, denn als Lotario ihn am meisten entehrte, glaubte er sich am meisten geehrt; und mit jeder tieferen Stufe, die Camilla bis zu ihrer Verächtlichkeit herabstieg, stieg sie in der Meinung ihres Mannes höher, bis zum Gipfel der Tugend und Rühmlichkeit.

Es geschah um diese Zeit, daß Camilla sich mit ihrem Mädchen einmal, wie es öfter kam, allein befand und zu ihr sagte: »Ich bin sehr bekümmert, liebe Leonella, daß ich mich selbst nicht mehr zu schätzen gewußt habe, so daß Lotario erst mit der Zeit den ganzen Besitz meiner Liebe bekommen hätte, den ich ihm jetzt so schnell und freiwillig überlassen habe. Ich fürchte, daß er diesen schnellen Leichtsinn geringschätzen wird, ohne zu fühlen, daß es mir unmöglich war, ihm zu widerstehen.«

»Sei deshalb unbesorgt, Señora«, antwortete Leonella, »denn das ist kein Grund, die Gabe gering zu achten, weil man sie bald gegeben hat, wenn sie nur sonst gut ist und an sich selbst geschätzt zu werden verdient; so pflegt man ja auch zu sagen, wer bald gibt, gibt doppelt.«

»Man pflegt aber auch zu sagen«, antwortete Camilla, »was man wohlfeil kauft, wird nicht sonderlich geachtet.«

