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So also kann es einem ergehen, wenn man Ben Freidman vertraut, ging es David durch den Kopf. Der Mann hatte gegen ihre Abmachung verstoßen, denn aufgrund der Meldungen in den Medien konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der Direktor des Mossad seinen neuesten Informanten bei dem Angriff gestern Abend hatte umkommen lassen wollen. Wenn er die Sache zu Ende dachte, konnte es nur eines geben: Er musste das Land so rasch wie möglich verlassen, falls er nicht doch noch Freidmans rücksichtsloser Brutalität zum Opfer fallen wollte.
Weit kam David nicht, als er sich humpelnd vom Ort der Explosion entfernte – genau gesagt, zwei Nebenstraßen. Da eines seiner Trommelfelle gerissen und damit sein Gleichgewichtssinn gestört war, schwankte er wie ein Betrunkener. Sein unsicherer Gang, der von Staub bedeckte Anzug und sein mit Blut beschmiertes Gesicht fielen einem Sanitäter auf, der ihn nach einer flüchtigen Untersuchung in einen bereitstehenden Rettungswagen verfrachtete. Im Krankenhaus gab David einen falschen Namen an, denn der Mossad hatte seine Spione überall. Selbst wenn keiner von ihnen zum Krankenhauspersonal gehörte, wäre es ein Leichtes, an die Patientenakten zu gelangen. Da er nach der Katastrophe als einer der ersten Verwundeten eingeliefert wurde, behandelte man ihn sofort und säuberte und nähte rasch seine Wunden an Bein und Hals. Man war dabei, schwerer Verwundete aus den Trümmern zu bergen, die bald im Krankenhaus eintreffen würden.
David, der sich von klein auf in Krankenhäusern auskannte, fand mühelos den Aufenthaltsraum der Ärzte. Er hatte nicht die geringste Sorge, dass man ihn entdecken könnte. Das Personal würde sich den ganzen Tag und möglicherweise noch länger im Katastropheneinsatz befinden. Da seine Kleidung unbrauchbar war, stopfte er sie in einen Abfallbehälter und behielt lediglich Unterwäsche, Schuhe und den Geldgürtel, der neben Bargeld gefälschte Papiere enthielt. Nachdem er sich gründlich gewaschen hatte, durchsuchte er die Spinde der Ärzte. Als er Kleidung fand, die ihm in etwa passte, zog er sich rasch an und nahm die Autoschlüssel an sich, die er auf der oberen Ablage des Spinds fand.
Im Parkhaus ging er zu dem für das Personal reservierten Deck und drückte am Schlüssel zweimal auf den Knopf der Funksteuerung. Rechts vor ihm leuchteten die Blinker eines Wagens auf. Er stieg ein, um Hebron so rasch wie möglich zu verlassen. Unterwegs sah er, dass überall Straßensperren errichtet wurden, um die israelischen Streitkräfte am Eindringen in die Stadt zu hindern. Zum Glück hielt ihn niemand an.
Bei Sonnenaufgang war er weit im Süden und überquerte bei Arava die Grenze nach Jordanien. Da er sich auch dort nicht wirklich sicher fühlte, rief er Prinz Omar an und bat, man möge ihn mit einem Flugzeug aus der Hafenstadt Aqaba abholen. Der Prinz, der nach einer durchfeierten Nacht praktisch bewusstlos war, brachte kein Wort heraus, und so beorderte sein tüchtiger Mitarbeiter LeClair eines von Prinz Omars fünf privaten Düsenflugzeugen nach Aqaba. Um die Mittagszeit durfte David aufatmen. Er war Freidmans Fängen entwischt und befand sich auf dem Weg nach Frankreich. Am frühen Nachmittag landete er in Nizza. Er wurde mit einem Wagen nach Cannes ins Hotel Carlton gebracht, wo LeClair eine Luxussuite für ihn reserviert hatte.
Als Erstes musste er sich neu einkleiden. Nachdem er eine Stunde lang an der Croisette eingekauft hatte, wobei er alles auf sein Hotelzimmer und damit letztlich auf den Prinzen hatte buchen lassen, kehrte er in die Ruhe seiner Suite zurück. Dort machte sich seine Erschöpfung bemerkbar, und er schlief ein. Irgendwann weckte ihn die Berührung einer weichen, fleischigen Hand. Prinz Omar war gekommen.
