KAPITEL 16

Feder.epsDumm, elegant, dünn, wunderlich, extravagant.

Diese Worte haben alle etwas gemeinsam, etwas, das ihr nicht erwartet. Wenn ihr es herausfindet, bekommt ihr von mir einen Keks. (Die Antwort findet ihr am Anfang des nächsten Kapitels.)

Ich gebe euch einen Hinweis: Es hat etwas mit der Bedeutung des englischen Wortes »awful« zu tun.

»Nein!«, schrie ich, als ich sah, wie der Mokianer zu Boden stürzte, seinen Teddybären fallen ließ, ein Stück wegrollte und reglos liegen blieb. Hinter ihm kamen die Bibliothekare angerannt. Sie umstellten ihn und stießen ihn mit ihren Gewehren an. Er war bewusstlos.

Mein Plan platzte einfach so. Der nächste Roboter fiel, als einer der drei verbliebenen Läufer sein Ziel traf. Bald folgte ein weiterer, sodass jetzt nur noch zwei Roboter standen. Aber die genügten. Ein weiterer Felsbrocken traf die Kuppel und schlug ein großes Stück Glas heraus, das ganz in der Nähe zerschellte.

Ich blickte hinauf. Die Kuppel hatte inzwischen so viele Sprünge, dass ich kaum noch den Himmel sehen konnte.

»Ich fürchte, der nächste Felsbrocken wird sie zum Einsturz bringen«, sagte Mink, der Berater, neben mir. »Spätestens der übernächste.«

»Das dürfen wir nicht zulassen«, sagte ich. Die beiden letzten Roboter hoben die Arme, um Felsbrocken zu werfen. Eine Läuferin, die ihren Roboter bereits zerstört hatte, wurde in die Seite getroffen und fiel.

Inzwischen kam von überall Gewehrfeuer, das in der Dunkelheit blitzte wie zuckendes Discolicht. Vermutlich begriffen die Bibliothekare nun endlich, was wir im Schilde führten. Zunächst hatten sie wahrscheinlich angenommen, wir würden nur versuchen, Spione einzuschleusen.

Ein Mokianer rannte immer noch auf einen der beiden Roboter zu. Gewehrsalven schlugen um ihn herum ein. »Renn!«, rief ich und konzentrierte mich auf ihn. Ich verlieh ihm Stärke, Tempo, Sprungkraft – alles, was ich aus mir herausholen konnte. Haken schlagend raste er mit übermenschlicher Geschwindigkeit weiter. Doch in seiner Nähe brachte sich gerade eine Gruppe Scharfschützen in Stellung.

»NEIN!«, schrie ich noch lauter. Dabei schoss irgendetwas durch meine Linsen aus mir heraus. Ich meinte einen schwarzen Pfeil zu sehen, der durch die Luft sauste und den Mokianer traf.

Die Bibliothekare drückten ab. Da explodierten ihre Gewehre.

Ich erstarrte vor Schreck, während der mokianische Läufer einen letzten Satz über einen umgestürzten Baumstamm machte und seine Teddybärengranate warf. Sie traf das Bein des Roboters und explodierte. Der Roboter versuchte noch seinen Felsbrocken zu schleudern, aber er schaffte es nicht. Der große Stein fiel ihm aus der Hand. Dann donnerte auch der Roboter zu Boden.

Der Mokianer rutschte aus und fiel hin. Im nächsten Augenblick schoss ein Bibliothekar ihn bewusstlos.

Das war mein Talent, erkannte ich. Mit den Überträgerlinsen hatte ich dem Läufer für einen kurzen Augenblick mein Bruchtalent verliehen. Es hatte die Gewehre der Scharfschützen zerstört, als sie auf ihn zu schießen versuchten.

Der letzte Roboter warf seinen Felsbrocken. Wir hielten alle den Atem an, als er angeflogen kam und in die Kuppel krachte. Er durchschlug sie und fiel in die Stadt. Glasscherben regneten auf uns herab und in der Kuppel klaffte nun ein riesiges Loch.

