27. Kapitel
Wie es mit dem Plane des Pfarrers und Barbiers geriet, nebst anderen Dingen, würdig in dieser großen Geschichte vorgetragen zu werden.
Dem Barbier mißfiel die Erfindung des Pfarrers nicht, sondern sie schien ihm so gut, daß sie sogleich zur Ausführung schritten. Sie ließen sich von der Wirtin ein Kleid und etliche Röcke geben, wofür der Pfarrer ein ganz neues Priesterkleid zum Pfande einsetzte. Der Barbier machte sich einen weißlichen oder gelblichen Bart von einem Ochsenschwanze, an dem der Wirt seine Kämme aufhing. Die Wirtin fragte sie, was sie mit diesen Dingen anstellen wollten. Der Pfarrer erzählte ihr kürzlich Don Quixotes Narrheit, und wie diese Verkleidung dazu dienen solle, ihn aus dem Gebirge herauszulocken, in dem er sich jetzt aufhielt. Der Wirt und die Wirtin fielen sogleich darauf, daß dieser Narr gewiß ihr Gast mit dem Balsam und der Herr des geprellten Stallmeisters sein müsse; sie erzählten dem Pfarrer hierauf alles, was sich mit diesen beiden zugetragen hatte, ohne das zu verschweigen, was Sancho so vorsorglich verschwieg. Die Wirtin kleidete endlich den Pfarrer so an, wie man nichts Schöneres sehen konnte; sie legte ihm nämlich ein tuchenes Kleid an, das voller schwarzer Samtbänder hing, die eine Spanne breit und ausgepackt waren, hierauf ein Leibchen von grünem Samt, mit ganz weißen Bandschleifen, wovon alles aus den Zeiten des Königs Bamba zu sein schien. Der Pfarrer litt nicht, daß man ihn koiffierte, sondern er setzte auf den Kopf ein baumwollenes Mützchen, das er nachts zum Schlafen bei sich hatte, und um die Stirn band er ein Strumpfband von schwarzem Taffet, mit einem anderen Strumpfband machte er sich ein Vorhängsel, womit er ziemlich gut Bart und Gesicht verdeckte; dann drückte er sich den Hut in die Augen, der so groß war, daß er ihm wohl zum Sonnenschirm dienen konnte, worauf er noch einen langen Mantel überwarf und sich quer auf sein Maultier setzte. Der Barbier bestieg seinen Esel mit seinem Barte, der ihm bis auf den Gürtel reichte und ins Weiße und Gelbliche spielte, und der, wie schon gesagt, aus dem Schwanze eines tüchtigen Ochsen gemacht war. Sie nahmen von allen Abschied, auch von der braven Maritorne, die, so sündhaft sie auch selber sei, einen Rosenkranz zu beten versprach, damit Gott seinen Segen verleihe, daß sie die schwierige und so christliche Unternehmung, die sie unternommen hatten, glücklich beendigen möchten.
Sie hatten kaum die Schenke verlassen, als dem Pfarrer der Gedanke kam, es sei von ihm nicht gut gehandelt, sich so auszustaffieren, sondern im Gegenteil unschicklich für einen Priester, wenn der Zweck, weshalb es geschehe, auch noch so gut sei; er sagte dies dem Barbier und bat ihn, den Anzug umzutauschen, weil es anständiger sei, daß er die notgedrängte Jungfrau vorstelle; er wolle der Stallmeister sein, und daß er so seinem Amte weniger vergäbe; wolle er dies nicht tun, so sei er fest entschlossen, nicht weiter zu gehen, und wenn den Don Quixote auch der Teufel selbst holen sollte. Indem kam Sancho hinzu, der über den Aufzug lachen mußte, in welchem er die beiden sah. Der Barbier ging auf alles ein, wie es der Pfarrer wollte, sie tauschten ihre Masken um, der Pfarrer unterrichtete ihn, wie er sich gebärden und welche Redensarten er gegen Don Quixote zu führen habe, um ihn zu bewegen und zu zwingen, mit ihm zu gehen und den Ort zu verlassen, den er zu seiner unnützen Buße ausgewählt hatte. Der Barbier antwortete, daß er selbst seine Lektion wüßte und sie gewiß aufs pünktlichste hersagen wolle. Er wollte sich aber noch nicht ankleiden, bis sie sich an der Stelle befänden, wo Don Quixote sei; er legte also den Anzug zusammen, der Pfarrer machte seinen Bart fest, und so setzten sie ihren Weg fort, von Sancho Pansa angeführt, der ihnen erzählte, was ihnen mit dem Verrückten begegnet sei, den sie im Gebirge gefunden hätten, wobei er aber sorgfältig den Fund des Mantelsackes und das, was er in diesem angetroffen hatte, verschwieg, denn so dumm er auch war, so war dieser brave Herr doch gut auf sein Bestes bedacht.
Am anderen Tage kamen sie an die Stelle, wo Sancho seine Merkmale, nämlich die Zweige, ausgestreut hatte, um den Platz wiederzufinden, wo er seinen Herrn gelassen hatte, und sowie er sie erkannte, sagte er, daß dieses der Eingang sei und daß sie sich nun anziehen könnten, wenn dies nötig sei, um seinen Herrn freizumachen, denn sie hatten es ihm vorher gesagt, daß diese Reise und diese Verkleidung bloß angestellt sei, um seinen Herrn von dem unglückseligen Leben zu befreien, welches er sich auserwählt habe, und daß es sehr nötig sei, daß er seinem Herrn nicht sagte, wer sie wären, oder daß er sie kenne, und wenn er fragte, wie er gewiß fragen würde, ob er den Brief an Dulcinea abgegeben habe, sollte er ja sagen, und weil sie nicht lesen könne, habe sie ihm die mündliche Antwort gegeben und ihm bei Strafe ihrer Ungnade befohlen, augenblicklich zu ihr zu kommen, weil ihr dies vorzüglich am Herzen liege; dadurch und durch das, was sie ihm sagen wollten, wären sie versichert, ihn zu einem besseren Leben zurückzubringen und ihn so anzufrischen, daß er sich gleich auf den Weg mache, um Kaiser oder Despot zu werden, denn was den Erzbischof betreffe, darüber solle er ohne Sorgen sein.
