Kapitel 36

"Setz dich, Sten", sagte der Ewige Imperator.

"Aber schenk uns erst mal einen Schluck zu trinken ein."

Aus langer Gewohnheit als früherer Kommandant der Leibgarde des Imperators wußte Sten, daß der Imperator guter Dinge war, wenn er etwas trinken wollte. Aber "bequem stehen" und es sich wirklich

"bequem machen" war etwas völlig anderes. Es war schon lange her, seit er mit seinem Boß einen Stregg gekippt hatte. Damals hatte Sten den Beinamen

"Ewig" für nichts weiter als einen symbolischen Titel gehalten, falls er sich überhaupt Gedanken darüber gemacht hatte.

Als der Imperator seinen Drink an die Lippen setzte, fiel Sten jedenfalls sofort auf, daß er nur geistesabwesend einen kleinen Schluck davon nahm.

Sten tat dasselbe.

"Ich werde dir nicht für alles danken, was du für mich getan hast", sagte der Imperator. "Die Worte würden sich dumm anhören. Jedenfalls in meinen Ohren."

Sten fragte sich, was eigentlich los war. Trotz seiner lässigen Haltung gab sich der Imperator verdammt offiziell. Das bedeutete im allgemeinen, daß er gleich mit einer Überraschung herausrücken würde. Sten hoffte nur, daß es ihn nicht direkt betraf.

Jetzt bemerkte er, daß ihn der Imperator stirnrunzelnd betrachtete und anschließend in sein fast noch volles Glas mit Stregg blickte. Das Stirnrunzeln verschwand, und der Ewige Imperator kippte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter.

Und schob es zum Nachfüllen über den Tisch.

Sten trank sein Glas ebenfalls leer und schenkte erneut ein. Er fühlte, wie sich der Stregg leuchtend in seinem Innern ausbreitete und ihn erwärmte, aber er war immer noch nicht sonderlich entspannt.

Er wünschte, er könnte den Imperator einfach fragen, wie er es angestellt hatte. Wo hatte er in all den Jahren gesteckt? Was hatte er getan? Und warum, verdammt noch mal, war er nicht tot? Nein, besser nicht fragen. Der Imperator wachte sehr eifersüchtig über seine Geheimnisse.

"Als wir uns das letzte Mal unterhielten", sagte der Imperator, "habe ich wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dich zu befördern. Aber du wolltest ja nicht. Ich hoffe, du läßt das nicht zur Gewohnheit werden."

Oh, verdammt, darum ging es also. Sten nahm sich zusammen.

"Wie hört sich das an: Leiter des Mercury Corps?" fragte der Imperator. "Ist ein Kommandorang, kriegst einen zweiten Stern dazu.

Wie hört sich das an, Admiral?"

"Admiral a. D.", sagte Sten und schluckte. Er wollte es schnell hinter sich haben. "Ich will wirklich nicht undankbar erscheinen und das alles, aber ich lehne dankend ab. Bitte."

Sten sah, wie ein kalter Blick die Brauen des Imperators zusammenzog. Dann entspannte sich die Miene etwas.

"Warum?" Ein Wort, ein Befehl.

"Weil es mir so gefällt. Ich war mein ganzes Leben lang Soldat. Im Dienst der Öffentlichkeit, wenn man so will. Ich bin viel öfter ausgezeichnet worden, als ich es mir je hätte träumen lassen. Ich war nichts. Ein Delinq von Vulcan. Jetzt bin ich Admiral. Und jetzt soll noch ein Stern dazukommen.

Vielen Dank, Sir. Aber bitte nicht.

Ich muß endlich damit anfangen, mein eigenes Leben zu leben. Einen Platz für mich in der zivilen Welt finden. Damals war ich sehr verwirrt.

Vielleicht bin ich es heute noch. Aber nicht mehr so schlimm. Ich freue mich darauf. Für mich ist die Zeit gekommen, ein ganz normales, langweiliges bürgerliches Leben zu führen."

Sten dachte an Lisa Haines und daran, wie wenig langweilig sein Leben hätte sein können, wenn nicht gewisse Umstände dazwischengekommen wären. Er hatte die ganze Zeit über mit niedergeschlagenen Augen gesprochen. Jetzt hob er den Blick und sah, wie ihn der Imperator aus stählernen Augen anfunkelte.

"Ich habe mich nicht besonders geschickt ausgedrückt, Sir", sagte Sten. "Ich habe es nicht gut erklärt. Aber es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen."

