Kapitel 25
Der Schlüssel zum Königreich sah ziemlich unauffällig aus; absichtlich. Es war ein kleiner Mond, einer von mehreren Dutzend größeren und kleineren Monden, die um einen jupiterähnlichen Planeten kreisten. Das System war aus zwei Gründen erwähnenswert: es hatte keinerlei kommerziellen Wert, und es lang zwei Schritte jenseits von nirgendwo.
Der kleine Mond war vor mehreren
Jahrhunderten ausgebaut worden. Man hatte dafür einen Asteroiden aufgrund seiner Größe und seiner Wertlosigkeit ausgesucht und Raumarbeitstrupps dafür bezahlt, daß sie nach einem bestimmten Vorgabemuster Gräben in diesen Asteroiden gruben und anschließend Kabel in diese Gräben verlegten.
Danach wurden die Gräben wieder zugeschüttet. Die erste Mannschaft wurde ausgezahlt und den Leuten erzählt, daß ihre Arbeit Teil eines geheimen Imperialen Projekts sei. Dann brachte man eine zweite Mannschaft herbei, die einen kleinen unterirdischen Schutzraum errichtete, und außerdem, in nur wenigen Kilometern Entfernung, ein unterirdisches Dock, das von dem Schutzraum durch einen steilen Höhenzug getrennt war. In den Schutzraum hinein wanderten Generatoren, Versorgungsgüter und mehrere höchst moderne, nicht näher bezeichnete Funkgeräte. Dann wurde die zweite Mannschaft ausgezahlt. Im Lauf der Zeit kamen die Leute, die bei den Arbeiten der einen oder anderen Mannschaft beteiligt waren, zu dem Schluß, daß das Geheimprojekt wohl ein Fehlschlag gewesen sein mußte, ein abgebrochenes
Forschungsprojekt wie viele andere auch.
Robotschlepper transportierten den Asteroiden in die für ihn vorgesehene Umlaufbahn um einen gasförmigen Riesen und verankerten ihn dort. Später schickte man in dieses System mehrere Mantis-Teams, die von der Existenz des Asteroiden nichts wußten und dort ein leistungsstarkes
Überwachungssystem Installierten.
Es gab noch vier andere "Schlüssel" an anderen Stellen des Universums, deren Standort allein der Ewige Imperator kannte. Sie alle dienten demselben Zweck.
Die Funkgeräte waren so ausgerichtet, daß sie nur den Ewigen Imperator akzeptierten, und sie enthielten jede erdenkliche
Überprüfungseinrichtung, von DNA-Mustern bis zu Porenabdrücken, sogar die bestechende Bertillon Classification. Sollte jemand anderer den Schutzraum betreten, schmolzen die Coms binnen weniger Sekunden zu wertlosen Klumpen
zusammen.
Die Coms waren mit einem Schiff gekoppelt, irgendwo in ... einem anderen Raumabschnitt...
sowie mit den vollautomatisierten
Schürf/Fabrikschiffen ringsum. Auf ein bestimmtes Signal hin würde die Anforderung durch das Schiff sich verändern und die Verschiffung von AM2
beginnen.
Der lange Zug aus "Robottankern" konnte ebenfalls von dem kleinen Mond aus kontrolliert werden. Unter "normalen" Umständen, etwa wenn der Ewige Imperator durch einen Unfall ums Leben gekommen war, konnten sie zu den herkömmlichen Depot-Welten dirigiert, unter anderen Umständen jedoch auch zu anderslautenden Zielen umgeleitet werden. Um die Getreuen zu belohnen und die Heiden zu bestrafen - oder umgekehrt, je nachdem, welchen Weg der Imperator für den schnellsten und wirkungsvollsten hielt, um die Kontrolle wiederzuerlangen.
Der Ewige Imperator näherte sich dem System.
Er hatte keinerlei Eile. Wiederholt vergewisserte er sich mittels der hochmodernen Empfänger, die auf seinen Wunsch hin von den Technikern des dankbaren Kenna zusätzlich im Schiff installiert worden waren. Zeigte auch nur einer der Sensoren ein unbefugtes Eindringen in das System an - ein verirrtes Schürfraumschiff, einen Robotschlepper oder auch nur eine umherziehende Yacht -, so gab es nur eine Möglichkeit. Sofortiger Abbruch und Wechsel zu einem anderen Mond, der als sekundärer Kommandopunkt in Frage kam.
Die Sensoren außerhalb des Systems meldeten jedoch nichts. Der Imperator flog einen weiten Bogen um das ganze System. Nichts. Ermutigt tauchte er wieder in das System ein und näherte sich dem gasförmigen Riesen. Sämtliche Empfänger waren sauber.
