05
David nahm einen Schluck Orangensaft und blickte nach Monte Carlo hinüber. Es war ein Bild von bemerkenswerter Schönheit. Eingelullt vom warmen Sonnenschein und den friedlichen Hafengeräuschen, hätte er ohne weiteres einschlafen können. Aber das konnte er sich nicht leisten; es gab zu viel zu tun. Er sah auf seine Uhr. Auf dem Tisch vor ihm standen nur noch klägliche Reste seines Frühstücks. Es war ausgezeichnet gewesen, was ihn nicht verwunderte, denn der Prinz führte auf all seinen Reisen eine ganze Brigade Spitzenköche mit sich.
Vor einer halben Stunde war LeClair gegangen, um den ›Großmufti‹ zu wecken, wie ihn David bei sich nannte, und wenn er auch nicht annahm, dass dieser mit beiden Beinen aus dem Bett springen würde, um ihn zu begrüßen, so war er doch keinesfalls bereit, den ganzen Tag auf ihn zu warten.
Der Prinz hatte ihn mitten in der letzten Phase der Vorbereitungen für den großen Plan zu sich gerufen, und deshalb war David entschlossen, keinesfalls fortzugehen, ohne für dessen Ausführung von seinem Geldgeber einen ansehnlichen Betrag zu fordern. Wenn aber schon über Geschäfte gesprochen werden musste, war es sicher besser, das persönlich zu tun, auch wenn es dem Prinzen zweifellos missfallen würde, dass er ihn im Schlaf störte. Ihn anzurufen wäre zu gefährlich, denn man wusste nie, was die Amerikaner mit Hilfe all ihrer verdammten Satelliten von einem Telefonat mitbekamen.
Zwar besaß David viele Talente, aber auf einem Gebiet war er ganz besonders begabt: Er beherrschte die Kunst, vermögende Menschen dahin zu bringen, sich von einem Teil ihres Reichtums zu trennen. Rasch hatte er gelernt, dass man ihnen dafür eine Gegenleistung in Aussicht stellen musste. Die entsprechende Fertigkeit hatte er nach dem Abschluss seines Studiums an der Universität von Kalifornien in Berkeley vervollkommnet, und zwar in einem kleinen Unternehmen der Computerelektronik im Silicon Valley, das mit Risikokapital arbeitete. Da er als Palästinenser fließend Arabisch sprach, eignete er sich in geradezu idealer Weise dafür, das Geld reicher Ölscheichs aus Saudi-Arabien heranzuschaffen, und im Verlauf dieser Tätigkeit hatte er den Mann kennen gelernt, auf dessen Yacht er sich jetzt befand.
Er spürte das Kommen des Prinzen, bevor er ihn hörte. Ein leichtes Zittern lief über das Deck, und das Wasser im Glas, das vor David stand, kräuselte sich leicht. Gerade noch rechtzeitig warf er einen Blick über die Schulter, um zu sehen, wie der ›Großmufti‹ durch die gläserne Schiebetür auf den überdachten Teil des Sonnendecks trat. Mit seiner Hand voller Ringe schützte er die Augen vor dem grellen Tageslicht. Ein auf Arabisch hervorgestoßenes Kommando ließ augenblicklich einen Mann neben ihm auftauchen. In der Mitte des goldenen Tabletts, das er ihm hinhielt, lag wie abgezirkelt eine Sonnenbrille. Der Prinz ergriff sie und brachte es irgendwie fertig, sie sich auf den feisten Schädel zu drücken.
Er sah hinüber zu David, der in der Sonne saß, drohte ihm mit einem seiner fleischigen Finger und stieß dabei auf Arabisch Verwünschungen aus.
David unterdrückte ein Lächeln und entschuldigte sich in der Muttersprache des Prinzen für die Unterbrechung seines Schlafes. Auf Englisch fuhr er fort: »Ihrer Hoheit ist bekannt, dass ich Sie nie und nimmer gestört hätte, wenn es nicht wichtig wäre.«
Statt in die Sonne hinauszukommen, ließ Prinz Omar seinen massigen Leib auf ein großes Sofa sinken, das von Kissen überquoll. Der hünenhafte Leibwächter Zhong trat auf die gegenüberliegende Seite des Sonnendecks, von wo aus er alles im Blick hatte, ohne den Dienstboten im Wege zu stehen, die ihren Gebieter unaufhörlich umschwirrten. Nachdem er sein weißes Seidengewand geordnet hatte, machte sich Prinz Omar daran, Kissen hin und her zu schieben und zu stopfen, bis sein fülliger Leib bequem ruhte.