»Das paßt nicht hierher«, antwortete Leonella, »denn ich habe mir sagen lassen, daß Amor einmal fliegt und ein andermal geht; mit diesem läuft er, und mit jenem schreitet er gemächlich, den einen macht er lau, den anderen brennend, diesen verwundet er, jenen bringt er um; schnell entsteht der Lauf seiner Wünsche, und schnell gelangen sie ans Ziel; am Morgen umzingelt er die Festung, und in der Nacht muß sie sich ergeben, weil sie keine Kraft zum Widerstande hat; wenn dem nun so ist, warum bist du besorgt, oder weshalb quälst du dich, weil dasselbe auch dem Lotario begegnet sein muß, da Amor die Abwesenheit unseres Herrn zum Mittel gebraucht hat, Euch zu bezwingen? In dieser Abwesenheit war es nötig, alles zu vollbringen, was Amor beschlossen hatte, ohne der Zeit Zeit zu lassen, damit Anselmo zurückkäme und die Vollendung des Werkes durch seine Gegenwart störe, denn Amor hat keinen besseren Diener, um sein Vorhaben auszuführen, als die Gelegenheit; der Gelegenheit bedient er sich in allen seinen Taten, vorzüglich im Anfange. Alles dies habe ich mehr aus Erfahrung als vom Hörensagen, und du sollst wohl einmal erfahren, daß ich auch ein Mädchen bin, aus Fleisch und Blut geformt; auch hast du dich ja nicht so schnell ergeben, daß du nicht vorher in den Blicken, Seufzern, Worten, Versprechungen und Geschenken des Lotario seine ganze Seele gesehen hättest, in ihr alle seine Tugenden, und wie sehr er deshalb verdiente, geliebt zu werden. Wenn dem aber so ist, so laß dich nicht von Furcht und ängstlichen Zweifeln beunruhigen, sondern sei versichert, daß Lotario dich ebenso achtet wie du ihn achtest, und lebe mit der Überzeugung ruhig, daß, wenn du dich einmal in die Liebesnetze verstrickt hast, du doch einem Würdigen zuteil geworden bist; denn er besitzt nicht nur die vier S. S., von denen man sprichwörtlich sagt, daß sie die vollkommenen Liebhaber haben müßten, sondern er hat das ganze Alphabet, höre nur zu, denn ich will es dir gleich auswendig hersagen. Nach meiner Meinung ist er nämlich Angenehm, Beständig, Cavalier, Dankbar, Erkenntlich, Freigebig, Galant, Heimlich, Jung, Liebenswürdig, Männlich, Natürlich, Offen, Prächtig, Reich, nun folgen die vier S. S.[6]  , dann Tapfer, Vornehm, Wahrhaft, X paßt sich für einen Geliebten nicht, denn es ist ein zu harter, wie Y ein fremder Buchstabe, dann folgt zum Beschluß Z. Zärtlich über deine Ehre.« Camilla lachte über das Alphabet ihres Mädchens und fand sie in Liebessachen erfahrener, als sie sich vorgestellt hatte; diese gestand der Camilla nun, daß sie mit einem jungen, wohlerzogenen Menschen aus der nämlichen Stadt in Verbindung stehe, worüber sich Camilla sehr beunruhigte, weil sie fürchtete, daß dies zum Nachteil ihrer Ehre ausfallen dürfte. Sie forschte nach, ob sie miteinander schon weiter bis zu Worten gekommen wären. Jene antwortete mit weniger Beschämung und vieler Keckheit, daß sie schon vertrauter geworden; denn es ist eine ausgemachte Sache, daß die Unvorsichtigkeiten der Herrschaften dem Gesinde alle Scham nehmen, die, wenn sie ihre Gebieterin nur einen unrechten Schritt tun sehen, sich gleich wenig kümmern, so zu hinken, daß es in die Augen fällt. Camilla konnte nun nichts weiter tun, als Leonella bitten, daß sie ihrem Geliebten nichts von ihrem Verhältnis sagen möchte, und die Sache ja so geheim halten, daß Anselmo so wenig wie Lotario davon erführe. Leonella antwortete, daß sie es tun wolle, aber sie erfüllte so wenig ihr Versprechen, daß Camillas Furcht, ihren guten Ruf zu verlieren, beinahe zur Gewißheit wurde: denn die unverschämte und freche Leonella, als sie sah, daß ihre Gebieterin sich nicht ihrer Pflicht gemäß betrug, wurde so dreist, daß sie ihren Liebhaber zu sich in das Haus ließ, weil sie überzeugt war, daß wenn ihre Gebieterin ihn auch sähe, diese es doch nicht wagen dürfte, die Sache bekannt zu machen. Denn diese Übel ziehen neben anderen auch die Vergehungen der Hausfrauen nach sich, daß sie die Sklavinnen ihrer eigenen Mägde werden und gezwungen sind, deren schändliche Aufführung zu verdecken, wie es auch der Camilla erging; denn ob sie es gleich öfter gewahr wurde, daß Leonella mit ihrem Liebhaber in einem Zimmer des Hauses war, so getraute sie sich doch nicht, sie zu schelten, ja sie gab ihr Gelegenheit, ihn einzuschließen und räumte alles weg, daß er nur nicht von ihrem Manne gesehen würde. Doch konnte sie es nicht verhindern, daß ihn Lotario gesehen hatte, wie er eines Morgens bei Tagesanbruch aus dem Hause ging. Dieser, ohne ihn zu kennen, hielt ihn erst für ein Gespenst, da er ihn aber fortgehen und sich mit größter Sorgfalt in einen Mantel einwickeln und verhüllen sah, kam er von dieser törichten Vorstellung zurück und verfiel auf eine andere, die alle ins Verderben gestürzt hätte, wenn es durch Camilla nicht wäre vermittelt worden. Lotario glaubte nämlich, daß dieser Mann, den er zu so ungewöhnlicher Stunde aus Anselmos Hause hatte gehen sehen, nicht der Leonella wegen gekommen wäre, ja er wußte jetzt nicht einmal, ob eine Leonella in der Welt sei; sondern daß Camilla, wie sie für ihn leichtsinnig gewesen, es auch für einen anderen geworden, denn dies ist die Folge, die die schlechte Aufführung eines Weibes nach sich zieht, daß selbst derjenige an ihrer Ehre zweifelt, auf dessen Bitten und Überredungen sie sich ergeben hat, dieser glaubt, daß sie sich anderen noch schneller ergeben könnte, und so gibt er jeglichem Argwohn Raum, der ihm in den Sinn kommt. So war es auch, als wäre in diesem Augenblicke Lotario völlig von seinem Verstande verlassen worden, und als sei jeder vernünftige Gedanke seinem Gedächtnisse entfallen, denn ohne irgend etwas zu unternehmen, das gut oder nur klug gewesen wäre, ging er ohne weiteres, noch ehe Anselmo aufgestanden war, ungeduldig und blind vor eifersüchtiger Wut, die sein Herz zernagte, darnach dürstend, sich an Camilla zu rächen, die ihn auf keine Weise beleidigt hatte, sogleich zu Anselmo, und sagte zu ihm: »Wisse, Anselmo, daß ich schon seit einigen Tagen mit mir selber gestritten habe und mir selbst Gewalt angetan, dir dasjenige nicht zu sagen, was doch ebenso unmöglich als ungerecht wäre, dir länger zu verhehlen: wisse also, daß Camillas Tugend sich schon ergeben und allem dem unterworfen hat, was ich mit ihr tun möchte, und wenn ich zögerte, dir dies zu entdecken, so geschah es nur darum, um zu sehen, ob es wirklich ihr Leichtsinn sei oder ob sie mich nur auf die Probe stellen wolle, um zu erfahren, ob die Anträge ernsthaft wären, die ich ihr auf dein Verlangen getan habe. Ich glaube nun, daß, wenn sie das wäre, wofür wir sie beide gehalten haben, sie dich schon von meinen Bemühungen unterrichtet hätte; da ich aber sehe, daß sie zögert, so kann ich annehmen, daß die Versprechungen, die sie mir gegeben hat, Ernst sind, daß sie mich nämlich, wenn du wieder einmal vom Hause abwesend wärest, auf dem Saale sprechen wolle, auf dem deine Geräte aufgestellt sind (und dort pflegte er wirklich Camilla zu sprechen), ich wünschte nun nicht, daß du eine plötzliche Rache nähmst, denn noch ist die Sünde nur in Gedanken begangen, und es könnte sein, daß Camilla noch in der Zwischenzeit bis zur Ausübung anderen Sinnes würde, und die Reue in ihr Raum fände, und da du zum Teil bis hierher immer meinem Rate gefolgt bist, so befolge auch den, den ich jetzt dir geben will, damit du, ohne dich zu trügen oder zu übereilen, das tun mögest, was dir dann am besten scheinen mag. Stelle dich, als verreistest du auf zwei oder drei Tage, wie es schon sonst der Fall gewesen ist, richte es aber so ein, daß du dich auf dem Saale verborgen hältst, wozu dir die Tapeten, die dort hängen, nebst anderen Dingen die bequemste Gelegenheit bieten, dann kannst du mit deinen eigenen Augen, wie ich mit den meinigen, die Absicht der Camilla gewahr werden. Ist sie nun ehrvergessen, wie wir lieber nicht befürchten wollen, so magst du in der Stille und mit Verstand dann die Kränkung bestrafen, die sie dir zugefügt hat.«

