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Der Mann saß im Heck der Motorbarkasse, die von der Mole ablegte. Sein öligschwarzes Haar wehte im Fahrtwind wie eine Löwenmähne, und seine dunkle Haut hob sich deutlich von seinem weit geschnittenen weißen Hemd und seiner schwarzen Ray-Ban-Sonnenbrille ab. Die Sonne stand hoch über dem Mittelmeer. Am Ufer, in Monte Carlo, wo sich die Superreichen zu ihrem Vergnügen trafen, sah es wieder nach einem vollkommenen Tag aus. Während der gut aussehende Mann die Arme über die Rückenlehne der weißen Ledersitzbank hängen ließ und die Sonne auf sein markantes Gesicht hinabschien, sah er aus wie auf einem Bild aus einem Reisemagazin oder wie jemand aus einer Urlaubs-Werbebroschüre. Für ihn allerdings würde die kurze Fahrt durch das Hafenbecken alles andere als erholsam sein. Statt eine kleine Verschnaufpause vom Alltag zu machen, stand er im Begriff, sich mitten in die Arbeit zu stürzen. Den Mann, den er aufsuchen wollte, verabscheute er aus tiefstem Herzen, und zu allem Überfluss unternahm er den Besuch nicht aus eigenem Antrieb, sondern er erfüllte einen Auftrag. Der Name des Mannes in der Barkasse war David, einfach David, ohne Nachnamen. Er hieß nicht wirklich David; es war ein Name, den er sich vor Jahren während des Studiums in den Vereinigten Staaten zugelegt hatte. Er leistete ihm gute Dienste in einem Metier, bei dem es darauf ankam, genau das richtige Maß zwischen Unauffälligkeit und Großtuerei zu finden. Er verstand sich auf die Kunst des Überlebens, war er doch in einer Umgebung aufgewachsen, die von Gewalttätigkeit und Hass beherrscht wurde. Auf irgendeine Weise war es ihm bereits in jungen Jahren gelungen, beidem die Stirn zu bieten. Indem er seine Gefühle beherrschte, statt sich von ihnen treiben zu lassen, war es ihm möglich gewesen, einen Weg durch das Minenfeld seiner Jugend zu finden, um größeren Aufgaben entgegenzureifen. Jetzt, mit vierunddreißig Jahren noch vergleichsweise jung, stand er kurz davor, die Welt zu verändern. Wenn er erreichte, dass ihm der Mann, zu dem er unterwegs war, seinen Willen ließ, würde er die letzten Schritte seines Plans verwirklichen können.

Mit einem leisen Seufzer sah David über die Windschutzscheibe der Barkasse zu der riesigen Yacht hinüber, die am Rand des Hafenbeckens vor Anker lag. In seiner Vorstellung waren sie und ihr Eigner nahezu ununterscheidbar. Beide waren monströs, beide wollten die Aufmerksamkeit eines jeden Menschen auf sich lenken, der in ihre Nähe geriet, und beide konnten sich nur dadurch über Wasser halten, dass sich eine große Zahl Menschen unermüdlich um sie kümmerte. An manchen Tagen fragte sich David, ob es möglich wäre, die Uhr zurückzudrehen und noch einmal von vorn anzufangen, wenn er einen anderen Geldgeber als diesen fände. Er reiste viel, und da es in seinem Beruf, wenn man das so nennen konnte, von Nachteil war, Dinge schriftlich zu fixieren, hing er ständig in Gedanken seinen früheren Entscheidungen wie auch der Frage nach, auf welche Weise sie sich auf seine nächsten Schritte auswirken mochten. Bei jeder Bahnfahrt und auf jedem Flug spulte sich in seinem Inneren fortwährend eine Liste von ›Was wäre, wenn?‹ ab.

In gewisser Hinsicht waren all diese Gedankenspiele hypothetisch. Er war inzwischen so tief in die Sache verstrickt, dass er gar nichts mehr ändern konnte. Prinz Omar war sein Geschäftspartner, und widerwillig musste David sich eingestehen, dass er sich alles in allem an ihre Abmachungen gehalten hatte, zumindest, was die finanzielle Seite anging. Während die protzige Yacht mit jeder Sekunde riesiger wurde, beschlich David erneut das unbehagliche Gefühl, dass er gegen seinen Willen in den Bannkreis des Prinzen gezogen wurde. Der Mann war wie eine verbotene Droge: in geringen Dosen verführerisch und verlockend, doch konnte sie, im Übermaß genossen, Körper und Seele vollständig zugrunde richten, wenn man nicht Acht gab.

Da die über hundert Meter lange Yacht die Sonne verdeckte, während der Barkassenführer neben ihr längsseits ging, machte sich die Morgenkühle wieder bemerkbar. David sah, dass sich auf seinem Arm eine Gänsehaut bildete. Hoffentlich hatte das lediglich mit der Temperaturveränderung zu tun und war nicht etwa ein böses Vorzeichen. Zwar hatte ihn Prinz Omar aufgefordert, um zwei Uhr zum Lunch und zu Drinks zu kommen, doch dachte David, der viel zu tun hatte, nicht im Traum daran, einen ganzen Tag in Monaco zu vertändeln. Zwar würde das dem Prinzen mit Sicherheit nicht gefallen, doch wie die Dinge lagen, konnte er nicht viel mehr tun als wütend aufstampfen und sich beschweren.