Draußen jubelten die Bibliothekare. Hinter ihnen sah ich drei Gestalten zusammenlaufen. Kaz stieß zu den beiden letzten mokianischen Läufern. Er zögerte kurz, aber offenbar erkannte er, dass er nicht länger warten konnte. Eine Gewehrsalve schlug neben ihm in den Boden ein. Sie wirbelte Staub auf und verhalf ihm so zu dem Augenblick der Orientierungslosigkeit, den er brauchte, um sein Talent zu aktivieren. Als die Staubwolke sich lichtete, waren die drei verschwunden. Kaz’ Talent hatte sie in Sicherheit gebracht.

Der letzte Roboter beugte sich hinab, um einen weiteren Felsbrocken aufzuklauben. Das große Loch in der Kuppel war schon gefährlich genug. Dieser letzte Felsbrocken würde sie völlig zerschmettern. Die Mokianer um mich herum wurden ganz still, als der Roboter den riesigen Felsbrocken aufhob. Die Bibliothekarssoldaten unten formierten sich und marschierten zu ihren Angriffslinien zurück, um nach dem Zusammenbruch der Kuppel Tuki Tuki zu erstürmen.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Da! Über das Gelände hinter den Reihen der Bibliothekare rannte eine kleine entschlossene Gestalt mit silbernen Haaren. Bastille.

Es bestand noch Hoffnung.

Die Mokianer entdeckten sie auch und deuteten zu ihr hinüber. Die kämpferische Bastille hatte beschlossen, auf den letzten Roboter loszugehen, statt sich zu Kaz durchzuschlagen, um sich von ihm in Sicherheit bringen zu lassen. Mit ihrem Schwert auf dem Rücken und ihrer Kriegerbrille auf der Nase stürmte sie mit Crystin-Geschwindigkeit an verwirrten Bibliothekarssoldaten vorbei, manchmal auch zwischen ihnen hindurch oder über sie hinweg.

»Sie wird es nicht mehr schaffen«, sagte Aluki leise. Der Roboter hob seinen Felsbrocken hoch. »Es ist zu spät …«

Er hatte recht. Der Roboter würde den Felsbrocken werfen, bevor Bastille bei ihm eintraf. »Sie braucht mehr Zeit. Ich muss da runter!« Mein Herz raste. Instinktiv lief ich los, bahnte mir einen Weg durch die Mokianer und sprang die Treppe hinunter. Dann rannte ich zum Stadttor.

»Öffnet das Tor!«, brüllte ich.

Die Wachen sahen mich verblüfft an. Ich hatte keine Zeit zu debattieren, deshalb huschte ich an ihnen vorbei, schlug die Hände auf das Tor und ließ Bruchkraft hineinfließen. Der Riegel, der das Tor geschlossen hielt, zersplitterte in tausend Stücke, und die Wucht der Explosion ließ das Tor aufschwingen.

Ich rannte hinaus und erkannte etwas Wichtiges. Etwas ganz Erstaunliches und Lebensveränderndes.

Ich brauchte einen Schlachtruf.

»Rutabaga!«, schrie ich.

Das war das Erste, was mir einfiel, fürchte ich. Wie auch immer, ich rannte über das grasbewachsene Gelände zum Rand der Glaskuppel. Draußen schwang der Roboter seine riesigen Arme nach hinten und schleuderte den Felsbrocken.

Ich trat dicht an die Kuppel heran, holte tief Luft, legte die Hände auf das Glas und schickte einen Kraftstoß hinein.

Eine Lichtwelle, ein Energiestrom durchlief die Kuppel vor mir. Ich schloss die Augen und hielt die Hände weiter an die glatte Oberfläche. Kraft durchströmte mich wie energiegeladenes Blut und floss in das Glas.

Einen Augenblick lang kam ich mir vor, als wäre ich selbst die Kuppel, die die Stadt schützte. Ich verstärkte das Glas, wie ich es ein paar Monate zuvor mit dem Transporterglas getan hatte, um ihm mehr Widerstandskraft zu verleihen.

Der Felsbrocken traf die Kuppel.

