62
Es war ein Gefühl wie das Auftauchen aus eisig schwarzem Wasser. Als er aus der Bewusstlosigkeit erwachte, fand sich Jan bäuchlings liegend auf staubigem Betonboden wieder. Er hatte grauenvolle Kopfschmerzen, und je klarer sein Verstand wurde, desto schlimmer wurden sie.
Ihm war übel. Seine rechte Wange fühlte sich von der Kälte des Bodens taub an, aber er war noch zu benommen, um den Kopf zu heben. Blinzelnd kämpfte er gegen die Versuchung an, die schweren Lider wieder zu schließen und abermals ohnmächtig zu werden. Er bemühte sich, den Blick auf einen Punkt zu fokussieren, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er sah doppelt, als wäre er sturzbetrunken.
Doch trotz dieser Sehstörung, die Jan als die Folgen einer Gehirnerschütterung diagnostizierte, erkannte er, dass er sich nicht mehr in dem Lagerraum mit den Konserven befand. Dieser Raum war weitaus größer, hell erleuchtet und von einem penetranten Geruch nach Öl und Metall erfüllt.
Olivfarbene Metallkisten stapelten sich an den Wänden. Sie waren staubig und voller Spinnweben. Zwar konnte Jan die weißen Siebdrucke auf den Vorderseiten nur undeutlich erkennen, aber er war sich dennoch sicher, dass es sich um Hakenkreuze handelte.
Munitionskisten!
Nun verstand er, wo er sich befand und weswegen dieser Raum durch ein großes Vorhängeschloss gesichert worden war.
Ein Munitionsdepot. Deshalb wurde dieser Bunker so gut gegen Feuchtigkeit geschützt.
Er winkelte die Arme an, durch die ganze Ameisenheere zu laufen schienen, und versuchte, sich hochzustemmen. Nach zwei erfolglosen Anläufen gelang es ihm schließlich. Er setzte sich auf und lehnte sich gegen einen der Kistenstapel.
Er zitterte am ganzen Leib, die Schmerzen in seinem Kopf hämmerten wie wild gegen seine Schläfen. Doch als er eine Weile so dagesessen hatte, ebbte das Hämmern allmählich ab. Die tanzenden Bilder vor seinen Augen kamen zum Stillstand.
Noch fiel ihm das Denken schwer. Doch bald erinnerte er sich, dass er einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen hatte. Er sah an sich herab und stöhnte entsetzt auf. Seine Hände waren voller Blut, und auch die Brustseite seiner Jacke war so nass, als hätte er ein Bad in roter Farbe genommen.
Noch während sein Herz vor Panik Kapriolen schlug, versuchte ihn sein professioneller Verstand zu beruhigen. So viel Blut konnte unmöglich von ihm allein stammen. Andernfalls hätte er längst tot sein müssen.
Als Jan den Kopf zur Seite drehte und Norbert Rauh sah, der knapp einen Meter von ihm entfernt lag, begriff er, von wem all das Blut stammte.
Jemand hatte Rauh die Jacke und den Pullover ausgezogen. Der halbnackte Körper des Psychiaters lag in einer gewaltigen Blutlache. Sie bildete das Ende einer langen Schleifspur, die vom Gang hierherführte.
Rauh hatte die Arme ausgestreckt und sah aus wie ein Turmspringer, der auf den Rücken gefallen war. Als Jan den fleischigen Klumpen zwischen den Armen sah, schnürte sich ihm die Kehle zu. Dort, wo sich einst ein markantes, solariumgebräuntes Gesicht befunden hatte, war nur noch ein Unterkiefer mit einer Reihe rot verfärbter Zähne zu sehen. Vom Rest des Kopfes waren nur Knochensplitter und Hautstücke geblieben, an denen vereinzelte Haarbüschel hingen.
Jan kämpfte gegen den Brechreiz. Er versuchte, sich hochzustemmen, doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Zitternd versagten sie ihm den Dienst, und er sank keuchend in seine Sitzposition zurück.
Noch während er einen zweiten Anlauf unternahm, hörte er Schritte auf dem Gang. Sie kamen auf ihn zu, doch da die Tür nur halb offen stand, konnte er niemanden erkennen.
Verzweifelt sah er sich um, doch er fand weder eine Möglichkeit zur Flucht noch etwas, womit er sich hätte wehren können. Zwar saß er inmitten von Kisten voller Patronen und Geschützprojektile, aber was hätte er damit schon anfangen können? Schweiß rann ihm übers Gesicht, vermischte sich mit dem Blut, das teils aus seiner Platzwunde, größtenteils jedoch von Norbert Rauh stammte.
Es gab keinen Ausweg, nun würde er dem Tod ins Gesicht sehen müssen.
Kurz vor der Tür hielten die Schritte an. Das tiefe Seufzen eines Mannes war zu hören. Jan glaubte, die Stimme zu erkennen, doch gleichzeitig schien dies ganz unmöglich zu sein.
Das kann nicht sein, schoss es ihm durch den Kopf. Das darf nicht sein!
Doch als die Tür sich vollends öffnete, bestätigte sich Jans Befürchtung.
Raimund Fleischer hielt in der einen Hand einen Kanister aus dem Generatorraum, mit der anderen wischte er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Pistole steckte in seinem Hosenbund.
Der Professor wich der blutigen Schleifspur am Boden aus, stellte den Kanister neben Rauhs Leiche ab und rückte sich die Brille zurecht. Er schien Jan gar nicht wahrzunehmen, sondern betrachtete den Toten. Dabei sah er aus, als prüfe er den Blechschaden an seinem Auto nach einem Auffahrunfall oder eine Fensterscheibe, die durch einen Kinderball zu Bruch gegangen war.
»Hätte nicht geglaubt, dass diese Dinger so etwas anrichten können«, murmelte er und zog die Pistole aus dem Hosenbund. Nachdenklich wog er die Waffe in der Hand, dann sah er auf Jan herab. »Hättest du das gedacht?«
Jan hatte den Eindruck, sich in einem seiner Alpträume zu befinden. Ein Teil von ihm hoffte inständig, er würde jeden Moment daraus erwachen.
»Die habe ich hier vor Jahren gefunden«, erklärte Fleischer. Zu Jans Entsetzen wirkte er ruhig und gelassen wie immer, so als wären sie sich gerade auf dem Klinikgelände begegnet. »Eine Walther P38. Muss einem Offizier gehört haben. War schön ordentlich in Wachspapier eingewickelt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das alte Ding gar nicht mehr funktioniert. Und jetzt sieh dir das an.« Er deutete mit der Pistole auf Rauh. »Dass er so aussieht, habe ich nicht gewollt. Wo er doch so ein Kopfmensch war. So sagt man doch, oder? Kopfmensch.«
Fleischer seufzte abermals, dann ging er zu einem Kistenstapel, neben dem Rauhs übrige Kleidungsstücke lagen. »Möchtest du seinen Pullover als Sitzunterlage? Der Boden ist doch eiskalt.«
Fassungslos starrte Jan den Professor an. Er brachte kein Wort hervor.
