19
Mr Hoffman war ein großer, massiv wirkender Mann. Er machte den Eindruck, als wäre er aus Teakholz geschnitzt.
Sein Gesicht war so ausdruckslos, dass man alles dahinter vermuten konnte. Man fragte sich, ob ein solcher Mann überhaupt einer Gefühlsregung fähig war.
Er stand auf, verbeugte sich und streckte eine mächtige Pranke aus. »Chefinspektor Davy? Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Was möchten Sie wissen?«
»Ich wollte Sie nur bitten, mir ein paar vertrauliche Informationen über Bertrams Hotel zu geben.«
Mr Hoffmann verzog keine Miene. Möglicherweise wurde seine Haltung noch eine Spur steifer als zuvor – das war aber auch alles.
»Bertrams Hotel?«, wiederholte er in fragendem Ton.
»Sie stehen zu diesem Hotel in einer gewissen Beziehung, nicht wahr, Mr Hoffman?«
Mr Hoffman zuckte die Achseln.
»Man hat so vielerlei Beziehungen«, sagte er. »Man kann sich nicht an alle erinnern. So viele Geschäfte – so viele – ich habe alle Hände voll zu tun.«
»Sie haben viele Eisen im Feuer, das weiß ich.«
»Ja, das stimmt«, sagte Mr Hoffman, und ein gezwungenes Lächeln glitt über seine Züge. »Sie glauben also, dass ich mit diesem – mit Bertrams Hotel in Verbindung stehe?«
»Verbindung ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. In Wirklichkeit besitzen Sie es, nicht wahr?«, bemerkte Vater jovial.
Diesmal erstarrte Mr Hoffman ganz offensichtlich.
»Nun, wer hat Ihnen das denn erzählt?«, sagte er leise.
»Es stimmt jedenfalls, ja?«, sagte Chefinspektor Davy in heiterem Ton. »Sehr schönes Besitztum, meiner Ansicht nach. In der Tat, Sie müssen stolz darauf sein.«
»O ja«, erwiderte Hoffman. »Im Augenblick – konnte ich mich nicht entsinnen – sehen Sie mal« – er lächelte verächtlich –, »ich habe so viele Liegenschaften in London. Eine gute Kapitalanlage – Immobilien. Wenn irgendetwas auf den Markt kommt, was meiner Meinung nach eine günstige Lage hat, und die Chance besteht, es billig zu ergattern, dann investiere ich.«
»Und war Bertrams Hotel auch ein solcher Gelegenheitskauf?«, erkundigte sich Davy.
»Es war ziemlich heruntergewirtschaftet«, entgegnete Mr Hoffman kopfschüttelnd.
»Na, jetzt läuft es wieder recht gut«, meinte Vater. »Ich war erst vor einigen Tagen dort und von der Atmosphäre sehr beeindruckt. Komfortables, traditionsbewusstes Haus, nichts Marktschreierisches, bietet Luxus, ohne luxuriös zu wirken.«
»Ich persönlich weiß sehr wenig darüber Bescheid«, erläuterte Mr Hoffman. »Es ist eben nur eine meiner Investitionen – aber ich glaube, es floriert.«
»Ja, Sie scheinen einen erstklassigen Geschäftsführer zu haben. Wie heißt er doch gleich? Humfries? Ja, Humfries.«
»Ein ausgezeichneter Mann«, bestätigte Mr Hoffman. »Ich lasse ihn nach Belieben schalten und walten und prüfe einmal im Jahr die Bilanz, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.«
»In dem Hotel wimmelt es nur so von Titeln«, bemerkte Vater. »Und auch von reichen amerikanischen Touristen.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Eine wunderbare Kombination.«
»Sie erwähnten vorhin, dass Sie kürzlich dort gewesen seien. Doch hoffentlich nicht – nicht in Ihrer offiziellen Eigenschaft?«
»Doch, aber es war nichts Ernsthaftes. Versuchte nur, ein kleines Geheimnis zu lüften.«
»Ein Geheimnis? In Bertrams Hotel?«
