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»Wissen Sie was«, sagte Chefinspektor Davy nachdenklich, »von diesem Humfries bin ich nicht sehr begeistert.«
»Glauben Sie, dass da etwas nicht stimmt?«, fragte Campbell.
»Nun…« Vater wich einer direkten Antwort aus. »Sie kennen ja dieses Gefühl, das man manchmal hat. Kriecherischer Bursche. Möchte mal wissen, ob er der Eigentümer oder nur der Direktor ist.«
»Ich kann ihn ja fragen.« Campbell drehte sich um und wollte zum Empfang gehen.
Vater hielt ihn zurück. »Nein, fragen Sie ihn nicht. Kriegen Sie es heraus – ohne viel Aufhebens.«
Campbell blickte ihn neugierig an.
»Was haben Sie im Sinn, Sir?«
»Nichts Besonderes. Ich hätte nur ganz gern mehr Auskünfte über dieses Hotel. Möchte wissen, wer dahinter steckt, wie die finanziellen Verhältnisse aussehen und dergleichen mehr.«
Campbell schüttelte den Kopf.
»Wenn ich einen Ort in London nennen sollte, der über jeden Verdacht erhaben ist, so hätte ich auf Bertrams Hotel getippt.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Vater. »Und wie nützlich ist es, einen solchen Ruf zu genießen!«
Campbell schüttelte wiederum den Kopf und verließ das Hotel. Vater ging den Korridor hinunter, der zum Raucherzimmer führte. General Radley wachte gerade auf. Die Times war ihm von den Knien gerutscht und dabei ein wenig in Unordnung geraten. Vater hob sie auf, legte die Seiten fein säuberlich aufeinander und reichte sie dem General.
»Vielen Dank, Sir. Sehr freundlich«, sagte General Radley ein wenig schroff.
»General Radley?«
»Ja.«
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Vater mit erhobener Stimme, »ich möchte mit Ihnen über Kanonikus Pennyfather sprechen.«
»Wie – was sagen Sie da?« Der General legte eine Hand hinter das Ohr.
»Kanonikus Pennyfather«, bellte Vater.
»Mein Vater? Schon seit Jahren tot.«
»Kanonikus Pennyfather.«
»Ach so. Was ist mit ihm? Habe ihn neulich noch gesehen. Er wohnte hier.«
»Er wollte mir eine Adresse geben und sagte, er würde sie bei Ihnen lassen.«
Es war schon bedeutend schwieriger, ihm diesen Satz ins Ohr zu posaunen, aber Geduld und Beharrlichkeit führten auch hier zum Ziel.
»Hat mir nie eine Adresse gegeben. Muss mich mit jemand anders verwechselt haben. Konfuser alter Knabe. Immer schon so gewesen. Gelehrtentyp, wissen Sie. Die sind immer zerstreut.«
Vater harrte noch etwas länger aus, kam dann aber zu dem Schluss, dass eine Unterhaltung mit General Radley praktisch unmöglich und fast mit Bestimmtheit zwecklos sei. Er kehrte in die Halle zurück und nahm an einem Tisch Platz, der neben Miss Marples Tisch stand.
»Tee, Sir?«
Vater blickte auf. Wie jeder andere war auch er von Henrys Auftreten beeindruckt. Obwohl ein großer und wohlbeleibter Mann, war er gleichsam wie eine Reinkarnation von Ariel aufgetaucht, der nach Belieben erscheinen und verschwinden konnte. Vater bestellte Tee.
»Ich glaube, ich habe vorhin gesehen, dass Sie Muffins haben. Stimmt’s?«
Henry lächelte huldvoll.
»Ja, Sir. Und unsere Muffins sind in der Tat sehr gut, wenn ich so sagen darf. Sie finden viel Anklang. Soll ich Muffins für Sie bestellen, Sir? Indischer oder chinesischer Tee?«
»Indischer«, sagte Vater. »Oder Ceylon-Tee, wenn Sie ihn haben.«
»Gewiss haben wir Ceylon-Tee, Sir.«
Henry schnippte mit einem Finger, und der blasse junge Mann, sein beflissener Diener, ging davon, um Tee und Muffins herbeizuschaffen. Henry begab sich gelassen an einen anderen Tisch.