Er ging auf der dem Schutzraum
gegenüberliegenden Halbkugelseite auf dem kleinen Mond nieder und hielt das Schiff kurz über dem Dock in der Schwebe. Die Schleusen gähnten ihn an, und wieder meldeten sämtliche Empfänger keine Bedenken. Er landete.
Der Imperator stieg in einen Anzug, überprüfte alle Versorgungssysteme und machte sich auf den Weg zum Schutzraum.
Auf halbem Weg den Bergrücken hinauf
murmelte er vor sich hin, daß er wirklich zu paranoid war. Es war nicht gerade einfach, sich auf einer Welt fast ohne Schwerkraft auf dem Boden zu halten. Allerdings verspürte er keine Lust zu hüpfen, falls ihn doch jemand in der Kuppel erwartete, und er wollte sich auch nicht in den Orbit katapultieren.
Nicht nur, daß es zu peinlich war, mit Hilfe der Düsen zurückzufliegen, er wäre in diesem Fall auch, sollte doch jemand im Hinterhalt liegen, viel zu leicht zu entdecken.
Wenige hundert Meter vom Eingang des
Schutzraums entfernt, der wie viele andere Höhleneingänge anderswo auch mit einem
Gleitblock verschlossen war, wartete er geschlagene sechs E-Stunden und beobachtete die Umgebung.
Nichts. Alles schien sauber zu sein.
Das Umgebungssystem des Anzugs jaulte, als es versuchte, die Temperatur zu stabilisieren und den Schweiß, der dem Körper des Imperators entströmte, zu recyceln. Seine Finger berührten unbewußt seine Brust. Unter dem Anzug, der Haut und den Muskeln wartete die Bombe.
Er klappte das Holster seiner Pistole auf und zog ein winziges Com vom Gürtel, aus dem er eine stabförmige Sonde hervorzog. Eilig überquerte er das restliche offene Gelände und befand sich jetzt vor dem blockierten Eingang. Dort schob er die Sonde in ein fast unsichtbares Loch und drückte auf einen Knopf. Nach einem kurzen Augenblick glitt die Wand geräuschlos zur Seite. Der Imperator spürte die Vibration unter den Stiefelabsätzen.
Er betrat die Höhle. Die Tür glitt hinter ihm wieder zu. Licht flammte auf. Er überprüfte eine Konsole mit verschiedenen Apparaturen. Wieder keine Anzeichen dafür, daß jemand die Räume betreten hatte. Die Heizelemente sprangen an und gingen auf volle Touren, Atmosphäre wurde in den Schutzraum gepumpt. Sehr gut.
Er näherte sich einer Tür, legte die Handfläche darauf, und die Tür glitt zur Seite. Dahinter befand sich eine kleine Suite mit Schlafzimmer, Küche und Wohnräumen. Er schloß die Tür hinter sich und warf einen Blick auf eine weitere Konsole. Atmosphäre...
95 Prozent Enormal. Temperatur... akzeptabel. Er öffnete das Visier.
Plötzlich verspürte er großen Hunger. Der Imperator hoffte, daß er für einigermaßen adäquate Rationen gesorgt hatte. Er ging zum Eingang des Com-Raums hinüber -
und die Welt stürzte
zusammen! Nicht blinkende Anzeigen und
staubfreie Funkanlagen erwarteten ihn, sondern erkaltete Massen geschmolzenen Metalls.
Sofort sprang das Signal in seinem Gehirn an.
Aufgeflogen... Falle... Entdeckt...
Selbstzerstörung! Selbstzerstörung!
Ein anderer Teil seines Gehirns hielt dagegen: Nein. Warte. Falle nicht bestätigt. Zu viel Zeit.
Programm kann nicht ohne ernsthafte Gefährdung des Ziels neu gestartet werden! Zurück auf Standby!
Programm außer Kraft setzen!
Die Bombe explodierte nicht. Nicht einmal dann, als die Tür zum Lagerraum aufglitt und eine Stimme sagte: "Meine Sicherheitsleute waren nicht so hervorragend, wie ich gedacht hatte."
Der Imperator erblickte eine Gestalt in einem Raumanzug, groß und hager. Ein Arm hob sich und die Hand öffnete das Visier des Anzugs. Es war Kyes.
Wieder der Befehl... und wieder wurde, warum auch immer, der Befehl außer Kraft gesetzt.
"Außer mir, und selbstverständlich Ihnen, befindet sich niemand in diesem ganzen System", sagte Kyes.
Der Imperator stellte fest, daß er wieder fähig war zu denken. Da er jedoch wußte, daß seine Stimme noch nicht soweit war, sagte er vorläufig nichts.
Kyes wartete einen Moment und fuhr dann selbst fort.
"Ihr Auftauchen hier, und die geplante Rückkehr auf den Thron, das ist schon sehr clever eingefädelt.
