Kapitel 16
Sr. Ecu stand über dem Rand des Sees. Die Sonne war warm, und die von der Erinnerungsstätte der Bhor aufsteigende feuchte Luft erlaubte ihm, ohne Anstrengung im Gleichgewicht zu schweben: ein winziger Flügelschlag zur Stabilisierung, eine kaum wahrnehmbare Bewegung des drei Meter langen Schwanzes genügte, um das kleine Wesen, das durch das Gras auf ihn zugelaufen kam, im Auge zu behalten.
Unter den meisten anderen Umständen hätte der Manabi diesen Augenblick genossen. Die warme Luft und die Sonne waren angenehm, die Umgebung perfekt. Er genoß den Kontrast seines dunklen Körpers mit den rotgeränderten Flügeln und den reinweißen Fühlern zu dem spiegelnden See mit seinem schmalen Felsenstrand und dem tiefen Blaugrün der saftigen Wiesen, wie es nur einem Manabi möglich war.
Er hatte dem Treffen nur widerwillig zugestimmt.
Für ihn war jede Verbindung zu den überlebenden Verschwörern nicht nur sinnlos -
wie
Flottenmarschall Ian Mahoneys trauriger Fehlschlag bewies -, sondern extrem gefährlich. Hätte er die Einladung ignoriert, wären jedoch womöglich ebenso große oder noch größere Gefahren auf den Plan getreten.
Ein unvorsichtiges Wort von den Verschwörern, absichtlich geäußert oder nicht, würde die Manabi, ungeachtet ihrer früheren zögerlichen Rolle, mit hineinziehen. Man mußte nicht viel Phantasie aufbringen, um sich auszumalen, zu welcher!
Mitteln das Kabinett greifen würde. Mit Phantasie waren die Manabi mehr als andere Lebewesen gesegnet - oder geschlagen.
Sten bemühte sich, bei seinem Herannahen möglichst lässig zu wirken. Er wollte nicht den Hauch eines Selbstzweifels vermitteln, obwohl er davon jede Menge zu bieten hatte. Eine Woche intensiver Vorgespräche mit Sr. Ecu lag bereits hinter ihm. Diplomatie war eine Kunst, die einen wahnsinnig machen konnte. Trotzdem legte er alles, was er je gelernt hatte, in diese Anstrengung. Dazu gehörten zunächst die Vorgeplänkel, bei denen jedes Wesen das andere beschnupperte, taxierte und allmählich etwas besser kennenlernte. Dann folgte eine ganze Menge vorbereitender Gespräche, bei denen man auf keinen Fall den fraglichen Punkt ansprechen, ja nicht einmal in seine Nähe geraten durfte.
Seinem Selbstvertrauen war auch durch das Wissen darum, daß er es mit einem der erfahrensten Diplomaten zu tun hatte, nicht sehr geholfen, einem Individuum aus einer Rasse ätherischer Wesen, die bereits Experten in Individualismus gewesen waren, bevor sie ihre Kindheit zusammen mit ihrem Stachel hinter sich gelassen hatten.
Er hatte sich vor Sr. Ecus Ankunft ausführlich mit Kilgour und Mahoney beraten. Sogar jetzt noch waren seine beiden Freunde von dem eigentlichen Hauptteil seines Plans hellauf begeistert. Waffen, Munition, Treibstoff und Versorgungsgüter wurden zusammengestellt. Die Bhor trainierten bereits, und Othos Geduld wurde immer dünner. Als Sten gesagt hatte "Mach deine Schiffe flott", hatte er das eher symbolisch gemeint. Bis er das dem Häuptling der Bhor, der ihn beim Wort genommen hatte, erklären konnte, war Otho bereit, mit einer verwegenen Mannschaft und einem zweifelhaften Schiff abzuheben. Selbstmord war garantiert nicht schmerzlos, beteuerte Sten Otho immer wieder, bis er sich endlich verständlich machen konnte.
Sten war unglaublich erleichtert, als es ihm und Kilgour endlich gelang, mit Mahoney Kontakt aufzunehmen. Nach fünfundsiebzig Jahren als Chef des Mercury Corps war es Ian nicht sonderlich schwergefallen, seinen Verfolgern immer ein paar Schritte voraus zu sein.
Mahoney war immer in Bewegung geblieben.