Du stellst etwas vor, das steht fest, dachte Vater. Ich möchte mal wissen, wo sie dich aufgegabelt haben und was sie dir zahlen. Einen schönen Batzen, wette ich, und das bist du ihnen auch wert. Er beobachtete Henry, wie er sich väterlich über eine ältere Dame beugte, und fragte sich im Stillen, was Henry wohl von ihm dachte, falls er überhaupt über ihn nachdachte. Vater fand, dass er ganz gut ins Milieu des Bertrams passe. Man konnte ihn für einen wohlhabenden Gutsbesitzer halten oder für einen etwas heruntergekommenen Peer.
Dann standen der Tee und die Muffins vor ihm. Er biss in das Gebäck, und die Butter lief ihm über das Kinn. Er wischte sie mit einem großen Taschentuch fort und trank zwei Tassen Tee mit viel Zucker. Dann beugte er sich vor und sprach die Dame an, die am Nebentisch saß.
»Verzeihung«, begann er, »sind Sie nicht Miss Jane Marple?« Miss Marple hob den Blick von ihrem Strickzeug und ließ ihn auf Chefinspektor Davy ruhen.
»Ja«, sagte sie, »die bin ich.«
»Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich mit Ihnen spreche. Ich bin nämlich Polizeibeamter.«
»Wirklich? Es ist doch hier nichts Ernstliches vorgefallen?«
Er beruhigte sie eilig in seiner besten väterlichen Art.
»Nein, kein Grund zur Besorgnis, Miss Marple. Kein Einbruch oder dergleichen. Ein zerstreuter Geistlicher bereitet uns etwas Kopfzerbrechen, weiter nichts. Ich glaube, Sie haben ihn getroffen. Kanonikus Pennyfather.«
»Ach so, Kanonikus Pennyfather. Er war erst kürzlich noch hier. Ja, ich kenne ihn seit vielen Jahren oberflächlich. Er ist, wie Sie schon sagten, ziemlich zerstreut.« Interessiert setzte sie hinzu: »Was hat er jetzt wieder angestellt?«
»Nun, er ist uns abhanden gekommen, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
»Oje! Wo sollte er denn sein?«
»Zuhause in seiner Pfarrei. Dort ist er aber nicht.«
»Mir hat er gesagt, er wolle an einem Kongress in Luzern teilnehmen. Es handelte sich, glaube ich, um die Schriftrollen vom Toten Meer. Er ist nämlich Fachmann für Hebräisch und Aramäisch.«
»Ja«, sagte Vater. »Sie haben ganz Recht. Es wurde allgemein angenommen, dass er hinfahren würde.«
»Soll das etwa heißen, dass er dort nicht erschienen ist?«
»Ganz recht. Er ist nicht dort gewesen.«
»Na ja«, meinte Miss Marple, »er hat sich wahrscheinlich im Datum geirrt.«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Leider ist es wohl nicht das erste Mal, dass ihm so etwas passiert ist. Ich war einmal bei ihm in Chadminster zum Tee eingeladen, und da war er gar nicht zuhause. Seine Haushälterin erzählte mir bei der Gelegenheit, wie zerstreut er oft sei.«
»Als er sich hier aufhielt, hat er Ihnen wohl nichts gesagt, was uns einen Anhaltspunkt geben könnte?«, fragte Vater auf ungezwungene, vertrauliche Art. »Sie wissen wohl, was ich meine. Vielleicht hat er von einem alten Freund gesprochen, den er getroffen hat, oder von irgendwelchen Plänen, abgesehen von dieser Luzerner Konferenz?«
»O nein. Er hat nur die Konferenz in Luzern erwähnt. Ich glaube, er sprach davon, dass sie am 19. stattfindet?«
»Ja, das war der Tag der Luzerner Konferenz.«
»Ich habe mir das Datum nicht so genau gemerkt. Ich meine…« Wie viele alte Damen geriet Miss Marple hier ein wenig durcheinander. »Ich glaube, er hat den 19. erwähnt, aber es ist ebenso gut möglich, dass er den 19. meinte, dass es jedoch in Wirklichkeit der 20. war. Ich meine, er hat vielleicht angenommen, der 20. sei der 19. oder er mag auch gemeint haben, der 19. sei der 20.«
»Oje…«, sagte Vater, ein wenig benommen.
»Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt«, gab Miss Marple zu. »Aber ich wollte damit sagen: Wenn Menschen wie Kanonikus Pennyfather erwähnen, dass sie an einem Donnerstag irgendwohin gehen wollen, erwartet man durchaus, dass sie gar nicht Donnerstag, sondern in Wirklichkeit Mittwoch oder Freitag gemeint haben. Gewöhnlich entdecken sie den Fehler beizeiten, aber manchmal auch nicht. Ich dachte damals schon, dass ihm so etwas wohl unterlaufen sein musste.«
Vater blickte etwas verdutzt drein.
»Es klingt ja so, Miss Marple, als hätten Sie schon gewusst, dass Kanonikus Pennyfather nicht nach Luzern gefahren ist.«
»Ich wusste, dass er am Donnerstag nicht in Luzern war. Da war er den ganzen Tag hier – wenigstens den größten Teil des Tages. Deshalb habe ich natürlich angenommen, dass er eigentlich Freitag meinte, wenn er auch mir gegenüber von Donnerstag gesprochen haben mag. Jedenfalls ist er am Donnerstagabend mit seiner BEA-Tasche von hier fortgegangen.«
»Das stimmt.«
»Ich nahm an, er würde zum Flughafen fahren«, sagte Miss Marple. »Deshalb war ich so erstaunt, ihn wieder hier zu sehen.«
»Entschuldigen Sie bitte, wie meinten Sie?«
»Nun, dass er wieder hier war, meinte ich.«
»Das wollen wir mal eben klarstellen«, sagte Vater, der sich bemühte, recht ungezwungen und betulich zu sprechen, und nicht so, als sei ihm die Sache wichtig. »Sie haben also gesehen, wie der alte Idiot – Entschuldigung, der Kanonikus, am frühen Abend mit seiner kleinen Reisetasche fortging und, wie Sie annahmen, zum Flughafen fuhr. Stimmt das?«
»Ja, gegen halb sieben, möchte ich sagen, oder auch um Viertel vor sieben.«
»Aber Sie behaupten, er sei zurückgekommen.«
»Vielleicht hat er das Flugzeug verpasst.«
»Wann ist er zurückgekommen?«
»Nun, das kann ich wirklich nicht sagen. Ich habe ihn nicht heimkehren sehen.«
»Oh«, sagte Vater verblüfft. »Ich hatte Sie so verstanden, dass Sie ihn tatsächlich gesehen hätten.«
»Ich habe ihn auch gesehen, aber später. Ich wollte nur sagen, dass ich ihn nicht in dem Augenblick gesehen habe, als er ins Hotel zurückkehrte.«
»Sie sahen ihn also später? Wann war das?«
»Einen Moment. Es war gegen drei Uhr morgens. Ich schlief nicht sehr gut. Durch irgendein Geräusch wurde ich wach. In London gibt es so viele merkwürdige Geräusche. Ich blickte auf meinen kleinen Reisewecker, und es war zehn Minuten nach drei. Aus einem unerfindlichen Grund war ich unruhig. Schritte vor meiner Tür, vielleicht. Wenn man auf dem Lande lebt und mitten in der Nacht Schritte hört, so wird man nervös. Also habe ich einfach meine Tür geöffnet und auf den Korridor hinausgeschaut. Da sah ich, wie Kanonikus Pennyfather gerade sein Zimmer verließ – es liegt neben dem meinen – und dann die Treppe hinunterstieg. Er trug seinen Mantel.«
»Er kam um drei Uhr morgens, mit seinem Mantel bekleidet, aus seinem Zimmer und ging die Treppe hinab?«
»Ja«, erwiderte Miss Marple und fügte hinzu: »Es kam mir in dem Augenblick sehr sonderbar vor.«
Vater blickte sie eine Weile an.
»Miss Marple«, sagte er dann, »warum haben Sie das noch niemandem erzählt?«
»Niemand hat mich danach gefragt«, lautete ihre Antwort.