»Wirklich nicht? Du holst dir noch eine Nierenbeckenentzündung.«
»Warum … warum haben Sie das getan?« Jans Stimme war ein heiseres Flüstern. »Er war Ihr Freund.«
»Ja, das war er.« Fleischer zog ein T-Shirt unter dem Pullover hervor, wischte damit über eine der Kisten und setzte sich darauf. »Weißt du, Jan, wenn ich meine Vorlesungen halte, beginne ich gern mit einem einleitenden Zitat. Ich glaube, hier würden die Worte des alten Nietzsche recht gut passen: Die Historie gehört dem Lebendigen in dreierlei Hinsicht. Als dem Tätigen und Strebenden, als dem Bewahrenden und Verehrenden und als dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen.«
Jan schluckte und versuchte, seiner Panik Herr zu werden. Jetzt war professionelles Denken gefragt, keinesfalls durfte er seiner Angst gestatten, Macht über ihn zu erlangen. In der Vergangenheit hatte er schon vielen Psychopathen gegenübergesessen. Männern und Frauen, die getötet, gequält und vergewaltigt hatten. Menschen, die keinerlei Reue für ihre Taten gezeigt hatten, weil sie kein Unrechtsempfinden hatten oder weil sie ihre Tat verdrängten und anderen dafür die Schuld gaben. Jan hatte sie untersucht, Diagnosen erstellt und den Grad ihrer Gefährlichkeit für sie selbst und ihre Umwelt eingeschätzt. Der Umgang mit ihnen war Teil seiner beruflichen Routine gewesen. Und nichts anderes geschah jetzt, versuchte er sich klarzumachen. Auch wenn es einen entscheidenden Unterschied gab: Fleischer trug eine Waffe, er hatte sie bereits einmal eingesetzt, und er konnte es jederzeit wieder tun.
Jan dachte fieberhaft nach. Es musste längst eine Stunde vergangen sein, seit er und Rauh losgefahren waren. Wenn er sich auf Konni verlassen konnte, dann verständigte er vielleicht in diesem Moment die Polizei. Man würde Rauhs Wagen auf dem Parkplatz entdecken und das Waldstück nach ihnen absuchen. Wahrscheinlich hatte auch Fleischer dort geparkt. Alles, was Jan jetzt tun konnte, war, den Professor hinzuhalten und zu hoffen, dass sie genug Spuren hinterlassen hatten, um die Polizisten zur Bunkerluke zu führen.
»Du sagst ja gar nichts, Jan.« Fleischer betrachtete ihn mit kalten Augen. »Grübelst du, wie du hier rauskommst? Da werde ich dich leider enttäuschen müssen. Dies hier ist Endstation. Für uns beide.«
Jan atmete tief durch, verdrängte die Angst und stellte sich vor, er säße Fleischer in einem geschützten Raum gegenüber. Hinter ihm die Kamera und am Monitor im Nebenraum zwei Wachbeamte - bereit, sofort einzugreifen, falls Fleischer ihn mit mehr als nur Worten attackieren wollte. Vorsichtig schob er die Hand in seine Jackentasche.
»Na, na, na!«, rief Fleischer und winkte mit der Pistole. »Ich will beide Hände sehen. Nimm sie wieder heraus.«
»Sie haben einen Menschen getötet, ist Ihnen das bewusst?«
»Ich sagte, du sollst mir deine Hände zeigen!«
Den Blick auf die Pistolenmündung gerichtet, gehorchte Jan. Er streckte Fleischer die Hände entgegen, dann stützte er sich wieder auf dem Boden ab.
»Um auf Nietzsche zurückzukommen«, sagte Fleischer und verfiel wieder in den Tonfall eines Mannes, der es gewohnt war, vor großem Publikum zu reden. »Du, lieber Jan, gehörst zur dritten Kategorie. Zu denen, die leiden und nach Befreiung suchen.«
»Ach ja?«
»Ich bitte dich, Junge«, Fleischer sah ihn tadelnd an. »Das solltest du eigentlich selbst am besten wissen.«
»Wie Sie meinen«, entgegnete Jan. »Ja, ich leide unter meiner Vergangenheit.«
»Und dieses Leiden hätte ich gern von dir genommen«, sagte Fleischer. »Du hättest nur die Hand ergreifen müssen, die ich dir gereicht habe. Ein Neuanfang hätte für dich die Befreiung sein können, du hättest es nur wollen müssen. Aber nein, du hast weiter und weiter und weiter gebohrt. Und jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast.« Er zeigte auf Rauh. »Bringst ihn dazu, mich zu hintergehen. Mir ist keine andere Wahl geblieben, als auch ihn zum Schweigen zu bringen.«
»Rudolf Marenburg, Carla Weller … Die haben Sie auf dem Gewissen, nicht wahr?«
Fleischer nickte. »Hinzuzufügen sind noch Nathalie Köppler, Alexandra Marenburg und eine kleine, dumme Nutte. Gehen alle auf mein Konto.« Er legte die Pistole auf dem Schoß ab, packte Rauhs T-Shirt mit beiden Händen und riss es entzwei. »Schuldig im Sinne der Anklage.«
»Und … Sven?« Jans Stimme drohte zu versagen. Er riss sich zusammen. »Was ist mit Sven geschehen?«
Prüfend betrachtete Fleischer die beiden Stoffstreifen, dann ließ er einen davon zu Boden fallen. »Weißt du, Jan, Bernhard Forstner war keinen Deut besser als Marenburg oder diese neunmalkluge Journalistin. Solche Leute wühlen in anderer Leute Vergangenheit herum, und dann jammern sie, wenn man ihnen auf die Finger klopft.«
»Was haben Sie mit Sven gemacht?«
»Was haben Sie mit Sven gemacht«, äffte Fleischer ihn nach. »Herrgott nochmal, du benimmst dich wie eine Heulsuse, ist dir das eigentlich klar? Als ob es immer nur um deinen Bruder ginge. Bist du dir denn selbst so wenig wert?«
Jan ignorierte den aggressiven Tonfall. Verhalte dich wie ein Pokerspieler, hatte ihm sein ehemaliger Ausbilder geraten. Lass dein Gegenüber niemals deine Gefühle ahnen. Halt die Karten bedeckt. Und daran hielt er sich auch jetzt, als er den Professor mit einem nüchternen Blick ansah.