Lotarios Worte versetzten Anselmo in die allergrößte Verwunderung, Erstaunen und Erschrecken, denn er hörte sie zu einer Zeit, da er sie am wenigsten zu hören gedachte, denn schon hielt er Camilla für die Siegerin der erdichteten Liebesanträge Lotarios und genoß schon den Preis ihres Sieges. Er war eine geraume Zeit still, indem er mit starren Augen den Fußboden betrachtete, ohne auch nur die Augenwimpern zu bewegen, endlich sagte er: »Du hast so gehandelt, Lotario, wie ich von deiner Freundschaft erwarten konnte, ich bin immer deinem Rate gefolgt, handle auch jetzt, wie es dir gut dünkt, und bewahre das Geheimnis, das mich so plötzlich überrascht.«

Lotario versprach es ihm, und als er sich entfernt hatte, gereute ihn alles durchaus, was er gesagt hatte, denn er sah nun ein, wie töricht er gehandelt habe, weil er sich wenigstens an Camilla auf eine andere als diese grausame und schimpfliche Weise hätte rächen können. Er verwünschte sein übereiltes Beginnen und wußte doch nicht, was er tun sollte, um das Geschehene ungeschehen zu machen oder auf welchem Wege er es vermitteln könne; endlich fiel er darauf, Camilla alles zu erzählen, und da es ihm nicht an Gelegenheit mangelte, dies auszuführen, so fand er sie noch am nämlichen Tage allein. So wie sie ihn nur ansichtig wurde, rief sie aus: »O, mein Freund Lotario, Ihr müßt wissen, daß ich etwas auf dem Herzen habe, das mich so quält, daß mir das Herz im Busen zerspringen möchte, und es wäre nicht zu verwundern, wenn es geschähe, denn die Unverschämtheit der Leonella ist so hoch gestiegen, daß sie jegliche Nacht einen Liebhaber in das Haus nimmt und ihn nur erst mit dem Tage von sich läßt, auf die Gefahr meiner Ehre, die dem durchaus verdächtig werden muß, der diesen Menschen zu so ungewöhnlicher Zeit aus meinem Hause herauskommen sieht. Und was mich vorzüglich bekümmert, ist, daß ich sie nicht bestrafen kann, nicht einmal schelten, weil sie die Vertraute unserer Liebe ist, und dadurch meine Zunge so bezähmt, daß ich zu ihrem Betragen schweigen und darum fürchten muß, daß daraus ein Unglück entstehen wird.«

Als Camilla anfing zu reden, glaubte Lotario, daß es nur ein Kunstgriff sei, ihm einzubilden, als wenn der Mann, den er gesehen hatte, von Leonella und nicht von ihr gekommen wäre; da er sie aber weinen, schluchzen und um Hilfe bitten sah, glaubte er ihr endlich und dadurch wurde seine Verwirrung wie seine Reue noch vergrößert; doch antwortete er, sie solle sich nicht bekümmern, denn er wolle schon ein Mittel ersinnen, Leonellas Unverschämtheit Einhalt zu tun, zugleich erzählte er ihr, was er, von Wut und Eifersucht getrieben, Anselmo gesagt habe, und wie dieser sich vorgesetzt, sich in dem Saale zu verbergen, um dort ihre Treulosigkeit mit eigenen Augen zu sehen. Er bat seines Wahnsinns wegen um Verzeihung, und wie sie ein Mittel ersinnen möge, um aus dieser Verworrenheit zu kommen, die sein Unbedacht veranlaßt habe.