David steckte dem Barkassenführer einen 100-Euro-Schein in die Brusttasche und sprang dann, ohne zu warten, bis das Boot angelegt hatte, behände auf das unterste Achterdeck der Yacht. Dort fielen ihm sogleich fünf weiße Müllsäcke auf. Mit Sicherheit enthielten sie die Abfälle der Feier vom Vortag. Selbst in der kühlen Morgenluft nahm er den Geruch von Wein und Bier wahr, der ihm neben dem nach Gott weiß was für Substanzen entgegenwehte. Es war anzunehmen, dass sich der Prinz in ziemlich übler Verfassung befand.

Von irgendwo über sich hörte er eine Stimme: »Sie kommen früh.«

Er erkannte den französischen Akzent im Englisch des Mannes und sagte: »Tut mir leid, Devon.« Als er den Blick hob, sah er neben Devon LeClair, dem kriecherischen Oberfaktotum des Prinzen, dessen allgegenwärtigen Leibwächter Zhong.

LeClair runzelte die Stirn. »Sie werden warten müssen.«

David stieg nach oben, ohne den Mann im Anzug aus den Augen zu lassen, der einen elektronischen Organizer mit Lederhülle in der Hand hielt, was ihn eher wie den Verwaltungsdirektor eines Kreuzfahrtschiffes erscheinen ließ als wie den vermutlich am höchsten bezahlten persönlichen Diener auf der Welt.

Lächelnd sagte David: »Sie sehen heute Morgen gut aus, Devon.« Er schlug ihm auf die Schulter und fügte hinzu: »Ich nehme an, dass Sie sich am Treiben der vergangenen Nacht nicht beteiligt haben.«

LeClair verdrehte dramatisch die Augen. »Davon halte ich mich grundsätzlich fern. Schließlich muss irgendjemand nüchtern bleiben, damit die Dinge weiter ihren Gang gehen.«

»Stimmt.« Fast hätte ihn David gefragt, wie die Feier war, doch dann überlegte er es sich anders. Wenn er lange genug dablieb, würde ihm der Prinz die ausschweifende Orgie ohnehin vorführen wollen, die er höchstwahrscheinlich für die Nachwelt auf Video aufgenommen hatte.

»Werden Sie lange bleiben?« Der Mann hielt den Stift über den Bildschirm seines inzwischen aufgeklappten Palm Pilot.

»Bedauerlicherweise nein.« David behandelte LeClair stets mit großem Respekt und gebührender Zurückhaltung. Diesen Zerberus vor der Tür des Prinzen musste man bei Laune halten.

»Sie werden auf jeden Fall eine Weile warten müssen, bis Seine Hoheit aufwacht. Die letzten Gäste haben erst nach Sonnenaufgang ihre Kabine aufgesucht.«

David schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und warf einen prüfenden Blick auf seine Rolex. Viertel nach neun. »Devon, es tut mir wirklich Leid, aber das geht nicht. Seine Hoheit wollte mich heute sehen, dabei hatte ich ehrlich gesagt gar keine Zeit.« Er beugte sich vor und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Ich kann es mir nicht leisten, den ganzen Tag herumzusitzen und darauf zu warten, dass er seinen Rausch ausschläft.«

Der schmale Franzose klappte den Rechner zu und sah David nachdenklich durch seine ovalen Brillengläser an. »Das wird ihm nicht gefallen.«

»Das ist mir klar. Die Schuld für die frühe Störung dürfen Sie getrost auf mich schieben.« David merkte, dass LeClair unentschlossen war. »Wenn Sie wollen, wecke ich ihn selbst. Auf keinen Fall kann ich es mir leisten, den ganzen Tag mit Warten zu vergeuden.« Rasch musterte ihn LeClair von Kopf bis Fuß und sah dann zu Zhong hinüber, der den Kopf schüttelte. Es war unübersehbar, dass der Mann, dessen Aufgabe es war, den Prinzen zu beschützen, diesen Besucher unter keinen Umständen unangekündigt ins Allerheiligste eintreten lassen würde, denn David war ein Mann mit vielen Talenten.

Als sich David zum Gehen wandte, sagte der stets tüchtige LeClair: »Ich werde sehen, was ich tun kann. Möchten Sie inzwischen eine Kleinigkeit essen?«

»Gern.«

LeClair wies nach oben. »Ich werde Ihnen auf dem hinteren Sonnendeck ein Frühstück servieren lassen.« Mit einem kurzen Nicken wandte er sich ab und verschwand im Inneren der Yacht. David und Zhong blieben allein zurück. Beide standen unbehaglich schweigend da: der Attentäter und der Leibwächter.