23. Kapitel
Von den wunderbaren Dingen, welche der erregte Don Quixote erzählte, die er in der tiefen Höhle des Montesinos gesehen hatte, die aber so unmöglich und erstaunlich sind, daß man dieses Abenteuer lieber für unecht halten kann.
Es war die vierte Stunde nach Mittag; die Sonne war mit Wolken bedeckt und warf ein gedämpftes Licht und keine heißen Strahlen auf Don Quixote, so daß er ohne Hitze und Beschwerlichkeit seinen beiden erlauchten Zuhörern das erzählen konnte, was er in der Höhle des Montesinos gesehen hatte, indem er auf folgende Weise anfing:
»Ungefähr nach fünfzehn oder siebzehn Klaftern in der Tiefe dieses unterirdischen Gewölbes ist zur rechten Hand eine Höhlung, so geräumig, daß ein großer Wagen mit zwei Maultieren Platz darin haben könnte. Ein schimmerndes Licht fällt durch einige Spalten oder Löcher hinein, die von der Oberfläche der Erde aus der Ferne diese Höhle erleuchten müssen. Diesen ausgehöhlten Raum wurde ich gewahr, als ich müde und verdrießlich war, mich so am Seile hängen zu sehen und so in jene Finsternis hinabzufahren, ohne einen gewissen und bestimmten Weg vor mir zu haben; daher entschloß ich mich, in diese Höhlung hineinzugehen und dort ein wenig auszuruhen. Ich rief, daß ihr nicht mehr vom Seile herunterlassen möchtet, bis ich es euch sagen würde, aber ihr müßt mich nicht gehört haben. Ich sammelte das Seil, welches ihr immer noch herunterließet, legte es in einen Ring oder Hügel zusammen und setzte mich gedankenvoll darauf, indem ich erwog, wie ich es anfangen sollte, mich in den tiefen Abgrund hinunterzulassen, da keiner zugegen sei, der mich festhielt. Indem ich noch so nachdachte und überlegte, überfiel mich plötzlich und ohne daß ich es hindern konnte, ein sehr tiefer Schlaf. Ebenso schnell erwachte ich wieder, ohne daß ich wußte, wie mir geschah, und befand mich plötzlich mitten auf der schönsten, lieblichsten und anmutigsten Wiese, welche die Natur nur immer hervorbringen oder die begeisterte Phantasie sich vorstellen kann. Ich putzte und rieb mir die Augen, und sah nun, daß ich nicht schlief, sondern wirklich und in der Tat wach sei. Dennoch befühlte ich meinen Kopf und meine Brust, um mich völlig zu überzeugen, ob ich es denn auch selber sei, der sich dort befand, oder nur ein nichtiges Trugbild; aber Gefühl, Berührung und die Überlegungen, die ich bei mir selber anstellte, überzeugten mich bald völlig, daß ich derselbe sei, der ich zur gegenwärtigen Stunde bin. Plötzlich zeigte sich meinen Blicken ein königlicher und prächtiger Palast oder Burgschloß, dessen Mauern und Wände durchsichtig und von glänzendem und hellem Kristall erbaut waren. Es taten sich zwei große Türen auf, aus denen ein ehrwürdiger Greis trat und auf mich zuging; er war mit einem langen, violettfarbenen Mantel bekleidet, der ihm auf dem Boden nachschleppte. Um die Schultern und Brust trug er einen kürzeren Doktormantel von grünem Atlas. Auf dem Kopfe hatte er ein schwarzes mailändisches Barett, und ein schneeweißer Bart hing ihm bis auf den Gürtel. Er hatte keine Waffen an sich, sondern in der Hand einen Rosenkranz, an welchem die Aves größer als Nüsse und die Paternoster wie Straußeneier waren. Der Anstand, der Gang, der Ernst und die große Milde des Ausdrucks, dies alles zusammen und jedes für sich, erregten mein Erstaunen und meine Verwunderung. Er kam auf mich zu, und das erste, was er tat, war, mich dicht in seine Arme zu schließen, worauf er sagte: ›Schon seit sehr langer Zeit, tapferer Ritter Don Quixote von la Mancha, warten wir in dieser verzauberten Einsamkeit darauf, dich zu erblicken, damit du der Welt Nachricht gebest, was in der tiefen Höhle verschlossen und verborgen liegt, in welche du eingedrungen bist und die man die Höhle des Montesinos nennt: eine Tat, welche aufbewahrt war, von deinem unbesiegbaren Herzen und deiner großdenkenden Seele unternommen zu werden. Komm mit mir, durchlauchtiger Mann; denn ich will dir die Wunder zeigen, welche diese durchsichtige Burg enthält, in welcher ich beständiger Kommandant und Gouverneur bin. Denn ich bin jener nämliche Montesinos, von welchem die Höhle ihren Namen führt.‹
Kaum sagte er mir, daß er Montesinos sei, als ich ihn fragte, ob alles wahr sei, was man sich in der Oberwelt von ihm erzähle. Daß er nämlich seinem großen Freunde Durandarte mit einem kleinen Dolche das Herz aus der Brust genommen und es der Dame Belerma gebracht, wie jener ihm bei seinem Sterben anbefohlen habe.
