KAPITEL 8675309
Inzwischen fragt ihr euch wahrscheinlich irritiert, was für ein Kapitel das ist. Einige Leute, denen ich dieses Buch schon zu lesen gegeben habe, fanden die Kapitelnummern etwas verwirrend. (Jammerlappen.)
Ich habe das mit Absicht so gemacht, weil ich wusste, dass es die Bibliothekare verrückt machen würde, versteht ihr? Trotz unserer vielen Versuche, diese Bücher in den Buchhandlungen und Bibliotheken als harmlose »Fantasyromane« zu tarnen, haben sich die Bibliothekare als zu schlau für uns erwiesen (oder zumindest als zu gründlich). Und wenn sie meine Biografien lesen, erfahren sie vielleicht zu viel über mich. Deshalb war es Zeit für eine sorgfältige Irreführung.
Ich hatte mir überlegt, das ganze Buch in Leet-Schrift zu schreiben, aber das erschien mir dann doch zu kompliziert. So kam ich auf die ungewöhnlichen Kapitelnummern. Wie ihr wahrscheinlich gemerkt habt, entsprechen die Bibliothekare nicht den üblichen Klischeevorstellungen. Sie sind keine netten gebildeten Bücherwürmer, sondern fanatische Mitglieder von Sekten, die nach der Weltherrschaft streben. Ihnen ist nicht daran gelegen, Leute zum Schweigen zu bringen. (Es sei denn, für immer, indem sie sie in der Bucht versenken, mit einer eisernen Regalkarre an den Füßen.) Tatsächlich stehen die meisten Bibliothekare, die ich bisher kennengelernt habe, auf laute Explosionen, besonders auf solche, bei denen ein Smedry mittendrin ist.
Niemand wird Bibliothekar, weil er Leute zwingen will, still zu sein, oder weil er Bücher liebt oder weil er anderen helfen will. Nein, die Leute werden nur aus einem Grund Bibliothekare: weil es ihnen gefällt, Dinge in Ordnung zu bringen. Bibliothekare ordnen ständig irgendetwas. Sie können nicht anders. Sie hocken stundenlang auf Schemeln in Bibliotheken, sehen jedes einzelne Buch in ihrem Regal durch und überlegen hin und her, ob es um ein oder zwei Plätze verschoben werden sollte. Es macht sie verrückt, wenn wir normalen Leute in ihre Bibliotheken spazieren und etwas durcheinanderbringen.
Und so präsentiere ich euch die perfekte Falle für Bibliothekare. Sie werden an dem Regal vorbeikommen, in dem dieses Buch steht, es herausnehmen und zu lesen beginnen und sich ungeheuer schlau vorkommen, weil sie meine Autobiografie entdeckt haben. Aber die total chaotischen Kapiteltitel werden natürlich ihre Gehirne explodieren lassen. Also wenn ihr etwas graues Zeug von dem Buch abwischen müsst, dann wisst ihr, wer es vor euch gelesen hat.
Tut mir leid.
Wieder raste ich mit einem kleinen Gefolge durch die Stadt. Als König schien man viel in der Dunkelheit herumrennen zu müssen.
»Junge«, sagte Kaz, der neben mir herlief, »ich sollte in dem Einsatzkommando sein, das die Roboter angreifen wird.«
»Was?«, rief ich aus. »Nein, Kaz, ich brauche dich hier!«
»Ach wo, du kommst auch alleine klar.«
»Aber …«
»Junge, wenn ich die Kriegerlinsen aufhabe, kann ich schneller rennen als jeder mokianische Krieger.«
Das stimmte. Kriegerlinsen steigerten die körperlichen Fähigkeiten ihrer Träger beträchtlich. Kaz hatte keinerlei Probleme, mit uns anderen Schritt zu halten, trotz seiner kurzen Beine.