Sancho hörte alles an und prägte es sich gut ins Gedächtnis, dankte ihnen auch für die gute Absicht, daß sie seinem Herrn zureden wollten, er möchte Kaiser und nicht Erzbischof werden, denn er seinerseits halte dafür, daß, was das angehe, die Stallmeister trefflich zu bedenken, ein Kaiser mehr als ein irrender Erzbischof tun könne. Er sagte auch, daß es besser wäre, wenn er voranginge, ihn zu suchen und ihm die Antwort von seiner Dame zu sagen, denn vielleicht sei das schon hinreichend, ihn von der Stelle zu bringen, ohne daß sie sich so viele Mühe zu geben brauchten. Den beiden schien das gut, was Sancho sagte, sie beschlossen also, dort zu warten, bis er mit der Nachricht, daß er seinen Herrn gefunden habe, zurückgekehrt sei.
Sancho ritt in die Schlüfte des Gebirges hinein und ließ die beiden auf einem Platze, wo ein kleiner friedlicher Bach murmelte und auf dem Felsen einige Bäume einen angenehmen frischen Schatten verbreiteten; die Hitze war groß, denn es war im August, in welchem Monate die Sonne dort sehr heiß brennt, drei Stunden nach Mittag waren verflossen, welches alles ihnen diesen Ort so angenehm machte und sie einlud, hier die Rückkehr des Sancho zu erwarten, wie sie auch taten. Indem die beiden im Schatten sich erquickten, vernahmen sie eine Stimme, die ohne den begleitenden Ton eines Instrumentes süß und lieblich erklang, worüber sie sich nicht wenig verwunderten, denn sie hielten dies für keine Gegend, in der sich so gute Sänger aufhalten könnten; denn wenn auch oft erzählt wird, wie in Wäldern und auf Gefilden Schäfer mit lieblichen Stimmen wohnen, so ist dies mehr schöne Erfindung der Poeten als Wahrheit; da sie überdies noch bemerkten, daß die Verse, die sie singen hörten, kein Lied eines Bauern sein könne, sondern von einem feinen Mann herrühren müssen. Sie wurden hierin bestätigt, denn die Verse, die sie hörten, waren folgende:
Wer hat mir zerstört mein gutes Glücke?
Die Tücke.
Und was macht mich nun in Qual vergehen?
Verschmähen.
Welcher Lehrer, daß ich dulden lerne?
Die Ferne:
und also machen bess’re Sterne
mir niemals lichtern Himmel offen,
vereinigt töten mich das Hoffen,
Verschmähen, Tücke wie die Ferne.
Wer macht mir mein Leben schwarz und trübe?
Die Liebe.
Und wer scheucht die Freude weit zurücke?
Das Glücke.
Und wer weigert mir zu sein ein Retter?
Die Götter:
und also brechen tausend Wetter,
daß ich muß ein Verlorner sein,
nur zum Verderben auf mich ein,
das Glück, die Liebe wie die Götter.
Wie kann ich ein bess’res Glück erwerben?
Durch Sterben.
Und was macht, daß uns die Lieb’ erfreue?
Untreue.
Und für wen ist alles Leid verloren?
Dem Toren:
und also bin ich nur geboren,
in meinen Leiden zu verschmachten,
für Helfer sind ja nur zu achten
Untreue, Sterben, o des Toren!
Die Stunde, die Einsamkeit, die Stimme und die Geschicklichkeit dessen, der sang, erregte den beiden Zuhörern ebensoviel Vergnügen als Verwunderung, sie hielten sich ruhig, indem sie noch mehr zu hören erwarteten. Da sie aber sahen, daß alles schwieg, beschlossen sie aufzustehen und den Sänger zu suchen, dessen Stimme so lieblich erklang, und indem sie dies eben ins Werk setzen wollten, machte dieselbe Stimme, daß sie sich nicht rührten, denn ein neuer Ton traf ihr Ohr und folgendes Sonett wurde gesungen.
Sonett
Du heil’ge Freundschaft, von uns zu entweichen
Hat dich dein leichter Fluch emporgeschwungen,
Du bist zu sel’gen Geistern hingedrungen,
Zu den gebenedeiten Himmelsreichen.
Von dort reichst du uns oft als schönes Zeichen
Die Eintracht, dicht von Schleiern eingeschlungen,
Oft scheint uns dann ein edles Herz errungen
Das Laster weiß der Tugend wohl zu gleichen.
Vom Himmel steige, holde Freundschaft, nieder,
Der Trug hat sich dein schönstes Kleid ersonnen,
Er tötet schleichend jegliches Vertrauen.
Nimmst du ihm nicht die falsche Zierde wieder,
So wird die Welt den alten Krieg begonnen
Und Zwietracht wieder als Regenten schauen.