Manchmal tauchte er für einige Tage in einem umsichtig ausgewählten Versteck unter, tauchte dann wieder auf, um zu sehen, was um ihn herum vorging, und machte sich wieder auf den Weg, bevor irgendwelche Verdächtigungen aufkommen
konnten. Zu der Zeit, als Sten und Alex über Jon Wild, ihren alten Schmugglerfreund, Kontakt mit ihm bekamen, hatte er sich schon an einem Dutzend illustrer Orte versteckt und dabei ebenso viele falsche Identitäten angenommen. Je schneller und öfter man umzog, sagte Ian immer, um so weniger Perfektion war erforderlich, wenn es um gefälschte Papiere ging. Die Rolle war die eigentliche Sache, meinte er. Das ein und alles. Das, und daß man dazu fähig war, in dieser Rolle zu denken und sie wie eine altvertraute, etwas kratzende Haut überzustreifen.
Stens ehemaliger Commander hatte sofort
erkannt, wie wertvoll dieser Plan war, und so hatten sie ihn in Angriff genommen. Der Schlüssel waren die Manabi und ihre unbefleckte Reputation. Ohne ihre Zustimmung war dem Plan nicht viel Aussicht auf Erfolg beschieden. Wie auch immer, im Gedenken an ihren jüngsten, spektakulären Fehlschlag drängte Mahoney Sten dazu, die Diskussion in Gang zu bringen. Er würde sich, falls nötig, später einschalten. Sten stimmte zu, war jedoch alles andere als sicher. Eine Sache war allerdings sicher: was auch immer dabei herauskam, Sten war entschlossen, weiterzumachen. Trotzdem brauchte er Sr. Ecu. Er brauchte ihn sogar dringend.
Heute war der Tag gekommen. Es hieß alles oder nichts. Sein Ziel war einfach, es bedurfte keines Sieges auf der ganzen Linie. Er mußte nur einen ausreichend großen Keil eintreiben, um wenigstens einen Schimmer von Sonnenlicht zu erhaschen.
Sten sah nur eine Möglichkeit, seine Aufgabe zu erfüllen. Er mußte dem Manabi ordentlich auf den Zahn fühlen. Doch zunächst, wie sein Vater immer zu sagen pflegte, war es angebracht, die Aufmerksamkeit des Gegenübers zu erregen. Doch in diesem Fall würde es nicht mit dem ebenfalls von seinem Vater propagierten Fausthieb getan sein.
Als er noch ein paar Meter entfernt war, winkte er zur Begrüßung. Dann kniete er sich ins Gras und stellte einen kleinen, schwarzen, an den Seiten sanft nach innen gewölbten Würfel auf den Boden. Der Würfel klappte auf. Sofort spürte Sten ein leichtes Flirren in der Luft. Sr. Ecu trieb näher heran. Auch er kannte also so etwas wie Neugier. Sten drehte sich nicht um. Er konzentrierte sich auf den Würfel.
Die Vorstellung hatte begonnen.
Der Würfel verwandelte sich in die Bodenplatte eines kleinen holographischen Displays: eine bewegliche, Beinahe lebendige Kunstform, mit der Sten sich über viele Jahre hinweg die Zeit vertrieben hatte. Der Würfel, den er als Geschenk für den Manabi-Diplomaten ausgesucht hatte, war nicht so komplex wie einige andere Ensembles. Sten hatte schon Nachbildungen ganzer altertümlicher Sägewerke und Fabriken und Städtchen
zusammengebastelt, in denen unzählige aktive Arbeiter und Bewohner ihrem programmierten Tagewerk nachgingen. Dieses Hologramm war ein einfacher Bausatz, den er in weniger als sechs Stunden fertiggestellt hatte. Allerdings hatte er es in seinem Hobby inzwischen zu großer
Geschicklichkeit gebracht.
Doch es war nicht unbedingt der
Schwierigkeitsgrad eines Displays, der seine Aufmerksamkeit erregte. Manchmal war es die sorgfältige Zusammenstellung, oder es waren die eigenartigen Bewegungen oder auch nur die Aussage und Haltung, die dahintersteckten. Das Geschenk für Sr. Ecu hatte ein wenig von allen drei Aspekten zu bieten.
Der Würfel war jetzt verschwunden. An seiner Stelle war eine abgemähte Wiese zu sehen, die in eine Art Arena verwandelt war, umgeben von zusammengezimmerten hölzernen Tribünen, auf denen eine frohgelaunte Menschenmenge saß. Ihre Kleider entsprachen dem frühen zwanzigsten Jahrhundert auf der Erde, und wenn man ganz genau zuhörte, stammten auch ihre Kommentare aus dieser Zeit. Fliegende Händler bewegten sich durch die Menge und verkauften alle möglichen Sorten von Essen und Trinken. Gruppen winziger, wilder Jungs rannten umher und handelten sich hier und da ein wenig Ärger ein. Nachdem man den Anblick in sich aufgenommen hatte, fiel der Blick des Betrachters auf das eigenartige kleine Objekt in der Mitte.