Und er prallte ab, ohne Schaden anzurichten. Ich öffnete die Augen und sah die ganze Kuppel in einem wunderschönen funkelnden Licht erstrahlen.

Energie durchströmte mich in einem beängstigenden Tempo. Sie schien kleine Stückchen von mir mitzureißen, meine Kraft, sogar meine Seele. Ich konnte spüren, wie mein Talent sich in mir wand. Es wollte zuschlagen und das Ding zerstören, das ich zu schützen versuchte. Ich musste es mit Gewalt zurückhalten.

Nie zuvor in meinem Leben hatte ich meine Doppelnatur als Okulator und Smedry so deutlich erkannt und gespürt. In der einen Hand hielt ich die Macht, Mokia zu retten, und in der anderen die Macht, es zu zerstören.

Ich zwang mich, das Glas loszulassen, und taumelte völlig entkräftet rückwärts. Ich fühlte mich, als wäre ich einen Marathon gelaufen und hätte dabei Atlas auf den Schultern getragen. Und Mannomann, das Gewicht des Kerls hat sich im Laufe der Jahre vervielfacht. (Wegen der vielen neuen Sterne, die wir am Himmel entdeckt haben, versteht ihr?)

Ich fiel vor Erschöpfung nach hinten um. Besorgte Mokianer umringten mich, doch ich scheuchte sie weg und ließ mir von Aluki wieder auf die Beine helfen. Der Roboter bückte sich nach einem weiteren Felsbrocken. Wo blieb Bastille?

Sie war von einer großen Gruppe Bibliothekare abgefangen worden. Verzweifelt schwang sie ihr Schwert um sich, um die Soldaten abzuwehren. Sie schien einen kurzen Blick in unsere Richtung zu werfen, dann drehte sie sich um, zog einen Teddybären aus ihrem Rucksack und schleuderte ihn in die Luft.

Bei dem Manöver bot ihr Rücken den Bibliothekaren ein leichtes Ziel.

»Bastille …«, rief ich und hob eine Hand. Ich versuchte ihr durch die Überträgerlinsen Kraft zu schicken, aber ich war zu schwach. Schüsse aus einem Dutzend Bibliothekarswaffen trafen sie gleichzeitig.

Sie sank zu Boden.

Der Teddybär segelte durch die Luft.

Ich hielt den Atem an, als der Roboter den Felsbrocken aufhob. Mir fehlte die Kraft, um die Stadt erneut zu schützen.

Und …

Und …

Und …

Und …

Und …

Und …

Und …

Und …

Und …

Der Teddybär traf genau. Ein großes Stück von einem Bein des Roboters löste sich auf. Er schwankte, kippte zur Seite und ließ dabei seinen Felsbrocken fallen.

Die Mokianer um mich herum stießen Seufzer der Erleichterung aus. Ich achtete nicht auf sie. Ich starrte nur auf Bastille, die bewusstlos am Boden lag. Die Bibliothekarssoldaten schwenkten aufgeregt ihre Gewehre, als hätten sie soeben eine furchterregende Bestie niedergestreckt. Und eigentlich hatten sie das ja auch.

Die Soldaten zogen Bastille die Jacke aus und begannen auf das Kleidungsstück einzuschießen. Das befremdete mich, bis ich begriff, dass sie erkannt hatten, dass die Jacke aus Glasfaser war. Diese Bibliothekare gehörten zur Sekte der Geborstenen Linse. Sie hassten alle Arten von Glas. Nun nahmen sie Bastille die Kriegerlinsen ab und beschossen diese ebenfalls.

Ihr Hass auf Glas erklärte allerdings nicht, warum sie den Drang verspürten, der bewusstlosen Bastille in den Bauch zu treten. Mit zusammengebissenen Zähnen und innerlich kochend vor Wut musste ich mit ansehen, wie sie ein paar Minuten lang auf Bastille einschlugen. Ich wäre fast hinübergerannt, um sie zu holen, aber Aluki hielt mich am Arm fest. Wir wussten beide, dass das keinen Sinn gehabt hätte. Ich wäre nur ebenfalls gefangen genommen worden.