Camilla war erschrocken, als sie den Lotario dies sagen hörte, sie schalt ihn entrüstet, und verwies ihm sein Mißtrauen, sowie sein törichtes und höchst unbilliges Benehmen, mit sehr verständigen Worten. Wie aber das Weib von Natur mehr als der Mann einen schnellen Verstand sowohl zum Guten als zum Bösen hat, wenn er ihr gleich mangeln kann, wenn sie mit Vorsatz sich verständig zeigen will, so fand auch Camilla augenblicklich ein Mittel, um sich aus dieser Verwirrung zu befreien, die unauflöslich schien. Sie sagte daher Lotario, er möchte veranlassen, daß sich Anselmo am folgenden Tage an dem bewußten Orte verberge, denn eben dadurch denke sie es zu veranstalten, daß sie sich künftig ohne alle Furcht sehen und sprechen könnten: und ohne ihren Plan weiter auseinanderzusetzen, befahl sie ihm, sich in der Nähe zu befinden, damit er sogleich hereinkommen könnte, wenn ihn Leonella riefe, und daß er ihr dann auf ihre Fragen antworten möchte, wie er antworten würde, wenn er auch nicht wüßte, daß ihm Anselmo zuhöre. Lotario bestand darauf, sie möchte ihm ihre ganze Absicht auseinandersetzen, damit er um so sicherer alles beobachten könne, was nötig sei.«Es ist nichts weiter zu beobachten«, sagte Camilla, »als daß ihr so antwortet, wie ich frage«; denn Camilla wollte ihm nicht sagen, was sie sich zu tun vorgenommen hatte, weil sie fürchtete, er möchte es alsdann nicht so ausrichten, wie sie es für das beste hielt, sondern auf eine andere Weise, die nicht so geeignet sein dürfte.

So entfernte sich Lotario, und Anselmo reiste am folgenden Tage mit dem Vorgeben ab, seinen Freund auf dem Dorfe zu besuchen, kam aber zurück, um sich zu verbergen, welches er auch leicht bewerkstelligen konnte, da ihm Camilla und Leonella vorsätzlich dazu verhalfen. Anselmo stand nun verborgen, in einer Gemütsbewegung, die man sich wohl vorstellen kann, da er fürchtete, mit seinen eigenen Augen die völlige Zerfleischung seiner Ehre zu erblicken, und so sein höchstes Gut zu verlieren, welches er in seiner geliebten Camilla zu besitzen glaubte. Als nun Camilla und Leonella gewiß wußten, daß sich Anselmo verborgen hatte, kamen sie in den Saal, und kaum hatte Camilla den Fuß hineingesetzt, als sie einen heftigen Seufzer ausstieß und sagte: »Ach liebe Leonella! wäre es nicht besser, statt das auszuführen, was ich dir nicht sagen mag, damit du mich nicht daran verhinderst, daß du Anselmos Dolch, den ich von dir verlangt habe, nehmest und damit diese meine schändliche Brust durchbohrtest? Doch nein, du sollst es nicht tun, denn es wäre ungerecht, wenn ich die Strafe für eines anderen Schuld tragen sollte. Vorher will ich wissen, was denn Lotarios freche und unzüchtige Augen an mir gesehen haben, um ihm diese Kühnheit zu geben, mir seine schändlichen Gedanken mitzuteilen, durch die er seinen Freund beleidigt und mich entehrt. Stelle dich an jenes Fenster, Leonella, und rufe ihn herauf, denn er wird sich gewiß in der Straße befinden, in der Erwartung, seinen bösen Vorsatz in Ausübung zu bringen; aber er soll meinen Vorsatz innewerden, der ebenso grausam als ehrenvoll ist!«

»Ach, gnädige Frau!« rief die listige und eingeweihte Leonella, »was wollt Ihr denn mit diesem Dolche machen? Wollt Ihr Euch oder dem Lotario das Leben nehmen? Beides würde Euch und Euren guten Namen zugrunde richten. Besser ist es, Ihr verheimlicht diese Kränkung, als daß Ihr den Bösewicht jetzt, da wir allein sind, in das Haus laßt; bedenkt, gnädige Frau, daß wir nur schwache Weiber sind, und daß er wild und entschlossen ist. Jetzt kommt er mit bösen Vorsätzen und von seiner Leidenschaft geblendet, ehe Ihr nun Euren Vorsatz ausführen könnt, hat er vielleicht das schon vollbracht, was Euch schrecklicher als der Verlust des Lebens sein würde; wehe über meinen gnädigen Herrn Anselmo, der diesem frechen Bösewicht solche Herrschaft in seinem Hause eingeräumt hat! Aber wenn Ihr ihn nun auch umgebracht habt, gnädige Frau, wie ich fast denke, daß Ihr tun wollt, was sollen wir dann mit dem Leichnam anfangen?«

»Was?« antwortete Camilla, »diesen überlassen wir Anselmo, ihn zu beerdigen, denn es ziemt sich wohl, daß er für Ersatz die Mühwaltung rechne, seine eigene Schande unter die Erde zu bringen. Aber rufe ihn schnell, denn indes ich zögere, die Beleidigung, die er mir erwiesen hat, zu rächen, glaube ich die Treue zu verletzen, die ich meinem Gemahl schuldig bin.«