Den Gesang beschloß ein tiefer Seufzer, und die beiden blieben sehr still und aufmerksam, ob sie noch mehr hören würden; da sie aber sahen, daß sich die Musik in Jammer und klägliches Ächzen verkehrt hatte, beschlossen sie zu erfahren, wer der Traurige sei, dessen Stimme so schön, wie ein Seufzen rührend war; sie waren nicht weit gegangen, als sie, indem sie um einen Felsen bogen, einen Menschen von eben der Gestalt gewahr wurden, wie Sancho ihn beschrieben hatte, als er vom Cardenio erzählte. Als der Mensch sie erblickte, blieb er unverändert in seiner traurigen Stellung, den Kopf auf die Brust herabgesunken und wie in tiefen Gedanken verloren, ohne die Augen aufzuschlagen oder sie noch einmal anzusehen.
Der Pfarrer, der ein beredter Mann war und schon von seinem Unglück wußte, da er ihn an den Merkmalen erkannt hatte, ging auf ihn zu und bat und beschwor ihn in wenigen, aber vernünftigen Worten, dieses unglückselige Leben zu verlassen, damit er nicht darin umkäme, welches das allerhöchste Elend zu nennen sei. Cardenio war gerade bei vollem Verstande und ohne einen Anfall von Raserei, der ihn oft gänzlich von ihm selbst entfernte; da er also die beiden sah, anders gekleidet, als ihm sonst die Menschen dieser Wüsteneien aufstießen, verwunderte er sich nicht wenig, noch mehr, da er von seinen Leiden wie von einer Sache reden hörte, die man schon kannte; auf das aber, was ihm der Pfarrer gesagt hatte, antwortete er mit diesen Worten: »Ich sehe wohl, wer ihr auch sein mögt, meine Herren, daß der Himmel, der für die guten Menschen Sorge trägt und ihnen hilft, wie er es auch oft den bösen tut, mir gegen mein Verdienst in diese Einöden, vom Verkehr aller Menschen entfernt, Männer sendet, die mir mit Eindringlichkeit und Vernunft, ob ich gleich ohne diese bin, vor Augen stellen, wie ich mich von hier entreißen und ein besseres Los aufsuchen solle. Ihr wißt aber nicht, wer ich bin und wie es wohl möglich ist, daß, wenn ich dieser Lage entrinne, wohl in ein noch schlimmeres Unglück stürzen kann, ihr müßt mich also für einen Menschen von schwachem Verstande halten, oder was noch schlimmer ist, für ganz vernunftlos erklären, und freilich wäre es kein Wunder, wenn ihr es tätet, denn ich weiß es wohl, wie mich das ewig gegenwärtige Bild meines Elends so überwältigt hat und so zu meinem Verderben wirkt, daß ich mich selber nicht mehr besitze, sondern oft besinnungslos wie ein Stein bin und jeder menschlichen Empfindung entbehre; drum muß ich auch alles glauben, was mir manche erzählen und mir durch Spuren beweisen, wie ich gehandelt habe, wenn jener schreckliche Zufall alle meine Kräfte beherrscht. Ich kann nun nichts weiter tun, als vergeblich klagen und ohne Zweck mein Schicksal verwünschen und zur Entschuldigung meines Wahnsinns jedem, der mich anhören will, mein Unglück erzählen, damit, wenn die Klugen die Ursache erfahren, sich nicht über die Folgen desselben wundern, und wenn sie mir nicht helfen können, mich doch wenigstens nicht anklagen, weil ihr Zorn über meinen Frevel in Mitleid über mein Unglück verwandelt werden muß. Kommt ihr also, meine Herren, in der nämlichen Absicht hierher, in der schon manche gekommen sind, so bitte ich euch, ehe ihr noch in euren gütigen Überredungen fortfahrt, die Geschichte meines Unglückes anzuhören, weil ihr vielleicht nachher selber eure Mühe unnütz findet, mir in meinem Elende Trost zu geben, das durchaus keinen Trost zuläßt.«
Es war gerade der Wunsch der beiden, aus seinem eigenen Munde die Ursache seiner Schwermut zu erfahren, sie baten ihn daher, seine Geschichte vorzutragen, wobei sie versprachen, ihm keine andere Hilfe und keinen anderen Trost anzubieten, als die er selber wünschen würde. Der traurige Ritter fing also seine betrübte Geschichte an und trug sie fast mit den nämlichen Worten und Wendungen vor, wie er sie dem Don Quixote und dem Ziegenhirten vor wenigen Tagen erzählt hatte, als bei Gelegenheit des Meisters Elisabath und durch die Gewissenhaftigkeit Don Quixotes, den Gesetzen der Ritterschaft Folge zu leisten, die Erzählung abgebrochen wurde, wie es die Historie oben vorträgt. Jetzt aber fügte er das gute Glück, daß sie von keinem Anfall von Wahnsinn gestört wurden, sondern er führte seine Geschichte bis zu Ende. Als er an die Stelle kam, wo Don Fernando im Amadis von Gallia den Brief fand, sagte Cardenio, daß er ihn auswendig wisse, und deshalb sagte er ihn mit diesen Worten her:
»Lucinde an Cardenio:
Jeden Tag entdeckte ich neue Vorzüge in Euch, die mich zwingen und verpflichten, Euch von neuem hochzuschätzen, wenn Ihr mich also von meinen Schulden befreien wollt, ohne Euch mit meiner Ehre bezahlt zu machen, so könnt Ihr es leicht tun. Ich habe einen Vater, der Euch kennt und mich liebt und, ohne mich zu zwingen, Euch das bewilligen wird, was er für Recht erkennt, wenn Ihr mich so hochschätzt, wie Ihr es sagt, und wie ich es glaube.