»Wo ist Sven?«
»Ach, Jan.« Fleischer lächelte nachsichtig. »Du hast dir in der Vergangenheit eine Menge Fragen gestellt, aber wie es scheint, nie die richtigen. Hattest du nie das Gefühl, dass dein Vater sich dir gegenüber - wie soll ich sagen - immer etwas reserviert verhalten hat, während er deinen Bruder vergötterte? Und nachdem du Zeuge von Alexandras Tod gewesen warst, war es ihm nicht ganz gleichgültig, was du durchgemacht hast? Im Gegensatz zu deiner Mutter, die sich liebevoll um dich gesorgt hat.« Er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Knie. »Hast du dich nie gefragt, weshalb ich dich nach Fahlenberg geholt habe? Wieso ausgerechnet ich dir eine zweite Chance geboten habe?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Nun komm schon, Jan. Die Antwort liegt doch auf der Hand. Bernhard Forstner war nicht dein Vater. Und er muss es immer geahnt haben.«
Jan schluckte. Er glaubte, ein gutes Gespür für Lüge und Wahrheit zu haben, aber nun hoffte er inständig, sich zu täuschen. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass …«
Fleischers Lächeln wurde breiter. »Wenn du in den Spiegel schaust, wer blickt dir dann entgegen? Bernhard? Nein, wohl kaum. In deiner Wesensart hast du viel Ähnlichkeit mit deiner Mutter, und auch sonst kommst du ganz nach ihr. Aber deine Augen sind den meinen nicht unähnlich, findest du nicht?«
»Das ist doch ausgemachter Blödsinn!«, fuhr Jan ihn an. »Meine Mutter hätte meinen Vater niemals betrogen.«
»Betrogen. Was für ein hässliches Wort.« Fleischer rümpfte die Nase und zeigte wie beiläufig auf Rauh. »Das mag auf ihn hier zutreffen, oder auf Marenburg und Bernhard, ja in gewisser Weise auch auf dich. Aber nicht auf deine Mutter. Wir haben niemanden betrogen.« Fleischer sah Jan spöttisch an. »Wenn es dein moralisches Empfinden tröstet - die Affäre mit deiner Mutter hat nicht lange gedauert. Und es war auch nie mehr als eine Affäre. Sie hat Bernhard geliebt, auch wenn er es eigentlich nicht wert gewesen ist. Immerhin hatte er deine Mutter über Jahre hinweg mit seiner Arbeit betrogen. Ein aufstrebender junger Mediziner, dem seine Karriere über alles ging.«
Er machte eine abfällige Geste mit dem Stofffetzen. »Ich glaube, für deine Mutter war die kurze Beziehung mit mir nichts anderes als ausgleichende Gerechtigkeit. Sie war einsam, so wie ich zu jener Zeit. Wenige Jahre zuvor hatte ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren. Ich war auf der Suche nach Trost.«
Fleischer wich Jans Blick aus. Er senkte den Kopf und starrte mit ernstem Gesicht zu Boden, wo sich ein dünnes Rinnsal Blut auf seine Schuhe zubewegte. »Heute weiß ich, dass es für mich nie Trost gegeben hat und nie geben wird. Aber dazu musste ich erst heiraten und zwei Töchter in die Welt setzen. Niemand, weder deine Mutter noch meine Frau noch deine Halbschwestern konnten mich aus jenem schwarzen Loch ziehen, in das ich vor vielen Jahren gefallen bin. Nicht einmal du konntest das.«
Fleischer verfiel in Schweigen. Stille breitete sich in dem kalten Munitionsdepot aus. Nur das leise, weit entfernte Heulen des Windes drang zu ihnen vor.
Zum ersten Mal seit Jahren empfand Jan die Stille wie eine Erlösung. Wenn er hier unten den Wind hören konnte, der sich im Vorraum zum Eingang fing, dann bedeutete dies, dass Fleischer die Luke offen gelassen hatte. Dann bestand Hoffnung, dass man das Loch entdecken würde. An diesen Strohhalm wollte er sich klammern - und wenn es das Letzte war, was er seinem Leben tat.
Ich muss ihn am Reden halten, sagte er sich. Auf keinen Fall darf er in seiner Depression versinken und allem ein Ende setzen wollen.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Jan.
»Ach ja?« Fleischer hob den Kopf. Er sah aus, als habe Jan ihn aus einer anderen Welt zurückgeholt.
»Ich habe Sie gefragt, wo Sven ist. Was haben Sie ihm angetan?«
»Du willst es also wissen.« Fleischer wiegte den Kopf und seufzte. »Na gut.«
Er nahm die Pistole wieder in die Hand, stand auf und legte den Stofffetzen auf der Kiste ab. Dann ging er an Jan vorbei ans andere Ende des Raumes und blieb neben einer Plane stehen, die etwas anderes als Munitionskisten verdeckte.
»Weißt du, Jan«, begann er mit fast feierlicher Stimme, »es gibt da etwas, von dem ich nie einer Menschenseele erzählt habe. Aber ich denke, jetzt ist es an der Zeit, mein Schweigen zu brechen. Du bist mein Sohn und hast es verdient, die Wahrheit zu erfahren. Zwar hatte ich mir dafür einen angenehmeren Ort vorgestellt, aber so wie die Dinge jetzt stehen, scheint das hier durchaus der richtige Ort zu sein.«
Jan sagte nichts und sah zu, wie Fleischer die Plane vorsichtig anhob und dann zu Boden gleiten ließ. Seine Augen weiteten sich, als er sah, was Fleischer darunter verborgen hatte.
Das Konstrukt, das aus den olivfarbenen Kisten, einigen Kerzen und einem weißen Spitzentuch zusammengestellt war, sah einem Altar gleich. Obenauf thronte ein Bild, und der Anblick verschlug Jan die Sprache. Es war das Porträt einer lachenden jungen Frau mit langen dunklen Haaren und ausdrucksstarken Augen. Ihre Ähnlichkeit mit Alexandra Marenburg und Nathalie Köppler war frappierend.
Es handelte sich bei dem Porträt ganz offensichtlich um den vergrößerten Ausschnitt eines Fotos, das Jan schon einmal gesehen hatte. Ihm fiel das Klassenfoto in Fleischers Büro wieder ein - dasselbe Foto, das Jan auch bei ihm zu Hause im Arbeitszimmer wiederentdeckt hatte.
Unterhalb des Rahmens lag etwas, das Jan nicht sogleich erkannte. Eine Art Relief. Daneben lag ein säuberlich zusammengelegtes Abendkleid aus nachtblauem Samt.