Plötzlich fing das Objekt zu wackeln an und stieß eine kleine Rauchwolke aus, gefolgt von einem harschen Kaaaklacka. Sten spürte, wie der Manabi noch dichter herankam. Fühler streiften seine Schulter, als Sr. Ecu den optimalen Blickwinkel suchte. Bei dem Geräusch ließen die frechen Jungs ihre Streiche bleiben und rannten auf den Zaun zu, der den Platz umgab.
Noch ein Kaaaklacka, dann wurde es ein wenig offensichtlicher: was sie da beide betrachteten, war eine uralte Flugmaschine. Doppelte, mit Streben miteinander verbundene Flügel. Vorne an der gedrungenen Maschine war ein kräftiger kleiner Propeller befestigt. Im Cockpit saß ein winziger Pilot. Ein ebenso kleiner Mann im Overall der Bodencrew drehte den Propeller. Als das
explosionsartige Geräusch erneut ertönte, sprang er zur Seite. Diesmal blieb der Propeller in Bewegung, stotternd zwar und mit kleinen Rauchwölkchen, die aus der Maschine ausgestoßen wurden. Den Angaben des Herstellers zufolge rochen diese Gase garantiert nach Ca-stor-Öl. Sobald sich die Geräusche der Maschine rund anhörten, trat der Helfer im Overall die Holzklötze vor den Rädern weg, und schon bewegte sich das kleine Flugzeug über das Feld.
Dann brüllte die Maschine auf, und das Flugzeug raste los. Eigentlich hatte es nicht genug Platz, um aus dem Stadion davonzufliegen. Sten konnte die Spannung in dem geflügelten Wesen neben sich förmlich spüren. Der Pilot riß seinen Knüppel nach hinten, und das Flugzeug hob sich abrupt in die Luft.
Die Menge hielt den Atem an. Sten glaubte, die gleiche Reaktion neben sich wahrzunehmen.
"Dranbleiben, Sr. Ecu", dachte er. "Das Beste kommt noch!"
Der Doppeldeckerpilot begann seine Vorstellung mit einer tollkühnen Folge von Kurven, Wenden und Rollen.
"Das ist bei einer solchen Maschine unmöglich", hörte Sten es neben sich flüstern. Er antwortete nicht.
Dann ging das Flugzeug in einen langen Sturzflug über, senkrecht auf den Rasenplatz hinunter. Die Menge kreischte vor Schreck auf. Sr. Ecu, der alles über Anziehungskraft wußte, konnte nicht umhin, eines seiner kleineren Flügelchen zu bewegen.
Dadurch wurde sein Körper einige Zentimeter höher getrieben. Und immer noch raste der Doppeldecker auf das Feld zu. Erst im letzten Augenblick, als Sr.
Ecu die Spannung schon Kaum mehr ertragen konnte, zog der Pilot davon, wobei er nur knapp den Erdboden und damit ein holographisches Unglück verfehlte. Die Menge stöhnte erleichtert auf und erhob sich dann applaudierend von den Sitzen.
"Bemerkenswert", murmelte Stens Begleiter.
Der Pilot bedankte sich bei seinen Bewunderern mit einer langen Folge von Rollen, Sturzflügen und Schleifen. Dann brachte er seine Maschine wieder ins Gleichgewicht, und das Motorengeräusch veränderte sich. Das Flugzeug beschrieb einen anmutigen Bogen am Himmel. Weißer Rauch
strömte hinter ihm aus. Nach und nach wurde das Muster dieses Rauchfadens klarer.
Himmelsschrift!
"Was schreibt er da?" Sr. Ecu war bereits Stens emotioneller Gefangener geworden, zumindest bis zum Ende der Vorstellung. Wieder gab Sten keine Antwort.
Schließlich war der Pilot fertig. Die
Rauchbuchstaben hingen wie eine in großer Höhe flatternde Fahne über dem Feld. Sie sagten: Jeder kann fliegen
beim...
LUFTZIRKUS
Sten machte einen Schritt nach vorne und drückte auf die Seiten des Displays, woraufhin sich alles wieder in den kleinen schwarzen Würfel
verwandelte. Er hob ihn auf und reichte ihn Sr. Ecu.
"Wie finden Sie es?"