Kriegerlinsen gehörten zu den wenigen Linsensorten, die jeder benutzen konnte, also nicht nur ein Okulator. Die Tatsache, dass ich bis zum heutigen Tag nie eine Chance bekommen habe, Kriegerlinsen zu benutzen (na ja, abgesehen von dem einen Mal, aber darüber werden wir hier nicht reden), beweist, wie ungerecht die Welt ist. Sie sind wohl unter der Würde eines Okulators oder so was.
»Dann gib die Linsen jemand anderem«, sagte ich stur.
»Das hätte keinen Sinn«, entgegnete er. »Es erfordert viel Übung, sie zu benutzen. Das muss man erst lernen. Ich wette, dass es nicht mehr als ein paar Dutzend mokianische Krieger gibt, die mit Kriegerlinsen umgehen können. Sonst würde die ganze Armee welche tragen.«
Oh. Da hatte er wohl recht. Leider.
»Außerdem kann ich mein Talent benutzen, um mich nach der Zerstörung der Roboter in Sicherheit zu bringen. Vielleicht kann ich sogar ein paar der anderen Läufer mitnehmen. Wenn du mich mitschickst, wird das Leben retten.«
Das war natürlich ein gutes Argument. Wenn Kaz ein paar der Läufer herausholen konnte, würde das mein Gewissen sehr erleichtern.
»Bist du dir sicher, dass du da wieder herauskommst?«, fragte ich leise, während wir weiterrannten. »Dein Talent war in letzter Zeit unberechenbar …«
»Oh, herauskommen werde ich auf jeden Fall«, sagte Kaz. »Ich kann nur nicht genau sagen, wann ich zurückkommen werde. Die Talente … scheinen in letzter Zeit alle verrücktzuspielen. Das von Aydee aktiviert sich bereits bei der bloßen Erwähnung einer Zahl. Und Bastille hat mir erzählt, dass dein Vater immer öfter Sachen verliert. Irgendetwas geht da vor sich.«
Ich nickte und dachte wieder daran, wie mein Talent aus meinem Körper heraus nach Folsom zu schnappen schien.
»Also gut, du bist im Einsatzkommando«, sagte ich. Im selben Augenblick fiel mir etwas ein. »Aber versuch nicht, hierher zurückzukommen, nachdem du dich verirrt hast. Geh stattdessen zu Grandpa Smedry. Ich will, dass du ihm eine Botschaft von mir überbringst.«
»Klar, mach ich.«
»Sag ihm, dass wir ihn wirklich dringend hier brauchen. Wenn er nicht bis Mitternacht eintrifft, sind wir verloren.«
»Bis Mitternacht?«, fragte Kaz. »Das ist in ein paar Minuten.«
»Tu es einfach.«
Kaz zuckte mit den Schultern. »Okay.«
Wir erreichten eine Kreuzung zwischen zwei Reihen hübscher Wohnhütten und zögerten. Welche Richtung sollten wir einschlagen? Das wusste nur Bastille. Eine Sekunde später kam sie angerannt und bog nach rechts ab. Wir folgten ihr. Sie hatte wirklich nicht lange gebraucht, um von ihren Stelzen herunterzukommen und uns einzuholen.
Am Ende einer Hüttenreihe blieb sie stehen und hob eine Hand. Wir hielten uns hinter ihr, und Kaz informierte den jüngsten mokianischen Läufer – der besonders nervös wirkte –, dass er seinen Platz im Einsatzkommando einnehmen würde. Der junge Mann war sichtlich erleichtert über seinen Rauswurf.
»Da!«, zischte Bastille und deutete zu einem Rasenstück ein paar Hütten weiter. Wir spähten um die Ecke und sahen ein paar Schaufeln aus dem aufbrechenden Boden auftauchen. Das Gras senkte sich, und wenige Augenblicke später streckten ein paar Bibliothekare die Köpfe aus dem Loch.