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Denk an mein Nietzsche-Zitat.« Fleischer fuhr zärtlich mit den Fingerspitzen über die Konturen des Reliefs, das Jan jetzt als eine Maske erkannte. »Demnach bin ich der Bewahrende. Der Verehrer der Vergangenheit.«
Er trat einen Schritt zurück und sah sich zu Jan um. »Ich war fünfzehn, als eine neue Mitschülerin in meine Klasse kam. Sie sollte mein Leben für immer verändern. Ihr Name war Carmen. Dieses Bild hier …«, er deutete mit der Pistole auf das Porträt, »es wird ihrer wahren Schönheit kaum gerecht. Wenn sie an sonnigen Tagen auf dem Schulhof ihr langes Haar offen trug, schimmerte es wie dunkle Seide. Und das Grün ihrer Augen habe ich bisher nur in besonders reinen Smaragden wiederentdeckt. Sie war eine Königin, Jan, eine wahre Hoheit. Jede ihrer Bewegungen war Ausdruck ihrer Persönlichkeit - stolz und wissend, dass ein Wort von ihr genügte, um sich die Welt untertan zu machen.«
Er machte eine verlegene Geste. »Ja, ich weiß, es klingt schwärmerisch, aber ich übertreibe nicht. Müsste ich sie in einem Wort beschreiben, so würde ich sagen, sie war perfekt. Damit meine ich selbstverständlich nicht nur ihr Aussehen. Das Gefühl, das ich in ihrer Nähe empfand, hätte ein großer Dichter wohl als die einzig wahre, allumfassende Liebe bezeichnet. Es war Magie, Jan. Ich war in ihrem Bann, von dem Moment an, als ich sie zum ersten Mal sah.«
Jan stieß ein verbittertes Lachen aus. Fleischer sah ihn irritiert an. »Was gibt es da zu lachen?«
»Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass eine Liebesgeschichte der Grund ist für all die Verbrechen?«
»Du hast nicht die geringste Ahnung.« Fleischer funkelte ihn wütend an. »Du scheinst ja nicht einmal zu ahnen, wie es ist, wenn man eine Frau über lange Zeit nur aus der Ferne bewundern kann, weil man sonst Luft für sie ist. Wer war ich damals schon? Ein langer, schmächtiger Kerl mit Flausen im Kopf, nicht mehr. Aber ich kam nicht von ihr los, ganz gleich, wie sehr ich mich auch bemühte. Wirklich, ich habe mich bemüht, von ihr freizukommen, aber es war, als würde ein kleines unbedeutendes Stück Metall versuchen, einem gewaltigen Magneten zu entkommen. Unmöglich. Ja, mein Junge, ich war süchtig nach ihr. Ich hätte für einen Moment in ihrer Nähe alles gegeben. Ein Leben ohne sie war für mich nicht mehr vorstellbar.«
Er griff in seine Hosentasche und zog einen silbernen Gegenstand daraus hervor. Jan erkannte Rauhs Feuerzeug wieder. Als er sah, wie sich Fleischer damit den Kerzen näherte, zuckte er zusammen. Zwar waren es dickbauchige Kerzen, die nach innen abbrannten und einen Wachsrand hinterließen, aber dies hier war ein Munitionsdepot, und die Kerzen standen auf Kisten, in denen sich allerlei Explosives befand.
»Ich würde das nicht tun«, rief Jan. »Oder wollen Sie uns in die Luft jagen?«
Lächelnd sah Fleischer sich zu ihm um. »Hast du Angst vor dem Tod?«
Jan schwieg, und Fleischer ließ das Feuerzeug wieder in seiner Hosentasche verschwinden. »Ich hätte damals liebend gern mein Leben hingegeben für Carmen. Aber das hätte sie wohl kaum beeindruckt. Ich habe daher angefangen zu trainieren. Ich habe auf mein Äußeres geachtet, um mit den anderen jungen Männern mithalten zu können, wenn ich ihnen schon in materieller Hinsicht unterlegen war, denn meine Eltern hatten nicht viel Geld. Das versuchte ich durch Gelehrsamkeit auszugleichen. Ich lernte wie ein Wahnsinniger, stopfte mich mit Wissen voll. Die Bibliothek wurde sozusagen meine zweite Heimat.«
Fleischer verfiel wieder in seine Dozentenrolle. Die Hände hinter dem Rücken, ging er vor dem seltsamen Altar auf und ab. »Dieser Ehrgeiz verlieh mir ungeahnte Kräfte. Innerhalb kürzester Zeit wurde ich zum Klassenbesten in allen Fächern, und bald schon hatte ich den Ruf eines wandelnden Lexikons. Viele kamen mit ihren Fragen zu mir, wollten Nachhilfe in Mathematik, Physik oder Sprachen, und ich half jedem von ihnen.«
Während Jan ihm zuhörte, ließ er Fleischers Hand mit der Pistole keinen Moment aus den Augen. Er durfte sich nicht bewegen, durfte Fleischer nicht aus seinem Redefluss bringen. Alles, was er jetzt tun musste, war stillsitzen, Fleischer am Reden halten und auf baldige Hilfe hoffen.
»Keiner dieser Mitschüler hat mir je irgendetwas bedeutet«, fuhr Fleischer fort. »Auch wenn mich einige gern als ihren besten Freund bezeichneten. Ich tat es einzig nur ihretwegen. Ich war geradezu besessen von dem Wunsch, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Und schließlich ging mein Plan auf. Es war kurz vor dem Abitur, als sie mich fragte, ob ich an einer Lerngemeinschaft teilnehmen wolle. Unter ihren Freunden gab es zwei Mitschülerinnen, deren Erfolgschancen auf das Bestehen der nächsten Prüfung äußerst gering waren. Natürlich war ich sofort zur Stelle. Ich half, so gut ich konnte, und die beiden bestanden tatsächlich. Carmen freute sich. Einmal meinte sie sogar, sie bewundere mein Feingefühl für Menschen, die Art, mit der ich Wissen vermitteln konnte, und dass sie sicher sei, dass ich es eines Tages ganz weit bringen würde.«
Er lächelte Jan mit entrücktem Blick an. »Danach schlug mein Herz so wild, Jan, dass ich dachte, ich würde den Verstand verlieren. Dann kam das Abitur, schneller, als ich befürchtet hatte, und nachdem wir alle bestanden hatten - auch meine beiden Nachhilfeschülerinnen -, nahte die Zeit des Abschieds. Zu spät erfuhr ich, an welcher Universität sich Carmen eingeschrieben hatte, und der Gedanke, die nächsten Jahre von ihr getrennt zu sein, stürzte mich in die schwärzeste Depression. Hinzu kam die Angst, sie würde sich dort in einen anderen verlieben und den Kontakt zu ihren bisherigen Freunden und Bekannten abbrechen.«
Fleischer blieb stehen und starrte ins Leere. Er schwieg, und Jan deutete dies als schlechtes Zeichen. Die ausdruckslose Miene des Professors verhieß nichts Gutes, ebenso wenig die verkrampfte Art, mit der er nun die Pistole hielt.
Ich muss ihn am Reden halten. Ihn etwas fragen, mit ihm sprechen!
»Was hat das alles mit meiner Familie zu tun?«
Für den Bruchteil einer Sekunde starrte Fleischer ihn an, als wisse er nicht, wo er sich befand. Dann schüttelte er sich und rieb sich die Schläfe.
»Ja, ja,«, sagte er langsam. »Ich erzähle es dir ja. Ich erzähle es. Zwischen Carmen und mir kam es nie zu mehr als zufälligen Berührungen.« Es hörte fast wie eine Entschuldigung an. »Wenn wir nach demselben Buch griffen, oder eine flüchtige Umarmung zur Begrüßung. Aber ich war abhängig von ihrer Nähe. Das war für mich so wichtig wie atmen. Und dann, an unserem letzten Abend, während die Abschlussfeier in vollem Gang war, sagte ich es ihr.«
»Wie hat sie darauf reagiert?«, wollte Jan wissen, doch der Professor schien ihn nicht zu hören.