"Haben die Leute damals wirklich solche Sachen gemacht?" wollte Sr. Ecu wissen. "Sie müssen wissen, daß ich keine Vorstellung davon habe, wie es ist, durch einen dummen genetischen Zufall ständig an den Boden gefesselt zu sein. Mein Gott, wie sehr sie sich wünschten, fliegen zu können."
"Ja. Für ein bißchen Freiheit sind viele Wesen bereit, sehr viel zu riskieren", sagte Sten.
Der Manabi schwieg eine ganze Weile. Mit einem Flügelschlag glitt Sr. Ecu in einen langen, anmutigen Gleitflug über den See. Sten wußte, daß er die Namen auf der Schiefertafel auf dem Grund überflog, die Namen der jetzt für immer an den Boden gefesselten Bhor. .Mit einem weiteren Flügelschlag segelte er wieder zurück.
"Wo haben Sie das her?" erkundigte sich der Manabi.
"Ich habe es gebastelt", antwortete Sten.
"Eigentlich ist es nur ein Bausatz. Aber es macht Spaß."
"Wann haben Sie das gemacht?"
"Letzte Nacht."
"Dann haben Sie es also wirklich für mich gebaut." Es war die Bestätigung einer Erkenntnis, keine Frage.
"Ja."
Der Manabi blieb ganz ruhig.
"Äh ...", sagte er dann. "Lassen Sie uns anfangen
... Eine sehr gute Eröffnung, Admiral."
"Vielen Dank. Aber Sie haben recht. Lassen Sie uns anfangen.
Zunächst muß ich jedoch noch eine kleine Präambel loswerden. Ich hatte alles auf die beste diplomatische Form, die mir einfiel, ausgearbeitet, doch dann dachte ich: zum Teufel damit! Ich sollte lieber frei heraus sprechen und sagen, wie es steht."
"Fahren Sie fort."
"Zwischen uns stehen eine Menge
Hintergedanken. Nach einer Woche denke ich immer noch darüber nach, wie ich Ihnen meinen Fall schmackhaft machen könnte. Und Sie überlegen sich, wie Sie am besten nein sagen können und mich damit vom Hals hätten. Mit anderen Worten, wir hängen beide am Boden fest. Keiner von uns kommt voran und schon gar nicht aus dem Stadion heraus."
"Sehr zutreffend."
"Die Sache ist die", sagte Sten, "daß Sie fester am Boden kleben als ich."
Der Manabi bewegte sich überrascht.
Sten füllte noch einige weitere Leerstellen.
"Sehen Sie, von meiner Warte aus stecken Sie noch in einer vorhergehenden Aktion fest. Eine, die Sie jetzt nicht mehr für besonders klug halten. Ärgerlich ist nur, daß man sie nicht mehr zurücknehmen kann.
Wahrscheinlich müssen Sie sich sogar fragen, ob wir eine Art Erpressung vorhaben. Werden wir die Keule des Verrats über Ihnen schwingen, um auf diese Weise Ihre fortgesetzte Unterstützung zu erzwingen?"
"Nun? Werden Sie es tun?"
Sten ließ Sr. Ecus besorgte Frage eine Weile in der Luft hängen.
"Nein. Natürlich nicht", sagte er dann mit fester Stimme - ein Versprechen.
"Sprechen Sie damit für alle Beteiligten?"
"Ja."
"Warum sind Sie so ... großmütig? Oder ist das nur vorübergehend?"
"Wenn wir versagen, stecken alle im selben Dreck. Inklusive der Unterstützer des
Privatkabinetts. Wenn das hier vorüber ist, läßt mich der Gedanke daran, daß es einige Manabi gibt, die beim Aufklauben der Scherben helfen, beruhigter in meinem Grab schlafen. Was Ihre andere Frage angeht: Nein, es ist nicht nur vorübergehend. Aus dem gleichen Grund.
Aber mein eigentlicher Grund ist die Loyalität.
Sie haben damals Ihre neutrale Ecke verlassen, um den Imperator zu unterstützen. Deshalb haben Sie Mahoney überhaupt zugehört, als er Kontakt mit Ihnen aufnahm, aus der gleichen Loyalität heraus.
Eigentlich wäre Logik inzwischen ein besseres Wort dafür. Die gleiche Logik, die Sie damals auf die Seite des Ewigen Imperators führte, nämlich eine Prognose von gleich Null für jede Zukunft ohne ihn.
Das brachte Sie dazu, sich von Ian umstimmen zu lassen. Würden Sie mir da beipflichten?"