»Gehen Sie schnell Aluki und seine Krieger holen«, flüsterte ich dem jungen Läufer zu, den Kaz abgelöst hatte. »Warnen Sie ihn vor diesen Eindringlingen. Er muss sich um sie kümmern, sobald das Einsatzkommando sich in den Tunnel geschlichen hat.«
Der Bursche nickte und flitzte davon. Ich linste wieder um die Ecke. Die Bibliothekare sahen sich vorsichtig um, als wären sie überrascht, auf keinen Widerstand zu stoßen. Mehrere kletterten aus dem Loch und drückten sich an die Wand der nächsten Hütte. Sie winkten die anderen heraus und bald hatte der ganze Trupp den Tunnel verlassen. Mit Gewehren bewaffnet liefen sie durch eine Seitenstraße davon, um Unheil anzurichten. Im Grunde waren diese Stoßtrupps der Bibliothekare Selbstmordkommandos, genau wie mein Einsatzkommando. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Bibliothekare davon ausgingen, dass sie die Stadt bald einnehmen und dann das Gegenmittel gegen die mokianischen Betäubungswaffen finden würden.
»Okay«, sagte ich und gab Kaz und den fünf Läufern ein Handzeichen. »Lauft los!«
Die sechs stürmten um die Ecke der Hütte und auf das Loch zu. Ich wartete nervös. Waren die Bibliothekare weit genug weg? Würden sie uns bemerken und unseren Plan durchschauen?
Bastille wartete neben mir. Ich sah ihr an, dass sie am liebsten losgerannt wäre, um sich dem Einsatzkommando anzuschließen. Doch zum Glück war es ihre oberste Pflicht, mich zu beschützen, deshalb hielt sie sich zurück.
Das Einsatzkommando erreichte das Loch und Kaz forderte die Läufer mit einem Handzeichen auf, hineinzuspringen. Doch plötzlich blitzte im Loch etwas auf.
»Gewehrfeuer!«, zischte Bastille.
Im nächsten Augenblick raste sie auf das Loch zu. Einer unserer Läufer zuckte zusammen und kippte nach hinten um. Die anderen warfen sich zu Boden und krochen in Deckung. Zwei Bibliothekare spähten aus dem Loch und legten ihre Gewehre an.
Da zog Kaz schnell eine Pistole heraus und schoss. Ein Lichtball traf einen Bibliothekar ins Gesicht und machte ihn bewusstlos. Bastille – die sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit bewegte – erreichte das Loch und trat den anderen Bibliothekar ins Gesicht.
Ich blinzelte erstaunt. In einer Schlacht ging immer alles so schnell. Bis ich reagierte und auch zum Loch hinüberlief, waren die beiden Bibliothekare bereits außer Gefecht gesetzt. Leider war einer unserer Läufer gefallen.
»Specht noch mal!«, fluchte Kaz. »Wir hätten wissen müssen, dass die Bibliothekare klug genug sein würden, eine Nachhut im Tunnel zurückzulassen.« Er sah nach dem gefallenen Läufer. Der Mann war bewusstlos. Wir würden das Gegenmittel brauchen, um ihn aufzuwecken.
»Am Ende des Tunnels werden wahrscheinlich auch Wachen postiert sein«, sagte einer der Mokianer. »Wir sind zwar schnell, aber nicht gerade die besten Kämpfer unserer Armee.«
Kaz nickte. »Wenn ihr mit ihnen kämpft und einen Tumult verursacht, werden die Bibliothekare uns den Weg aus dem Tunnel abschneiden. Spatz noch mal!«
»Wo hast du denn diese wüsten Flüche aufgeschnappt, Kaz?«, fragte Bastille.
»Tut mir leid. Als ich mich das letzte Mal verirrt habe, saß ich zwei Wochen auf einer Vogelkundlerkonferenz fest.«
Aber das war eine Geschichte für sich.