Durch dieses Blatt wurde ich, wie schon gesagt, bewogen, um Lucinden als meine Gemahlin anzuhalten, und durch dieses Blatt wurde Fernando in seiner Meinung bestätigt, Lucinden für das verständigste und klügste Mädchen seiner Zeit zu halten, und dies erregte in ihm zuerst den Wunsch, mich lieber zu vernichten, als daß mein Wunsch in Erfüllung ginge. Ich erzählte Don Fernando, was mir Lucindes Vater erwidert hatte, daß es meinem Vater zustehe, um sie anzuhalten, wie ich es aber nicht wage, es ihm zu sagen, aus Furcht, daß er nicht einstimmen möchte, nicht deshalb, weil ihm der Wert, die Tugend und Schönheit der Lucinde unbekannt sei, denn ihre Eigenschaften wären hinreichend, ihre Verbindung mit jeder spanischen Familie ehrenvoll zu machen; sondern ich begriffe wohl, daß mein Vater nicht suchen würde, mich so schnell zu verheiraten, bis er erst sähe, was der Herzog Ricardo für mich tun würde. Kurz, ich sagte ihm, daß ich nicht Stärke genug habe, mit meinem Vater darüber zu sprechen, denn nicht nur dies Hindernis, sondern noch manches andere mache mich mutlos, ohne daß ich recht sagen könne was, es wäre mir aber, als wenn meine Wünsche niemals in Erfüllung gehen würden.
Don Fernando antwortete mir, daß er es über sich nehme, mit meinem Vater zu sprechen und ihn dahin zu bringen, daß er mit Lucindes Vater redete. – O du ehrsüchtiger Marius! grausamer Catilina! schändlicher Sylla! verräterischer Galalon! du hinterlistiger Vellido! rachsüchtiger Julian! o habsüchtiger Judas! du Verräter, Grausamer, Rachsüchtiger, Hinterlistiger! Was hatte dir der Unglückliche getan, der dir so offen die geheimsten Wünsche seines Herzens entdeckte? Wie habe ich dich beleidigt? Welchen Rat habe ich dir je gegeben, welches Wort jemals gesprochen, das nicht hätte dazu dienen sollen, deine Ehre wie dein Glück zu befördern? Aber worüber klage ich, Elender! Es ist ja gewiß, daß, wenn der Lauf der Gestirne Unglück mit sich führt und es sich mit Gewalt und Wut von oben herniederwälzt, keine Kraft des Irdischen es aufhalten, keine Vorsicht des Menschen es abwenden kann. Wer hätte es glauben können, daß Don Fernando, ein edler, ehrenvoller Ritter, den meine Dienste verpflichtet hatten, der so angesehen war, daß er nur wählen durfte, um seine Liebe erwidert zu sehen, daß dieser nicht ruhte, bis er mir mein einziges Schäfchen geraubt hatte, das ich selbst noch nicht besaß! Aber ich will diese unnützen, unersprießlichen Betrachtungen lassen und wieder den abgebrochenen Faden meiner unglücklichen Geschichte anknüpfen.
Da dem Don Fernando meine Gegenwart hinderlich war, um seine schändliche Falschheit auszuüben, beschloß er, mich zu seinem älteren Bruder zu schicken, unter dem Vorwande, Geld von diesem für sechs Pferde zu verlangen, die er bloß deshalb gekauft hatte, um mich zu entfernen und seine verdammte Absicht desto besser durchzuführen; er kaufte sie den nämlichen Tag, als er sich anbot, mit meinem Vater zu sprechen, und er verlangte, daß ich des Geldes wegen sogleich abreisen sollte. Konnte ich dieser Verräterei vorbeugen? Konnte ich sie nur ahnen? Weit davon entfernt, bot ich mich vielmehr mit der größten Bereitwilligkeit an, sogleich abzureisen, weil ich den Kauf für sehr vorteilhaft hielt. In derselben Nacht sprach ich mit Lucinde und erzählte ihr, was ich mit Don Fernando abgeredet habe und daß sie die feste Hoffnung fassen könne, daß nun unsere tugendhaften Wünsche in Erfüllung gehen würden. Sie bat mich, vor Don Fernandos Verräterei ebenso sicher wie ich, ich möchte bald wiederkommen, denn sie sei überzeugt, wie es nur davon abhinge, daß mein Vater mit dem ihrigen spreche, um alles in Erfüllung zu bringen. Ich weiß nicht, wie es geschah, aber indem sie dies gesagt hatte, wurden ihre Augen von Tränen naß, das Wort stockte in der Kehle, so daß sie nichts mehr hervorbringen konnte, ob es mir gleich schien, sie habe mir noch vieles zu sagen. Ich erstaunte über diesen Zufall, den ich noch niemals an ihr wahrgenommen hatte, denn sooft das gute Glück und meine Sorgfalt uns die Unterredung ausmittelten, war unser Gespräch jedesmal munter und fröhlich, ohne in unsere Unterhaltung Tränen, Seufzer, Argwohn und Furcht einzumischen. Ich pries jederzeit mein Glück, daß der Himmel mir sie zur Geliebten vergönnt habe, ich erhob ihre Schönheit und bewunderte ihren Witz und Verstand, und sie zur Vergeltung lobte mit ihrer Liebe das an mir, was ihr Lob zu verdienen schien. Nebenher erzählten wir uns tausend lustige Vorfälle von unseren Nachbarn und Bekannten, und das Höchste, was meine Kühnheit dann wagte, war, eine ihrer schönen weißen Hände wie mit Gewalt zuergeifen, um sie durch die engen Stäbe des niedrigen Gitters, das uns trennte, zu meinem Munde zu führen. Aber in dieser Nacht vor dem traurigen Tage meiner Abreise weinte sie, sie ächzte und seufzte, wodurch sie mich in Verwirrung und Schrecken setzte, denn ich erstaunte über diese ungewohnte Traurigkeit Lucindens. Um aber meine Hoffnungen nicht sinken zu lassen, maß ich alles der Stärke ihrer Liebe bei und dem Schmerze, den wohl die Trennung bei denen verursacht, die sich innig lieben. Traurig und nachdenklich schied ich endlich von ihr, meine Seele war voller Gedanken und Argwohn, ohne daß ich wußte oder erdenken konnte, was ich argwöhnte; Zeichen, die mir den traurigen Erfolg und das Unglück, das meiner wartete, deutlich genug zu erkennen gaben.