David sah alldem belustigt zu. Er hatte Fotos gesehen, die Prinz Omar in jüngeren Jahren zeigten. Damals war er schlank gewesen, ein gut aussehender Playboy und einer der reichsten Männer der Welt, der mit der eigenen Düsenmaschine von einem Kontinent zum anderen geflogen war, jeweils dorthin, wo die wildesten Feste gefeiert wurden. Jetzt war er Anfang fünfzig und ein Wrack, ein Opfer der Völlerei. Jahre der Ausschweifungen hatten ihre unauslöschlichen Spuren hinterlassen. Nach seinem fünfzigsten Geburtstag war er in eine Abwärtsspirale der Depression geraten, wohl weil ihm aufgegangen war, dass er nicht auf alle Zeiten herrlich und in Freuden leben konnte, wie er sich das vorstellte. Er litt unter extremen Stimmungsumschwüngen und bewies einen allem Anschein nach unersättlichen Appetit auf eine unendliche Fülle von Lastern.
Drei Diener in frisch gestärkten weißen Jacken und schwarzen Hosen traten auf das Sonnendeck und stellten sich in einer Reihe neben dem Prinzen auf. Die goldenen Tabletts, die sie hielten, quollen von verschiedenen Dingen über, nach denen es den Prinzen möglicherweise gelüsten mochte. Ihn einfach zu bedienen, genügte nicht, das Gewünschte musste auftauchen, kaum dass er den Mund öffnete. Mithin war es Aufgabe dieser Männer, die gleichsam jede seiner Anwandlungen erahnen mussten, seine Wünsche vorauszusehen. Als Prinz Omar eine Zigarette vom Tablett des ersten Dieners nahm, gab ihm dieser sogleich Feuer mit einem goldenen Feuerzeug, das mit Diamanten besetzt war. Kaum war er beiseite getreten, als der Nächste seinen Platz einnahm, auf dessen Tablett Gläser zur Auswahl bereitstanden, die mit unterschiedlichen Früchtespießen dekoriert waren. Unentschlossen tanzten Omars juwelenbesetzte Finger über den Gläsern mit orangefarbenen, roten, rosafarbenen und blauen Getränken in der Luft, während er sich zu entscheiden versuchte.
Schließlich nahm er das mit der rosafarbenen Flüssigkeit, stellte es aber mit säuerlicher Miene zurück, sobald er einen kleinen Schluck probiert hatte. Gleich darauf ergriff er das rote Glas. Eine Bloody Mary, nahm David an.
Nach einem tiefen Zug durch den Trinkhalm wedelte der Prinz den Diener beiseite und sah David lange an. Er bewunderte ihn wegen seines Mutes, seiner Klugheit und seines blendenden Aussehens. Hätte ihn ein anderer geweckt, beispielsweise ein Angehöriger seiner weit verzweigten Familie, er hätte zu LeClair gesagt, Zhong solle ihn ins Meer werfen. Wenn er es recht bedachte, würde er dieses Schicksal einer ganzen Reihe seiner Angehörigen gönnen, auch wenn sie ihn nicht im Schlaf gestört hatten.
Schließlich sagte er: »Komm, David, erzähl mir, warum du es so eilig hast.« Der dritte Diener, auf dessen Tablett sich Gebäck türmte, trat vor. Prinz Omar bedeutete ihm, es auf den Tisch neben das Sofa zu stellen.
David kam herüber, nahm im Schatten der Segeltuchmarkise dem Prinzen gegenüber Platz und sah zu, wie er ein Stück Cremetorte verschlang.
»Warum musst du mich so ärgern, mein Freund?«, fragte der Prinz.
Ein breites Lächeln trat auf Davids Züge. Ihm war bewusst, dass ihn der Prinz gerade deshalb so gut leiden konnte, weil er nicht bereit war, sich wie einen Stiefelputzer behandeln zu lassen. Für einen Menschen, der sich jeden Augenblick seiner wachen Stunden von Speichelleckern umgeben sieht, kann es durchaus erfrischend sein, wenn man ihn mit ein wenig Dreistigkeit behandelt.
