Prolog
Das Blut auf der Rüstung war noch
feucht. Wie einen angenehmen Duft nahm der Elf seinen süßlich,
metallischen Geruch wahr. Den Blick auf die Truppen gerichtet, die
sich im Tal zum Kampf formiert hatten, bebte er innerlich vor
Freude auf das neuerliche, bevorstehende Gemetzel.
Dass sie sich wehren würden, war zu erwarten
gewesen. Zäh waren sie ja, diese Geschöpfe, die nun die
Aufgetauchte Welt bewohnten, und hingen eigensinnig am Leben. Von
weitem schon schienen sie seine Lindwürmer erblickt zu haben und
hatten sich zum Kampf gerüstet. Wahrscheinlich hatten sie geglaubt,
wenn sie diesen ersten Angriff zurückschlügen, könnten sie den
Brandherd löschen, noch bevor er sich ausgebreitet hatte. Diese
Narren. Sie wussten nicht, dass er und seine Leute schon seit
Jahren diesen Angriff vorbereitet hatten.
Kaum waren die ersten Feinde am Horizont
aufgetaucht, erfüllte das Geschmetter von Signalhörnern das Tal.
Auf dem Rücken seines Lindwurms zählte der Elf einige Drachen und
vielleicht ein Dutzend Boote. Ein lächerliches Aufgebot angesichts
seiner eigenen Truppen. Er drehte sich zu seinen Soldaten um und
nahm das Schwert fest in die Hand. Noch einmal betrachtete er sie,
reglos in der Luft stehend, während die Flügel seines Lindwurms vor
Anstrengung leicht bebten.
In den Augen seiner Soldaten erblickte er eine kalte
Entschlossenheit, eine bedingungslose Hingabe und
Opferbereitschaft. Alle waren gewillt, für ihre Sache zu
sterben.
»Auf diesen Tag haben wir hingefiebert«, rief
er. »Aber wir alle wussten auch, dass er uns Blut kosten würde.
Doch wir werden siegen. Dessen könnt ihr ebenso gewiss sein wie
ich. Auf zu den Waffen!«
Donnerndes Kampfgeschrei erhob sich. Die
Bogenschützen legten die Pfeile an die Sehnen und warteten auf sein
Angriffssignal. Da senkte sich sein Schwert, und ein todbringender
Pfeilregen ging auf die Feinde nieder. Sie waren zu wenige, und
eben darauf hatte er gesetzt. Aber das verhinderte nicht, dass auch
Männer aus den eigenen Linien unter der Gegenwehr der Feinde
starben. Dann waren die Lanzenträger an der Reihe: Mit wildem
Kampfgeschrei prallten die Truppen zusammen und stachen aufeinander
ein. Die grobschlächtigen, plumpen Körper der Besatzer stemmten
sich gegen die schlanken Leiber seiner Soldaten. Auch auf dem Fluss
hatte der Kampf begonnen. Klar zum Entern, lautete der Befehl, und
das Scheppern der sich kreuzenden Klingen vermengte sich mit dem
Gurgeln des aufgewühlten Wassers, in dem nun mehr und mehr Körper
versanken. Das waren die süßen Klänge der Schlacht.
Nun stürzte sich der Elf selbst ins Getümmel
und brüllte dabei seinen ganzen Hass hinaus. Ein Drachenritter
wollte ihn stellen, ließ sein Tier Feuer speien, doch der Elf war
nicht zu beeindrucken und schlug sofort zurück. Mit der ganzen
Wucht seines Lindwurms warf er sich auf den Feind. Da ein Hieb, mit
aller Kraft. Die Klinge des Feindes hatte seinen Arm gestreift, und
er spürte, wie sein Fleisch brannte. Doch er kümmerte sich nicht
darum. Tief versenkte er sein Schwert in der Brust des
Drachenritters und ließ genüsslich dessen warmes Blut über seine
Hand rinnen.
Und schon stürzte er sich auf den nächsten
Feind, der einen seiner
Männer bedrängte, konzentrierte sich ganz auf den Drachen und hieb
ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf ab. Mit einem langgezogenen
Schrei stürzte der Ritter in den Fluss und wurde dabei vom Leib
seines eigenen Tieres zerquetscht.
Im Wasser trieben mittlerweile überall
Leichen. Das war gut so, denn dieses Land musste mit Blut gereinigt
werden, bevor sein Volk es wieder als das seine betrachten konnte.
Das war seine Bestimmung. Der Weg zum Ruhm führte über Blutbäder
und Tod, und er hatte Befehl gegeben, keine Gefangenen zu machen.
Das Wasser würde die Spuren dieses Grauens beseitigen. Von den
Fluten verschlungen, würden die Besatzer der Aufgetauchten Welt für
immer aus dem Leben der Elfen verschwinden.
Nach der Schlacht schickte er einige Soldaten
aus, um zu erkunden, ob noch mehr Feinde irgendwo verborgen
waren.
Der Elf saß auf seinem Lindwurm, der bis zur
Schulter im Wasser stand, die Tatzen im schlammigen Grund des
Flusses, und wartete auf sie.
»Der Weg ist frei«, meldete ihm ein Soldat,
als der Spähtrupp zurück war.