»Also«, sagte ich, »wir können nur hoffen, dass …« Ich verstummte, als ich sah, dass Bastille und Kaz einen Blick austauschten. Dann nahm Bastille zu meinem Entsetzen dem gefallenen Läufer den Rucksack mit den Teddybären ab, warf ihn sich über die Schulter und sah mich an.
»Du bleibst hier«, sagte sie.
»Nein, Bastille, du kannst nicht gehen!«
»Ich schaffe es am ehesten, die Wachen am Ausgang des Tunnels lautlos zu überwältigen. Und da ich als Crystin schneller bin als die anderen, werde ich diese Roboter sogar vor ihnen erreichen. Ich muss gehen.«
»Aber du sollst mich doch beschützen!«
»Das ist der beste Weg, dich zu beschützen.« Sie zeigte zur Kuppel hinauf. »Das Ding wird in ein paar Minuten zerspringen, wenn wir die Roboter nicht ausschalten.«
Sie rückte ihre Kriegerbrille zurecht. »Pass auf dich auf«, sagte sie. »Sieh zu, dass du am Leben bleibst. Ich fange nämlich gerade an, dich ein bisschen zu mögen. Und falls ich fallen sollte, musst du für mich das Gegenmittel besorgen.«
Mit diesen Worten sprang sie in den Tunnel hinab. Ich kroch zum Rand des Ausstiegslochs und spähte hinein. Es war nicht besonders tief und der Tunnel machte unten sofort eine Kurve in Richtung der Bibliothekarsarmee. Die Läufer sprangen Bastille hinterher. Kaz klopfte mir auf den Arm. »Ich werde versuchen, sie herauszuholen, Junge«, versprach er.
Dann folgte er den anderen in den Tunnel, mit dem Rucksack über der Schulter und einer Pistole in der anderen Hand – zur Sicherheit. Das Einsatzkommando verschwand in der Dunkelheit.
Ich starrte ihm ein paar Herzschläge lang nach und versuchte, meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Ich hatte ein Selbstmordkommando losgeschickt. Ich! Die Leute befolgten meine Befehle. Und Kaz und Bastille waren auch dabei!
Musste man als König mit so etwas leben? Mit dieser furchtbaren Schuld?
Ich fühlte mich, als hätte jemand all meine inneren Organe dick mit Honig eingeschmiert und dann ein Glas voller Ameisen auf sie losgelassen.
Ich fühlte mich, als hätte jemand mir Knallfrösche in die Nase gesteckt und sie dann mit einem Flammenwerfer angezündet.
Ich fühlte mich, als würde ich gezwungen, hundert vergammelte Fischstäbchen zu essen.
Mit anderen Worten, ich fühlte mich gar nicht gut.
Ich drehte mich um und raste davon, so schnell ich konnte. Unterwegs kam ich an Aluki und seinen Kriegern vorbei, die sich eine offene Feldschlacht mit den Bibliothekarssoldaten lieferten, die aus dem Tunnel geklettert waren. Ich rannte mit voller Kraft bis zu der Treppe, die auf die hölzerne Stadtmauer hinaufführte, und sprang sie hinauf. Oben lehnte ich mich völlig außer Atem über die Brüstung und sah hinaus.
Ich kam gerade rechtzeitig, um das Einsatzkommando auf der anderen Seite des Tunnels auftauchen zu sehen. Bastille hatte die Wachen auf ihre effiziente Art überwältigt und die Soldaten außerhalb des Tunnels hatten nichts gehört. Sie standen nur dumm herum, als die sechs Läufer aus dem Tunnel stürmten und in unterschiedliche Richtungen davonrannten.
Ein Felsbrocken donnerte auf die Kuppel und schlug ein weiteres großes Stück Glas heraus. Es fiel nach innen und zertrümmerte eine Hütte in der Nähe.
Rennt, so schnell ihr könnt, dachte ich nervös, während ich die Läufer beobachtete. Mokianer scharten sich um mich und feuerten die Läufer an. Ich registrierte am Rande, dass meine drei Berater auch unter ihnen waren.
