Kapitel 27
Poyndex war nicht gerade eine Ausgeburt an Temperament. Schon vor langer Zeit hatte er seine Unbeherrschtheit gemeinsam mit seinen
Kinderspielsachen abgelegt. Mit dem
Erwachsenwerden ließ er auch jede freudige Regung, jedes Hochgefühl hinter sich. Es gab tatsächlich keine Regung, die er nicht unter Kontrolle hatte. Ehrgeiz war die einzige Frucht, die er in seinem Garten gedeihen ließ, das Streben nach Macht war seine einzige Freude.
Als nun seine Kabinettskollegen angesichts der
"schockierenden und aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen" von Sr. Ecus Tribunal vor Wut schäumten, lernte er zum ersten Mal in seinem Leben wahre Angst kennen. Er spürte, wie ihnen die Macht entglitt.
Im selben Augenblick, als er Sr. Ecus
Mordanklage via Livie-Ausstrahlung miterlebte, wußte er, daß sie rechtens war. Die Reaktion kam direkt aus dem Bauch. Noch auf dem Weg zur hastig einberufenen Kabinettssitzung erhärtete sich dieser spontane Eindruck. Die Sache wurde ihm klarer und klarer, als er das enorme Gebäude betrat, das sich das Kabinett als Hauptquartier hatte errichten lassen.
Dieser eigenartige Riesenbaum, der sich im Innenhof erhob, machte einen verwelkten und kranken Eindruck. Poyndex, der für symbolische Eindrücke nicht gerade empfänglich war, fand trotz allem, daß der Zustand der Rubiginosa nichts Gutes verhieß.
Er war einfach viel logischer, wenn man davon ausging, daß die Ermordung des Imperators nicht die Aktion eines verrückten Einzeltäters gewesen war.
Eine Verschwörung war wesentlich
wahrscheinlicher. Und wer zog den größten Gewinn aus einem derartigen Plan? Die Antwort stand klar und deutlich vor ihm, als er den Sitzungssaal betrat.
Alle Anwesenden tobten und brüllten
durcheinander. Die Kraa-Zwillinge waren violett vor Zorn. Lovett schlug immer wieder mit der Faust auf den polierten Konferenztisch und verlangte lautstark nach unverzüglicher und blutiger Vergeltung.
Malperin stieß gegen die angeblichen Lügen einen befremdlichen Schwall von Flüchen und
Verwünschungen aus.
Beim Anblick dieser vehementen Reaktion wußte Poyndex mit letzter Sicherheit, daß sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Hier vor ihm saßen diejenigen, die den Ewigen Imperator getötet hatten.
Warum denn sonst diese Aufregung? Wenn die Anklage falsch war, so handelte es sich ohnehin nur um einen üblen Trick ihrer Widersacher. Die Kabinettsmitglieder waren allesamt erfahrene Geschäftsleute, die in ihrem Berufsleben regelmäßig mit derartigen Schlammschlachten zu tun gehabt hatten.
Er achtete auch zwischen den Brüllanfällen auf die nach Luft schnappenden Gesichter, er sah die schuldbewußten Blicke, die sie einander zuwarfen.
Den Vogel schössen die Kraa-Zwillinge ab. In ihrer Not und ihrer Angst wechselten sie die Rollen. Wie immer stopften sie unglaubliche Mengen Essen in sich hinein, doch die Magere ging sich nicht mehr in regelmäßigen Abständen "frischmachen". An ihrer Stelle verschwand nun die Fette laufend auf der Toilette, um sich zu übergeben.
Dann packte ihn selbst die Angst. Erst vor kurzer Zeit hatte er sein Lebensziel erreicht. Mit der Aufnahme ins Privatkabinett war ihm alles gelungen, was er sich jemals erträumt hatte. Er wußte, daß er diese Macht in geraumer Zeit, wenn er erst an den richtigen Drähten zu ziehen und auf die richtigen Knöpfe zu drücken gelernt hatte, in aller Ruhe sogar noch weiter ausbauen konnte. Poyndex hatte nie danach gestrebt, ein großer Tyrann, ein Alleinherrscher zu sein. Er hielt sich viel lieber etwas abseits, außerhalb der Schußlinie. Außerdem empfand er, ebensowenig wie Kyes, keinen besonderen Spaß an Bürointrigen und war zufrieden, wenn seine Kollegen sich nach Lust und Laune an vorderster Front produzierten. Poyndex wußte, daß er das, was er haben wollte, viel einfacher dadurch erhielt, indem er Privilegien gewährte, als daß er sie entzog.
Kurz bevor die Anklage des Tribunals verlesen wurde, hatte sich Poyndex gerade einigermaßen von dem Schlag erholt, den er durch den Verlust seines Mentors erlitten hatte. Als man Kyes - besser gesagt, das sabbernde Wesen, das einmal Kyes gewesen war
- von seiner geheimnisvollen Reise zurückbrachte, wußte Poyndex, daß er mit ihm seine wichtigste Stütze im Kräftemessen mit dem restlichen Kabinett verloren hatte.