Es erinnert mich ein wenig an eine Legende von der Erde, die ich einmal gelesen habe. Es ging um einen Menschen namens Theseus, wenn ich mich recht entsinne."
"Ganz so clever kann es nicht gewesen sein", brachte der Imperator jetzt heraus.
"Das stimmt nicht. Jeder, der Sie suchen, geschweige denn finden will, muß zunächst einmal von einer verrückten Annahme ausgehen: daß Sie nicht gestorben sind. Außerdem braucht er unglaubliche Ressourcen."
Kyes nickte zu den zerstörten Com-Anlagen hinüber.
"Ich möchte mich für die Unfähigkeit meines Personals entschuldigen. Aber ich bin sicher, daß außer dieser Station noch andere existieren. Die Wiederaufnahme der AM2-Lieferungen kann
durchaus bewerkstelligt werden; aber das ist bedeutungslos für mich."
Der Imperator dachte kurz über diese Bemerkung nach. Die Situation wurde allmählich ... nicht vertraut, aber immerhin verständlich und möglicherweise handhabbar. Erste Annahme: Kyes wollte ihm eine Geschäft vorschlagen und seine Mitverschwörer hintergehen. Nein. Er hatte ja gesagt, daß er keinen Wert auf das AM2 legte. Kyes wollte etwas anderes.
"Sie sagten, Sie und ich seien die einzigen Wesen in diesem System. Um die Frage zu stellen, die auf der Hand liegt: was hält mich davon ab, Sie einfach zu erschießen und zu fliehen?"
"Warum sollten Sie so etwas tun?" fragte Kyes erstaunt. "Rache? Das ist kein passendes Motiv, und schon gar nicht eines Imperators würdig. Besonders angesichts der Tatsache, daß unser Versuch, die ...
die Machtfolge zu verändern ... sich als Fehlschlag erwiesen hat."
Fehlschlag? Sofortanalyse: Kyes Bemerkung,
"daß Sie nicht gestorben sind", und jetzt das. Die Situation entwickelte sich immer besser. Kyes hatte nicht alles verstanden.
"Selbst wenn Sie sich von Ihrer Laune hinreißen ließen..." Kyes nahm einen kleinen Sender vom Gürtel. "Ein gewöhnlicher Lebenszeichen-Transmitter. Wenn er aufhört zu senden, erscheint sofort mein Team auf dem Plan. Ich glaube nicht, daß Sie ihrem Netz entkommen würden."
"Sie verlassen sich da auf gewagte Spekulationen, Sr. Kyes. Ich bin bekannt dafür, daß ich mich gelegentlich zu merkwürdigen Dingen hinreißen lasse. Das Privileg der Fürsten, wenn Sie so wollen."
"Das ist richtig. Als ich herausfand, wohin Sie wollten, dachte ich zunächst an einen Hinterhalt, bei dem ich mich sicher im Hintergrund gehalten hätte.
Betäubungsgewehre ... Gas ... dergleichen. Sie sofort bewegungsunfähig machen, Sie unter Drogen halten, bis ich mich Ihrer Gedanken hätte bemächtigen können. Aber keiner dieser Pläne überzeugte mich.
Sie sind in der Vergangenheit bereits durch zu viele Netze geschlüpft. Außerdem ... hätten Sie bei Gewaltanwendung meinerseits mein Angebot bestimmt abgelehnt."
"Ich höre."
"Zunächst einmal biete ich Ihnen meine uneingeschränkte persönliche Loyalität und Unterstützung an. Ich werde alles unternehmen, sei es von innen oder von außen, um das Privatkabinett zu stürzen.
Ich versuche nicht, Sie zu überzeugen, daß meine Hilfe den Ausgang, den ich für unvermeidbar halte, entscheidend beeinflußt. Aber ich könnte den Fall des Kabinetts beschleunigen und vielleicht den Schaden begrenzen, den die anderen bei ihrem Niedergang womöglich anrichten.
Und sobald unser Imperium wieder errichtet ist, biete ich Ihnen meine fortgesetzte Loyalität und Unterstützung an."
"Man gewöhnt sich schnell dran, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen", konterte der Imperator.
"Das wird nicht geschehen. Nicht, wenn Sie Ihren Teil unserer Abmachung einhalten.
Aber das liegt nicht in meiner Entscheidung.
Vielleicht ist es Ihnen lieber, nicht an... daran erinnert zu werden, was in meiner Gegenwart geschah. In diesem Falle akzeptiere ich das Exil, was jedoch mein Angebot, Ihnen auf jede denkbare Art dienstbar zu sein, keineswegs schmälert.
Wie auch immer, ich kann noch etwas weitaus Wichtigeres anbieten. Meine gesamte Spezies als Ihre bereitwilligen Sklaven - nein, "Sklaven" ist nicht das richtige Wort. Aber im Grunde genommen wären wir genau das, falls Sie sich vorstellen können, daß ein Sklave freiwillig in seine Ketten hüpft.