David drehte sich auf den Rücken und versuchte, durch heftiges Zwinkern die Müdigkeit aus seinen Augen zu vertreiben. Als er seine Umgebung bewusst wahrnahm, fiel ihm auf, dass es schon dunkel war. Prinz Omar legte seine Hand auf Davids Nacken, wobei er die empfindliche Haut um die genähte Wunde herum berührte. Reflexartig schlug David die Hand beiseite. Im selben Augenblick merkte er, dass noch jemand im Zimmer war, eine massige Gestalt, nach dem Schatten zu urteilen, den sie an die Wand warf.
Der allzeit bereite chinesische Leibwächter Zhong machte sich für den Fall bemerkbar, dass David etwas Unbesonnenes im Schilde führte. Prinz Omar allerdings ließ sich von dem leichten Klaps nicht beeindrucken, sondern betrachtete belustigt die Wunde an Davids Hals. Vermutlich zog er seine eigenen Schlüsse daraus.
»Ich würde sagen, jemand hat es bunt getrieben.« Er nahm Davids Gesicht in beide Hände. »Du musst mir alles ganz genau berichten.«
David schüttelte die Hände ab. Er hatte rasende Kopfschmerzen, und das Letzte, was er im Augenblick wünschte, waren Berührungen des saudischen Prinzen.
»Worüber?«
»Über gestern Abend«, sagte der Prinz mit einem Augenzwinkern.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, stöhnte David. Prinz Omar erhob sich lachend. Er trug einen teuren Anzug aus Seide. »Natürlich weißt du das. Jetzt steh auf und mach dich zum Abendessen fertig.« Er wies auf das Badezimmer. »Los… beeil dich. Ich habe großen Hunger. Ich habe auf Al Dschasira gesehen, was passiert ist, und möchte alle Einzelheiten wissen. Erst gehen wir essen, und dann wird gefeiert. Ich warte unten.« Ausgelassen wie ein Backfisch verließ er den Raum. Zhong folgte ihm.
Als David unter der Dusche stand, hob sich seine Stimmung ein wenig. Er hatte entsetzlichen Hunger. Vielleicht war ein privates Festmahl mit dem ›Großmufti‹ gar nicht so schlecht. Das Rasieren fiel ihm ziemlich schwer, aber mit dem Prinzen konnte er unmöglich unrasiert ausgehen. Wenn es um das Äußere der Menschen um ihn herum ging, kannte Prinz Omar keine Gnade. Er wollte von schönen Leuten umgeben sein, und das bedeutete, dass sie gut gekleidet und gepflegt sein mussten.
David hatte alles Nötige eingekauft: weißes Hemd, schwarzer Anzug und blaue Krawatte. Die Krawatte verursachte ihm Schmerzen, aber sie ließen sich ertragen, wenn er den Kopf nicht zu sehr drehte. Ein großes fleischfarbenes Pflaster auf der genähten Stelle verhinderte, dass Blut den Hemdkragen befleckte.
Er fand den Prinzen unten in der Bar. Dort hatte er sich in einem hufeisenförmigen Séparée zwischen vier Frauen gequetscht, zwei rechts und zwei links, zweifellos Edelprostituierte, wie er sie für so lange anzuheuern pflegte, bis er sie satt hatte und durch andere ersetzte. An den beiden Enden des Séparées saßen zwei Männer – höchstwahrscheinlich Vettern des Prinzen, von denen er angeblich über dreitausend besaß.
Fast hätte David Zhong übersehen. Angesichts seines mächtigen Körpers bedeutete es eine beachtliche Leistung, sich hinter einer Säule und einem großen Farn zu verstecken, der in einem Blumenkübel stand. Er zwinkerte Zhong zu, einfach um ihm zu zeigen, dass er ihn gesehen hatte. Das Gesicht des Chinesen blieb reglos wie das einer Sphinx.
