14

Heute ist einer dieser typischen Frühlingssonntage. Mom arbeitet im Garten und sät Sonnenblumensamen. Dad liegt mit einem neuen Kreuzworträtselheft in seinem Liegesessel. Erin ist hier. Wir sitzen in meinem Zimmer und gucken einen Film. Genau wie wir das schon tausendmal vorher gemacht haben. Nur dass heute etwas anders ist.

Heute habe ich ein schlechtes Gewissen.

Erin hat nichts dagegen, dass Jason und ich die Mittagspause zusammen verbringen. Sie weiß, dass wir inzwischen befreundet sind. Bevor wir alle zusammen Pizza essen waren, hatte sie sich Sorgen gemacht, dass wir uns vielleicht nicht mögen würden, und dabei freute sie sich schon so sehr auf gemeinsame Unternehmungen. Deshalb ist sie erleichtert, dass Blake Jason als ebenbürtig akzeptiert und dass auch ich gern mit ihm zusammen bin. Keine Ahnung, ob der Goldene Kreis irgendwas zu ihr gesagt hat – lange genug angestarrt haben sie uns ja. Und selbst wenn, würde Erin ihr Geschwätz nie im Leben ernst nehmen. In Erins Vorstellung existieren Jason und ich ausschließlich in Verbindung mit ihr. Manchmal ist das bei ihr wirklich so – dann sieht sie nur das, was sie sehen will. Eine Art Tunnelblick, der sie für alles andere blind macht.

Erin will wissen, was Jason über sie gesagt hat. Aber Jason spricht eigentlich nie über Erin. Wann immer ich sie erwähne, ändert er drei Sekunden später das Thema. Dabei erwähne ich sie weitaus seltener, als ich eigentlich sollte. Und genau deshalb fällt es mir schwer, Erins Fragen zu beantworten.

»Aber was hat er denn gesagt?«, will sie wissen.

»Nichts.«

»Du hast ihn gefragt, ob er meine Haare mag, und er hat nichts dazu gesagt?« Erins Haare sind lockig und blond. Seit Kurzem föhnt sie sie glatt. Und ich sollte Jason fragen, ob er ihre Haare lieber lockig oder lieber glatt mag. Ich habe ihn gefragt… glaub ich jedenfalls. Ich bin sicher, dass ich es getan habe. Ich weiß nur nicht mehr, was er geantwortet hat.

»Also, er hat gesagt, es sieht gut aus«, sage ich.

»Er mag es glatt lieber als lockig?«

»Ich glaube, er findet beides gleich gut.«

»Aha. Wie seltsam.«

»Wieso?«

»Weil Jungs eine klare Vorstellung davon haben, wie Mädchen aussehen sollten. Entweder stehen sie auf lockige Haare oder auf glatte. Aber nicht beides gleichzeitig.«

»Vielleicht ist Jason da etwas aufgeschlossener.«

»Ach ja, ist er nicht einfach super?«

»Total.«

Wir gucken weiter Dreizehn. Aber seit Neustem kann ich mich auf die einfachsten Aktivitäten nicht mehr konzentrieren. Ich lese ein Buch und meine Gedanken schweifen ab und zwanzig Minuten später bin ich immer noch auf derselben Seite. Oder ich gucke einen Film und verpasse eine ganze Szene, ohne dass ich den Dialog mitkriege.

»Was magst du am liebsten an ihm?«, fragt Erin.

»An wem?«

»An Jason!«

»Oh!« Ich glaube, ich bin nicht unbedingt die am besten geeignete Person für diese Frage. Nicht weil ich keine Antwort wüsste. Sondern weil ich zu viele Antworten habe. »Ähm… er ist witzig.«

»Total witzig.«

»Und klug.«

»Total klug.«

Gromit lugt hinter einer Koralle hervor. Ich gehe zum Aquarium und drücke einen Finger ans Glas. Neugierig sieht Gromit mich an. Dann merkt sie, dass ich kein Futter bin, und schwimmt davon.

»Nächstes Jahr wird einfach super werden.«

»Ganz bestimmt.«

»Wir könnten einen Roadtrip zusammen machen!«

»Ähm…«

»Wir könnten nach Arizona fahren und uns diesen größten Solarkollektor der Welt angucken, den du so gern sehen willst.«

»Du meinst den Windturbinenpark im Solar Center?«

»Was auch immer. Das wird Wahnsinn! Wir wechseln uns am Steuer ab und übernachten in billigen Motels. Und all die Restaurants am Straßenrand – du stehst doch auf Diners!«

Ich muss über Erins Begeisterung lachen. Sie ist ganz wild darauf, Spaß zu haben. Und ihre Entschlossenheit, alle mit an Bord zu nehmen, ist einfach bewundernswert.

»Was hat er denn sonst noch über mich gesagt?«, fragt Erin.

»Wann?«

»Egal wann! Worüber redet er denn?«

»Also…« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich kann ihr doch nicht erzählen, wie ich Jason all die Tabellen gezeigt habe, um ihn vom Recyceln zu überzeugen (was er von jetzt an tun will, weil ich ihn übrigens total überzeugt habe). Oder wie er mir sein Buch mit den Codes gezeigt hat. Vielleicht hat er das Erin ja nie gezeigt. Vielleicht sind die Codes unser Geheimnis. Vielleicht wäre Erin eifersüchtig, dass er mir etwas gezeigt hat, bevor er es ihr gezeigt hat.

»Warum willst du es mir nicht sagen?«, fragt sie.

»Es gibt nichts…«

»Oh mein Gott – hat er was Schlechtes über mich gesagt? Ist das der Grund, warum du es mir nicht sagen willst?«

»Nein! Es gibt nichts zu sagen.«

»Schwöre!«

»Ja. Sobald er was über dich sagt, werde ich es dir ganz bestimmt erzählen.«

»Aber hätte er nicht mittlerweile irgendwas sagen müssen? Redet ihr beide nicht über mich?«

»Manchmal. Aber es gibt auch noch ein paar andere Dinge in der Welt.«

»Okay. Ich reagiere über. Ich muss wieder runterkommen.«

Wenn man mitten in einer derartigen Situation drinsteckt, ist es manchmal schwer, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Erin sieht nicht, was ich sehe. Sie hält es für vorherbestimmt, dass sie und Jason zusammen sind, dass sie eine stabile Beziehung zueinander aufbauen, dass sie lange zusammen sein werden und dass es Jason genauso geht. Aber ich sehe das anders. Ich habe den Eindruck, dass Jason zwar gern Zeit mit Erin verbringt, aber nicht will, dass es zu eng wird. Ich zweifle nicht daran, dass er sie mag. Ich bezweifle nur, dass er sie so sehr mag, wie sie es sich wünscht.

Ich versuche, diese Dinge zu verdrängen. Auch wenn sie die Wahrheit sind. Diese Art Wahrheit kann man seiner besten Freundin nicht erzählen.

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