»Hoheit, bald ist die Zeit reif, Ihren Plan zu verwirklichen.« David tat so, als handele es sich um den Plan des Prinzen, doch ging er in Wahrheit auf ihn selbst zurück. »Es gibt viel zu tun, und es sollte möglichst keine Pannen geben.«
Der Prinz stellte sein Glas ab und beugte sich gespannt vor. »Wie bald?«
»Wir sind ganz nah dran.«
»Nah«, wiederholte der Prinz. In seiner Stimme schwang Ärger mit. »Sag nicht ›nah‹ – ich will Einzelheiten wissen.«
»Sie haben alle Einzelheiten, die Sie brauchen, mein Prinz«, gab David in gleichmütigem Ton zur Antwort.
Der Prinz, der mit der Unzahl seiner Kissen kämpfte, um sich aufzusetzen, fuhr ihn aufgebracht an: »Muss ich dich daran erinnern, mit wem du sprichst?«
Beiläufig nahm David die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche. »Ich werde nie vergessen, was Sie für mich und mein Volk getan haben. Sie sind nicht nur einer der wenigen, denen unsere Sache wahrhaft am Herzen liegt, sondern unter diesen zugleich der größte unserer Helden. Über all das haben wir schon früher gesprochen. Sagen wir einfach, dass es bei manchen Dingen in Ihrem eigenen Interesse besser ist, wenn Sie nichts davon wissen.«
Die durchaus aufrichtig gemeinte Huldigung schien Omar für den Augenblick zu besänftigen. »Setz dich neben mich, und flüstere es mir ins Ohr. Ich nehme dir deine Sorgen ab. Ich möchte selbst entscheiden, was ich besser nicht weiß.«
David rührte sich nicht. »Mein Prinz, wenn ich Ihnen etwas sagen würde, ließe sich das nicht zurücknehmen.
Sollte die Sache fehlschlagen, könnte man Sie mit hineinziehen.«
»Ich dachte, du wolltest dafür sorgen, dass es dazu nicht kommen kann.«
»Gewiss. Genau das ist der Grund, warum ich heute nicht bleiben und Ihre großherzige Gastfreundschaft genießen kann. Ich muss zu einer Besprechung nach Amman, bei der Vorkehrungen dafür getroffen werden sollen, dass Sie unbehelligt bleiben, sollte etwas nicht wie geplant verlaufen.«
Prinz Omar nahm ein weiteres Stück Gebäck und biss so kräftig hinein, dass ihm die rote Füllung aus den Mundwinkeln tropfte. Mit leiser Stimme fragte er: »Und wann ist es so weit?«
Während David überlegte, wie viel er ihm sagen sollte, trat ein Diener vor und reichte dem Prinzen ein dampfendes weißes Handtuch. Dieser wischte sich den Mund und den tief schwarzen Kinnbart ab und warf das Tuch nachlässig zu Boden.
David sah zu, wie der Diener es aufhob, und sagte: »Die bewusste Aktion wird sehr bald stattfinden, mein Prinz.«
»Wie bald?«, fragte Prinz Omar begierig.
»Bald.«
»Im Lauf des nächsten Monats?« David schüttelte den Kopf. »Früher.«
»In vierzehn Tagen?«
Mit einem angedeuteten Lächeln gab er zur Antwort:
»Noch im Laufe dieser Woche, mein Prinz.«
Begeistert klatschte Prinz Omar in die Hände und nickte. »Das ist eine gute Nachricht. Wunderbar.«
Während er sich sichtlich über diese Mitteilung freute, kam eine attraktive junge Blondine in einem dünnen Morgenmantel an Deck. Sie trat zu ihm, fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar und fragte ihn auf Französisch, warum er sie verlassen habe. Er schob sie beiseite und forderte sie auf, sich ein wenig zu sonnen, bis er fertig sei. Sie machte einen Schmollmund und warf David einen koketten Blick zu, während sie an ihm vorüberging.