Als David auf den Tisch zutrat, nahm Prinz Omar seine Hände von den beiden jungen Frauen unmittelbar links und rechts von ihm und wandte ihm begeistert die erhobenen Handflächen zu. »Es freut mich aufrichtig, dass du kommen konntest.« An seine übrigen Gäste gewandt, sagte er mit verschwörerischem Zwinkern: »David ist ein Mann mit vielen Gaben und wird bald sehr berühmt sein.« Die beiden Araber nickten, als wüssten sie mehr, als sie wissen durften.
Die jungen Frauen warfen ihm kokette Blicke zu und begannen dann, kichernd auf Französisch miteinander zu reden. Ohne auf sie zu achten, sah David den Prinzen missbilligend an.
Prinz Omar, der nicht wollte, dass der seiner Ansicht nach häufig viel zu ernste David bei seiner kleinen Gesellschaft den Spielverderber machte, forderte ihn auf, sich zu setzen, und bedeutete einem seiner Vettern mit einer Handbewegung, er möge David Platz machen.
»Komm, setz dich zu uns. Wir wollen feiern.« Dann rief er dem Kellner zu, der in der Nähe des Séparées bereitstand: »Champagner… noch mehr Champagner!«
David hob einen Arm, sodass der Kellner mitten in der Bewegung erstarrte. Mit einem Lächeln sagte er, wobei er sich aus der Hüfte heraus verbeugte: »Mein Prinz, dürfte ich kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen?« Der Blick seiner dunklen Augen zeigte an, dass das keine Bitte, sondern eine Aufforderung war.
»Aber natürlich.« Prinz Omar klatschte zweimal in die Hände und forderte durch Handbewegungen dazu auf, dass man den Tisch beiseite räumte. Er dachte nicht daran, seinen fülligen Leib aus dem Séparée herauszuzwängen.
Auf ein Fingerschnippen des Kellners hin eilten zwei Pagen herbei, um den Tisch fortzuschaffen. Wortlos verließ der Prinz das Séparée und fasste David am Ellbogen. Mit einem besorgten Blick fragte er: »Ist etwas nicht in Ordnung?«
David bemühte sich, gelassen zu erscheinen. Er war bereit, das Doppelte der zehn Millionen Dollar, die ihm Prinz Omar vor weniger als einer Woche gegeben hatte, darauf zu verwetten, dass er ihr Geheimnis ausgeplaudert hatte und auch andere Mitglieder der Herrscherfamilie Saudi-Arabiens es kannten.
»Wer sind die beiden Männer?«
»Natürlich Vettern von mir.«
»Aha… habe ich es mir doch gedacht. Und was haben Sie ihnen erzählt?«
»Nichts.«
David sah ihn zweifelnd an.
Der bei einer offensichtlichen Lüge ertappte Prinz sagte: »Nichts Wichtiges. Nur, dass du ein bedeutender Mann bist, der das Gesicht der Welt verändern wird. Ein wahrer Kämpfer für das arabische Volk.«
David stieß einen unbehaglichen Seufzer aus. Er musste ernsthaft mit dem Mann reden und würde mindestens eine Stunde lang dessen ungeteilte Aufmerksamkeit brauchen. »Ich habe großen Hunger, und ich muss unbedingt mit Ihnen reden.«
Der Prinz sah zu den anderen. »Gut, dann setzen wir uns doch wieder…«
»Nein. Nur Sie und ich.« Der Prinz ließ den Blick mehrfach zwischen David und dem Tisch hin und her wandern.
David war klar, dass er die Frauen nicht gern verlassen wollte. »Die können warten. Sie werden die ganze Nacht Gelegenheit haben, sich an ihnen zu erfreuen. Jetzt brauche ich eine Stunde Ihrer Zeit.«
Schließlich erklärte sich Prinz Omar bereit. Nachdem er einen seiner Vettern herheigewinkt und die Situation erklärt hatte, führte ein Kellner ihn und David an einen eigenen Tisch in einer entfernten Ecke des Restaurants.
David war nicht sicher, wie er beginnen sollte. Schon oft hatte er betont, wie wichtig es sei, niemandem ihre Pläne mitzuteilen. Da der Mann bisher jeden seiner Wünsche erfüllt hatte, musste er ihn mit Samthandschuhen anfassen.