Er schwieg. Der Imperator würde es ihm sicher zu verstehen geben, wenn er noch mehr hören wollte. Das Funkeln erlosch. Der Imperator leerte sein Glas bis zur Hälfte, ließ sich lässig in seinen Sessel zurücksinken und legte die Füße auf den Tisch.

"Verstehe", sagte er. "Ich verlange da ein Riesenopfer von dir. Um genau zu sein, ein weiteres, großes Opfer. Aber ich glaube, du hast die Situation nicht ganz erfaßt."

Er trank sein Glas vollständig aus, beugte sich nach vorn, angelte mit einem Finger nach der Flasche, goß sein Glas voll und schob die Streggflasche erneut Sten zu. Beide tranken - und füllten sich die Gläser erneut.

"Aber schau dir doch mal an, in welchem Schlamassel wir stecken", fuhr der Imperator fort, als habe es keine Unterbrechung gegeben. "Überall krepieren Wesen beinahe vor Hunger. Millionen haben keine Arbeit. Fast jede Regierung, die man sich betrachtet, steht kurz vor dem vollständigen Zusammenbruch. Allein das AM2 rasch und

reibungslos an die richtigen Stellen zu

transportieren, ist ein Alptraum. Ganz abgesehen von all dem anderen Ärger, den ich auf mich zukommen sehe. Wie soll ich das denn schaffen ganz allein, ohne Hilfe ? "

Sten schüttelte den Kopf. Er wußte keine Antwort auf diese Frage.

"Kommt es denn so überraschend, wenn ich jemanden wie dich, jemanden mit dieser

langjährigen Erfahrung im Dienst der Öffentlichkeit, wie du sagst, frage, ob er mir dabei hilft? Wo sonst finde ich soviel Erfahrung?"

"Schon wahr, Sir", erwiderte Sten. "Verstehe.

Aber -"

"Kein aber, Sten", gab der Ewige Imperator zurück. "Sieh mal, ich frage ja nicht für mich persönlich. Ich frage für dein Imperium. Wie kannst du da nein sagen? Sag mir das. Wie kannst du mir in die Augen sehen und dich weigern, mir zu helfen?

Antworte jetzt noch nicht. Vergiß das Mercury Corps. Ich habe eine bessere Idee. Ich mache dich zu meiner rechten Hand, meinem Mann für besondere Fälle -

mit einem hübschen,

generalbevollmächtigten Titel und allem Drum und Dran. Hilf mir im Umgang mit anderen

Staatsoberhäuptern, bei schwierigen Verhandlungen, bei jeder größeren Krise.

Dein erster Auftrag besteht darin, mir mit den Bhor zu helfen. Ich möchte etwas Besonderes für sie tun. Sie haben sich mir gegenüber außerordentlich loyal verhalten. Wenn ich mich recht erinnere, hast du selbst diese Kerle damals angeschleppt."

"Ja, Sir", erwiderte Sten.

"Aha. Sie organisieren eine große Feier im Lupus-Cluster. Zu Ehren meiner Rückkehr und so weiter, und wegen unseres Sieges über diese Schwachköpfe, die meine Feinde sein wollten. Du sollst dort als mein direkter Repräsentant hingehen.

In die Wolfswelten. Vertrete mich bei den Zeremonien. Ich kann mir niemanden vorstellen, den sie lieber dort sehen würden. Du etwa?"

"Nein, Sir", antwortete Sten. Er wußte, daß er damit sein Schicksal besiegelte.

Der Ewige Imperator hatte recht. Es war

unmöglich, sich zu weigern, nicht in diesem Fall, und auch nicht bei allen anderen, die noch folgen sollten.

Die Siegesfeier an Bord der Bhor-Flotte dauerte an, bis sie den Lupus-Cluster erreicht hatten.

Cind beobachtete Sten genau. Er war bei allen Toasts und Parties dabei, er blieb Otho und Kilgour, seinen trinkfesten Freunden, nichts schuldig.

Dazwischen verwandelte sich sein Gesicht jedoch in eine Maske, die nichts von dem verriet, was dahinter vorging. Sie kannte ihn jetzt etwas besser. Sie fühlte, wie sich seine Gedanken jagten - aber woran er dachte, wußte sie nicht.

Einmal beobachtete Cind, wie er mitten in einem Trinkspruch auf den Imperator aufsprang und dessen Porträt im Bankettsaal des Schiffes betrachtete. Er starrte lange Zeit darauf, schüttelte den Kopf und trank sein Glas aus. Einen Moment später lachte und trank er bereits wieder mit seinen Freunden.

Cind jedoch erinnerte sich lange Zeit an diesen Blick und fragte sich, was wohl in Sten vorgegangen sein mochte.