Ich langte an, wohin ich geschickt wurde; ich überreichte meine Briefe dem Bruder des Don Fernando. Man empfing mich freundlich, fertigte mich aber nicht so freundlich ab, sondern ich erhielt zu meinem größten Mißvergnügen den Befehl, acht Tage zu warten und mich zu hüten, daß mich der Herzog, sein Vater, nicht sähe, denn sein Bruder schriebe ihm, daß er ihm ohne dessen Vorwissen Geld schicken möchte. Alles dies war aber nur eine Erfindung des falschen Fernando, denn es fehlte seinem Bruder nicht an Geld, um mich sogleich abzufertigen. Dieser Befehl brachte mich beinahe dahin, nicht zu gehorchen, denn es schien mir unmöglich, so viele Tage von Lucinde entfernt zu leben, besonders da ich sie so schwermütig verlassen hatte; dennoch aber gehorchte ich als ein redlicher Diener, ob ich gleich einsah, daß es auf Kosten meiner Wohlfahrt geschah. Indem aber vier Tage verflossen waren, kam ein Mann, der mich aufsuchte und mir einen Brief brachte, von dem ich sogleich die Aufschrift erkannte, denn es war Lucindens Hand. Ich eröffnete ihn erschrocken, denn nur eine sehr wichtige Ursache konnte sie bewogen haben, mir, dem Abwesenden, zu schreiben, denn sie tat es, auch wenn ich gegenwärtig war, nur selten. Ehe ich noch las, fragte ich den Mann, wer ihm den Brief gegeben und wieviel Zeit er auf dem Wege zugebracht habe. Er erzählte mir, wie er durch eine Gasse der Stadt gegangen sei um die Mittagsstunde, als ihm aus einem Fenster eine Dame zugerufen, die Augen von Tränen naß, und zu ihm mit vieler Hast gesagt habe: ›Wenn Ihr ein Christ seid, mein Freund, wie ich glaube, so bitte ich Euch im Namen Gottes, diesen Brief gleich nach dem Orte und an die Person zu besorgen, an die er gerichtet ist, es ist ein gutes Werk, womit Ihr dem Herrn des Himmels einen Dienst erweiset, damit Ihr es aber bequem tun könnt, so nehmt das, was in dem Tuche ist.‹ ›Und wie sie dies gesagt hatte, warf sie mir aus dem Fenster ein Schnupftuch herab, in dem hundert Realen eingebunden waren und dieser goldene Ring, den ich am Finger habe, samt diesem Briefe. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging sie schnell vom Fenster zurück, doch sah sie vorher zu, ob ich den Brief und das Tuch nahm, worauf ich ihr durch Zeichen sagte, daß ich ihren Befehl ausführen würde. Da ich mich nun für die Mühe des Überbringens so reichlich bezahlt sah und aus der Überschrift erkannte, daß der Brief an Euch, mein Herr, gerichtet war, den ich sehr gut kenne, mich auch die Tränen der schönen Dame gerührt hatten, so nahm ich mir vor, das Geschäft keinem anderen zu vertrauen und den Brief selbst zu überliefern; seitdem sind sechzehn Stunden verflossen, in welcher ich den Weg zurückgelegt habe, der, wie Ihr wißt, achtzehn Meilen beträgt.‹
Indem der gute Mann dies erzählte, stand ich, von seinen Reden verwirrt, mit zitternden Füßen, daß ich mich kaum aufrecht erhalten konnte. Ich erbrach den Brief und fand folgenden Inhalt:
›Das Versprechen, welches Don Fernando Euch gab, Euren Vater zu bereden, mit dem meinigen zu sprechen, hat er zu seinem Besten, nicht aber zu Eurem Vorteile erfüllt. Wißt, daß er mich zur Gemahlin begehrt hat, und mein Vater, von Don Ferndandos Vorzügen vor Euch, wie er ihn ansieht, verleitet, nimmt die Sache so ernst, daß innerhalb zwei Tagen die Vermählung gefeiert werden soll, und zwar so verborgen und geheim, daß nur der Himmel und einige Leute aus dem Hause Zeugen sein werden. Was ich leide, könnt Ihr fühlen; wenn Ihr kommen wollt, so eilt; und ob ich Euch liebe oder nicht, soll der Erfolg zu erkennen geben. Gebe Gott, daß dies in Eure Hände fällt, ehe ich mich gezwungen sehe, die meinigen mit dem zu verbinden, der schlecht die versprochene Treue zu halten weiß. ‹
Dies war der Inhalt des Briefes, der mich sogleich fort auf den Weg trieb, ohne Antwort oder Geld zu erwarten, denn ich sah nun wohl ein, daß nicht der Kauf der Pferde, sondern seines Vergnügens den Don Fernando bewogen hatte, mich zu seinem Bruder zu schicken. Die Wut gegen Don Fernando sowie die Furcht, den Lohn zu verlieren, den ich mir durch so viele Jahre des Dienstes und der Liebe erworben hatte, gaben mir Flügel, denn ohne daß ich wußte wie, war ich schon am anderen Tage um die Stunde an dem Orte, in der ich Lucinde zu sprechen pflegte. Heimlich ging ich hin und ließ mein Maultier in dem Hause des braven Mannes, der mir den Brief gebracht hatte; es fügte sich so glücklich, daß ich Lucinde gerade am Gitterfenster traf, dem Zeugen unserer Liebe. Lucinde sah mich gleich, und ich sah sie, aber nicht so, wie wir uns hätten wiedersehen müssen. Wer aber in der Welt kann sich rühmen, das verwirrte Gemüt und den veränderlichen Sinn eines Weibes zu kennen und ergründet zu haben? Wahrlich keiner. Wie mich Lucinde erblickte, sagte sie: ›Cardenio, ich bin zur Hochzeit angezogen, im Saale warten schon der Verräter Don Fernando und mein geiziger Vater nebst anderen Zeugen, die wohl Zeugen meines Todes, aber niemals meiner Vermählung sein sollen. Sei nicht in Sorgen, mein lieber Freund, und suche bei diesem Opfer gegenwärtig zu sein, denn wenn meine Sinne Kraft behalten, so soll dieser Dolch, den ich hier verborgen habe, alle Gewalt entkräften, indem er mein Leben endigt und du anfängst, meine Liebe zu dir völlig zu erkennen.‹