Andererseits gab es Situationen, in denen es unerlässlich war, offen seine Meinung zu sagen. Wie die letzten vierundzwanzig Stunden gezeigt hatten, war das, was sie taten, äußerst gefährlich, und wenn auch im Augenblick David in vorderster Linie stand und die Gefahren auf sich nahm, konnten sich die Umstände rasch ändern. Sofern dieser Lebemann nicht sehr gut aufpasste, war es ohne weiteres möglich, dass seine Lage bald weit kritischer wurde, als ihm lieb sein konnte.
Seine Worte sorgfältig abwägend, sagte David: »Es schmeichelt mir, dass Sie so großmütige Dinge über mich sagen, aber ich kann nicht genug betonen, dass Sie auf keinen Fall über unsere Pläne sprechen dürfen.«
»Aber David, es gibt Menschen, denen die Sache am Herzen liegt, für die wir kämpfen. Es sind Menschen, denen wir vertrauen können.«
»Beispielsweise Ihre Vettern?«, fragte David mit gehobenen Brauen.
»Selbstverständlich. Ihnen würde ich mein Leben anvertrauen.«
Er sah seinen Wohltäter aufmerksam an. »Was haben Sie ihnen gesagt?«
»Ich habe ein bisschen mit dir geprahlt«, gestand der Prinz kleinlaut.
»Haben Sie auch zufällig erwähnt, dass ich die Hände bei etwas im Spiel haben könnte, das gestern Abend geschehen ist?«
Prinz Omar lächelte. »Möglich.«
David umkrallte die geschnitzten Armlehnen so fest, dass er einen Augenblick lang befürchtete, sie könnten durchbrechen. Er malte sich aus, wie diese beiden Schwachköpfe ihre Mobiltelefone herausnahmen und ihre Freunde und Verwandten in Saudi-Arabien anriefen, um sich mit der Geheimoperation zu brüsten, die ihr Vetter, als Bruder des Kronprinzen immerhin ein hochrangiges Mitglied der Herrscherfamilie, vorbereitete, um endlich ihnen allen Israel vom Hals zu schaffen.
David dachte nicht daran, die Existenz Israels zu gefährden. Mit seinem Ziel, einer friedlichen Koexistenz des Landes mit Palästina, würde sich Prinz Omar und die Mehrzahl von dessen Verwandten nie und nimmer zufrieden geben. Sie wollten die vollständige Zerschlagung des zionistischen Staates und die Ausrottung des jüdischen Volkes.
»Mein Prinz, ich habe Sie schon früher gewarnt, und das keineswegs, um mich zu schützen, sondern zu Ihrem eigenen Besten.« Betrübt schüttelte er den Kopf.
»Sie dürfen niemandem sagen, was wir tun. Ich bin sicher, dass Sie Ihren Angehörigen vertrauen können, aber darum geht es nicht. Ich nehme auch keinen Augenblick lang an, dass Ihre Vettern den Amerikanern mitteilen, was wir planen. Wohl aber bin ich überzeugt, dass die Amerikaner deren Telefongespräche abhören und mitbekommen, wenn sie sich anderen Verwandten gegenüber rühmen.«
Mit gerunzelter Stirn schüttelte der Prinz den Kopf.
»Unsinn. Die Amerikaner spionieren mein Land nicht aus.«
Seine unerschütterliche Sicherheit verblüffte David.