Er antwortete mir, daß alles Wahrheit sei, ausgenommen das mit dem Dolche; denn es sei weder ein großer noch ein kleiner Dolch gewesen, sondern ein geschärftes Stilett, spitzer als ein Pfriem.«
»So muß wohl«, sagte Sancho hierauf, »dieses Stilett vom Ramon de Hoces, dem Sevillaner, gewesen sein?«
»Das weiß ich nicht«, fuhr Don Quixote fort, »doch kann es nicht von diesem Waffenschmiede gewesen sein, denn Ramon de Hoces hat zu unseren Zeiten gelebt, die Schlacht bei Roncevalles aber, wo sich die Begebenheiten zutrugen, ist schon vor vielen Jahren geschehen. Auch ist dieser Umstand von keiner Wichtigkeit und stört und ändert nichts in der Wahrheit und im Zusammenhang der Geschichte.«
»So ist es auch«, antwortete der Vetter; »fahrt fort, Herr Don Quixote, denn ich höre Euch mit dem größten Vergnügen von der Welt zu.«
»Ich erzähle mit nicht geringerem Vergnügen«, antwortete Don Quixote. »Ich fahre daher fort, daß mich der ehrwürdige Montesinos in den kristallenen Palast führte, wo ich mich in einen Saal begab, der äußerst kühl und ganz von Alabaster war. Hier befand sich ein marmornes Grabmal, mit der größten Kunst gearbeitet, auf welchem ein Ritter seiner ganzen Länge nach ausgestreckt lag, und zwar nicht aus Erz, Marmor oder Jaspis gebildet, wie sie wohl auf anderen Grabmälern zu sein pflegen, sondern er bestand aus wirklichem Fleische und wirklichen Knochen. Seine rechte Hand (die, wie es mir schien, etwas haarig und sehnig war, ein Zeichen von großer Stärke) hatte er auf die Seite des Herzens gelegt, und bevor ich den Montesinos noch etwas gefragt hatte, da er mein Erstaunen sah, indem ich das Grabmal betrachtete, sagte er zu mir: ›Dieser ist mein Freund Durandarte, die Blume und der Spiegel der verliebten und tapferen Ritter seines Zeitalters. Er befindet sich verzaubert hier sowie ich selbst und viele andere Männer und Frauen, durch Merlin, jenen französischen Zauberer, von dem man sagt, daß er ein Sohn des Teufels sei; was ich aber glaube, ist nicht, daß er ein Sohn des Teufels ist, sondern daß er noch etwas mehr weiß als der Teufel. Wie oder warum er uns verzaubert hat, weiß keiner zu sagen; er wird es aber sagen, wenn es an der Zeit ist, und ich glaube, die Zeit ist nicht mehr fern. Worüber ich mich aber verwundern muß, ist, daß ich es so gewiß weiß, wie daß es jetzt Tag ist, daß Durandarte sein Leben in meinen Armen beschloß, und daß ich ihm, als er tot war, sein Herz, welches zwei ganze Pfund wog, mit meinen eigenen Händen ausnahm; und nach den Naturkundigen ist demjenigen mehr Mut verliehen, der ein großes Herz, als der ein kleines besitzt. Da nun dies alles wahr und dieser Ritter wirklich in meinen Armen gestorben ist, wie kann er sich doch jetzt beklagen und von Zeit zu Zeit seufzen, als wenn er noch lebte?‹
Indem dies gesprochen wurde, erhob der elende Durandarte seine Stimme laut und sagte:
›O mein Vetter Montesinos,
Was ich Euch zuletzt gebeten,
Wann ich toter Leichnam würde
Und entwichen mir die Seele,
Daß Ihr da mein Herz hinbrächtet,
Wo Belerma gegenwärtig,
Es aus meinem Busen nehmend,
Sei’s mit Dolch, sei’s mit dem Degen.‹