»Ich sehe sie vor mir«, sagte Fleischer. »So als sei es erst gestern gewesen. In ihrem dunkelblauen Kleid steht sie auf der Terrasse hinter dem Festsaal unserer alten Schule. Sie sieht gedankenverloren die breite Steintreppe hinunter, die zum Parkplatz führt. Sie wirkt ein wenig traurig. Als ich sie frage, was mit ihr los ist, sagt sie, im Saal sei es ihr zu verqualmt und stickig. Sie brauche frische Luft. Es ist dunkel, und nur das Licht des Festsaals erhellt ihr wunderschönes Gesicht. Ich sehe das Glitzern in ihren Smaragdaugen, den glänzenden Lippenstift auf ihrem vollen Mund und das einzelne Haar, das sich in ihrer dunklen Braue verfangen hat. Ich rieche ihr Parfüm, süß und schwer, mit einer dezenten Holznote, als ob es der Magie dieses Augenblicks einen eigenen Duft verleihen will. In dieser Atmosphäre klingt ihre Stimme noch voller und wärmer, ja geradezu verlockend.«
Fleischer ging zurück zu den Kisten neben Rauhs Leiche und setzte sich seufzend.
»Es war überhaupt nicht schwer, ihr meine wahren Gefühle zu gestehen. Im Gegenteil. Was ich jahrelang mit mir herumgetragen hatte, kam nun ganz leicht über meine Lippen. Es war so gut, es endlich auszusprechen, ihr dabei in die Augen zu sehen und sich ihrer völligen Aufmerksamkeit gewahr zu sein. Es war eine Befreiung. Aber dann«, Fleischer runzelte die Stirn, »dann geschah etwas, das ich niemals erwartet hätte. Sie hatte mich kein einziges Mal unterbrochen, während ich zu ihr sprach, und ich hatte ernsthaft geglaubt, sie würde mich verstehen. Ja, für einen winzigen Augenblick hatte ich sogar gehofft, sie würde dieses Geständnis erwidern. Doch stattdessen …«
Fleischer presste die Augen zusammen und biss sich auf die Lippen.
»Was hat sie getan?«, fragte Jan. Sie waren jetzt an einem kritischen Punkt angelangt, und wenn er den Professor jetzt nicht zum Weiterreden bewegte, war das Schlimmste zu befürchten.
Fleischer öffnete wieder die Augen. Als er Jan ansah, liefen ihm Tränen über die Wangen. »Sie hat mich ausgelacht, Jan.«
»Ausgelacht?«
Fleischer nickte. »Du könntest mir bei vollem Bewusstsein alle Zähne aus dem Mund reißen, mir die Finger brechen oder die Hände abschneiden - es wäre nichts gegen den Schmerz, den ich bei diesem Lachen empfand. Es war kein fröhliches Lachen, Jan, es war nicht einmal belustigt. Vielmehr spürte ich den Ekel, der sich hinter dem Lachen verbarg. Nach all der Zeit, die ich geglaubt hatte, ihr auf Augenhöhe zu begegnen, gab sie mir nun wieder zu verstehen, wie klein und unbedeutend ich doch war.«
Fleischer erhob sich zur vollen Größe, die Hände zu Fäusten geballt, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Jan starrte auf die Pistole. Noch war sie auf den Boden gerichtet.
»Ob ich verrückt geworden sei«, stieß Fleischer hasserfüllt hervor. »Ob ich keine Augen im Kopf hätte. Ein Blinder müsse doch sehen, dass sie sich nie mit einem Mann einlassen würde. Sie war eine Lesbe, Jan! Dieses wunderschöne Geschöpf, das mit einem Wimpernschlag jeden Mann in die Knie zwang, war eine gottverdammte Lesbe! Und ihre Partnerin war ausgerechnet eines der Mädchen, denen ich durch meine Nachhilfe zum Abitur verholfen hatte. Was fand sie nur an ihr? Ich hätte ihr so viel mehr zu bieten gehabt. Meine Liebe, mein Wissen, mein Leben. Ihre Partnerin war ein unansehnliches, begriffsstutziges Ding. Ich konnte es einfach nicht fassen. Ich kann es bis heute nicht fassen.«
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich … ich fing an zu stammeln, beschwor sie. Aber sie wollte nicht verstehen. Vielleicht hat sie auch nur zu gut verstanden und wurde deshalb so abweisend - um es mir leichter zu machen. Ich weiß es nicht. Ich habe unzählige Male darüber nachgedacht, aber ich komme zu keinem Ergebnis. Nacht für Nacht verfolgen mich ihre Worte. Ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen. Sie schrie nicht, sie zischte wie ein in die Enge getriebenes Tier. Ich glaube, sie hatte Angst vor mir, vor meiner Körpergröße. Ich war ihr zu nahe gekommen, aber ich merkte es nicht.«
Nun begriff Jan schlagartig, was danach geschehen sein musste. »Sie haben sie umgebracht, nicht wahr? Das war Ihr erster Mord.«
»Es war ein Unfall!«, schrie Fleischer. »Ich wollte das nicht, das musst du mir glauben. Es platzte einfach so aus mir heraus. Ich nannte sie eine Schlampe, ein Miststück, eine …« Er keuchte und schüttelte den Kopf. »Ich packte sie bei den Schultern. Ich stieß sie leicht an. Nur ganz leicht. Es war nur ein winziger Stoß, aber … Sie verlor den Halt, prallte rücklings gegen das steinerne Geländer und stürzte die Treppe hinab. Als sie auf der untersten Stufe aufschlug, hörte ich ihr Genick brechen. Vielleicht hätte sie es überlebt, wenn ihr Reaktionsvermögen besser gewesen wäre. Die Polizei stellte später einen erhöhten Alkoholwert im Blut fest. Vielleicht hätte sie all die hässlichen Dinge nicht zu mir gesagt, wenn sie nüchtern gewesen wäre. Vielleicht, vielleicht …«
Fleischer schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos. Jan lauschte angespannt in den Gang. Doch dort war nichts zu hören. Niemand kam, um ihm zu helfen. Eine Welle der Verzweiflung drohte über ihm zusammenzuschlagen. Doch er riss sich zusammen.