»Das glauben Sie?«
»Ja«, sagte der Prinz zuversichtlich. »Wir haben ein Abkommen mit ihnen.«
Ungläubig sah ihn David an. Wie konnte dieser welterfahrene Mann so naiv sein? »Ich sage das ungern, Prinz Omar, aber Amerika spioniert durchaus gegen Saudi-Arabien.«
»Unsinn. Ich habe mit meinem Bruder über das Abkommen gesprochen, und unser Geheimdienst achtet mit größter Aufmerksamkeit auf alles, was vorgeht.« Mit selbstgefälligem Nicken fügte er hinzu: »… das kann ich dir versichern.«
»Schon möglich, dass die Amerikaner niemanden in Ihrem Land haben und Sie tatsächlich nicht aktiv bespitzeln, aber das bedeutet nicht, dass sie es nicht trotzdem tun.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Mithilfe von Satelliten«, sagte David. »Denen entgeht nichts. Die Nationale Sicherheitsbehörde der Amerikaner hört alle Telefongespräche mit.«
Der Prinz dachte kurz darüber nach und furchte dann die Stirn. »Wie soll das gehen? Es telefonieren doch ungeheuer viele Menschen miteinander.«
David bemühte sich nicht, sein Entsetzen über die Unwissenheit des Mannes zu verbergen. Prinz Omar verfügte über nahezu unbegrenzte Geldmittel, er war ein Spieler, aber alles andere als besonders intelligent. Das war neben seinem Reichtum einer der Gründe, warum ihn David ausgewählt hatte. Sein unermessliches Privatvermögen hatte er unabhängig vom Reichtum seiner Familie angehäuft, indem er im richtigen Augenblick von Immobilien auf Aktien umgestiegen war und den Vorgang ein Jahrzehnt später umgekehrt hatte. Sein Gespür für den richtigen Zeitpunkt, wann man kaufen und verkaufen musste, war geradezu unheimlich, sein Wissen über Spionage hingegen praktisch null.
»Sie sollten mir in diesem Punkt vertrauen. Überlegen Sie nur: Wenn Sie sich einem Ihrer Verwandten gegenüber mit unserem Vorhaben rühmen, wissen Sie nicht, wie vielen Familienmitgliedern dieser das weitersagt.« David sah ein Glitzern in den Augen des Prinzen, und ihm ging ein Licht auf. Der eigentliche Grund dafür, dass der Mann den Mund nicht halten konnte, war sein Geltungsdrang. Trotz seiner finanziellen Erfolge hatte ihn das Herrscherhaus – unter anderem wegen seines ausschweifenden Lebensstils – nicht als Thronanwärter ausersehen, und jetzt gab er sich doppelt Mühe, vor den Augen der königlichen Familie, die ihn nicht ernst nahm, als bedeutende Persönlichkeit zu erscheinen. Aber in einem Land, in dem über neun Zehntel der Bevölkerung überzeugte Muslims waren, kam jemand wie Omar als Kronprinz keinesfalls in Frage, denn vom späteren König wurde erwartet, dass er sich zumindest den Anschein gab, die Lehren Mohammeds zu befolgen.
»Mein Prinz, bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass die Amerikaner auf keinen Fall erfahren dürfen, was wir tun, und nebenbei bemerkt auch nicht die Franzosen, die Israelis oder sonst jemand.«
Prinz Omar verzog das Gesicht. »Die Amerikaner fürchte ich nicht. Sie würden es nicht wagen, Hand an mich zu legen. Meine Familie könnte die ganze amerikanische Volkswirtschaft zugrunde richten.« Er schnippte verächtlich mit den Fingern.
David war versucht, darauf hinzuweisen, dass der königliche Schatz der Saudis gegenüber früher deutlich dahingeschwunden war. Außerdem hatten sie so viel Geld in den Vereinigten Staaten investiert, dass sie sich ins eigene Fleisch schneiden würden, wenn sie den Amerikanern den Ölhahn zudrehten. Prinz Omar befand sich nicht annähernd auf so sicherem Boden, wie er anzunehmen schien, doch würde es David nie gelingen, ihn davon zu überzeugen. Sein Luxusleben vermittelte ihm ein völlig falsches Bild von seiner wahren Bedeutung.
»Sie dürfen keinesfalls vergessen«, fuhr David fort, »dass wir unser Ziel nur dann erreichen können, wenn es uns gelingt, die Völkergemeinschaft davon zu überzeugen, dass Israel unregierbar geworden ist.«
Der Prinz schüttelte den Kopf. »Der Schlüssel zu unserem Plan liegt darin, dass wir meinen Bruder dazu bringen, Amerika mit einem Ölembargo zu drohen. Dann werden die Leute dort aufwachen.«
»Gewiss, das ist äußerst wichtig, aber wenn Sie wollen, dass wir Erfolg haben, dürfen die Amerikaner auf keinen Fall erfahren, was wir beabsichtigen.«
Der Prinz nahm unwirsch die Speisekarte zur Hand.