Als dieses der ehrwürdige Montesinos hörte, ließ er sich vor dem klagenden Ritter auf die Knie nieder und sagte mit Tränen in den Augen: ›Ich habe schon, Herr Durandarte, mein allerliebster Vetter, ich habe schon das getan, was Ihr mir an jenem bittern Tage unseres Unglücks befohlen habt. Ich nahm Euch das Herz so gut ich konnte heraus, ohne auch nur das kleinste Teil davon in der Brust zu lassen. Ich trocknete es mit einem gestickten Tuche und reiste in der größten Eile damit nach Frankreich, nachdem ich Euch zuvor in den Schoß der Erde unter Vergießung so häufiger Tränen gelegt hatte, daß sie hinreichend waren, mir die Hände ganz von dem Blute rein zu waschen, welches sie befleckt hatte, weil sie in Eurem Leibe gewesen waren. Zum größeren Wahrzeichen noch, mein allerliebster Vetter, streute ich, als ich von Roncevalles kam, im ersten Dorfe etwas Salz auf Euer Herz, damit es nicht übelriechend würde, und wenn nicht frisch, doch wenigstens trocken vor die Dame Belerma gelangte, welche nebst Euch und mir und Eurem Stallmeister Guadiana und der Dueña Ruidera nebst ihren sieben Töchtern und zwei Nichten, wie viele andere von Euren Bekannten und Freunden, der Zauberer Merlin seit langer Zeit, nämlich seit mehr als fünfhundert Jahren, hier verzaubert hält. In dieser ganzen Zeit ist keiner von uns gestorben; nur fehlt hier Ruidera mit ihren Töchtern und Nichten, welche immer weinten, und die der Zauberer Merlin vielleicht aus Mitleid in ebenso viele Seen verwandelte, die man jetzt in der Welt der Lebendigen und in der Provinz la Mancha die Seen der Ruidera nennt. Die sieben gehören den Königen von Spanien zu; die zwei Nichten aber den Rittern eines heiligen Ordens, welcher der Orden des heiligen Johannes heißt. Guadiana, Euer Stallmeister, der auch über Euer Unglück jammerte, wurde in einen Fluß verwandelt, der ebenfalls seinen Namen führt; als er aber zur Oberfläche der Erde gelangte und die Sonne der Oberwelt erblickte, wurde er so betrübt, weil er merkte, daß er sich von Euch entfernte, daß er sich in die Eingeweide der Erde versenkte. Da es ihm aber nicht möglich ist, den natürlichen Lauf seines Stromes zu verlassen, so kommt er von Zeit zu Zeit wieder hervor und zeigt sich, wo die Sonne und die Menschen ihn erblicken können. Im Fortlaufe nimmt er die obengenannten Seen in seinen Gewässern auf, mit welchen und anderen Fluten geschwängert, er prächtig und groß Portugal betritt. Dennoch aber zeigt er allenthalben seine Traurigkeit und Melancholie und gibt sich nicht die Mühe, in seinen Wassern wohlschmeckende und geschätzte Fische hervorzubringen, sondern kleine und hartfleischige, sehr verschieden von denen des goldführenden Tajo, und was ich Euch jetzo sage, o werter Vetter, habe ich Euch schon oftmals gesagt: da Ihr mir aber keine Antwort gebt, muß ich mir einbilden, daß Ihr mir keinen Glauben beimeßt oder mich nicht hört, worüber ich einen solchen Kummer empfinde, daß es Gott geklagt sei. Eine Neuigkeit will ich Euch noch hinterbringen, die, wenn sie Euren Schmerz auch nicht lindert, ihn doch auch auf keine Weise vermehren wird. Wißt demnach, daß sich hier in Eurer Gegenwart (und macht die Augen auf, so werdet Ihr es sehen) jener große Ritter befindet, von welchem der weise Merlin so mancherlei prophezeit hat, jener Don Quixote von la Mancha nämlich, der von neuem und mit besserem Nutzen als in den verflossenen Zeitaltern in der gegenwärtigen Zeit die vergessene irrende Ritterschaft wieder erweckt hat, durch dessen Hilfe und Beistand wir auch wohl alle entzaubert werden mögen; denn für große Männer sind große Taten aufbewahrt.‹
›Und wenn es auch nicht so ist‹, antwortete der betrübte Durandarte mit einer schwachen und kranken Stimme, ›und wenn es auch nicht so ist, lieber Vetter, je nun, so passen wir und lassen von neuem mischen.‹ Hiermit kehrte er sich auf die Seite und verharrte in seinem gewöhnlichen Stillschweigen, ohne ein Wort weiter zu sprechen.