"Wiederum ...ja."
"Jetzt haben Sie miterleben müssen, wie Mahoneys Plan fehlschlug. Leider. Inzwischen werden im ganzen Imperium Wesen
zusammengetrieben und dem Gehirnscanner
unterworfen - um anschließend in den Schlachthof zu wandern. Kein Wunder, daß Sie uns nicht rückhaltlos vertrauen. Mir erginge es ebenso."
"Sie argumentieren weitaus besser für meine Seite, als ich es könnte", erwiderte Sr. Ecu. "In meiner Branche bedeutet das, daß ich noch einiges an Informationen zu erwarten habe."
"Stimmt genau. Zunächst einmal: was da geschehen ist, war mein Fehler. Nicht der von Mahoney Er hatte zwar das Kommando, doch ich war vor Ort, persönlich, und ich habe einfach nicht rechtzeitig losgeschlagen. Ich habe diese Kiste zu Bruch geflogen, nicht Mahoney"
"Höchst bewundernswert, wie Sie die Verantwortung auf die eigenen Schultern laden, doch das unterstreicht nur meine Unsicherheit und meine Vorbehalte, mich mit Ihnen auch nur zu treffen. Haben Sie etwa noch einen, wie lautet noch die Formulierung, die Ihre Spezies bevorzugt... ein As im Ärmel?"
"Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Was ich momentan habe, ist Ihre Aufmerksamkeit. Lassen Sie mich Ihnen erklären, was als nächstes geschehen wird. Falls Sie sich wieder in Ihre falsche Neutralität zurückziehen.
Wir werden uns nicht weiter darum kümmern.
Aber das Privatkabinett? Wie lange wird es dauern, bis seine Paranoia auch die Manabi erfaßt? Wenn die AM2-Situation schlimmer wird, werden sie sich bald nach neuen Möglichkeiten umsehen. Die Honjo waren nur die ersten. Andere werden folgen.
Wieviel AM2 liegt in den Depots Ihres Clusters?
Ist es genug, um sie in Versuchung zu führen?"
Sr. Ecu mußte darauf nicht antworten. Sie wußten beide, daß die Manabi mehr als genug hatten.
"Können Sie sie aufhalten? Haben Sie die Mittel dazu, ganz zu schweigen vom Willen? Ich rede hier nicht von Mut. Ich rede von reiner Niedertracht.
Sich eingraben wie die Honjo. Fest entschlossen, für jeden Quadratzentimeter Boden zu sterben. Können sie das? Sind Sie dazu bereit?"
Wiederum gab es darauf nur eine einzige
Antwort. Die Manabi waren Diplomaten, keine Krieger.
"Was schlagen Sie vor?" fragte Sr. Ecu. Das hieß noch lange nicht, daß er sich darauf einließ, sondern nur, daß er bereit war zuzuhören. Doch jetzt, wo Sten den Manabi geködert hatte, wollte er ihn eine Zeitlang zappeln lassen. Auf keinen Fall wollte er diesen fliegenden Fisch wieder vom Haken lassen.
"Ich möchte nur, daß Sie zusehen und sich ein wenig gedulden", sagte Sten. "Ich muß zunächst noch etwas erledigen, denn ich möchte Ihnen zeigen, daß wir den Willen und die Möglichkeiten dazu haben. Im Gegenzug ..."
"Ja", stimmte Sr. Ecu ganz abrupt zu.
"Im Gegenzug ... erbitte ich mir Ihre Zusage, sich wieder mit mir zu treffen. Oder mit Mahoney, falls sich das als die bessere Lösung erweisen sollte.
Wahrscheinlich werde ich ohnehin beschäftigt sein.
Also wohl eher mit Ian. Falls Sie zustimmen.
Werden Sie wenigstens das tun?"
Wie hätte ihn Sr. Ecu zurückweisen können? Er wies ihn nicht zurück. Statt dessen fragte er, ob er sein Geschenk noch einmal sehen konnte. Er wollte den Luftzirkus besuchen - wo jeder fliegen konnte.
Alles verlief genau so, wie Sten es vorausgesagt hatte. Kaum war Sr. Ecu in seine Heimat
zurückgekehrt, da fand er auch schon eine Einladung vor, sich mit einem Mitglied des Kabinetts zu treffen. Eigentlich war es keine Einladung. Es war eine Vorladung.