»Allem Anschein nach. Der Fall des verschwundenen Geistlichen – so könnte man es bezeichnen.«
»Das ist wohl ein Scherz«, meinte Mr Hoffman. »Sie reden ja wie Sherlock Holmes.«
»Der Geistliche verließ eines Abends das Hotel und wurde nicht mehr gesehen.«
»Merkwürdig. Aber so etwas kommt vor, doch darüber wissen Sie mehr als ich, mein lieber Chefinspektor«, sagte Mr Hoffman und setzte hinzu: »Ich hoffe, dass man Sie in Bertrams Hotel nach besten Kräften unterstützt hat.«
»Man hätte nicht zuvorkommender sein können«, versicherte ihm Vater. »Diese Miss Gorringe – sie ist wohl schon ziemlich lange bei Ihnen?«
»Möglich. Ich weiß wirklich sehr wenig über all diese Einzelheiten. Sie müssen verstehen, ich habe kein persönliches Interesse an diesem Hotel. Ich muss sagen« – er lächelte entwaffnend –, »ich war ganz überrascht, dass Sie überhaupt wussten, wem es gehört.«
Es war keine ausgesprochene Frage, aber wiederum lag in seinem Blick ein leises Unbehagen. Vater nahm es wahr, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
»Die Interessenverflechtungen in der City sind wie ein riesiges Puzzle«, meinte er. »Mir würde der Schädel brummen, wenn ich mich damit befassen müsste. So weit ich unterrichtet bin, ist eine Gesellschaft – der Mayfair Holding Trust oder so ähnlich – der eingetragene Besitzer. Diese Gesellschaft ist wieder im Besitz einer anderen Gesellschaft, und so weiter. In Wahrheit gehört das Hotel aber Ihnen. Eine ganz einfache Geschichte. Ich habe doch Recht, nicht wahr?«
»Ja, ich und der übrige Aufsichtsrat stehen dahinter, wie Sie sich wohl ausdrücken würden«, gab Mr Hoffman etwas widerstrebend zu.
»Aufsichtsrat? Und wer könnte das sein? Sie selbst und, wie ich glaube, ein Bruder von Ihnen?«
»Mein Bruder Wilhelm ist mitbeteiligt. Sie müssen verstehen, dass Bertrams Hotel nur ein Glied in einer Kette ist, die aus verschiedenen Hotels, Bürohäusern, Klubs und anderen Londoner Unternehmen besteht.«
»Und wer gehört noch zum Aufsichtsrat?«
»Lord Pomfret, Abel Isaacstein.« Hoffmans Stimme bekam plötzlich einen scharfen Klang. »Müssen Sie wirklich alle diese Einzelheiten wissen? Nur weil Sie den Fall des verschwundenen Geistlichen untersuchen?«
Vater schüttelte den Kopf und blickte reumütig drein.
»Es ist eigentlich nur Neugierde. Die Suche nach meinem Geistlichen führte mich in Bertrams Hotel, aber dann erwachte sozusagen mein Interesse, Sie verstehen ja wohl, was ich meine. Eins führt oft zum andern, nicht wahr?«
»Das mag sein, ja.« Dann lächelte Hoffman. »Und ist Ihre Neugierde jetzt befriedigt?«
»Wenn man eine Auskunft haben möchte, ist es immer am besten, wenn man sie sich an der Quelle holt, nicht wahr?«, meinte Vater jovial. Er erhob sich. »Es gibt nur noch eines, was ich gern wissen möchte – und ich glaube nicht, dass Sie es mir verraten werden.«
»Und das wäre, Chefinspektor?« Hoffmans Stimme klang vorsichtig.
»Wo gabelt das Bertrams sein Personal auf? Einfach wunderbar! Dieser Bursche, zum Beispiel, der aussieht wie ein Herzog oder ein Erzbischof – darüber bin ich mir noch nicht ganz schlüssig – wie heißt er doch noch? Ach ja, Henry. Er serviert einem Tee und Muffins – die wunderbarsten Muffins! Ein unvergessliches Erlebnis.«
»Und Sie lieben wohl Muffins mit viel Butter, ja?« Mr Hoffmans Augen ruhten einen Augenblick missbilligend auf Vaters rundlicher Figur.