Indem ließ sich ein lautes Heulen und Klagen vernehmen, von tiefen Seufzern und einem herzbrechenden Schluchzen begleitet. Ich schaute mich um und sah durch die kristallenen Wände, daß durch einen anderen Saal eine Prozession von zwei Reihen der schönsten Jungfrauen zog, alle in Schwarz gekleidet, mit weißen Turbanen auf dem Kopfe, nach türkischer Art. Hinter der Prozession ging eine vornehme Dame, wofür man sie an ihrem würdevollen Gange erkannte, auch in Schwarz gekleidet, mit so langen und großen weißen Schleiern, daß sie die Erde küßten; ihr Turban war zweimal so groß wie der größte unter den übrigen. Sie hatte zusammengewachsene Augenbrauen; ihre Nase war plattgedrückt, der Mund groß, aber die Lippen rot, die Zähne, die sie zuweilen sehen ließ, standen einzeln und waren schlecht gewachsen, aber so weiß wie die geschälten Mandeln. In der Hand hatte sie ein Tuch, und in diesem, soviel man sehen konnte, ein dürres und eingeschrumpftes Herz. Montesinos sagte mir, daß alle aus dieser Prozession Diener des Durandarte und der Belerma wären, die sich mit ihren beiden Gebietern verzaubert hier befänden; die letzte aber, die in ihren Händen das Tuch mit dem Herzen habe, sei die Dame Belerma, die wöchentlich viermal mit ihren Jungfrauen diese Prozession anstellte, wobei sie sängen oder, richtiger zu reden, die Totengesänge über den Leichnam und das unglückliche Herz seines Vetters ächzten. Und wenn sie mir etwas häßlich vorkomme, oder nicht so schön, wie der Ruf sie beschriebe, so komme das von den schlimmen Nächten und noch schlimmeren Tagen, die sie in dieser Verzauberung zubringt, wie ich an ihren aufgelaufenen Augenlidern und ihrer verdorbenen Farbe sehen könne. Diese bleiche Farbe und roten Augen rührten durchaus nicht von dem monatlichen Übel her, welches bei den Weibern gewöhnlich ist, denn dieses sei schon seit Monaten und Jahren von ihr fern geblieben; sondern von der Qual, die ihr Herz empfindet über das, welches sie immerdar in den Händen hat; dies erneuert in ihrem Gedächtnisse unaufhörlich den Verlust ihres unglückseligen Geliebten. Denn wenn dies nicht wäre, so würde ihr in Schönheit, Anmut und Reiz kaum die große Dulcinea von Toboso gleichkommen, die in diesen Gegenden, ja in der ganzen Welt, so berühmt ist.‹
›Gemach, gemach‹, sagte ich hierauf, ›mein Herr Don Montesinos. Erzählt Eure Historie, wie sich’s gehört; denn Ihr wißt, jede Vergleichung ist verhaßt, und darum muß man nicht die eine Person mit einer anderen vergleichen. Die unvergleichliche Dulcinea von Toboso ist, wer sie ist, und die Dame Donna Belerma ist auch, wer sie ist oder gewesen ist, und dabei habe es sein Bewenden.‹
Worauf er mir antwortete: ›Herr Don Quixote, Ihr mögt mir verzeihen; denn ich gestehe, daß ich gefehlt und nicht richtig gesprochen habe, indem ich sagte, daß die Dame Dulcinea kaum der Dame Belerma gleichkommen würde. Denn es hätte mir genug sein müssen, ich weiß nicht, aus welchen Ahnungen? zu erraten, daß Ihr ihr Ritter seid, um mir lieber die Zunge abzubeißen, als sie mit etwas anderem als dem Himmel selbst zu vergleichen. ‹
Mit dieser Genugtuung, die mir der große Montesinos gab, beruhigte sich mein empörtes Herz, welches es hatte anhören müssen, daß man meine Dame mit der Belerma in Vergleich gebracht.«
»Und doch wundere ich mich«, sagte Sancho, »daß Ihr Euch nicht über den alten Kerl hergemacht habt und ihm alle Knochen im Leibe entzweigetreten und alle Haare aus dem Barte gerissen habt, ohne ein einziges darin zu lassen.«
»Nein, Freund Sancho«, antwortete Don Quixote, »ich fand es nicht angemessen, dieses zu tun; denn wir sind alle verpflichtet, Greise in Ehren zu halten, wenn sie auch keine Ritter sind, dann aber vorzüglich, wenn sie es sind, und sich obenein in Verzauberung befinden. Auch geschah es, daß keine Beleidigung weiter zwischen uns in unseren vielfältigen Fragen und Antworten vorfiel.«
Der Vetter sagte hierauf: »Ich weiß nicht, Herr Don Quixote, wie Ihr in so geringer Zeit, als Ihr unten gewesen, so viele Dinge habt sehen und so vieles sprechen und antworten können.«
»Wie lang ist es denn, daß ich hinuntergestiegen bin?« fragte Don Quixote.