Schließlich packten die Bibliothekare Bastille und schleiften sie weg wie eine Kriegsbeute. Es war für sie ein besonderer Triumph, dass sie einen Ritter von Crystallia gefangen hatten. Sie brachten Bastille in ein Zelt hinter dem Schlachtfeld, in dem alle wichtigen Gefangenen lagen, die sie ins Koma versetzt hatten. Ich empfand mich als Feigling, weil ich nicht mit Bastille mitgegangen war und weil ich sie nicht herausgeholt hatte, nachdem sie gefallen war.

»Majestät?«, sagte Aluki behutsam. Die Mokianer um mich herum waren still geworden. Anscheinend spürten sie, wie mir zumute war. Oder vielleicht lag es auch daran, dass der Boden um mich herum Risse bekam und aufbrach, weil mein Talent sich eigenmächtig aktiviert hatte.

Ich war allein. Kein Grandpa, keine Bastille, kein Kaz. Sicher, ich hatte Aluki und seine Krieger, und Aydee war auch in der Stadt. Aber zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich allein und ratlos.

Ihr erwartet wahrscheinlich, dass ich jetzt irgendetwas Bitteres sage. Etwas wie: »Ich hätte nie so abhängig von anderen Menschen werden sollen. Das hat mich nur zu einem kläglichen Versager gemacht.«

Oder vielleicht: »Der Verlust von Bastille war unvermeidlich, nachdem mir das Kommando übertragen wurde. Ich hätte mich niemals zum König machen lassen sollen.«

Oder vielleicht wollt ihr, dass ich sage: »Hilfe, eine Schlange frisst mir die Zehen ab, und ich habe vergessen, den Wackelpudding aus dem Backofen zu nehmen.« (Habt ihr tatsächlich gewollt, dass ich das sage? Wenn ja, dann seid ihr echt krank. Unglaublich. Ich meine, was soll das überhaupt bedeuten, ihr Spinner?)

Wie auch immer, ich werde hier nichts dergleichen sagen. Aber dass ihr damit gerechnet habt, bedeutet, dass ich euch gut erzogen habe.

Jetzt entschuldigt mich bitte. Ich muss mein Schlangenabwehrspray holen.

»Alles in Ordnung, Majestät?«, fragte Aluki noch einmal vorsichtig.

»Wir werden diese Schlacht gewinnen«, sagte ich. Ich spürte, wie eine seltsame Entschlossenheit meine Schuldgefühle und Verlustängste verdrängte. »Und wir werden uns das Gegenmittel verschaffen. Das brauchen wir jetzt unbedingt.« Ich drehte mich um und sah die Mokianer an. »Wir werden einen Weg finden, Bastille da herauszuholen und wieder aufzuwecken. Ich werde sie nicht im Stich lassen!«

Die Krieger nickten ernst. Seltsamerweise fühlte ich mich in jenem Augenblick endlich wie ein Smedry, vielleicht sogar wie ein König – zum ersten Mal.

»Die Stadt ist vorerst geschützt«, fuhr ich fort. »Doch die Tunnel bleiben ein Problem. Ich will, dass die Leute auf ihre Posten zurückkehren und die Stadt weiter überwachen, um eindringende Bibliothekare sofort zu entdecken. Wir werden uns halten! Wir werden gewinnen! Das schwöre ich euch!«

»Majestät«, sagte Aluki und deutete mit dem Kopf nach oben. »Die Bibliothekare haben ein Loch in die Kuppel geschlagen. Sie werden einen Weg finden, das auszunutzen.«

»Ich weiß«, erwiderte ich. »Um dieses Problem kümmern wir uns, wenn es akut wird. Jemand soll die Bibliothekare beobachten. Wir müssen wissen, was sie als Nächstes vorhaben. Und fragen Sie meine Berater, ob sie irgendeine Möglichkeit sehen, dieses Loch dicht zu machen.«

»Jawohl, Majestät!«, sagte Aluki. »Ähm … und was werden Sie jetzt tun?«

Ich holte tief Luft. »Es ist Zeit, meine Mutter zu vernehmen.«