Die sechs Läufer wirkten so winzig gegen die große Bibliothekarsarmee. Ich merkte, dass ich die Luft anhielt. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun, um ihnen zu helfen. Aber ich befand mich innerhalb der Kuppel und sie waren weit außerhalb von ihr. Und zwischen uns stand eine Armee. Ich konnte die sechs kaum sehen …
Aber ich sah sie.
Du bist ein Okulator, Dummkopf! Bastilles Stimme schien in meinem Kopf zu schreien. Ich verfluchte mich, kramte in meiner Jackentasche und zog die Brille mit den violett und grün getönten Gläsern heraus.
Meine Überträgerlinsen. Hastig nahm ich meine Okulatorenbrille ab und setzte stattdessen die Überträgerlinsen auf. Bastille hatte gesagt, dass sie mir die Fähigkeit verliehen, einer anderen Person etwas von mir selbst zu geben.
Dann wollen wir mal sehen, was die Dinger können, dachte ich entschlossen.
Das Einsatzkommando hatte sich aufgeteilt. Jeder der sechs Läufer steuerte auf einen anderen Roboter zu. Die sechs Roboter standen so weit auseinander, dass jeder Läufer sich einen vornehmen musste. Zum Glück ließen meine Leute den Großteil der Armee immer weiter hinter sich. Sie mussten nur an den Bibliothekaren vorbeikommen, die in der Nähe der hinteren Reihen herumliefen.
Aber das waren auch noch viele. Hunderte. Bastille stieß einen Bibliothekar beiseite, der sie anzugreifen versuchte. Dann schwang sie ihr Schwert und traf einen zweiten in den Bauch.
Es sollte vielleicht erwähnt werden, dass ihr Schwert keine magische »Betäubungsfunktion« besaß wie die Speere der Mokianer.
Bastille raste weiter, aber einer der mokianischen Läufer wurde schnell umzingelt. Er sah aus wie ein Runningback aus dem amerikanischen Football, der das Feld hinunterrannte und dabei von einer Gruppe Bibliothekarsschläger angegriffen wurde. Doch statt eines Balls presste er einen Teddybären an sich.
Ich konzentrierte mich auf ihn und leitete Energie durch meine Überträgerlinsen. Plötzlich fühlte ich mich schwach und meine Beine begannen zu zittern. Aber ich konzentrierte mich weiter auf den Mokianer, der nun mit einem rasanten Spurt seine Angreifer abhängte. Die Bibliothekare hinter ihm gerieten ins Stolpern, purzelten übereinander und blieben als Knäuel aus Armen und Beinen liegen.
Schnell sah ich mich nach den anderen Läufern um. Kaz wich gerade einer Gruppe Bibliothekare aus und streckte einen, der von vorn auf ihn zukam, mit einem gezielten Schuss aus seiner Pistole nieder. Aber eine mokianische Läuferin war in Bedrängnis. Vor ihr hatten sich mehrere Bibliothekare in einer Reihe aufgebaut. Anscheinend wollten sie sie abfangen, statt sie niederzuschießen, was gut war.
In ihrer Verzweiflung duckte sie sich, um einen letzten Sprung zu versuchen, bevor sie mit den Bibliothekaren zusammenprallte. Ich konzentrierte mich auf sie, dann sprang ich in die Höhe und leitete meine Sprungkraft durch die Überträgerlinsen in sie hinein. Als sie in die Luft sprang, verstärkte meine Kraft die ihre. Sie machte einen großen Satz über die Köpfe der geschockten Bibliothekare hinweg, obwohl ich nur ein paar Zentimeter hoch gehüpft war.
Ich lächelte, als ich wieder auf dem Boden stand. Ein weiterer Läufer rannte in eine Gruppe Bibliothekare, die ihm den Weg versperrte. Mit meiner Hilfe kämpfte er sich mittendurch und schlug alle nieder.