Alles dies hörte Anselmo, und mit jedem Worte, das Camilla sprach, veränderten sich seine Gedanken; da er aber vernahm, daß sie entschlossen sei, Lotario umzubringen, wollte er vortreten und sich zeigen, damit sie es unterließe; er tat es aber nicht, um zu sehen, wie weit sie ihren kühnen und edlen Entschluß ausführen würde, mit dem Vorsatze, zu rechter Zeit zu kommen und sie davon abzuhalten. Indem wurde Camilla von einer starken Ohnmacht befallen, sie warf sich auf ein Bett, das dort stand und Leonella fing bitterlich an zu weinen und zu jammern: »O ich Unglückselige! Sollte ich so elend sein, daß mir hier in den Armen diese schönste Tugendblüte dahinstürbe, diese Krone aller edlen Frauen, dieses Muster der Keuschheit!« nebst anderen Klagen, die jeden, der sie gehört hätte, überzeugen mußten, sie sei die betrübteste und redlichste Magd, und ihre Gebieterin eine neue verfolgte Penelope. Camilla kam bald aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich, und indem sie sich erholte, sagte sie: »Warum gehst du nicht, Leonella, und rufst den treulosesten Freund des Freundes, den die Sonne bescheint und die Nacht bedeckt? Fort, gehe, lauf und hole ihn, damit im Verzögern das Feuer meines Zornes nicht verlösche und sich meine gehoffte rechtmäßige Rache nicht in Drohungen und Flüchen verliere.«

»Ich will ihn rufen, gnädige Gebieterin«, sagte Leonella, »aber zuvor sollst du mir diesen Dolch geben, damit du in meiner Abwesenheit nicht etwas tust, was die ganze Lebenszeit hindurch diejenigen, die dich lieben, beweinen müßten.«

»Geh ohne Sorgen fort, liebe Leonella, denn dergleichen will ich nicht tun«, sagte Camilla; »denn wenn du auch glaubst, daß mein Benehmen zu gewagt und töricht für meine Ehre sei, so will ich es doch nicht wie jene Lukrezia machen, die sich selbst ermordete, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein, und ohne vorher den umzubringen, der die Ursache ihres Elends war. Auch ich kann sterben, aber vorher will ich an dem vollgenügende Rache nehmen, der mich veranlaßt hat, diesen Ort zu betreten, um seine Frechheit, die ich nicht veranlaßte, zu beweinen.«

Leonella ließ sich noch lange bitten, ehe sie fortging, um Lotario zu rufen; endlich ging sie, und ehe sie wiederkam, sagte Camilla wie zu sich selber sprechend: »Aber beim Himmel, wäre es nicht sicherer gewesen, dem Lotario seine Absicht zu verweisen, wie ich es schon mehr als einmal getan habe, als ihm die Veranlassung zu geben, mich für schlecht und entartet zu halten, wie er wenigstens in der Zwischenzeit tun muß, bis ich ihm seinen Wahn benehme? Ohne Zweifel wäre es besser gewesen; aber ich wäre ohne Rache und die Ehre meines Mannes ohne Genugtuung geblieben, wenn er gesund und unverletzt die Schritte zurückmäße, die er mit so bösen Absichten vorwärts tat. Mit dem Leben bezahle der Verräter, was er mit seinen unzüchtigen Gedanken verbrochen hat, die Welt erfahre (wenn sie sich um diese Begebenheit kümmert), daß Camilla ihrem Gemahl nicht nur ihre Pflicht treu bewahrte, sondern daß sie auch den bestrafte, der diese Pflicht zu verletzen gedachte. Aber doch wäre es vielleicht besser, Anselmo von allem zu benachrichtigen; doch habe ich ihm schon einen Wink in jenem Briefe gegeben, den ich ihm nach dem Dorfe schickte, und wenn er diesen Wink nicht benutzte, so mußte es wohl daher kommen, daß er sich nicht überzeugen konnte, daß in der Brust eines treuen Freundes jemals ein Gedanke entstehen könne, der gegen seine Ehre gerichtet wäre, wie ich es auch lange nicht habe glauben wollen, und niemals glauben würde, wenn seine Unverschämheit nicht so hoch gestiegen, daß mich seine Geschenke, Versprechungen und immerwährende Tränen nur zu sehr davon überzeugen. Doch warum stelle ich jetzt diese Betrachtungen an? Bedarf ein edler Entschluß etwa der Überlegung? Nein, wahrlich nicht! Fort, ihr Zweifel, herbei, du Rache! Er komme, der Falsche, er trete herein, er nähere sich, sterbe, und alles geschehe, was geschehen mag! Rein kam ich in die Arme dessen, den mir der Himmel bestimmte, und rein muß er mich wiederfinden, und sollte ich auch mit meinem keuschen Blute und dem schändlichen Blute des falschesten Freundes bedeckt sein.« Indem sie dieses sprach, ging sie mit gezücktem Dolch durch den Saal, Ihr Gang war so heftig, ihre Haltung so zornig, und ihre Gebärden hatten so sehr den Ausdruck der Wut, daß man glaubte, ihr Bewußtsein habe sie gänzlich verlassen, und daß sie kein zartes Weib, sondern ein verzweifelter Mörder sei.