Die Kabinettsmitglieder hatten lang und breit darüber diskutiert, wie sie mit den Mahabi verfahren sollten. Bis jetzt hegten sie noch keinen Verdacht gegen sie. Doch ihre Säuberungsaktionen und besonders die langwierige, verlustreiche Invasion des Hoheitsgebietes der Honjo hatten im ganzen Imperium Empörung hervorgerufen. Sie mußten jetzt unbedingt darauf achten, daß nicht alles auseinanderfiel, zumindest nicht sofort. Um das durchzusetzen, brauchten sie die Unterstützung der Manabi, und zwar dringend.
Es gab einige Diskussionen, wen man damit betrauen sollte. Malperin stand am höchsten im Kurs, weil sie über das meiste diplomatische Geschick verfügte, jedenfalls soweit das bei einem Geschäftswesen möglich war. Doch sogar sie hielt einige Rückschläge für möglich. Falls Sr. Ecu die kleinste Schwäche spürte, waren sie verloren, sagte sie. Sie mußten aus einer Position der Stärke heraus handeln. Was sie brauchten, sei vielmehr ein Meister der Grundsätze.
Also wurde Lovett entsandt.
Das bedeutete, daß es nicht viel Getändel geben würde.
Lovett suchte sich absichtlich einen kleinen, schäbigen Park für ihre Zusammenkunft aus. Dem eleganten Manabi blieb nicht viel Raum zum Manövrieren, und kaum war er über den Zaun hereingeflogen, da verklebten bereits Schmutz-und Staubpartikel seine sensiblen Führer. Lovett wartete so lange, bis Sr. Ecu anfing, sich richtig unwohl zu fühlen. Der kräftige schwarze Glanz des Manabi-Körpers war bereits einem stumpfen Grau gewichen.
Der reizende rote Rand sah wie ein kränkliches Orange aus. Erst dann ging er auf ihn zu.
"Wir möchten von Ihnen eine Aussage", sagte er.
"Ich habe hier eine Kopie von dem, was wir mit Ihnen vorhaben. Geben Sie Ihre Zustimmung gleich, lesen können Sie es später, wenn Sie Zeit dazu haben."
"Wie überaus umsichtig von Ihnen", gab Sr. Ecu zurück. "Aber zuerst sollte ich genau wissen, wozu wir eigentlich unsere Zustimmung geben sollen.
Besonders das Thema wäre ungemein erhellend."
"Es geht um diese Attentatsgeschichte", blaffte Lovett. "Sie wissen schon ... Sie sagen, daß Sie es bedauern, etcetera etcetera."
"Selbstverständlich bedauern wir es", pflichtete ihm Sr. Ecu bei. "Mehr Sorgen macht mir das Etcetera."
"Ach das ... das ist keine große Sache. Da sind nur die Verantwortlichen aufgelistet... ihre Bestrafung wird verlangt, solche Sachen. Oh... und, richtig, die Honjo. Wir gehen davon aus, daß jedes einigermaßen vernünftige Wesen uns darin unterstützt, das verbliebene AM2 von ihnen zu befreien. Wir können unmöglich den ganzen Treibstoff unzurechnungsfähigen Irren wie diesen Honjo überlassen. Die machen damit, was sie wollen, und wann sie wollen.
Ich meine ... die ganze Chose ist legal
abgesichert, keine Frage. Unsere Aktionen, meine ich. Wir lizensieren das AM2. Deshalb haben wir auch das Recht dazu, zu überwachen, ob es richtig genutzt wird."
"Verstehe", sagte der Manabi und meinte es wirklich so.
"Darum geht es im wesentlichen. Haben Sie Probleme damit?" Lovett sprach so gereizt wie möglich. Er wollte sichergehen, daß kein Zweifel daran bestand, was geschehen würde, wenn Sr. Ecu sich weigerte. Also fügte er noch einige Sätze hinzu:
"Verstehen Sie, wenn Sie nämlich Probleme damit haben, dann kriegen wir alle Probleme. Meine Freunde im Kabinett wollen genau wissen, auf welcher Seite Sie stehen. Wir leben in schwierigen Zeiten. Schwierige Zeiten erfordern harte Maßnahmen. Sie stehen entweder auf unserer Seite oder auf der der Honjo. Einverstanden?"
Sr. Ecu war damit überhaupt nicht einverstanden.
Trotzdem war er nicht so dumm, sich zu einem Nein verleiten zu lassen. Statt dessen erklärte er, daß er so überstürzt zu dem Treffen geeilt sei, daß die Zeit nicht mehr gereicht hatte, eine Vollmacht für eine Blankozustimmung von seilen seiner Regierung zu erhalten. Er entschuldigte sich für das schreckliche Versäumnis seinerseits, doch es sei nun einmal eine unerläßliche Formalität, sonst könne er nicht legal für alle Manabi sprechen. Und das war es doch, was Lovett wollte, oder?
