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Der Irish Mail raste durch die Nacht oder, genauer gesagt, durch die Dunkelheit der frühen Morgenstunden.

Von Zeit zu Zeit stieß die Diesellokomotive ihr unheimliches, klagendes Warnsignal aus. Der Zug fuhr mit einer Geschwindigkeit von weit über hundertzwanzig Stundenkilometern. Er hatte keine Verspätung.

Plötzlich wurden die Bremsen angezogen, und das Tempo verlangsamte sich. Die Räder kreischten über die Schienen. Langsamer, immer langsamer… Der Schaffner steckte den Kopf zum Fenster hinaus und erkannte das rote Haltesignal, vor dem der Zug schließlich zum Stillstand kam. Einige Passagiere wachten auf, die meisten schliefen weiter.

Eine ältere Dame öffnete beunruhigt die Tür ihres Abteils und blickte den Gang entlang. Ein kleines Stückchen weiter vorn stand eine der Außentüren offen. Ein älterer Geistlicher mit einem dicken weißen Haarschopf kletterte gerade vom Bahnkörper her in den Zug. Sie nahm an, dass er vorher ausgestiegen war, um zu schauen, was eigentlich los sei.

Die Morgenluft war empfindlich kühl. Irgendjemand am Ende des Ganges sagte: »Nur ein Signal.« Die ältere Dame zog sich in ihr Abteil zurück und versuchte, wieder einzuschlafen.

Aus der Fahrtrichtung rannte ein Mann, der eine Laterne schwenkte, von einem Stellwerk auf den Zug zu. Der Heizer kletterte von der Lokomotive herab. Der Schaffner, der ebenfalls aus dem Zug gestiegen war, trat zu ihm. Der Mann mit der Laterne erreichte sie, ziemlich außer Atem, und sprach in abgerissenen Sätzen.

»Schweres Eisenbahnunglück da vorne… Güterzug entgleist…«

Der Lokomotivführer blickte aus dem Führerstand heraus und kletterte dann auch herab. Am Ende des Zuges stiegen sechs Männer, die gerade die Böschung heraufgeklommen waren, durch eine für sie im letzten Wagen offen gelassene Tür ein. Sechs Passagiere aus verschiedenen Wagen schlossen sich ihnen an. Nach einem wohl durchdachten Plan machten sie sich eilig daran, den Postwagen vom Zug loszukoppeln. Zwei Männer, unkenntlich gemacht durch maskenartige Wollmützen, standen an beiden Wagenenden Wache, bewaffnet mit Totschlägern.

Ein Mann in Eisenbahneruniform schritt den Gang des stehenden Zuges entlang und gab Erklärungen ab, wenn er gefragt wurde.

»Strecke vor uns ist blockiert. Zehn Minuten Aufenthalt vielleicht, nicht länger…« Es klang freundlich und beruhigend. Neben der Lokomotive lagen der Führer und der Heizer, geschickt geknebelt und gefesselt. Der Mann mit der Laterne rief mit lauter Stimme:

»Hier ist alles okay.«

Der Schaffner lag, ähnlich zusammengeschnürt, an der Böschung.

Die gut trainierten Räuber hatten inzwischen im Postwagen ganze Arbeit geleistet. Die Besatzung lag, ebenfalls gebündelt, am Boden. Die ausgesuchten Postsäcke segelten hinaus und wurden von auf der Böschung wartenden Komplizen in Empfang genommen.

In den Abteilen murrten die Reisenden, dass die Eisenbahn auch nicht mehr so zuverlässig sei wie in den guten alten Zeiten.

Dann plötzlich, als sie gerade wieder einschlafen wollten, erschallte das Röhren eines Auspuffs durch die Dunkelheit.

»Lieber Himmel«, murmelte eine Frau. »Ist das ein Düsenflugzeug?«

»Rennwagen würde ich sagen.«

Das Geräusch verhallte in der Ferne…

 

Auf der Autostraße von Bedhampton, etwa fünfzehn Kilometer entfernt, rollte eine lange Kolonne von Fernlastern nach Norden. Ein großer weißer Rennwagen brauste an ihnen vorüber. Zehn Minuten später bog er von der Autostraße ab.

Die Garage an der Ecke B-Road trug ein Schild: GESCHLOSSEN. Doch die großen Türen flogen auf. Der weiße Wagen fuhr geradewegs hinein, und die Türen schlossen sich wieder hinter ihm. Drei Männer arbeiteten in Windeseile. Neue Nummernschilder wurden angebracht. Der Fahrer wechselte Mantel und Mütze. Vorher war er in weißes Schafleder gekleidet gewesen. Jetzt trug er eine schwarze Lederjacke. Er verließ mit seinem Wagen die Garage. Drei Minuten nach dem Aufbruch ratterte ein alter, von einem Geistlichen gesteuerter Morris Oxford auf die Straße.

Ein auf einer Landstraße fahrender Lieferwagen verlangsamte sein Tempo, als er auf einen alten, neben einer Hecke geparkten Morris Oxford stieß, über dessen Motor sich ein älterer Mann beugte.

Der Fahrer des Lieferwagens steckte den Kopf aus dem Fenster.

»Panne? Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Sehr freundlich von Ihnen. Meine Lampen sind nicht in Ordnung.«

Die beiden Fahrer gingen aufeinander zu – und horchten.

»Alles klar!«

Verschiedene teure Koffer amerikanischen Fabrikats wurden aus dem Morris Oxford in den Lieferwagen umgeladen. Ein paar Kilometer weiter bog der Lieferwagen in einen ausgefahrenen Feldweg ein, der sich jedoch als hintere Zufahrt zu einem großen, stattlichen Herrenhaus entpuppte. In der früheren Stallung stand ein großer weißer Mercedes. Der Fahrer des Lieferwagens schloss den Kofferraum des Mercedes auf, lud die Koffer ein und fuhr in seinem Wagen davon. Auf einem nahe gelegenen Bauernhof krähte ein Hahn aus Leibeskräften.