Er wandte sich an Fleischer: »Warum Sven? Was hatte mein Vater damit zu tun?«
Fleischer hielt noch immer die Hände vors Gesicht. Er schluchzte. »Ich muss dir sicherlich nicht erklären, was Alpträume sind«, fuhr er mit matter Stimme fort. »Dass es Alpträume gibt, die einen verfolgen, auch wenn man nicht schläft. Ich sehe sie fallen, Jan. Wieder und wieder. In jedem stillen Moment. Nachts im Bett, tagsüber, wenn ich allein in meinem Büro bin, abends auf dem Weg zum Parkplatz. Ihr Geist verfolgt mich. Sie will mir nicht verzeihen. Alle hielten ihren Sturz für ein tragisches Unglück. Niemand verdächtigte mich. Es hieß, der Alkohol sei schuld. Und ich schwieg.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin ein Feigling, Jan. Deshalb habe ich geschwiegen. Ich habe immer geschwiegen.«
Jan sah zu dem Porträt auf dem Altar. »Und irgendwann kam Alexandra Marenburg in die Klinik, und sie hat Sie an Carmen erinnert.«
»Nicht nur erinnert, Jan. Die Ähnlichkeit mit Carmen war unglaublich - ja, geradezu unheimlich. Sie war sogar in ihrem Alter. Es war, als sei Carmen nach Jahren zu mir zurückgekehrt, damit ich sie um Verzeihung bitten konnte.«
Jan sah Fleischer an und schüttelte den Kopf. »Als Psychiater müssten Sie eigentlich wissen, wie sich das anhört.«
»Ich weiß, Jan, ich weiß. Zuerst sträubte ich mich auch gegen diese Vorstellung, hielt mich für verrückt - aber dann, eines Tages, als ich Bernhard bei seinen Patienten vertrat, lächelte sie mich während eines Gesprächs an, und ich erkannte Carmens Lächeln wieder.« Er riss die Augen auf, als sähe er es wieder vor sich. »Sie war es, Jan! Für einen kurzen Moment war sie Carmen, darauf schwöre ich jeden Eid. Und wieder konnte ich ihr nicht widerstehen.«
»Was haben Sie mit ihr gemacht? Ist Alexandra Ihretwegen aus der Klinik weggelaufen?«
Mit einer bedauernden Geste hob Fleischer die Hände. »Himmel, ich konnte doch nicht ahnen, dass die Sache derart ausufern würde. Es war doch nur Früchtetee und ein wenig Temazepam, um ihren Geist zu befreien. Es muss an diesem gottverdammten Narkotikum gelegen haben. Eine Unverträglichkeit. Ja, bestimmt war es so.«
Fleischer griff nach dem Kanister und zog ihn zu sich heran. Dann grinste er Jan über den Rand seiner Brille an. Was auch immer es gewesen war, das Jan an Gregory Peck erinnerte hatte, nun war es endgültig aus Fleischers Gesicht verschwunden.
»Sie waren so willig, Jan. Beide. Du hättest Nathalie erleben sollen, als sie unter dem Einfluss der Droge stand. Nur ein wenig Hypnose und etwas GHB genügten, um sie ihre Furcht vor Männern vergessen zu lassen. Sie war wie eine Raubkatze, so wie auch Carmen gewesen wäre, da bin ich mir sicher.«
»GHB?« Jan glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Sie haben ihnen k.o.-Tropfen verabreicht?«
»Nur als therapeutische Intervention«, entgegnete Fleischer, als sei dies das Selbstverständlichste der Welt.
»Deshalb also die R-Notizen in Rauhs Terminkalender. Wenn Sie ihn vertreten hatten, hatte er ein R hinter dem Patientennamen vermerkt. R wie Raimund.«
»Rauh und seine Hypnose sind nur ein Weg, um Hemmungen abzubauen«, sagte Fleischer. »Kombiniert mit GHB legt man jedoch den wahren Kern der Seele frei. Das wusste schon Bernhard. Nur hat er sich nie so weit vorgewagt wie ich.«
»Deshalb konnte sich Nathalie an nichts erinnern«, sagte Jan. »Und ähnlich war es Carla ergangen, nachdem sie geglaubt hatte, von Nathalie heimgesucht worden zu sein. Sie hatten ihr das suggeriert. Sie haben diese Frauen missbraucht, Fleischer. Und all das nur, um Ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Haben Sie denn wirklich geglaubt, Sie könnten Ihren Mord dadurch wieder ungeschehen machen?«
»Sie waren nicht wie Carmen!«, schrie Fleischer ihn an. Er schüttelte sich wieder, und der niedergeschlagene Gesichtsausdruck kehrte zurück. »Keine von ihnen war wie Carmen. Das musste ich stets aufs Neue feststellen. Keine brachte mir die Erlösung. Weder Alexandra noch Nathalie, und auch nicht dieses Flittchen. Sie gingen freiwillig in den Tod. Keiner hat sie gezwungen, ihrem armseligen Leben ein Ende zu setzen. Mit Ausnahme dieser kleinen Nutte, aber bei der habe ich nur ein klein wenig nachhelfen müssen.«
Die letzten Worte hatte er mit hassverzerrter Miene ausgesprochen. Jetzt glätteten sich seine Zügen wieder. Wieder sprach der nüchterne Dozent aus ihm: »Weißt du, Jan, manchmal glaube ich, sie wussten, welchen Frevel sie begangen hatten. Sie hatten versucht, Carmens Stelle in meinem Leben einzunehmen. Dafür hatten sie den Tod verdient. Bei keiner von ihnen fühle ich mich schuldig.«
»Mein Vater ist Ihnen auf die Schliche gekommen, stimmt’s? Er hat herausgefunden, was Sie mit Alexandra gemacht hatten und dass sie deshalb in den Park gelaufen war.«
»Dein Vater.« Fleischer stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Na gut, wenn du ihn so nennen willst. Ja, Bernhard hat die Wahrheit entdeckt.«
»Deshalb haben Sie Sven entführt und ihn unter Druck gesetzt, damit er den Mund hält.« Jan sah ihm direkt in die Augen. »Sagen Sie mir endlich, was geschehen ist. Sven ist tot, nicht wahr? Sie haben ihn ermordet.«
Für eine Weile sagte Fleischer nichts. Er saß nur da und hielt Jans eindringlichem Blick stand. Dann geschah das, wovor sich Jan in den vergangenen dreiundzwanzig Jahren am meisten gefürchtet hatte. Fleischer nickte.
»Ja, Jan«, flüsterte er. »Sven ist tot.«
Jan spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich. Der Boden unter ihm schien zu schwanken, und er befürchtete, das Bewusstsein zu verlieren.
»Aber es war kein Mord«, fügte Fleischer hinzu. »Es war ein Unglück. Eine Verkettung tragischer Umstände.«
Jan schluckte und kämpfte gegen die Tränen an. »Tragische Umstände?«
»Nach Alexandras Tod hatte Bernhard Unstimmigkeiten in ihrer Akte entdeckt«, sagte Fleischer. »Er fand heraus, dass ich den Therapieplan manipuliert hatte, damit kein Verdacht auf mich fiel. Zudem hatte irgendein übereifriger Pfleger vermerkt, dass das Mädchen über Gedächtnislücken geklagt hatte. Also untersuchte Bernhard das Blut der Toten und stellte darin das Temazepam fest. Noch am selben Abend teilte er mir mit, dass er am nächsten Morgen zum Klinikleiter gehen werde. Er wollte mich verraten, verstehst du?«
»Es war seine Pflicht, so zu handeln!«
»Gott, was bist du selbstgerecht«, schnaubte Fleischer. »Genau wie Bernhard.«
»Was ist dann passiert?«
»Bernhard hatte die Akte mit nach Hause genommen.« Fleischer lachte finster. »Er hatte Angst, dass ich sie mir unter den Nagel reißen könnte. Irgendwann an diesem Abend entschloss ich mich, zu ihm zu fahren und ihn zu überreden, es nicht zu tun. Ich wollte als Freund mit ihm reden. Ich hätte ihn gewiss überzeugen können.«
»Da scheinen Sie meinen Vater schlecht gekannt zu haben«, sagte Jan und stützte sich mit den Armen hoch. Das Schwindelgefühl hatte nachgelassen. Allmählich fühlte er sich wieder kräftiger.