Alles dies sah Anselmo hinter einigen Teppichen an, die ihn verbargen, er war verwundert und glaubte, daß das, was er gesehen und gehört, allein schon hinreichend sei, noch stärkeren Argwohn zu vertilgen, er wünschte schon, daß Lotario gar nicht kommen möchte, weil er irgendein plötzliches Unheil besorgte, er war willens hervorzutreten, seine Gattin zu umarmen und sie aus ihrem Irrtum zu reißen, doch hielt er sich noch zurück, denn er sah nun Leonella zurückkommen, die den Lotario bei der Hand hielt. Sowie ihn Camilla hereintreten sah, machte sie mit dem Dolche vor sich einen langen Strich auf dem Fußboden und sagte: »Lotario, höre, was ich dir sage: Wagst du es, diesen Strich zu überschreiten, ja ihm nur nahe zu kommen, so durchstoße ich in dem nämlichen Augenblicke meine Brust mit diesem Dolche, den ich in Händen habe, und bevor du mir hierauf etwas erwiderst, sollst du meinen Worten zuhören, dann magst du sagen, was dir gefällt. Zuerst sage mir, Lotario, ob du meinen Mann Anselmo kennst und wie du von ihm denkst, zweitens will ich wissen, ob du mich kennst. Hierauf antworte ohne Verworrenheit und ohne dich lange zu bedenken, denn meine Fragen sind leicht zu fassen.«

Lotario war nicht so ungeschickt, daß er nicht von dem Au gen blicke, in welchem ihm Camilla gesagt hatte, er möchte veranstalten, daß sich Anselmo verstecke, alles begriffen hätte, er half also ihrer Absicht so verständig, daß die Verstellung vollkommen den Schein der Wahrheit erhielt. Darum antwortete er Camilla auf folgende Weise: »Ich dachte nicht, schöne Camilla, daß du mich gerufen hättest, um mich Sachen zu fragen, die der Absicht, warum ich komme, so fern liegen, tust du es, um den versprochenen Lohn zu verzögern, so durftest du ihn nur weiter verschieben, denn man fühlt sich um so bitterer getäuscht, wenn man den Besitz schon ganz nahe wähnte. Damit du aber nicht sagen könntest, ich wolle deine Fragen nicht beantworten, so sage ich, daß ich deinen Gemahl Anselmo kenne, denn wir kennen uns beide seit unseren Kinderjahren, auch will ich dir nicht wiederholen, was du selbst in Ansehung unserer Freundschaft weißt, damit ich nicht selbst das Unrecht bezeuge, von dem die Liebe verlangt, daß ich es tun muß; eine genügende Entschuldigung für noch größere Vergehungen. Auch dich kenne ich, und halte dich ebenso hoch, wie er dich hält, denn wenn dem nicht so wäre, so würde ich niemals für ein geringeres Gut als dich so sehr alles verleugnen, was ich mir selbst schuldig bin, und mich gegen die heiligen Gesetze der wahren Freundschaft auflehnen, die mich nun die zu große Gewalt der Liebe zu verletzen und zu zerbrechen zwingt.«

»Wenn du dieses eingestehst«, antwortete Camilla, »du Todfeind von allem, was geliebt zu werden verdient, mit welchem Angesicht wagst du es, vor der zu erscheinen, die der Spiegel ist, in dem sich der beschaut, in dem du dich spiegeln müßtest, um zu fühlen, wie er dir durchaus keine Gelegenheit gibt, daß du ihn so kränken dürftest? Ich Unglückselige muß aber glauben, daß die Ursache, daß du dich so vergessen konntest, in mir selber liegt, etwa ein zu freies Betragen, das ich nicht Mangel an Sittsamkeit nennen mag, weil ich mir dessen nicht bewußt bin, sondern das vielleicht aus Unachtsamkeit entstanden ist, wie es den Weibern wohl zu gehen pflegt, wenn sie in der Meinung stehen, daß sie sich nicht zu hüten brauchen. Wenn dies nicht ist, so sprich, Bösewicht, wann habe ich dir nur mit einem einzigen Worte oder einer Miene so geantwortet, daß nur ein Schatten von Hoffnung in dir entstehen konnte, deine schändlichen Wünsche zu erfüllen? Wann wurden deine Liebesanträge nicht mit Ernst und Strenge von mir verworfen? Wann wurden deine großen Versprechungen und noch größeren Geschenke geglaubt und angenommen? Da es aber unmöglich ist, daß jemand in einer Leidenschaft verharrt, wenn er nicht durch irgendeine Hoffnung aufrechterhalten wird, so muß ich mir die Schuld deiner Unverschämtheit beimessen, denn irgendeine Sorglosigkeit von meiner Seite muß deine Beharrlichkeit bisher aufrechterhalten haben, und darum will ich mich züchtigen und mir die Strafe zufügen, die dein Verbrechen verdient, damit du einsiehst, daß, wenn ich gegen mich selbst so grausam bin, ich gegen dich nicht anders gesinnt sein könne. Deshalb habe ich dich herkommen lassen, um ein Zeuge von dem Opfer zu sein, welches ich der beleidigten Ehre meines höchst ehrenvollen Gemahls zu bringen denke, den du mit dem größten Eifer gekränkt hast, so wie ich ihn auch dadurch beleidigt habe, daß ich nicht vorsichtig genug der Gelegenheit auswich, wenn ich dir je welche gegeben habe, deine bösen Gedanken zu begünstigen. Ich wiederhole noch einmal, daß der Verdacht, wie eine Unachtsamkeit von mir, diese bösen Gedanken in dir erzeugt hat, mich am meisten quält, so daß ich mich dafür mit meinen eigenen Händen strafen will, denn wenn mich ein anderer züchtigte, so würde meine Schuld dadurch vielleicht nur um so bekannter; ehe ich dies aber vollbringe, will ich den im Sterben töten und mit mir führen, mit welchem ich das Maß meiner Rache erfüllen kann, wo er dann dort von einem unparteiischen Richterspruch die Strafe dafür empfängt, mich zu einer so verzweiflungsvollen Tat gebracht zu haben.«