Tatsächlich aber wurden seine Kollegen immer abhängiger von ihm. Sie lauschten aufmerksam seinen besonnenen Ratschlägen, und zwar nicht nur solchen, die sich auf das Militär oder den Geheimdienst bezogen, sondern auch dann, wenn es um die große Imperiale Politik ging. Davon, daß man Kyes' Platz neu besetzen könnte, war keine Rede.
Als er jetzt darüber nachdachte, kam ihm auch ihre Reaktion auf das, was Kyes zugestoßen war, reichlich seltsam vor. Sie nahmen es still hin, beinahe ergeben. Sie stellten keine ernsthaften Nachfragen und sorgten nur dafür, daß man das arme Wesen schleunigst in einer abgeschotteten Nervenklinik des Militärs unterbrachte. Eigentlich machten sie eher einen erleichterten Eindruck.
Poyndex glaubte, daß sie vielleicht spürten, daß es nun einen weniger gab, der die Geschichte ihrer Schuld erzählen konnte.
Nachdem sich das Kabinett daranmachte, die Strategie für einen Gegenangriff auszutüfteln, wußte Ponydex, daß es für ihn jetzt das allerwichtigste war, den eigenen Arsch zu retten. Egal, wie die Sache auch ausging, dieses Kabinett und seine Mitglieder waren dem Untergang geweiht. Es spielte keine Rolle, ob sie das Tribunal und seine Verbündeten vernichteten. Die öffentliche Anklage würde sie früher oder später zu Fall bringen.
Poyndex war fest entschlossen, nicht mit ihnen unterzugehen. Während seine Kollegen also hitzig debattierten, fing er an, in seiner Tasche mit den Tricks zum Überleben herumzukramen.
Die Kraas wollten in alle Richtungen Flotten losschicken. Jedes System, das auch nur annähernd etwas mit dem Tribunal zu tun hatte, sollte zerschlagen und mit Imperialen Truppen besetzt werden. Lovett und Malperin brüllten beifällig.
Poyndex wartete, bis der erste Dampf abgelassen war, bevor er sich zu Wort meldete.
"Ich teile Ihre Empörung", sagte er. "Obwohl ich selbst in diesen frechen Lügen nicht aufgeführt werde. Ich betrachte jeden Angriff auf eines unserer Mitglieder als Angriff auf uns alle. Trotzdem müssen wir der Realität ins Auge blicken. Wir haben einfach nicht genug AM2, um auch nur ein Zehntel dessen, was Sie vorschlagen, umzusetzen."
Seine Worte riefen ernüchterndes Schweigen hervor. Er hatte recht. Stück für Stück fingen sie an, das Ausmaß der Operation zu begrenzen, wobei Poyndex sie immer wieder subtil dazu ermunterte.
Schließlich einigte man sich auf ein einziges Ziel: Newton.
Eine Strafflotte sollte entsandt werden, und alle Überlebenden -falls es denn welche geben sollte würden zur Bestrafung zur Erstwelt gebracht werden. Malperin gab zu bedenken, daß die Truppen in Anbetracht der jüngsten Säuberungen innerhalb des Militärs womöglich nicht allzu loyal seien.
Poyndex wußte, daß sie auch Angst davor hatte, die Attentatsanklage könnte die Lunte am Pulverfaß einer Revolte sein. Es war ein sehr schuldbewußter Einwand, der von den anderen ebenso rasch aufgegriffen wurde. Also sollten, soweit das möglich war, nur äußerst verläßliche und loyale Personen die Flotte bemannen.
Bevor man restlos übereinstimmte und die Flotte entsandt wurde, hißte Poyndex noch schnell eine Warnflagge - sozusagen für die Akten.
"Natürlich bin ich sicher, daß dieser Schritt jetzt getan werden muß", sagte er. "Sie haben alle so überzeugend argumentiert. Trotzdem wäre es nachlässig von mir, nicht auf die Gefahren dieser Aktion hinzuweisen.
Man könnte ebensogut sagen, es wäre besser, die ganze Angelegenheit einfach zu ignorieren. Sie haben in diesem Zusammenhang bereits an eine imperiumsumspannende Nachrichtensperre gedacht.
Gehen Sie weiter in dieser Richtung. Reagieren Sie nicht. Lassen Sie die Sache einfach im Sande verlaufen. Wir können die Urheber immer noch nach Belieben festnehmen. Außerdem könnte ein derartiger Angriff nach hinten losgehen. Unsere eigenen Verbündeten bekommen es womöglich mit der Angst zu tun. Ich bin sicher, daß Sie alle mit derlei Dingen vertraut sind. Ich möchte sie hier nur andeuten, damit kein auch noch so winziges Detail übersehen wird."
"Die Verbündeten soll der Teufel holen", fauchte eine Kraa.
"Wenn wir jetzt nicht handeln, kommen am Ende ein paar dieser Idioten noch auf die Idee, die Anschuldigungen könnten der Wahrheit
entsprechen", sagte Malperin.
"Schicken Sie die Flotte los", sagte Lovett.
Poyndex schickte die Flotte los. Doch noch während er ringsum Befehle austeilte, trommelte er seine vertrauenswürdigsten Mitarbeiter zusammen.
Jetzt galt es, sich im großen Stil den Rücken freizuhalten.
Wenn Poyndex nicht von den Ereignissen
überrollt werden wollte, mußte er ihnen stets einen Schritt voraus sein.