"Nein. Ich will die Sache über die Bühne bringen.
Ich will keine Schlupflöcher, durch die sich irgendwelche gerissenen Rechtstypen später hinauswinden können. Na schön. Besorgen Sie sich alle Vollmachten, die Sie brauchen. Alle. Und so schnell wie möglich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
Sr. Ecu bestätigte Lovett, daß er mit
unmißverständlicher Klarheit gesprochen habe.
Das Ultimatum des Kabinetts plazierte Mahoney auf das, was Kilgour den Sitz der Spottdrossel nannte. Ian wußte nur ungefähr, was eine Spottdrossel sein sollte, doch er hatte nicht die geringste Ahnung davon, welche Art von Sitz dieses Wesen bevorzugte. Wahrscheinlich etwas ziemlich Luftiges, nahm er an. Und Mahoney wußte, daß er nicht weit danebenliegen konnte, als ihm der lange Tanz erspart blieb, den Sten bei den ursprünglichen Verhandlungen mit dem Manabi durchlitten hatte.
Sr. Ecu kam direkt auf den Punkt. Ohne
Vorgeplänkel schilderte er die Situation zwischen Regen und Traufe, in die ihn Lovett manövriert hatte. Beide Optionen waren nicht annehmbar.
Ian sagte nicht: "Das haben wir Ihnen doch gleich gesagt." Er vergeudete auch nicht Sr. Ecus Zeit, indem er versuchte, ihn zu trösten. Statt dessen war er ebenso direkt wie der Manabi. Er teilte ihm Stens Plan in groben Umrissen mit.
Was dem jungen Admiral vorschwebte, erklärte er, war eine Anklage wegen Mordes. Die Verhandlung würde von einem unabhängigen Tribunal geleitet werden, das sich aus den renommiertesten Wesen des Imperiums zusammensetzte. Die frühere und unverbrüchliche Loyalität jedes dieser Repräsentanten mußte natürlich außer Frage stehen. Um sicherzugehen, daß das Verfahren unanfechtbar war, schlug Sten Sr. Ecu als neutralen Schiedsrichter vor.
Ihm allein würde die Autorität zugestanden, zu überprüfen, daß alle Beweise und Zeugenaussagen mit absoluter Fairneß gehandhabt wurden.
Während des Tribunals würden Sten und
Mahoney ihr absolut Möglichstes tun, um Wohl und Sicherheit eines jeden Mitglieds zu gewährleisten.
"Wie wahrscheinlich ist das denn?" fragte Sr.
Ecu.
"Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Deshalb sagte ich, wir würden unser Bestes tun. Mehr nicht."
"Das ist einleuchtend", sagte Sr. Ecu. "Und fair."
Mahoney zeigte sich über die Antwort nicht sehr erstaunt. Es war eine weitaus bessere Zusicherung als alles, was das Kabinett bisher geboten hatte. Er führte aus, daß er und Sten dafür sorgen würden, daß jeder Augenblick der Verhandlung so weit wie möglich ausgestrahlt und verbreitet würde. Es war Stens Anliegen, daß jedes Wesen, egal wie weit entfernt oder auf welcher Entwicklungsstufe, die Möglichkeit haben sollte, die ungefärbten Details des Verfahrens zu verfolgen. Er mußte nicht eigens andeuten, daß das Kabinett alles mögliche unternehmen würde, um eine derartige
Öffentlichkeit zu verhindern.
"Werden Sie ihnen erlauben, sich selbst zu verteidigen?" wollte Sr. Ecu wissen.
"Natürlich."
"Sie werden ablehnen."
"Wirklich?"
Sr. Ecu überlegte einen Moment. "Ja, ich glaube schon."
Man mußte nicht eigens erläutern, daß sich die Kabinettsmitglieder, sollten sie vom Tribunal für schuldig befunden werden, keinesfalls zerknirscht in die Hände ihrer Gefängniswärter begeben würden.
Sten kam es jedoch auf das moralische Gewicht an, auf möglichst viel Gewicht, um die Waagschalen in die andere Richtung zu bewegen. Wenn man korrekt damit umging, konnte eine derartige Entscheidung so viele Löcher in den Machteimer des Privatkabinetts reißen, daß ihnen sämtlichen Verbündeten aus den Lecks davonsickerten. Was hatten sie denn außer AM2 zu bieten? Und wie sich herausgestellt hatte, konnten sie schon bald nicht einmal mehr das liefern.