Und mit diesen Worten stürzte sie sich mit unglaublicher Kraft und Schnelligkeit auf Lotario zu, indem sie den Dolch hochschwang und sich auf alle Art bemühte, ihm die Spitze in die Brust zu stoßen, so daß er selbst zu zweifeln anfing, ob diese Gebärden ernstlich oder nur erdichtet wären, denn er war gezwungen, sich mit aller seiner Besonnenheit und Kraft zu verteidigen, um nur Camilla von sich abzuhalten. Diese wußte mit einer so wunderbaren und lebendigen Täuschung ihre List und Heuchelei darzustellen, daß, um ihr den völligen Anstrich der Wahrheit zu geben, sie sich mit ihrem eigenen Blute färben wollte; denn da sie sah oder sich wenigstens so stellte, daß sie Lotario nicht verwunden könnte, rief sie aus, »da das Schicksal mich hindert, mein gerechtes Vorhaben ganz auszuführen, so soll es wenigstens nicht so viel vermögen, daß ich nicht einen Teil davon wirklich ausübte«. Sie bestrebte sich hierauf, die Hand, mit dem Dolche bewaffnet, loszumachen, die Lotario festhielt, es gelang ihr, und sie drängte die Spitze nun nach einem Orte, an dem sie sich keine tiefe Wunde machen konnte, denn sie stieß ihn in die linke Seite dicht an der Schulter hinein, und zugleich fiel sie auch wie ohnmächtig auf den Boden nieder. Leonella und Lotario standen über dieses Beginnen voll Verwunderung da, und beide zweifelten, ob sie ihren Augen trauen dürften, da sie Camilla auf der Erde in ihrem Blute gebadet liegen sahen. Lotario lief voll Entsetzen und atemlos hinzu, um den Dolch zu nehmen, da er aber die unbedeutende Wunde sah, erholte er sich von seinem Schrecken und bewunderte von neuem den Scharfsinn, die List und große Verschlagenheit der schönen Camilla, um aber auch seine ihm gehörige Rolle zu spielen, begann er über den Körper der Camilla ein lautes Klagegeschrei, als wenn sie wirklich tot wäre, indem er tausend Verwünschungen gegen sich und den ausstieß, der ihn dazu getrieben, so weit zu gehen. Da er wußte, daß ihm sein Freund Anselmo zuhöre, sagte er solche Dinge, daß der, der ihn hörte, glauben mußte, er sei noch viel mehr als Camilla zu beklagen, ob man diese gleich für tot halten konnte.

Leonella faßte sie in die Arme und trug sie auf das Bett, indem sie Lotario bat, er möchte schnell jemand suchen, der sie insgeheim heilen könnte; zugleich fragte sie ihn, was man dem Anselmo in Ansehung der Wunde ihrer Gebieterin sagen solle, wenn er etwa vorher wiederkäme, ehe sie ganz wiederhergestellt sei. Er antwortete, daß sie sagen möchten, was sie wollten, denn ihm falle es unmöglich, einen vernünftigen Rat zu erteilen, sie möchte nur suchen, das Blut zu stillen, denn er wolle dahin gehen, wo ihn nie das Auge eines Menschen wiederfände. Mit den Anzeichen einer heftigen Rührung verließ er hierauf das Haus, und sowie er allein war, daß niemand ihn bemerken konnte, bekreuzte er sich vor Verwunderung über Camillas List sowie über das dazu passende Betragen der Leonella. Er erwog, wie Anselmo nun von neuem den Glauben bekommen habe, daß er in seinem Weibe eine zweite Porzia besitze, und er wünschte ihn nur bald zu sehen, damit sie die Lüge in Gesellschaft preisen könnten, die so den Schein der Wahrheit erhalten hatte, wie es nur immer möglich war.