»Etwas über eine Stunde«, antwortete Sancho.
»Dieses kann nicht sein«, versetzte Don Quixote; »denn es wurde dorten Nacht und wieder Morgen, worauf es wieder Nacht und wieder Morgen wurde, und so dreimal, so daß ich nach meiner Rechnung drei Tage in diesen entfernten und unserem Blicke verborgenen Gegenden zugebracht habe.«
»Mein Herr muß wohl die Wahrheit sprechen«, sagte Sancho; »denn da alle Dinge, die ihm begegnet sind, durch Zauberei zugehen, so muß wohl das, was hier eine Stunde ist, dorten wie drei Tage und drei Nächte sein.«
»So wird es sein«, antwortete Don Quixote.
»Und habt Ihr in dieser Zeit gegessen, gnädiger Herr?« fragte der Vetter.
»Nicht einen Bissen habe ich zu mir genommen«, antwortete Don Quixote, »auch habe ich keinen Hunger empfunden, ja keinen Gedanken daran gehabt.«
»Und essen die Bezauberten?« fragte der Vetter.
»Sie essen nicht«, antwortete Don Quixote, »auch fehlten ihnen die gröberen Exkremente, ob man gleich der Meinung ist, daß ihnen Nägel, Bart und Haare wachsen.«
»Schlafen denn aber vielleicht die Verzauberten, gnädiger Herr?« fragte Sancho.
»Wahrlich nein«, antwortete Don Quixote, »wenigstens in den drei Tagen, die ich unter ihnen zugebracht habe, hat keiner ein Auge zugetan, ich aber ebensowenig.«
»Hier paßt das Sprichwort gut«, sagte Sancho, »sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist. Geht nur mit nüchternen und wachen Verzauberten um, so müßt Ihr es natürlich auch mitmachen, nicht zu essen und zu schlafen, solange Ihr unter ihnen seid. Aber vergebt mir, gnädiger Herr, wenn ich Euch sage, daß, wenn ich von allem, was Ihr jetzt erzählt habt, ein Wort glaube, mich Gott, bald hätt’ ich gesagt der Teufel, holen soll.«
»Warum denn nicht?« sagte der Vetter; »sollte denn der Herr Don Quixote lügen? Und wenn er das auch wollte, wo hat er die Zeit gehabt, einen solchen Haufen von Lügen zu ersinnen und zusammenzusetzen?«
»Ich glaube nicht, daß mein Herr lügt«, antwortete Sancho.
»Wenn nicht, was glaubst du dann?« fragte Don Quixote.