Da legte er langsam den Brustpanzer ab,
reichte ihn einem seiner Adjutanten und sprang mit einem mächtigen
Satz ins Wasser. Sofort erhob sich aufgeregtes Stimmengewirr aus
dem Kreis der Soldaten.
»Aber, Majestät!«, rief ein Adjutant und
wollte ihm zu Hilfe eilen.
Doch der Elf hielt ihn mit einer Handbewegung
zurück. »Es ist schon gut.« Damit schwamm er los, auf das nahe Ufer
zu. An dieser Stelle war die Strömung nicht stark, und zudem
verfügte er über starke Oberarme.
Mein ganzes Leben habe ich auf diesen Moment
hingearbeitet , dachte er.
Dort, wo Himmel und Erde sich berührten, lag
das Land wie eine grünbraune Fata Morgana vor ihm. Er tauchte den
Kopf unter Wasser und stellte sich vor, wie die Soldaten, die ihn
beobachteten, im Chor entsetzt aufstöhnten. Schließlich berührten
seine Füße den schlammigen Grund des Flusses, und langsam stieg er
wieder auf.
Nach und nach wurde das Wasser flacher, sank
unter seinen Hals, umspielte dann seine Hüften und schließlich nur
noch seine Knie. Er hörte, wie die Wellen gegen das Holz ihrer
Boote schwappten, lauschte der Stille, als seine Männer gespannt
den Atem anhielten.
Jetzt war das Ufer nur noch wenige Schritte
entfernt. Jenes Ufer, das er erträumt, herbeigesehnt, sich immer
wieder, unzählige Male, vorgestellt hatte. Und ihm war, als sei er
bereits einmal dort gewesen, denn er kannte es genau durch die
Schriften seiner Vorfahren, Vorfahren, die dieses Land in alle
Richtungen durchzogen, die es besessen und geliebt hatten. Doch
jetzt kam es ihm noch schöner vor, als er es sich ausgemalt hatte.
Ein gelobtes Land, in dem das Laub der Bäume grüner, das Gras
saftiger, die Luft wohlriechender war als irgendwo sonst.
Tief atmete er sie ein. Die Luft der Heimat.
Die Luft der Freiheit.
Im Schilf, das das Ufer säumte, blieb er
stehen. Nur noch ein Schritt, und es würde kein Zurück mehr
geben.
Er dachte an die Angehörigen seines Volkes,
die Jahrhunderte zuvor über diesen Fluss in entgegengesetzte
Richtung geflüchtet waren. Dachte an seinen Vater, der sich sein
ganzes Leben beim Riff von Orva verkrochen hatte, sich mit seinem
winzigen Reich hoch über dem Meer zufriedengegeben hatte. Und er
dachte an alle, die ihn, den Sohn, verlacht und ihm Steine in den
Weg gelegt hatten, an alle, die sich geweigert oder es nicht
vermocht hatten, seinen grandiosen Traum zu teilen. Überwältigt
lächelte er. Doch als er den Blick zum wolkenlos blauen Himmel hob,
lief ihm eine Träne der Trauer
über die Wange. Am Ufer fiel er auf die Knie und vergrub die Hände
in der fetten, dunklen Erde, die sich so vielversprechend anfühlte.
Dies war der Wendepunkt. Von nun an würde die Geschichte einen
anderen Verlauf nehmen. Jemand half ihm auf. Die Gesichter von den
Mühen gezeichnet, die Rüstungen blutbesudelt, blickten ihn seine
Soldaten hoffnungsvoll an.
Kryss schritt die Reihe ab und gab jedem die
Hand.
»Danke«, sagte er. »Danke für alles, was ihr
auf euch genommen habt, für all die Schmerzen und Strapazen, die
ihr ertragen habt.«
Dann drehte er sich noch einmal zu den Booten
um, mit denen sie gekommen waren, die Elfen, sein Volk, das er so
weit in die Fremde geführt hatte, fern ihrer Heimat, auf den Spuren
eines Traumes, der ihm selbst manches Mal zu gewaltig vorkam, als
dass er hätte Wirklichkeit werden können.
»Euer König ist mit euch!«, rief er mit
donnernder Stimme. »Die Zeit des Exils ist vorüber, die Tage der
Besatzer sind gezählt. Sie siechen dahin in ihren Dörfern und
Städten, werden hingerafft von der Seuche, die wir ihnen gebracht
haben. Nun kann uns niemand mehr aufhalten. Wir werden sie
ungeschehen machen, all die Jahrhunderte, die wir fern unserer
wahren Heimat verbringen mussten, werden mit ihrem Blut das Salz
unserer Tränen hinwegwaschen, und Erak Maar wird wieder unser sein.
Wir blicken in die Morgenröte einer neuen Zeit.«
Damit reckte er die Faust in die Höhe und
presste die Erde fest zusammen, die er noch darin hielt, die Erde,
die bald wieder ganz die ihre sein würde. Und wie aus einem Mund
ließ sein Volk ein ohrenbetäubendes Jubelgeschrei
erschallen.
Erak Maar, die Aufgetauchte Welt.
Wie in Ekstase schloss Kryss die Augen. Aber
nur kurz. Dann öffnete er sie wieder und spähte über das vor ihm
liegende Land wie ein Jäger nach seiner Beute.