31

Hätte mir vor drei Monaten jemand erzählt, dass Erin Jason einmal als Versager bezeichnen würde, ich hätte es nicht geglaubt. Aber so ist es. Sie sitzt auf unserer Veranda. Und lässt sich darüber aus, was für ein Versager Jason ist.

»Wie kann man mit jemandem Schluss machen, der gerade im Sommercamp ist?«, schimpft sie. »Wer tut so was? Per Brief?«

Seit zwei Tagen ist sie wieder zu Hause. Bis jetzt habe ich es ihr noch nicht gesagt. Jason will es ihr selbst sagen. Er fühlt sich verantwortlich. Er musste übers Wochenende zu so einem Familientreffen, deshalb wird er Erin erst sehen, wenn die Schule anfängt.

»Willst du noch Limonade?«, frage ich.

»Unbedingt«, antwortet Erin. »Diese Schwüle ist echt unerträglich.«

Ich fülle ihr Glas mit Limonade und gebe einen Spritzer Limone dazu. Ich liebe es, einen Spritzer Limone dazuzugeben. Das ist so erwachsen.

Ich hatte gehofft, dass Erin noch von ihrem Sommerflirt mit Lee schwärmen würde. Leider tut sie das nicht. So wütend habe ich sie noch nie erlebt. Seit sie hier ist, schimpft sie auf Jason. Schon gestern hat sie sich die ganze Zeit über Jason aufgeregt. Und sie ist noch lange nicht fertig.

Der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, ist ein echter Gute-Laune-Killer.

»Es wäre ja was anderes, wenn ich es hätte kommen sehen«, schimpft Erin weiter. »Wenn wir uns gestritten hätten oder so was. Aber als ich wegfuhr, war alles in Ordnung. Wie kann sich das so schnell geändert haben? Ich war ja nicht mal hier.«

Ich nicke mitfühlend. Es bringt mich um, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. Aber ihre maßlose Wut jagt mir auch Angst ein, daher bin ich irgendwie erleichtert, dass Jason es ihr sagen wird.

»Was glaubst du, ist passiert?«, fragt sie.

»Ähm, also…«

»Wie kommt er dazu, mich mit einem Scheißbrief abzuservieren? Für wen zum Teufel hält er sich?« Limonade schwappt aus Erins Glas auf den Boden der Veranda.

»Oh, Mist«, sagt sie.

»Macht nichts.« Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt, das Gespräch auf Lee zu lenken. »Woher kommt Lee noch mal?«, frage ich.

»Irgendwo von der Küste.«

»Kommt er dich besuchen?«

»Vielleicht.«

»Das wär doch cool.«

Eine Taube gurrt.

Mehr erzählt Erin nicht von Lee.

»Keine Ahnung, was ich zu den Leuten aus der Schule sagen soll«, sagt sie.

»Mach dir keine Sorgen. Es weiß ja niemand.«

»Oh, das wird sich schnell ändern. Die Gerüchteküche wird so was von brodeln. Und was soll ich bitte schön sagen, wenn ich gefragt werde, warum wir nicht mehr zusammen sind? Alle werden wissen, dass Jason mich abserviert hat.« Erin steigen die Tränen in die Augen. »In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so gedemütigt worden.«

»Mach dir keine Sorgen. Es muss doch niemand erfahren. Jason wird es bestimmt nicht weitererzählen.«

»Woher willst du das wissen?«

»So ist er nicht.«

»Du hast gut reden«, schnaubt Erin. »Ich hätte auch niemals für möglich gehalten, dass er in einem Scheißbrief mit mir Schluss macht. Aber genau so war es. Wer weiß schon, wozu dieses Arschloch sonst noch fähig ist?«

Als sie weg ist, rufe ich Jason an. Und sage ihm, dass ich ihn erst wieder treffen kann, wenn Erin über uns Bescheid weiß. Diesen Sommer mit ihm zu verbringen, als es nur um uns beide ging, war eine Sache. Aber jetzt ist Erin zurück und ich kann ihr unmöglich ins Gesicht sehen, wenn Jason und ich uns weiterhin verabreden, als wäre nichts. Ich fühle mich wie der furchtbarste Mensch auf der Welt. Es ist schon schrecklich, dass ich mich mit Erin treffe und so tun muss, als wäre nichts. Soll das etwa so laufen, dass sie nach der Schule mit zu mir kommt und ich mich anschließend heimlich mit Jason treffe?

Wie zum Teufel soll das gehen?

»Was willst du damit sagen?«, will Jason wissen.

»Seit sie zurück ist, haben sich die Dinge geändert. Ich kann mich nicht mit dir treffen und dann so tun, als wäre nichts. Es ist unfair ihr gegenüber.«

»Du meinst, wir können uns überhaupt nicht mehr sehen? Oder nur in der Schule nicht?«

»Überhaupt nicht.«

»Bis sie Bescheid weiß.«

»Genau.«

»Und wenn sie Bescheid weiß?«

»Dann müssen wir es nicht mehr verheimlichen.«

Ich schnappe mir den Magic-Eight-Ball und schüttle ihn. Ich formuliere meine Frage: »Wird Erin darüber hinwegkommen?«

Der Magic-Eight-Ball antwortet: »Die Zeichen stehen auf Ja.«

»Pass auf.« Ich höre, wie Jason den Hörer ans andere Ohr legt. »Du weißt, dass ich es ihr persönlich sagen will. Ich versuche, mich morgen mit ihr zu treffen, sobald ich zurück bin.«

»Bei ihr zu Hause?«

»Eigentlich würde ich sie lieber im Fountain treffen.«

Ich sage nichts. Wie kann er mit ihr dahin gehen wollen? Das ist doch unser Ort.