»Bleib ja sitzen!«, fuhr Fleischer ihn an und hielt ihm die Pistole vors Gesicht. »Ich drücke ab, sobald du dich noch einmal bewegst.«
»Schon gut, schon gut«, sagte Jan und ließ sich wieder zurücksinken. »Sagen Sie mir lieber, ob Sie allen Ernstes geglaubt hatten, mein Vater würde Ihretwegen ein Verbrechen vertuschen.«
»Es ging ja nicht nur um mich«, schrie Fleischer ihn an. »Herrgott nochmal, ich hatte Familie! Meine Frau war mit unserer ersten Tochter schwanger. Ich hätte beruflich nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen. Wie hätte es denn weitergehen sollen?«
Mit einer zornigen Bewegung ließ Fleischer den Klappverschluss des Kanisters aufschnappen. Der Geruch nach Diesel mischte sich mit dem nach Metall und Waffenöl.
Jan sah nervös zum Gang hinaus, dann wieder zu Fleischer. Er musste Zeit gewinnen. Nur noch ein wenig Zeit.
»Was ist in der Nacht passiert? Sie waren nicht bei uns.«
»O doch, das war ich.« Fleischer begann, den Stofffetzen in die Kanisteröffnung zu stopfen. »Aber als ich mich eurem Haus näherte, sah ich zuerst dich und dann Sven in den Park laufen. Tja, und dann änderte ich meinen Plan.«
Bei diesen Worten blieb Jan fast das Herz stehen.
Es wäre alles nicht passiert, wenn ich nicht die verrückte Idee mit dem Tonband gehabt hätte, schoss es ihm durch den Kopf.
Wie oft schon hatte er sich diesen Vorwurf gemacht, aber nun, da er dem Mann gegenübersaß, der all das Leid und den Tod über seine Familie gebracht hatte, war diese Anklage für ihn wie in Stein gemeißelt.
»Es war, als wollte mir eine höhere Macht zu verstehen geben, dass ich mit Reden allein keine Chance bei Bernhard haben würde.« Der Professor betrachtete den Fetzen, der nun aus der Öffnung des Kanisters hing und sich mit dem Treibstoff vollsog. »Wohl aber, wenn ich die Akte gegen etwas austauschte, das ihm viel bedeutete. Also folgte ich euch in den Park.«
Jan zitterte am ganzen Leib, als er nun die Frage stellte, die ihm unzählige Nächte lang den Schlaf geraubt hatte. »Warum Sven? Warum nicht mich?«
»Ganz einfach, Jan.« Fleischer legte den Kopf schief und sah ihn mitleidig an. »Ich wählte Bernhards richtigen Sohn, an dem er über alles hing. Es war alles so leicht. Sven wehrte sich kaum, als ich ihn in den Kofferraum drückte. Dann brachte ich ihn hierher zum Bunker und schloss ihn ein. Hier, in diesem Raum. Danach fuhr ich zu einer Telefonzelle in Kössingen und rief Bernhard an. Wie erwartet machte er sich sofort auf den Weg.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Alles hätte gut werden können, glaub mir. Bernhard hätte mit mir gesprochen, und ich hätte ihn überreden können, mich nicht zu verraten. Ja, da bin ich mir absolut sicher. Sven war doch nur ein Mittel zum Zweck, damit er mir zuhörte. Ich schwöre dir, was dann geschah, war nicht meine Schuld. Es war Schicksal. Bernhard fuhr viel zu schnell. Er hat sich seinen Tod selbst zuzuschreiben. Als ich ihn fand, lag er bereits im Sterben. Also nahm ich die Akte an mich und stand ihm während seiner letzten Minuten bei.«
»Sie haben ihm beim Sterben zugesehen? Warum haben Sie keine Hilfe geholt?«
»Weil er schon so gut wie tot war, als ich ihn fand. Das ist die Wahrheit, Jan. Hätte ich ihn denn mutterseelenallein verrecken lassen sollen? Er war doch trotz allem noch immer mein Freund.«
»Ihr Freund?«, schrie Jan ihn an. »Sie verlogenes Stück Scheiße! Sie haben meinen Vater krepieren lassen und meinen Bruder umgebracht, und Sie behaupten, er sei Ihr Freund gewesen?«
»Ich wollte nicht, dass Sven stirbt. Das musst du mir glauben, Jan. Aber was hätte ich tun sollen? Ich musste ihn lassen, wo er war. Der Wald und die ganze Gegend waren voll von Suchmannschaften. Also beschloss ich ein Gottesurteil. Wenn man ihn fand, wollte ich mich stellen. Ja, wirklich, ich hätte alles gestanden.« Anklagend hob Fleischer den Finger zur Decke. »Es war ein Gottesurteil. Es war Gott, der Svens Tod wollte, nicht ich. Alfred Wagner hörte ihn schreien. Man hätte ihn retten können, wenn man Alfred geglaubt hätte. Aber wer glaubt schon einem paranoid Schizophrenen?«
»Sie haben einen Sechsjährigen sich selbst überlassen?«
Fleischer nickte. »Mir blieb keine andere Wahl, Jan.«
Jan schloss die Augen. »Wie lange?«
»Er ist erfroren, Jan«, sagte Fleischer mit leiser Stimme. »Wie du dich erinnern wirst, war es sehr kalt in jenem Winter. Es war wie Einschlafen, ohne wieder aufzuwachen. Du bist Arzt, Jan, du müsstest doch wissen, dass …«
»Ich will wissen, wie lange!«
Fleischer seufzte tief, dann zuckte er mit den Schultern. »Eine Woche.«
»Eine Woche«, wiederholte Jan tonlos.
Fleischer erhob sich und griff mit der Linken in seine Hosentasche, während er mit der anderen Hand die Waffe auf Jans Kopf richtete. »Wir alle hätten unseren Frieden finden können, Jan. Als ich von deinem Zusammenbruch erfuhr, wollte ich alles wiedergutmachen. Ich bot dir eine faire Chance für einen Neuanfang. Du bist doch mein Sohn. Ich wollte nicht, dass du leidest. Und wer weiß, vielleicht hätte dann auch ich Erlösung gefunden. Aber nein, du musstest ja unbedingt weiter in der Vergangenheit herumstochern. Du und deine Freundin. Ihr habt euch von Marenburg aufhetzen lassen. Ich musste dem alten Trottel eine Lehre erteilen. Ein für alle Mal.«
Jan sah zu ihm auf, sah in Fleischers Augen. Alle Angst war nun von ihm gewichen. Ihn erfüllte nur noch ein einziges Gefühl: abgrundtiefer Hass.
»Ich habe in meinem Leben mit vielen Psychopathen zu tun gehabt«, sagte er mit ausdruckloser Stimme, »aber Sie sind der widerwärtigste von allen.«
»Ich ein Psychopath?« Fleischer klang beinahe belustigt. »Ist dir eigentlich klar, was ihr angerichtet habt? Marenburg, du und deine Freundin. Rauh, Liebwerk und die kleine Nutte sind nur euretwegen gestorben. Ihr Tod geht auf euer Konto. Das kann man nicht so einfach unter den Tisch kehren, Jan. Jetzt nicht mehr. Dafür müsst ihr bezahlen. Wir müssen alle für unsere Schuld bezahlen. Ja, heute ist Zahltag.«
Er zog Rauhs Feuerzeug hervor und hielt es so, dass Jan es sehen konnte. Das eingravierte C blitzte im Licht der Glühbirnen auf wie ein überirdisches Symbol.