»Schluss jetzt damit. Ich dachte, du hast Hunger.« Er wies auf die Karte, die vor David lag. »Wir wollen essen, und dann berichtest du mir von gestern Abend.«
David warf einen Blick auf die erste Seite der Karte. Er musste an ein Gespräch denken, das er schon vor einigen Monaten mit dem Prinzen geführt hatte, und unternahm einen letzten Versuch, ihn zum Schweigen zu veranlassen. Über seine Speisekarte hinweg sagte er:
»Schenken Sie niemandem Ihr volles Vertrauen, auch mir nicht, und auf keinen Fall Ihren Angehörigen. Sie haben selbst gesagt, dass einige Ihrer Verwandten für Ihren Geschmack viel zu sehr mit den Amerikanern unter einer Decke stecken. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass es in Ihrer Familie prowestlich eingestellte Menschen gibt, die Ihnen Ihren Erfolg neiden und die Sie an die Amerikaner verraten würden, ohne mit der Wimper zu zucken.« Nach diesen Worten warf der Prinz seine Karte so heftig auf den Tisch, dass die Wassergläser tanzten und die Kerzenflamme flackerte. »Und was würden die Amerikaner dann tun?«, höhnte er. »Etwa ein Mitglied der saudi-arabischen Herrscherfamilie umbringen? Nie im Leben!«
David nickte, hauptsächlich, um ihn zu beruhigen. Der Temperamentsausbruch hatte Aufmerksamkeit erregt, und das war nicht in Davids Sinn. Vermutlich hatte der Prinz insofern Recht, als ihn die Amerikaner wahrscheinlich nicht töten würden. Aber sie konnten mit Leichtigkeit jemanden finden, der das in ihrem Auftrag tat, und wenn es galt, David aus dem Weg zu räumen, würden sie ohnehin keine Sekunde zögern.
Erneut warf er einen Blick auf seine Speisekarte und beschloss, dass es das Beste sei, das Thema zu wechseln.
»Wie stehen die Dinge mit dem Botschafter?«
»Bestens«, gab ihm Prinz Omar ungnädig Antwort.
»Devon hat ihm bereits die Hälfte des Geldes telegrafisch angewiesen. Die andere Hälfte schickt er am Montag. Dann haben wir den Mann in der Hand.«
David war froh, das zu hören. Der französische Botschafter bei den Vereinten Nationen war ein wesentlicher Bestandteil ihres Gesamtplans. Die Sache mit Hebron hatte sich besser angelassen, als er sich hätte erträumen können. Freidman hatte zu hoch gepokert und sah sich jetzt unter Druck gesetzt: Die ganze Welt verlangte von ihm eine Erklärung für die Hintergründe des Massakers. Gleich morgen wollte David nach Amerika fliegen, um den nächsten Teil ihres Plans auszuführen. Auch wenn alles nach Wunsch zu verlaufen schien, durfte er nicht allzu zuversichtlich sein.
Zu jener Stunde waren weder die Amerikaner noch die Franzosen oder die Israelis über das auf dem Laufenden, was geschah, wohl aber die Briten. Alan Churchs Segelboot ankerte nicht weit von der riesigen Yacht, der er seit Wochen folgte. Da sein jüngster Bericht beim britischen Geheimdienst in London ein gewisses Interesse geweckt hatte, war er angewiesen worden, die Überwachung fortzusetzen. Außerdem sollte er versuchen, den Mann zu identifizieren, der mit dem Prinzen zusammengetroffen war. Entweder waren die von ihm in Monaco gemachten Fotos nicht gut genug gewesen, um ihn einwandfrei erkennen zu können, oder man wusste in London nicht, wer der Mann war.