Ich antwortete in verwirrter Hast, weil ich fürchtete, gestört zu werden: ›Laß, Geliebte, deine Taten deine Worte wahr machen, führst du einen Dolch, um dich zu schützen, so führe ich ein Schwert, um dich zu verteidigen oder mich umzubringen, wenn uns das Glück entgegen ist.‹ Ich glaube nicht, daß sie alles hören konnte, denn sie riefen sie schnell hinein, weil der Bräutigam wartete. Zugleich brach die Nacht meiner Traurigkeit herein, die Sonne meiner Freude ging unter, ohne Sehkraft, ohne Bewußtsein blieb ich zurück. Ich vergaß, in das Haus zu gehen, ich hatte jede Bewegung verlernt; doch fiel mir ein, wie nötig meine Gegenwart bei irgendeinem Zufalle sein könne, ich ermunterte mich daher, so gut ich konnte, ich ging in das Haus hinein, und weil ich alle Aus – und Eingänge kannte, noch mehr mich aber der Tumult begünstigte, gelang es mir, von niemand gesehen zu werden. Ohne bemerkt zu werden, begab ich mich in die Ausbeugung eines Fensters, wo ich von herabhängenden Teppichen so verdeckt wurde, daß ich ungesehen alles sehen konnte. Wie soll ich die Empfindungen schildern, die in diesen Augenblicken mein Herz bestürmten, die Gedanken, mit denen ich kämpfte, die Überlegungen, die ich anstellte! So viele und von solcher Art drängten sich mir auf, daß ich sie weder sagen kann noch mag. Der Bräutigam trat endlich ohne weiteren Schmuck in den Saal, denn er trug seine gewöhnlichen Kleider. Als Zeuge kam ein Verwandter Lucindens mit ihm, und weiter war niemand im Saale zugegen als Diener des Hauses. Bald darauf erschien Lucinde aus einem Nebenzimmer, von ihrer Mutter und zwei Mädchen begleitet, ihre Kleidung war so schön und reich, wie es ihr Stand und ihre Schönheit verdienten, und so schön, als sie der Putz, mit edler Pracht gepaart, erweisen kann. Meine Angst und Verwirrung ließen es nicht zu, ihren Anzug genauer zu betrachten, ich merkte nur die Farben Rot und Weiß und den Glanz der Edelsteine, die auf dem Kopfe schimmerten, wie auf ihrem ganzen Kleide, wodurch die seltene Schönheit ihrer glänzenden goldenen Haare noch erhöht wurde, so daß sie mit den funkelnden Steinen und dem Schimmer von vier großen Lichtern, die im Saale waren, wetteiferten und ihr Schimmer dennoch den Augen heller dünkte. O du Gedächtnis, Todfeind meiner Ruhe! Wozu nützt es, mir noch jetzt die unvergleichliche Schönheit meiner angebeteten Feindin vorzustellen? Wäre es, grausames Gedächtnis, nicht besser, daß du mir vorstelltest, was ich damals tat, damit ich, von so unendlicher Beleidigung empört, wenn mir nicht Rache schaffe, doch mindestens dies Leben verliere? – Laßt es euch, meine Herren, nicht verdrießen, diese Ausschweifungen mit anzuhören, denn meine Leiden scheinen mir so groß, daß ich sie nicht kürzlich und in wenigen Worten erzählen kann, denn jeder Umstand erfordert in meinen Augen eine lange Rede.«
Der Pfarrer antwortete, daß es ihnen so wenig verdrießlich fiele, ihn anzuhören, daß diese genaueren Umstände ihnen vielmehr sehr angenehm wären, denn sie schienen auch ihnen so wichtig, daß man sie nicht mit Stillschweigen übergehen, sondern ihnen ebenso viele Aufmerksamkeit als den Hauptbegebenheiten schenken müsse.
»Indem ich also im Saale wartete«, fuhr Cardenio fort, »trat der Pfarrer des Kirchspiels herein, faßte die beiden bei der Hand, um die nötige Zeremonie vorzunehmen, indem er sagte: ›Wollt Ihr, Fräulein Lucinde, diesen hier gegenwärtigen Don Fernando zu Eurem rechtmäßigen Gemahl, wie es die heilige Mutter Kirche befiehlt?‹ Ich stürzte mit Kopf und Hals hinter den Teppichen hervor, ich hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und mit verwirrter Seele, um Lucindens Antwort zu vernehmen, das Urteil meines Todes oder die Bestätigung meines Lebens! O wäre ich doch damals hervorgebrochen und hätte laut gerufen: Lucinde! Lucinde! bedenke, was du tust, erwäge, was du mir schuldig bist, bedenke, daß du die meine bist und daß du keinem anderen angehören darfst! Glaube mir, daß dein ja und das Ende meines Lebens nur eins und dasselbe ist. Ha! Verräter Don Fernando! Du Räuber meines Glückes, du Tod meines Lebens! Was willst du? Was verlangst du? Erwäge, daß du als Christ nicht das Ziel deiner Wünsche erlangen kannst, denn Lucinde ist meine Gattin, und ich bin ihr Gemahl!