"Wer soll die Mitglieder auswählen?" lautete Sr.
Ecus nächste Frage.
Mahoney antwortete, daß eine derartig
verantwortungsvolle Aufgabe nur einem Manabi anvertraut werden könne. Das gleiche galt für die Aufgabe, sich mit Leuten zu treffen, die für verschiedene Ämter in Frage kamen. Sr. Ecu mußte eine völlig geheime Aktion starten, von einem System zum anderen tingeln und dabei sicherstellen, daß er keine Spuren hinterließ. Dabei sollte er jede erdenkliche Freiheit haben, nicht nur aus Gründen des Vertrauens und der Geheimhaltung, sondern auch aus praktischen Gründen. Wer, außer dem Ewigen Imperator, konnte sich schon solcher Fertigkeiten rühmen?
Sr. Ecu machte sich so seine eigenen Gedanken zum Imperator, teilte sie Mahoney jedoch nicht mit.
Er wäre nicht wenig erstaunt darüber gewesen, daß Ians Gedanken sich nicht allzusehr von den seinen unterschieden. Auch Mahoney hätte nicht schlecht gestaunt, wenn er gewußt hätte, daß die
Gedankengänge dieses Wesens einen großen Einfluß auf seine Entscheidung ausübten.
Während der Manabi allmählich zu einem
Einverständnis kam, blitzte in Mahoneys Überlegungen der zweite Teil von Stens Plan auf. Er hatte sich nicht näher über die Gründe von Stens Abwesenheit ausgelassen. Dafür war nicht unbedingt ein Mangel an Vertrauen verantwortlich, sondern eher die alte, unverbrüchliche Regel des Mercury Corps: "Wer muß was wirklich wissen?" Abgesehen davon hätte er auch nicht genau gewußt, wie Sr. Ecus Entscheidung ausgefallen wäre, wenn er ihm von der Mission erzählt hätte. Wenn Sten dieses Mal versagte, war alles verloren. Dann wäre auch ein unabhängiges Tribunal nur noch eine bedeutungslose Fingerübung.
"Eine letzte Frage noch", sagte Sr. Ecu. "Auf welcher rechtlichen Grundlage steht dieses Tribunal? Was nutzt uns die ganze Geschichte, wenn wir rechtlich nicht dazu ermächtigt sind?"
"Es gibt keine", erwiderte Mahoney "Doch Sten wußte, daß Sie sich danach erkundigen würden. Er sagte, ich solle Ihnen mitteilen, daß er nicht die leiseste Ahnung hätte. Unserem Kommando
unterstehen nun mal keine Regimenter voller Imperialer Rechtswissenschaftler."
"Allerdings nicht", sagte Sr. Ecu. "Mein Problem liegt nur darin, daß ich mir keinen Umstand vorstellen kann, unter dem selbst der Imperator eine derartige Aktion gutgeheißen hätte. Er hätte niemandem soviel Macht zugestanden. Nicht über sich selbst. Unser Problem besteht darin, daß das Kabinett in seinem Namen handelt. Mit den gleichen Vorrechten und gesetzlichen Möglichkeiten."
"Oh, davon verstehe ich nichts", sagte Mahoney.
"Aber so alt wie dieses Imperium inzwischen ist, müßte etwas Vergleichbares doch schon mindestens einmal vorgekommen sein."
"Ich glaube, da haben Sie recht", meinte Sr. Ecu.
"Und einmal würde uns schon reichen... Na schön, ich werde mich darum kümmern."
Flottenmarschall I Mahoney war sehr erleichtert.
Er und der Manabi klopften noch einige weitere Details fest, dann war es Zeit, sich voneinander zu verabschieden. Sr. Ecu sagte beim Abschied etwas, über das Mahoney noch eine ganze Weile
nachzugrübeln hatte.
"Ach ja ... Ich habe noch eine Botschaft für Ihren jungen Admiral", sagte Sr. Ecu.
"Ja?"
"Richten Sie ihm doch bitte aus, auf welcher Mission er sich auch gerade befindet... Falls er versagen sollte ..."
"Ja?" In Mahoneys Stimme klang eindeutig ein bißchen mehr Spannung mit.
"Sagen Sie ihm, ich würde ihn trotzdem gerne wiedersehen. Egal, wie die Sache ausgeht. Und ich hoffe nur, daß es irgendwo sein wird, wo alle Wesen fliegen können."
"Wird er das verstehen?"
"Aber ja. Ganz bestimmt."