»Das dürfte man mir ansehen«, entgegnete Vater. »Nun, ich möchte Sie nicht länger davon abhalten, sich mit weiteren günstigen Kapitalanlagen zu befassen.«
»So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich lasse mich von meinen Geschäften nicht auffressen. Meine Ansprüche sind bescheiden. Ich führe ein einfaches Leben voller Muße, züchte Rosen und widme mich meiner Familie, die ich sehr liebe.«
»Klingt ja ideal«, meinte Vater. »Wünschte, ich hätte auch so ein Dasein.«
Mr Hoffman lächelte und erhob sich etwas schwerfällig aus seinem Sessel, um sich von seinem Besucher zu verabschieden.
»Hoffentlich finden Sie Ihren verschwundenen Geistlichen recht bald.«
»Oh, der Fall ist schon erledigt. Es tut mir leid, wenn ich mich nicht klar ausgedrückt habe. Man hat ihn gefunden – eigentlich eine enttäuschende Angelegenheit. Autounfall und Gehirnerschütterung – weiter nichts.«
Vater ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und fragte:
»Gehört Lady Sedgwick übrigens auch zum Aufsichtsrat Ihrer Gesellschaft?«
»Lady Sedgwick?« Hoffman nahm sich Zeit. »Nein. Wie kommen Sie darauf?«
»Nun ja, man hört so manches… Also nur Aktionärin?«
»Ich… ja.«
»Na, leben Sie wohl, Mr Hoffman. Vielen Dank.«
Vater kehrte zum Yard zurück und suchte sofort den Vize auf. »Die beiden Brüder Hoffman stehen finanziell hinter Bertrams Hotel.«
»Was? Diese Schurken?«, fragte Sir Ronald.
»Ja.«
»Das haben sie aber gut geheim gehalten.«
»Ja – und Robert Hoffman war durchaus nicht erbaut darüber, dass wir dahinter gekommen sind. Es war geradezu ein Schock für ihn.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Oh, es ging alles sehr formell und höflich über die Bühne. Er versuchte taktvoll zu erfahren, wie ich es herausbekommen hatte.«
»Und diese Information haben Sie ihm vorenthalten, nehme ich an.«
»Aber gewiss doch.«
»Welchen Vorwand haben Sie ihm für Ihren Besuch genannt?«
»Überhaupt keinen.«
»Hielt er das nicht für etwas merkwürdig?«
»Vermutlich. Jedenfalls fiel niemand aus der Rolle.«
»Wenn die Hoffmans hinter der ganzen Geschichte stecken, lässt sich manches erklären. Sie sind niemals persönlich in eine Gaunerei verwickelt – o nein! Sie organisieren kein Verbrechen – sie finanzieren es aber! Wilhelm erledigt die Bankgeschichten von der Schweiz aus. Er steckte hinter dieser Devisenschiebung kurz nach dem Krieg. Wir wussten es, konnten es aber nicht beweisen. Diese beiden Brüder haben sehr viel Geld zur Verfügung und benutzen es, um alle möglichen Unternehmungen zu finanzieren – manche davon legal, manche nicht. Aber sie sind vorsichtig, kennen alle Schliche und Kniffe. Roberts Diamantenhandel ist sicher astrein – aber das Bild rundet sich ab, Diamanten, Bankinteressen, Grundbesitz, Clubs, kulturelle Stiftungen, Bürogebäude, Restaurants, Hotels – alles anscheinend in anderen Händen.«
»Sie glauben also nicht, dass Hoffman die Pläne für diese organisierten Raubüberfälle ausarbeitet?«, fragte Vater.
»Nein, die beiden befassen sich nur mit der finanziellen Seite. Ihren Partner müssen Sie schon woanders suchen. Irgendwo ist ein erstklassiger Stratege am Werk.«