»Ich glaube«, antwortete Sancho, »daß der Merlin oder die Zauberer, die all das Wesen da unten, was Ihr gesehen und worunter Ihr gewesen, verzaubert haben, daß die Euch in die Phrenesie oder in die Gedanken das Zeug gebracht haben, was Ihr uns erzählt habt oder noch erzählen werdet.«
»Das könnte alles sein, Sancho«, versetzte Don Quixote; »aber dem ist nicht so, denn das, was ich erzählt, habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen und mit meinen eigenen Händen gefühlt. Was wirst du aber erst sagen, wenn ich dir jetzt erzählen werde, wie mir unter unzähligen anderen Dingen und Wundern, die mir Montesinos zeigte (die ich dir bei Gelegenheit und zu seiner Zeit im Verlaufe unserer Reise mitteilen werde, denn alles findet nicht jetzt seinen Platz), er mir auch drei Bäuerinnen zeigte, die auf den angenehmen Gefilden hüpften und sprangen wie die Ziegen; und kaum hatte ich sie erblickt, als ich erkannte, daß die eine die unvergleichliche Dulcinea von Toboso sei, die anderen beiden aber waren jene Bäuerinnen, die sie begleiteten, und mit denen wir vor Toboso sprachen. Ich fragte den Montesinos, ob er sie kenne. Er antwortete: nein; er bilde sich aber ein, daß es einige vornehme Damen sein müßten, die sich erst seit wenigen Tagen auf diesen Wiesen gezeigt hätten, und daß ich mich darüber nicht wundern möchte; denn es befänden sich viele andere verzauberte Damen, sowohl aus der vergangenen als der gegenwärtigen Zeit, in verschiedenen und seltsamen Gestalten dort, unter denen er die Königin Ginebra und ihre Dueña Quintannona kenne, die dem Lanzerote den Wein eingeschenkt, als er aus Bretagne kam.«
Als Sancho Pansa seinen Herrn so reden hörte, glaubte er den Verstand zu verlieren oder vor Lachen zu sterben; denn da er die Wahrheit von der erdichteten Verzauberung der Dulcinea wußte, von der er der Zauberer gewesen und der Vertreter eines so gültigen Zeugnisses war, so sah er nun ganz unzweifelhaft ein, daß sein Herr ohne Verstand und durch und durch ein Narr sei. Daher sagte er: »In einer unglücklichen Zeit und in einer betrübten Stunde und an einem elenden Tage seid Ihr da hinuntergestiegen, o mein teurer Patron, in die andere Welt hinein, und zu Eurem Schaden seid Ihr auf den Herrn Montesinos gestoßen, der uns Euch so zugerichtet wieder geschickt hat. Ihr befandet Euch hier oben gut, waret bei vollem Verstande, so wie ihn Gott Euch gegeben hatte, Ihr spracht Sentenzen und gabt auf jedem Schritte trefflichen Rat, und jetzt erzählt Ihr uns die allergrößten Unsinnigkeiten, die man sich nur ausdenken kann.«
»Da ich dich kenne, Sancho«, antwortete Don Quixote, »so gebe ich nicht viel auf deine Reden.«
»Ich ebensowenig auf die Eurigen«, versetzte Sancho, »ja, wenn Ihr mich schlagt, wenn Ihr mich umbringt für das, was ich gesagt habe, oder was ich noch zu sagen denke, wenn Ihr nicht Eure Reden ändert und verbessert. Aber sagt mir nur jetzt, da wir noch im Frieden sind, wie oder woran erkanntet Ihr denn die Dame, unsere Gebieterin? und wenn Ihr sie gesprochen habt, was sagte sie und was antwortete sie?«
»Ich erkannte sie«, antwortete Don Quixote, »daran, daß sie dieselben Kleider anhatte, die sie damals trug, als du sie mir zeigtest. Ich redete sie an, aber sie gab keine Antwort, sondern sie wandte sich um und entfloh mit solcher Hast, daß kein Pfeil sie eingeholt hätte. Ich wollte ihr folgen und hätte es getan, wenn mir Montesinos nicht geraten hätte, mich nicht damit zu ermüden, denn es sei vergeblich, da überdies die Stunde herannahe, in welcher ich aus dem Abgrunde wieder heraufsteigen müsse. Er sagte mir auch, daß er mir im Verlaufe der Zeit Nachricht geben wolle, wie Belerma und Durandarte nebst allen übrigen, die sich dort befänden, entzaubert werden könnten. Was mich aber am meisten von allem, was ich dort sah und bemerkte, verdroß, war, daß, indem ich dieses noch mit Montesinos sprach, an