Oh, ich Tor! Jetzt abwesend und fern von der Gefahr, jetzt erzähle ich, was ich damals hätte tun sollen und nicht tat! Jetzt, nachdem mir mein köstliches Gut geraubt ist, verwünsche ich den Räuber, an dem ich mich rächen konnte, hätte ich ein Herz im Busen gefühlt, wie ich es jetzt fühle, Klagen auszustoßen: nun gut, ich war damals ein Feiger und Nichtswürdiger, so ist es auch nicht zuviel, wenn ich jetzt sterbe, als Landstreicher, in Reue und Wahnsinn. – Der Priester erwartete Lucindens Antwort, die lange zögerte, und als ich nun glaubte, daß sie den Dolch ziehen würde, sich zu verteidigen, oder daß sie reden würde, um die Wahrheit zu bekennen und sie alle zu meinem Besten zu enttäuschen, da hörte ich, daß sie mit schwacher und ohnmächtiger Stimme sagte: Ja; das nämliche sagte Don Fernando, die Ringe wurden gewechselt, das unauflösliche Band war geknüpft. Der Bräutigam wollte seine Braut umarmen, aber sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Mutter.
Als ich das Ja von ihren Lippen vernommen hatte und nun meine Hoffnungen getäuscht sah, die Worte und Versprechungen Lucindes falsch fand und die Unmöglichkeit fühlte, in irgendeiner Zeit das Gut wiederzugewinnen, das ich in diesem Augenblicke verloren hatte, da verließ mich jeder Gedanke, mir war’s, als würde der Himmel mir abtrünnig, als trüge die Erde mich nur als ihren Feind, als verweigerte die Luft meinen Seufzern Nahrung und das Wasser meinen Tränen Unterhalt: nur das Feuer blieb mir zurück, so daß ich vor Wut und Eifersucht mich in allen Adern brennen fühlte.
Alle waren durch Lucindens Ohnmacht verwirrt; die Mutter öffnete ihren Busen, um ihr Luft zu schaffen, und fand ein zusammengelegtes Papier, welches Don Fernando sogleich ergriff und es bei dem Scheine eines Lichtes las; sowie er geendigt hatte, sank er in einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hand, wie ein Mensch, in Gedanken versunken, ohne den übrigen zu helfen, seine Braut ins Leben zurückzurufen. Da ich so alle Leute des Hauses im Tumulte sah, beschloß ich fortzugehen, unbekümmert, ob man mich sehen möchte oder nicht, mit dem Vorsatze, im Fall man mich erblickte, ein Unheil anzurichten, daß die ganze Welt den gerechten Zorn meiner Brust in Bestrafung des falschen Fernando erführe sowie den Wankelmut der ohnmächtigen Verräterin. Aber mein Schicksal, welches mich für größere Übel aufbewahrt hat, wenn es größere gibt, führte es so, daß ich in diesem Augenblicke meine Vernunft fand, die mich seitdem verlassen hat. Ohne also an meinen ärgsten Feinden Rache zu nehmen, wie ich leicht gekonnt hätte, wäre ich nicht von allen Gedanken verlassen worden, beschloß ich, die Strafe, die sie verdienten, an mir selber auszuüben. Ich war also grausamer gegen mich, wie ich gegen sie gewesen wäre, wenn ich sie auch ermordet hätte, denn dessen Qual ist bald vorüber, der schnell stirbt, wer aber in Martern hinschmachtet, ermordet sich unaufhörlich, ohne sein Leben zu beschließen.