»Wieder so eine kleine Ironie des Lebens«, sagte er und klopfte mit dem Pistolenlauf gegen das Feuerzeug. »Norberts Frau hieß ebenfalls Carmen, auch wenn sie diesen Namen bestimmt nicht verdient hatte. Und weil wir gerade von Ironie reden: Weißt du eigentlich, woher ich wusste, dass ihr beide hier seid?«
Jan durchfuhr es eiskalt. »Konni!«
»Ja, dieser Konni ist ein netter Kerl«, nickte Fleischer. »Sehr folgsam. Als ich ihm gesagt habe, er bräuchte die Polizei nicht zu verständigen, gehorchte er sofort und ohne Widerrede.«
Noch immer den Blick auf die Pistole gerichtet, spannte Jan die Muskeln an. »Und was haben Sie jetzt vor?«
»Wie schon gesagt, Jan«, Fleischer ließ das Feuerzeug aufschnappen, und eine schlanke Flamme erschien, »heute ist der große Tag. Zeit, die Spuren der Vergangenheit endgültig zu verwischen. Rauh hat für seinen Verrat bezahlt, und auch Rudolf Marenburg wird bald für immer Ruhe geben. Ich denke, ich werde es wie einen Hirninfarkt aussehen lassen. Aber vorher werde ich noch deine Freundin von ihrer Schuld erlösen.«
»Damit kommen Sie niemals durch!«
Jan warf einen schnellen Blick zur Ausgangstür. Zu weit weg. Ehe er sie erreicht haben würde, hätte Fleischer ihn niedergeschossen.
»Mach dir darüber keine Sorgen, mein Junge«, sagte Fleischer. »Schließ jetzt deinen Frieden. Die Zeit der Obsessionen ist für dich zu Ende.«
Fleischer beugte sich mit dem Feuerzeug zu dem Kanister hinunter. Jan wusste, er musste alles auf eine Karte setzen. Bisher war sein Blatt in dieser Pokerpartie denkbar schlecht gewesen. Fleischer hatte die Pistole - eine P3 8, deren 9mm-Parabellum-Munition verheerende Schäden hervorrufen konnte, wie der tote Norbert Rauh anschaulich unter Beweis stellte. Alles, was Jan entgegenzusetzen hatte, war der Mut der Verzweiflung.
Fleischer berührte mit der Flamme den Stofffetzen. Mit einem fauchenden Whump! flammte der Rest von Norbert Rauhs T-Shirt auf. Jan warf sich zur Seite, just im selben Augenblick, in dem Fleischer sich wieder aufrichtete und mit der Waffe auf ihn zeigte.
Es gab ein hässliches schmatzendes Geräusch, als Jan mit der Schulter voraus in der Blutlache landete. In einer einzigen Bewegung trat er mit aller Kraft hinter sich und setzte eine Kettenreaktion in Gang. Sein Tritt traf Norbert Rauhs lebloses rechtes Bein, so dass der Tote wie beim Salutieren die Hacken aneinanderschlug. Von der Wucht des Aufpralls wurde Rauhs linkes Bein zur Seite geschleudert und traf den Kanister, der daraufhin in Raimund Fleischers Richtung kippte und seinen brennenden Inhalt über Fleischers Waden ergoss.
Der Professor stieß einen gellenden Schrei aus, in den sich Überraschung, Wut und Schmerz mischten. Im selben Moment löste sich ein Schuss.
Jan spürte einen Luftzug an der Schläfe, dann traf ihn der Querschläger in seine linke Wade. Es fühlte sich an, als habe man ihm einen Hieb versetzt. Jan rollte sich zusammen, um einem weiteren Schuss auszuweichen.
Dann sah er Fleischer, der sich ebenfalls zu Boden warf und versuchte, seine brennenden Hosenbeine zu löschen. Kreischend wälzte er sich hin und her, schlug mit den Händen nach seinen Beinen und presste sie in die Lache aus Norbert Rauhs halb geronnenem Blut.
Jan stieg der Geruch nach glühendem Kupfer in die Nase. Er sah die Pistole, die nun in knapp drei Metern Entfernung von Fleischer lag. Der brennende Inhalt des Kanisters hatte sich schon ein gutes Stück in diese Richtung vorgearbeitet und trennte Fleischer durch eine Flammenwand von der Waffe.
Jan sprang auf. Fast wäre er sofort wieder der Länge nach hingefallen - er spürte einen weißglühenden Stich in der Wade -, doch er fing sich, machte einen Satz nach vorn, schnappte sich die Waffe, noch ehe die Flammen ihm zuvorkommen konnten, und eilte hinkend auf die Tür zu.
Aus dem Augenwinkel konnte er Fleischer erkennen, der ebenfalls aufgesprungen war und ihm brüllend hinterherstürzte. Als Jan den Gang erreicht hatte, sah er noch kurz das vor Schmerz und grenzenloser Wut verzerrte Gesicht des Professors. Dann war er auf der anderen Seite der Tür und schlug sie zu.
Fleischer drückte mit aller Kraft gegen die Tür, und Jan hatte Mühe, seinem Ansturm standzuhalten, während er mit einer Hand nach dem dicken Vorhängeschloss fischte, das wenige Zentimeter von seinen Fingerspitzen entfernt am Boden lag.
Fleischer gelang es, die Tür einen Spaltbreit aufzudrücken und die Finger um das Türblatt zu schließen.
Als Jan das sah, ließ er kurz von der Tür ab, nur um sich gleich wieder mit voller Wucht dagegenzuschmettern. Brüllend zog Fleischer die Hand zurück. Von der anderen Seite der Tür war ein grausiger Schmerzensschrei zu hören, der mehr nach einem Raubtier als nach einem Menschen klang.
Jan hob das Vorhängeschloss vom Boden auf, schob es durch die beiden Ösen und ließ es zuschnappen. Keuchend lehnte er sich gegen die Tür und sah den Gang entlang. Die Glühbirnen hatten wieder zu flackern begonnen, und wahrscheinlich würde der Generator in den nächsten paar Minuten seinen Geist aufgeben. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. In ein paar Minuten würde es diesen Bunker nicht mehr geben. Nicht, wenn die Flammen die Munitionskisten erreichten.
Ich muss hier raus!
Begleitet von Fleischers heftigem Getrommel gegen die Stahltür hinkte Jan dem Ausgang entgegen. Doch schon nach zwei Schritten hielt er inne und sah sich noch einmal um.
Fleischer brüllte nun nicht mehr. Er weinte, heulte, bettelte um sein Leben. Heftig atmend starrte Jan auf die Tür, hörte die Faustschläge und das Flehen des Professors.
»Bitte, Jan!«, wimmerte Fleischers Stimme durch das Metall. »Lass mich raus! Sonst wirst du nie erfahren, wo ich Sven begraben habe!«
Fassungslos stand Jan da und starrte auf die Tür.