Der Prinz sah ihr kurz nach und sagte: »Sieh sie dir an! Sie ist vollkommen.«
David warf gerade in der Sekunde einen Blick über die Schulter, als sie ihren Morgenmantel auszog und fallen ließ. Jetzt trug sie nur noch einen weißen Tanga. Er bewunderte ihre Kurven, als sie die Hände über den Kopf hob und sich streckte. Doch, sie war sehenswert. Er wandte sich wieder dem Prinzen zu und sagte: »Sehr hübsch.«
Dieser lächelte lüstern. »Ich habe noch eine genau wie sie. Wenn du heute Abend hier bleibst, kannst du beide haben.«
Natürlich, und bestimmt nimmst du das Ganze auf Video auf, dachte David. Neben dem krankhaften Hang des Prinzen, seine Gäste zu filmen, gab es noch anderes, das David weit mehr abstieß, doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. »Ihr Angebot ist äußerst verlockend, aber ich habe zu viel zu tun. Außerdem muss ich einen klaren Kopf behalten.«
Der Prinz nickte wissend. »Wenn du die Sache hinter dir hast, schenke ich dir alle beide.«
David lächelte, behielt seine Gedanken aber für sich. Er suchte sich seine Frauen lieber selbst aus. Er hielt nichts von Frauen, die man bezahlen musste und die der Prinz mit seinem kranken Geschlechtsorgan besudelt hatte. Er kam auf sein Anliegen zurück und sagte: »Allerdings gibt es durchaus etwas, das Sie jetzt für mich tun könnten.«
»Sollte es etwas mit Geld zu tun haben?«, fragte Prinz Omar mit abweisender Miene.
David war nicht im Geringsten peinlich berührt.
»Selbstverständlich. Sie wissen ja, wie unsere arabischen Brüder sind: Solange man sie bezahlt, geben sie Ruhe.«
»Genügt ihnen die Sache nicht, für die sie kämpfen?«, stieß der Prinz hervor.
»Einigen Auserwählten schon, den Märtyrern und den wahren Gläubigen. Die aber sollen in diesem speziellen Fall nicht in Erscheinung treten. Wie schon gesagt, brauchen wir dafür Profis, keine Leute, die sich einfach in die Luft jagen.«
»Aber hattest du nicht gesagt, dass die Märtyrer Teil unseres Plans sind?«
»Das sind sie«, gab David mit leicht verärgertem Unterton zurück. »Aber diese Leute verhalten sich wie eine Viehherde, wenn es brennt. Sie lassen sich von ihrem Zorn leiten, nicht von Anweisungen, die ich ihnen gebe.« Einen Augenblick lang dachte Omar darüber nach und fragte dann: »Wie viel brauchst du noch?«
David hob alle Finger. Zum ersten Mal bei seinen Verhandlungen mit dem Prinzen war ihm klar, dass er den vollen geforderten Betrag bekommen würde.
»Zehn Millionen«, sagte der Prinz spöttisch und drohte dem Palästinenser mit dem feisten Zeigefinger. »Du wirst immer unersättlicher.« Zwar waren zehn Millionen für den Prinzen, vielfacher Milliardär und mit Sicherheit einer der hundert reichsten Männer auf der Welt, ein Trinkgeld, doch es war der höchste Betrag, den David je verlangt hatte. »Mein Prinz, Sie wissen den Wert einer Sache zu schätzen. Meine Dienste sind nicht billig, und was ich für Sie und mein Volk unternehme, wird den Lauf der Geschichte verändern.«
»Fünf.«
David stand auf und stellte sich neben das Sofa des Prinzen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Zhong für den Fall, dass er gebraucht wurde, einige Schritte näher trat. Mit leiser Stimme fragte David: »Prinz Omar, was auf der Welt würde Ihnen das größte Vergnügen bereiten?«
Als dessen Augen bei der Frage aufleuchteten, war es David klar, dass er in Gedanken eine lange Liste von Wonnen durchging. »Denken Sie doch nur an das Unternehmen, das wir eingefädelt haben.«
Mit einem Blick, in dem abgrundtiefer Hass lag, sagte Omar versonnen lächelnd: »Die Zerstörung Israels.«
»Genau, mein Prinz. Verglichen damit sind zehn Millionen Dollar nichts. Dafür bekommen Sie einen Logenplatz, von dem aus Sie der Selbstzerstörung des zionistischen Staates zusehen können.«
Omar griff nach Davids Hand und drückte sie. »Eine Hälfte jetzt, die andere, wenn alles erledigt ist. Sag Devon, wohin das Geld überwiesen werden soll, und er lässt es telegrafisch anweisen. Jetzt geh und bring mir das Geschenk, auf das ich mich schon mein ganzes Leben freue.«