Church hatte den Prinzen und seine Gäste schon seit einer Weile von der Bar aus im Auge behalten, als eben jener gut aussehende Araber hereinkam, für den man sich in der Zentrale zu interessieren schien. Er sprach mit dem Prinzen auf eine Weise, die annehmen ließ, dass er mehr war als eine der kriecherischen Kreaturen, die diesen umgaben. Nachdem die beiden einige Worte miteinander gewechselt hatten, suchten sie den Speisesaal auf und bekamen einen Platz an einem abgelegenen Tisch angewiesen.
Church, der die königliche Familie Saudi-Arabiens schon seit langem aus der Ferne observierte, war mit den Wirren, die dicht unter der friedlich erscheinenden Oberfläche des sich nach außen hin zurückhaltend gebenden Stammes brodelten, recht gut vertraut. Im Grunde saß das aus knapp über fünftausend Mitgliedern bestehende Verwandten-Konsortium auf einem Pulverfass, denn die dreiundzwanzig Millionen Untertanen waren nicht mehr bereit, die Zügellosigkeit hinzunehmen, mit der sich manche der maßlos verzogenen Prinzen über die Gebote des Korans hinwegsetzten.
Schon seit Jahren hatte sich das Haus Saud bemüht, religiöse Fanatiker durch die Errichtung aufwändiger Moscheen und Koranschulen zu besänftigen. Die ultrafundamentalistische Sekte der Wahhabiten, die im Laufe der Zeit mehr Anhänger gewonnen hatte als jede andere Gruppierung, besaß inzwischen einen großen Einfluss auf die immer unruhiger werdende Volksmasse, bei der sie sehr beliebt war.
Church war fest davon überzeugt, dass die Tage der saudischen Herrschaft gezählt waren, auch wenn er ihr Ende möglicherweise nicht mehr selbst erleben würde. Letztlich hatten die Angehörigen des Herrscherhauses selbst zu ihrem Untergang beigetragen, indem sie religiöse Fanatiker finanziell unterstützten, die ihr weltliches Treiben und ihren ausschweifenden Lebensstil auf die Dauer nie und nimmer dulden würden. Einer jener maßlos verzogenen Prinzen war Omar. Er schwelgte im westlichen Luxus und versuchte, sein schlechtes Gewissen damit zu beschwichtigen, dass er gleichsam als Buße Zahlungen an die ultrakonservativen Vertreter einer Religion leistete, in die er zwar hineingeboren worden war, die er aber nie ernsthaft ausgeübt und an die er auch nie geglaubt hatte.
Church bat den Oberkellner, ihm einen Platz im Speisesaal anzuweisen. In Cannes feierten die Menschen gern bis spät in die Nacht, und so waren noch viele Tische frei. Er wurde zu einem Tisch geleitet, der dem des Prinzen näher stand, als es Church eigentlich lieb war. Als Prinz Omars Gast argwöhnisch zu ihm hersah, wies er auf einen Tisch, der näher an der Bar stand. Er kannte die Leistungsfähigkeit seines Abhörgeräts, und es wäre nicht gut, unnötig Verdacht zu erregen. Der Oberkellner erfüllte seinen Wunsch, und so konnten Prinz Omar und sein Besucher weiter miteinander reden, ohne befürchten zu müssen, dass jemand zuhörte.
Mit dem Rücken zur Wand sitzend, hatte der britische Agent ungehinderte Sicht auf die beiden Männer und auf die Bar. Eigentlich fand er die vier jungen Frauen interessanter, die der Prinz dort zurückgelassen hatte, aber Dienst war Dienst, und so wandte er seine Aufmerksamkeit erneut dem Objekt seiner Beobachtung zu.
Er nahm ein Etui aus der Brusttasche seines Jacketts und setzte seine Lesebrille auf. Nachdem er sich eine Weile an dem Etui zu schaffen gemacht hatte, legte er es aufgeklappt so auf den Tisch, dass der offene Deckel zu den beiden Männern hin zeigte, die sich am anderen Ende des Speisesaals unterhielten. Jetzt, da das winzige Richtmikrofon und das Aufnahmegerät die eigentliche Arbeit erledigten, schlug Church die Weinkarte auf und suchte eine richtig teure Flasche Bordeaux aus, die er sich auf Kosten der britischen Regierung zu gönnen gedachte.