Ich ging aus dem Hause, dahin, wo mein Maultier stand, ich ließ es satteln, stieg, ohne Abschied zu nehmen, auf und ritt aus der Stadt, ohne es, wie ein zweiter Lot, zu wagen, die Augen rückwärts zu wenden. Als ich mich auf dem einsamen Felde sah, die Dunkelheit der Nacht mich verdeckte und ihre Stille zum Klagen einlud, da erhub ich laut ein Geschrei, unbekümmert, ob mich einer hörte oder erkannte; mit tausend Flüchen begleitete ich die Namen Lucinde und Don Fernando, als wenn sie dadurch das Unrecht büßten, das sie an mir verübt hatten. Ich nannte sie grausam, undankbar, falsch und nichtswürdig, vorzüglich aber habsüchtig, weil sie von den Reichtümern meines Feindes geblendet, mich verlassen und sich dem ergeben hatte, dem das Glück mit mehr Freigebigkeit entgegenging. In dem Tumult dieser Flüche und Schmähungen entschuldigte ich sie dann wieder, sie sei ein Kind, streng im Hause der Eltern erzogen, gewöhnt, diesen zu gehorchen, sie konnte nicht widersprechen, da ihr diese einen reichen, schönen und vornehmen Mann gaben, ohne den Argwohn zu erregen, daß sie unbesonnen handle oder ihr Wille schon gebunden sei, welches ihrem guten Namen und ihrer Ehre so nachteilig war. Dann sagte ich wieder, wie sie nur hätte bekennen dürfen, daß ich ihr Gemahl sei, so hätten sie gesehen, daß ihre Wahl nicht unanständig gewesen, denn vor Don Fernandos Bewerbung konnten sie selbst keinen besseren Gatten für ihre Tochter wünschen; ehe sie aber der äußersten Gewalt nachgegeben hätte und die Hand gereicht, hätte sie sagen können, sie habe sie mir schon gegeben, daß ich kommen und alles das bestätigten werde, was sie für gut befunden hätte, zu erdichten. Ich ward endlich überzeugt, daß wenig Liebe, wenig Vernunft und viel Ehrgeiz und Streben nach Größe sie dahin gebracht hätten, das Versprechen zu vergessen, womit sie mich getäuscht und in meiner festen Hoffnung und meinen tugendhaften Wünschen hingehalten hatte. So schreiend und in dieser Verwirrung reiste ich die ganze Nacht hindurch, mit Anbruch des Tages fand ich mich am Eingange dieses Gebirges, in dem ich wieder drei Tage ohne Weg und Steg herumirrte, bis ich endlich auf Wiesen kam, die, ich weiß nicht nach welcher Seite dieser Berge liegen, und etliche Schäfer nach der wildesten Gegend des Gebirges fragte. Sie wiesen mir diese Gegend nach, und sogleich begab ich mich mit dem Entschlusse hierher, hier mein Leben zu endigen. Wie ich in die Gegend dieser Wildnis kam, fiel mein Maultier vor Ermüdung und Hunger tot nieder oder, wie ich eher glaube, um eine so unnütze Last, wie ich war, abzuwerfen. Ich war zu Fuß, von der Natur überwältigt, vom Hunger gemartert, ohne mir die Mühe zu geben, die Befriedigung meiner Bedürfnisse zu suchen. So lag ich, ich weiß nicht wie lange, auf der Erde, worauf ich, ohne Hunger zu fühlen, mich aufhob und mich bei einigen Ziegenhirten befand, die mir wohl mußten beigestanden haben, denn sie erzählten mir, wie sie mich angetroffen hätten und daß ich so vielen Unsinn und mancherlei Tollheiten gesagt, daß sie wohl eingesehen, wie ich den Verstand verloren habe. Ich habe es auch seitdem selbst empfunden, daß er nicht immer hinreichend stark ist, sondern oft so schwach und dünn, daß ich tausend Torheiten begehe, mir die Kleider zerreiße, durch die Einsamkeit schreie, mein Schicksal verfluche und vergeblich den geliebten Namen meiner Feindin wiederhole; meine Absicht ist dann, mir mit diesem Geschrei das Leben zu nehmen, und wenn ich dann wieder zur Besinnung komme, fühle ich mich so matt und erschöpft, daß ich mich kaum regen kann. Mein gewöhnlicher Aufenthalt ist die Höhlung eines geräumigen Korkbaumes, in dem ich diesen elenden Körper verberge. Die Ochsentreiber und Ziegenhirten, die in diesen Bergen streifen, legen mir, aus Mitleid bewegt, im Wege und auf den Felsen Nahrung hin, wo sie meinen, daß ich vorübergehe und sie finden werde, und ob ich gleich dann nicht Besinnung habe, so treibt mich doch der Instinkt der Natur, meine Nahrung zu suchen, und erweckt in mir die Begierde, sie zu nehmen und zu verzehren. Oft, sagen sie, wenn sie mir im Wahnsinne begegnen, falle ich sie auf den Wegen an und nehme ihnen mit Gewalt, so gern sie’s mir auch aus gutem Willen geben, wenn die Schäfer aus dem Dorfe nach den Hütungen gehen. So lebe ich dies elende, unglückselige Leben, bis es dem Himmel gefallen wird, es zu beschließen oder mein Gedächtnis zu ändern, daß ich nicht mehr der Schönheit und des Verrats Lucindens sowie Don Fernandos Schändlichkeit gedenke; geschieht dies vor meinem Tode, so will ich meine Gedanken anders richten, wo nicht, so bitte ich ihn nur darum, daß er meiner Seele gnädig sein möge, denn in mir selber fühle ich nicht Kraft und Stärke genug, meinen Körper aus diesem Elende zu reißen, in das ich mich freiwillig gestürzt habe. Dies, meine Herren, ist die trübselige Geschichte meiner Leiden, sagt mir nun, ob ich weniger empfinden kann, als wie ihr an mir gesehen habt? Gebt euch darum keine Mühe, mir mit vernünftigem Rate beizustehen, er kann mir so wenig nützen wie die Arznei eines geschickten Arztes dem Kranken, der sie nicht einnehmen will. Ich will keine Wohlfahrt ohne Lucinde, und da sie einen anderen erwählt hat, indem sie die meine war oder sein sollte, wähle ich mir nun das Unglück, da ich sonst hätte glücklich sein können. Sie machte durch ihren Wankelmut mein Verderben beständig, ich will mich selbst verderben und dadurch ihren Willen erfüllen; ich bin für die Zukunft ein Beispiel, wie mir allein das fehlte, was sonst allen Elenden bleibt, die sich immer damit trösten, daß ihre Leiden nicht ewig dauern, und darum leide ich um so größere Martern, weil ich glaube, daß sie sich nicht mit dem Tode endigen werden.«
Hier beschloß Cardenio seine lange Rede und die Geschichte seiner unglücklichen Liebe, und indem ihm der Pfarrer etwas Tröstliches sagen wollte, unterbrach ihn eine Stimme, die er vernahm, und sie alle hörten in traurigen Akzenten das, was der vierte Teil dieser Erzählung sagen wird, denn hier beschließt den dritten der weise und genaue Geschichtschreiber Cide Hamete Benengeli.