»Lani?«

»Ich bin noch dran.«

»Was ist los?«

»Warum musst du dich ausgerechnet dort mit ihr treffen?«

»Wir müssen uns auch nicht unbedingt treffen.«

»Aber du hast gesagt, du willst es ihr persönlich sagen.«

»Will ich auch. Wo sollten wir uns denn deiner Meinung nach treffen?«

Eigentlich ist es wirklich egal. Wenn Jason unbedingt will, kann er Erin auch im Fountain sagen, dass wir ein Paar sind. Ich wollte nur nicht immer, wenn ich mir dort in Zukunft ein Eis kaufe, daran erinnert werden.

Warum habe ich da überhaupt ein Problem mit?

»Ist schon okay«, sage ich. »Geht ruhig ins Fountain.«

»Ich habe sie ja noch nicht mal gefragt, ob sie sich mit mir treffen will. Vielleicht will sie das ja gar nicht.«

»Und dann?«

»Dann muss ich es ihr in der Schule sagen.«

»Aber bis dahin sind es ja noch zwei ganze Tage.«

»Okay. Ich ruf sie an und frage, ob sie sich morgen Abend mit mir treffen kann.«

»Bist du sicher, dass du es ihr sagen willst? Weil ich…«

»Ja. Ich muss das selbst tun.«

Nachdem ich aufgelegt habe, stürzen all diese Was-ist-wenn-Fragen auf mich ein. Was ist, wenn Erin Jason zurückhaben will? Und sie ihm das auch sagt? Und er ein schlechtes Gewissen hat und er zu ihr zurückgeht? Was ist, wenn er es nicht schafft, ihr die Wahrheit über uns zu sagen?

Als das Telefon klingelt, fahre ich zusammen. Es ist Jason.

»Das ging aber schnell«, sage ich.

»Sie hat einfach aufgelegt.«

»Was?«

»Ja. Ich konnte gar nicht fragen.«

»Was hat sie gesagt?«

»Nichts. Als sie hörte, dass ich es war, hat sie aufgelegt.«

»Hast du versucht, noch mal anzurufen?«

»Damit sie wieder auflegt? Ich denk nicht dran.«

»Und jetzt?«

»Ich könnte es mit einer SMS versuchen. Aber ich glaube nicht, dass sie mich sehen will.«

»Sag ihr einfach, dass du mit ihr reden musst. Dass es echt wichtig ist.«

»Sie wird wissen wollen, worum es geht.«

»Dann müssen wir wohl warten, bis die Schule anfängt.«

Was für ein Schlamassel! Gerade habe ich Jason mitgeteilt, dass wir uns erst wiedersehen können, wenn Erin Bescheid weiß. Aber zwei Tage zu warten, bis wir uns wiedersehen, ist ausgeschlossen. Aber ich kann wohl kaum etwas dagegen tun. Ich kann Erin ja schlecht sagen, dass Jason mit ihr reden will. Dann wird sie wissen wollen, warum. Und ich kann ihr nichts von uns sagen, weil Jason darauf besteht, dass er das tun muss.

»Ja dann…«, sagt Jason. »Dann sehen wir uns wohl in der Schule.«

»Ja. Bis dann.«

Zwei Tage sind eine Ewigkeit. Ich weiß nicht, wie ich das überleben soll. Ich kann an nichts anderes denken als an das Gefühl, wie schön es ist, mit ihm zusammen zu sein. Bei ihm zu sein und ihn zu küssen und zu wissen, dass nichts uns trennen kann.

Außer vielleicht die Realität.

Something like love
Colasanti_Something0.html
Colasanti_Something1.html
Colasanti_Something2.html
Colasanti_Something3.html
Colasanti_Something4.html
Colasanti_Something5.html
Colasanti_Something5-1.html
Colasanti_Something5-2.html
Colasanti_Something5-3.html
Colasanti_Something5-4.html
Colasanti_Something5-5.html
Colasanti_Something5-6.html
Colasanti_Something5-7.html
Colasanti_Something5-8.html
Colasanti_Something5-9.html
Colasanti_Something5-10.html
Colasanti_Something5-11.html
Colasanti_Something5-12.html
Colasanti_Something5-13.html
Colasanti_Something5-14.html
Colasanti_Something5-15.html
Colasanti_Something5-16.html
Colasanti_Something5-17.html
Colasanti_Something5-18.html
Colasanti_Something5-19.html
Colasanti_Something5-20.html
Colasanti_Something5-21.html
Colasanti_Something5-22.html
Colasanti_Something5-23.html
Colasanti_Something5-24.html
Colasanti_Something5-25.html
Colasanti_Something5-26.html
Colasanti_Something5-27.html
Colasanti_Something5-28.html
Colasanti_Something5-29.html
Colasanti_Something5-30.html
Colasanti_Something5-31.html
Colasanti_Something5-32.html
Colasanti_Something5-33.html
Colasanti_Something5-34.html
Colasanti_Something5-35.html
Colasanti_Something5-36.html
Colasanti_Something5-37.html
Colasanti_Something5-38.html
Colasanti_Something5-39.html
Colasanti_Something5-40.html
Colasanti_Something5-41.html
Colasanti_Something5-42.html
Colasanti_Something5-43.html
Colasanti_Something5-44.html
Colasanti_Something5-45.html
Colasanti_Something5-46.html