Auch das kann leicht erreicht werden."
"Ihr Volk wäre mir zweifelsohne willkommen", sagte der Imperator, "wenn es sich dazu entschlösse, das Imperium zu stützen. Etwas, das - außer mir entgeht hier etwas -, das leicht erreicht werden kann, wie Sie sich soeben ausgedrückt haben."
"Sie täuschen sich."
"Na schön. Und was habe ich Ihnen Besonderes zu bieten?" fragte der Imperator, obwohl ihm plötzlich siedendheiß bewußt wurde, wie die Antwort lautete.
"Das Leben", sagte Kyes heiser, beinahe krächzend. "Die Unsterblichkeit. Ich nehme an, Sie haben eine Vorstellung von der Tragödie des Todes.
Aber was, wenn Sie sich zu einer vorherbestimmten, biologisch festgesetzten Zeit ereignet, zu einer Zeit, in der sich ein Lebewesen auf dem Höhepunkt seiner Macht und seines Bewußtseins befindet? Das ist die Tragödie unserer Spezies.
Ich möchte - für mich und mein Volk - das ewige Leben erbitten. Die gleiche Unsterblichkeit, die auch Sie besitzen.
Ich habe Ihnen eine Abmachung angeboten. Ich setze noch eins drauf. Ich stehe für alles ein, was ich gesagt habe, wie auch immer. Und als Ihr Untertan bitte ich Sie um dieses Geschenk."
Kyes kniete sich umständlich nieder.
Dann herrschte Schweigen, unendliches
Schweigen.
"Sie armer, bemitleidenswerter Wicht", sagte der Imperator schließlich.
Kyes erhob sich. "Wie können Sie meine Bitte nur zurückweisen? Wie können Sie meine Logik ignorieren? Meine Versprechungen?"
Der Imperator wählte seine Worte mit Bedacht:
"Logik ... Versprechungen ... haben damit nichts zu tun. Hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich bin unsterblich. Aber dieser Körper", damit tippte er sich gegen die Brust, "ist es nicht. Sie verlangen etwas von mir, das ich Ihnen nicht geben kann.
Ihnen nicht, und auch keinem anderen Wesen oder einer anderen Rasse oder Spezies."
Kyes' Augen flammten wie brennende Lanzen.
"Ist das wahr?"
"Ja."
Kyes glaubte ihm. Aber sein Blick blieb
weiterhin bohrend auf ihn gerichtet. Der Imperator drehte sich weg, und wieder entstand ein langes Schweigen. Dann griff der Ewige Imperator tief in seine Trickkiste.
"Vielleicht... vielleicht gibt es da einen Kompromiß. Ich bin geneigt, ein Gegenangebot zu machen. Sie helfen mir dabei, das Kabinett zu vernichten, und ich werde die Quellen für ein Forschungsprogramm auftun, das so ausgestattet sein wird wie ein Manhattan-Projekt.
Vielleicht dauert es Generationen. Ein solches Programm wird weder Ihnen noch Ihrer Generation helfen - falls überhaupt eine Lösung gefunden wird.
Aber es ist das beste Angebot, das ich Ihnen machen kann."
Er wandte sich wieder um. Kyes hatte sich nicht bewegt.
"Es ist gewiß unbefriedigend", fing der Imperator noch einmal an, "im Vergleich zu dem, was -" Er hielt inne.
Der Grb'chev reagierte in keiner Weise auf seine Worte. Der Imperator bewegte sich aus Kyes'
Blickrichtung. Weder Kyes' Augen noch sein Kopf folgten ihm. Der Imperator ging auf ihn zu und wedelte ihm mit der Hand vor den Augen. Keine Reaktion.
Vielleicht war es der Schock gewesen, daß es für Kyes und seine Spezies keinen Heiligen Gral geben würde. Vielleicht war es auch weniger dramatisch er war ohnehin weit über seine Zeit.
Kyes' Mund klappte auf. Verdauungssäfte
tropften heraus.
Der Imperator überprüfte rasch die
Lebensfunktions-Anzeigen. Alle körperlichen Funktionen ... normal.
Er schloß das Visier an seinem Anzug und eilte auf den Ausgang zu, drehte sich dann jedoch noch einmal um.
Der Idiot, der einmal Kyes gewesen war, stand noch immer unverändert auf demselben Fleck; das Gewicht seines Anzugs hielt ihn aufrecht.
"Armer, bemitleidenswerter Wicht", sagte der Imperator noch einmal.
Es war der beste Nachruf, der ihm einfiel - und der einzige, für den ihm Zeit blieb.
Buch IV
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"MORITURITE SALUTAMUS"