Leonella stillte indessen ihrer Gebieterin das Blut, welche gerade nur so viel vergossen hatte, um ihrer List dadurch einen Anschein zu geben; hierauf wusch sie die Wunde mit Wein und verband sie so gut sie konnte, indes sie während ihrer Beschäftigung solche Reden führte, daß diese schon den Anselmo glauben machen konnten, er besitze in Camilla ein Wunderbild von Keuschheit. Zu Leonellas Reden fügte Camilla andere hinzu, indem sie sich feigherzig und mutlos schalt, weil sie nun den Augenblick versäumt habe, sich das ihr verhaßte Leben zu nehmen; sie fragte das Mädchen um Rat, ob sie ihrem geliebten Gemahl diesen Vorfall erzählen solle oder nicht. Diese riet ihr, nichts davon zu sagen, denn er sei dadurch verpflichtet, an Lotario Rache zu nehmen, wobei er sich selber der größten Gefahr aussetze, daß es aber die Schuldigkeit einer edlen Frau sei, ihren Mann niemals in Händel zu verflechten, sondern daß sie ihm vielmehr alles aus dem Wege räumen müsse, wodurch dergleichen entstehen könne. Camilla antwortete, daß sie derselben Meinung sei und ihren Rat befolgen wolle; daß man aber auf jeden Fall dem Anselmo eine Ursache sagen müsse, wie diese Wunde entstanden sei, die ihm nicht verheimlicht bleiben könne. Worauf Leonella antwortete, daß sie unmöglich lügen könne, wenn es auch nur im Scherze geschehe.«Wie also, Liebe«, versetzte Camilla, »sollte ich es möglich machen? Nein, ich hätte nicht den Mut, eine Lüge zu erfinden oder auch nur zu bestätigen, und wenn selbst mein Leben darauf stände; wenn wir uns also aus dieser Verlegenheit gar nicht herauswickeln können, so ist es besser, die reine Wahrheit zu sagen als etwas anderes, das uns nur in Lügen verstricken dürfte.«

»Seid nur ruhig, gnädige Frau«, antwortete Leonella, »zwischen heut und morgen will ich sinnen, was wir ihm sagen können, vielleicht könnt Ihr auch die Wunde so verbergen, an dem Ort, wo sie sich befindet, daß sie Euer Gemahl nicht sieht, und der Himmel wird darin vielleicht unseren guten und tugendhaften Gedanken zu Hilfe kommen. Beruhigt Euch nur, meine Gebieterin, und erholt Euch von dieser Erschütterung, damit der Herr Euch nicht in dieser Bewegung findet, alles übrige überlaßt nur meiner Sorgfalt und Gottes Beistand, der immer die guten Absichten befördert.«

Höchst aufmerksam hatte Anselmo dagestanden, um die Tragödie vom Tode seiner Ehre zu hören und darstellen zu sehen, welche die spielenden Personen mit solcher lebhaften Täuschung aufzuführen vermochten, daß es schien, als hätten sie sich wahrhaftig in diejenigen verwandelt, die sie nur nachahmen wollten. Er wünschte mit Sehnsucht die Nacht herbei, um sein Haus verlassen zu können und seinen geliebten Lotario aufzusuchen, damit er sich mit diesem über die kostbare Perle freuen könne, die er mit dem Verluste seines Argwohns in der Vortrefflichkeit seiner Gattin gefunden habe. Die beiden sorgten dafür, ihm Gelegenheit zum Ausgehen zu verschaffen. Er ging auch augenblicklich fort, um sogleich Lotario aufzusuchen, und als er diesen fand, so läßt es sich nicht beschreiben, wie oft und herzlich er ihn in die Arme schloß, was er ihm von seinem Entzücken sagte, wie sehr er Camilla pries. Alles hörte Lotario ohne Zeichen der Freude an, denn er konnte die Vorstellung nicht loswerden, in welchem groben Irrtume sein Freund lebte, und wie empfindlich er ihn kränke; und obgleich Anselmo sah, daß Lotario nicht vergnügt war, so glaubte er, es rühre daher, weil jener Camilla verwundet zurückgelassen habe und schuld an dieser Wunde sei. Er sagte ihm also nebst anderen Dingen, daß er wegen Camilla unbesorgt sein könne, denn die Wunde sei gewiß nur unbedeutend, weil sie die Absicht hätten, sie vor ihm zu verhehlen, deswegen dürfe er auch nichts befürchten, sondern daß er von nun an fröhlich und ganz erheitert mit ihm leben möge, denn durch seine Vermittlung sei er zur höchsten Glückseligkeit gelangt, die er sich nur jemals habe wünschen können, von nun an wolle er sich nur Mühe geben, in preisenden Gedichten Camillas Andenken zu verehren, damit ihr Ruhm auch dem künftigen Zeitalter überliefert würde. Lotario lobte seinen guten Vorsatz und sagte, daß er auch gern helfen wolle, ein so herrliches Gebäude aufzuführen.

So war Anselmo auf eine Art hintergangen, wie nur irgendein Mann auf Erden betrogen werden kann, er selbst führte an seiner Hand denjenigen in sein Haus zurück, den er für das Werkzeug seiner höchsten Freude hielt, und der seine Ehre völlig vernichtete; Camilla empfing ihn äußerlich mit einem Gesichte voll Verdruß, ob sie gleich innerlich lachte. Dieser Betrug dauerte noch einige Zeit, bis nach wenigen Monaten Fortuna ihr Rad drehte und die Schändlichkeit entdeckt wurde, die bis dahin so künstlich verborgen gehalten war, so daß den Anselmo sein grübelnder Fürwitz das Leben kostete.

Don Quixote von la Mancha: Roman
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