Man hatte mir gesagt, dass ich zu dem, was ich mit den Linsen tat, eigentlich gar nicht fähig sein sollte. Theoretisch konnte ich den Mokianern nur ein bisschen mehr Kraft verleihen – so viel wie ein dreizehnjähriger Junge eben besaß. Eigentlich hätten die vereinten Kräfte von mir und dem gertenschlanken Läufer nicht ausgereicht, um drei hartgesottene Bibliothekarsschläger umzuhauen.
Trotzdem hatte es geklappt. Ich habe in meiner Autobiografie schon sehr oft gelogen – zum Beispiel war die kleine Anekdote mit dem riesigen verzauberten Ninja-Wombat frei erfunden. Aber diesmal lüge ich ausnahmsweise nicht.
Mein Herz raste. Ich hatte das Gefühl, selbst da unten zu sein und um mein Leben zu rennen. Ich ließ den Blick zwischen den sechs Läufern hin- und herschweifen und verlieh ihnen alles, was ich konnte. Irgendwann stand einer von ihnen einer Gruppe von Bibliothekaren gegenüber, die Gewehre auf ihn richteten.
Du schaffst es! Ich dachte an den Läufer und schickte ihm allen Mut, den ich aufbringen konnte.
Plötzlich wirkte er zehnmal selbstsicherer. Er ließ sich von den Gewehren nicht einschüchtern und schaffte es, durch blitzschnelle Ausweichbewegungen zwischen ihnen zu bleiben, weil ich ihm alle Gewandtheit verlieh, die in mir steckte. Er erreichte die bewaffneten Bibliothekare und sprang über ihre Köpfe hinweg, weil ich seine Sprungkraft verstärkte.
Inzwischen hatten die übrigen Bibliothekarstruppen leider mitbekommen, was vor sich ging. Hunderte von Soldaten aus den vorderen Reihen stürmten brüllend nach hinten. Aber die meisten waren zu weit weg.
Bastille erreichte ihren Roboter. Ich hielt den Atem an, als sie ihre Teddybärengranate warf.
Sie traf.
Ich konnte die Explosion nicht hören, aber sie löste ein Metallknie des Roboters auf. Das Ungetüm, das gerade einen Felsbrocken werfen wollte, schwankte und kippte nach hinten um.
Als der Roboter auf dem Boden aufschlug, spürten sogar wir in Tuki Tuki die Erschütterung wie ein Erdbeben. Es war wie der Fall von Goliath. (Abgesehen davon, dass Goliath nicht von einem violetten Teddybären zu Fall gebracht worden ist.)
Die Mokianer, die auf der Mauer um mich herumstanden, brachen in ein lautes Triumphgeschrei aus. Auf der anderen Seite des von den Bibliothekaren besetzten Geländes erreichte Kaz seinen Roboter. Obwohl er und Bastille sich die beiden äußeren Roboter ausgesucht hatten, die am weitesten vom Tunneleingang entfernt waren, waren sie dank ihrer Kriegerlinsen als Erste am Ziel.
Kaz warf seine Teddybärengranate an eine Wade des Roboters und flitzte schnell davon, bevor das Monstrum zu Boden stürzte und mit einem schrecklichen Getöse Bäume unter sich zermalmte. Kaz machte unterwegs einen Freudensprung und stieß dabei wahrscheinlich einen Triumphschrei aus, weil er die größte aller großen Personen zu Fall gebracht hatte. Ich konnte ihn fast rufen hören: »Grund Nummer dreitausendsiebenundvierzig! Kleine Menschen haben kein Bedürfnis, sich haushohe Roboter zu bauen! Ha!«
Er rannte in einem Wahnsinnstempo in Richtung der anderen Läufer. Ich grinste breit und sah mich nach den anderen um.
In diesem Augenblick wurde der erste Mokianer, dem ich geholfen hatte, von einer Gewehrkugel in den Rücken getroffen.