meiner Seite, ohne daß ich wußte, wo sie hergekommen, eine von den Gefährtinnen der unglücklichen Dulcinea plötzlich stand und, die Augen voll Tränen, mit verwirrter und leiser Stimme zu mir sagte: ›Meine Gebieterin, Dulcinea von Toboso, küßt Euer Gnaden die Hand und bittet demütig, daß Ihr ihr die Gnade erzeigt, ihr sagen zu lassen, wie es Euch ergeht; und da sie sich in großer Not befindet, so bittet sie zugleich Euer Gnaden so untertänig, so dringend sie nur kann, daß Ihr so gütig sein mögt, ihr doch auf diesen neuen baumwollenen Unterrock sechs Realen zu leihen oder soviel Euer Gnaden sonst vermag; denn sie gibt ihr Wort, das Geld in kurzem wieder zu bezahlen.‹
Ich war über dieses Ansuchen in Erstaunen und Verwunderung, so daß ich mich zum Herrn Montesinos wandte und ihn fragte: ›Ist es möglich, Herr Montesinos, daß die vornehmen Verzauberten Not leiden?‹
Worauf er mir antwortete: ›Glaubt mir nur, mein Herr Don Quixote von la Mancha, daß das, was man Geldnot nennt, jetzt allenthalben herrscht, sich allenthalben verbreitet und alle Stände erreicht, so daß auch sogar die Verzauberten nicht verschont werden; und da die Dame Dulcinea von Toboso herschickt und Euch um diese sechs Realen bitten läßt, das Pfand, wie es scheint, auch gut ist, so könnt Ihr sie wohl geben, denn sie muß ihrer gewiß auf das äußerste bedürfen.‹
›Pfand werde ich nicht annehmen‹, antwortete ich ihm, ›ebensowenig werde ich ihr aber geben, was sie verlangt, denn ich habe nur vier Realen bei mir.‹ Diese gab ich ihr (es sind die nämlichen, Sancho, die du mir neulich gabst, um davon Almosen unter die Armen auszuteilen, die uns begegnen möchten) und sagte zu ihr: ›Sagt, liebe Freundin, Eurer Gebieterin, daß mich ihre Leiden in der innersten Seele schmerzen und daß ich ein Fugger sein möchte, um ihr zu helfen, und daß ich ihr zu wissen tue, daß alles Wohlbehagen mir fern bleibt, solange ich ihres angenehmen Anblicks und ihres holdseligen Gesprächs entbehren muß, und daß ich sie auf das allerinnigste bitten lasse, daß sich Ihro Gnaden zeigen und mitteilen mögen ihrem gefangenen Knechte und umhergetriebenen Ritter. Sagt ihr auch, daß sie es hören wird, wenn sie es am wenigsten denkt, wie ich einen Eid und ein Gelübde getan habe nach Art jenes, welches der Marques von Mantua tat, seinen Vetter Balduin zu rächen, als er ihn sterbend in der Mitte des Gebirges fand, nämlich nicht auf einem Tischtuche zu essen, nebst anderen Anhängseln, die er hinzufügte, bis er ihn gerächt habe. So will ich es auch machen und nicht ruhen, sondern alle sieben Teile der Welt mit noch mehr Sorgfalt durchziehen, als es der Infant Don Pedro von Portugal tat, bis sie entzaubert ist.‹
›Dies und mehr ist Euer Gnaden meiner Gebieterin schuldig‹, antwortete mir das Mädchen; und, indem sie die vier Realen nahm, statt mir eine Verbeugung zu machen, tat sie einen Sprung, daß sie sich zwei Ellen hoch in die Luft erhob.«
»O heiliger Gott!« rief hierauf Sancho mit lauter Stimme aus, »ist es möglich, daß es dergleichen in der Welt gibt und daß Zauberer und Verzauberungen solche Kraft haben, daß sie den herrlichen Verstand meines Herrn in solche unbarmherzige Narrheit verwandeln können? O gnädiger Herr, gnädiger Herr, um Gottes willen, bedenkt doch Euer Heil und kehrt um Eurer Ehre willen wieder um; glaubt doch diesen Albernheiten nicht, die Euch ganz das Gehirn eingenommen und verrückt haben!«
»Weil du mich liebst, Sancho, sprichst du auf diese Weise«, sagte Don Quixote; »und da du wenig in den Dingen dieser Welt erfahren bist, so hältst du auch alle Dinge, die etwas schwierig sind, gleich für unmöglich. Aber die Zeit wird kommen, wie ich schon einmal gesagt habe, und ich will dir Sachen mitteilen, die ich unten gesehen habe, die dich das wohl werden glauben machen, was ich eben erzählt habe, dessen Wahrhaftigkeit keinen Widerstreit und keine Einwendung zuläßt.«