KAPITEL 2

Feder.epsDa war ich also, mit einem rosaroten Teddybären in der Hand. Er hatte eine rote Schleife um den Hals und ein niedliches Bärenlächeln. Und er tickte.

»Was jetzt?«, fragte ich.

»Jetzt wirf ihn, du Idiot!«, drängte Bastille.

Ich runzelte die Stirn, dann warf ich den Bären durch das offene Fenster neben mir in den kleinen, mit Sand gefüllten Raum. Eine Sekunde später knallte es laut. Da ich am Fenster stand, erfasste mich die Druckwelle der Explosion. Ich wurde in die Luft und nach hinten gegen die Wand geschleudert.

Stöhnend rutschte ich zu Boden und landete auf meinem Hintern. Ich blinzelte. Meine Sicht war getrübt. Kleine Stückchen Verputz – dieses Zeug, das sie auf Decken schmieren, damit es bei einer Explosion zerspringt und effektvoll herabrieselt – rieselten effektvoll von der Decke. Ein Brocken traf mich an der Stirn.

»Autsch«, sagte ich. Keuchend lag ich da und starrte nach oben. »Bastille, ist dieser Teddybär gerade explodiert?«

»Ja«, sagte sie. Sie kam herüber und blickte auf mich herab.

Sie hatte lange, glatte silbrige Haare und trug eine militaristische graublaue Uniform. An ihrem Gürtel hing eine kleine Schwertscheide, aus der ein großer Griff herausragte. Darin steckte ihr Crystin-Schwert. Obwohl die Scheide nur etwa dreißig Zentimeter lang war, hatte die Klinge, wenn Bastille sie herauszog, die Länge eines normalen Schwertes.

»Okay. Und warum ist dieser Teddybär gerade explodiert?«

»Weil du den Sicherungsstift herausgezogen hast, du Dummkopf. Was hast du denn gedacht, was das Ding dann tun würde?«

Ich stöhnte und setzte mich auf. Wir befanden uns in der Königlichen Waffentestanlage von Nalhalla. Der Raum um uns herum war weiß und kahl. In der gegenüberliegenden Wand, an der wir vorhin gestanden hatten, war das offene Fenster, das auf die mit Sand aufgeschüttete Sprengzone hinausging. Sonst gab es keine Fenster und die einzigen Möbel waren ein paar Schränke zu unserer Rechten.

»Ich dachte, das Ding würde vielleicht Musik spielen oder ›Mama‹ sagen«, erwiderte ich. »Wo ich herkomme, pflegen Teddybären nicht zu explodieren.«

»Wo du herkommst, ist vieles rückständig«, sagte Bastille. »Ich wette, eure Pudel explodieren auch nicht.«

»Nein, natürlich nicht.«

»Siehst du?«

»Explodierende Pudel wären ja ganz ulkig. Aber explodierende Teddybären? Das ist doch gefährlich!«

»Na klar.«

»Aber Bastille, Teddybären sind für Kinder!«

»Ja, natürlich. Damit sie sich verteidigen können.«

Sie rollte die Augen und lief zu dem Fenster zurück, das zu dem sandgefüllten Raum hinausging. Sie fragte mich nicht, ob ich verletzt war. Sie sah, dass ich noch atmete, und das genügte ihr gewöhnlich.

Ach ja, wie ihr vielleicht bemerkt habt, ist das Kapitel 2. Ihr fragt euch vermutlich, wo Kapitel 1 abgeblieben ist. Ich war so blöd, es zu verlieren. Aber keine Sorge, es war eh ziemlich langweilig. Abgesehen von der Geschichte mit den sprechenden Lamas.

Ich stand auf. »Übrigens, falls du dich gefragt hast …«

»Hab ich nicht.«

»… es geht mir gut.«

»Toll.«

Ich runzelte die Stirn und ging zu Bastille hinüber. »Nervt dich irgendwas, Bastille?«

»Außer dir?«

»Ich nerve dich immer«, sagte ich. »Und du bist immer ein bisschen grantig. Aber heute bist du richtig gemein.«

Sie sah mich mit verschränkten Armen an. Dann wurde ihr Blick etwas weicher. »Kann schon sein.«

Ich zog die Augenbrauen hoch.

»Ich verliere einfach nicht gern.«

»Was soll das heißen?«, fragte ich. »Du hast deine Ritterwürde zurückerhalten. Du hast einen Verräter in deinem Orden entlarvt und besiegt. Und du hast die Bibliothekare daran gehindert, den Rat der Könige zu entführen oder zu töten. Wenn du das ›verlieren‹ nennst, dann hast du wirklich ein komisches Verständnis von diesem Wort.«

»Komischer als dein Gesicht?«

»Bastille!«, sagte ich mit fester Stimme.

Sie seufzte, beugte sich hinab und verschränkte die Arme auf dem Fensterbrett. »Die Unaussprechliche ist verschwunden. Deine Mutter ist mit einer Übersetzerbrille entkommen, und nun, da die Bibliothekare sich nicht mehr hinter einem angeblichen Friedensvertrag verstecken, kämpfen sie mit allen Mitteln um Mokia.«

»Du hast getan, was du konntest. Und ich ebenfalls. Es ist Zeit, die Sache anderen zu überlassen.«

Ich sah ihr an, dass ihr das schwerfiel. »Na schön. Machen wir mit deinem Sprengstofftraining weiter.« Sie wollte, dass ich gut vorbereitet war, falls der Krieg auf Nalhalla übergreifen sollte. Das war zwar unwahrscheinlich, aber es frustrierte Bastille, dass ich von so vielen wichtigen Dingen – wie explosiven Teddybären – keine Ahnung hatte.

Mir ist klar, dass viele von euch ebenso ahnungslos sind wie ich. Deshalb habe ich eine praktische Zusammenfassung geschrieben, in der alles steht, was ihr aus den ersten drei Bänden meiner Autobiografie wissen müsst und euch merken solltet, damit dieser Band euch nicht verwirrt. Diese Zusammenfassung habe ich in Kapitel 1 eingefügt. Falls ihr also irgendwann Verständnisprobleme haben solltet, könnt ihr darauf zurückgreifen. Ich bin so ein netter Kerl. Doof, aber nett.

Bastille öffnete einen der Schränke an der Seitenwand und zog einen weiteren kleinen rosaroten Teddybären heraus. Als ich zu ihr ging, reichte sie ihn mir. Er hatte seitlich eine kleine Schlaufe, auf der in einer wunderhübschen Schrift stand: Zieh an mir!

Ich nahm das Ding nervös entgegen. »Sag mir ehrlich, Bastille, warum stellt ihr Granaten her, die wie Teddybären aussehen? Es geht dabei doch wohl kaum um den Schutz von Kindern.«

»Was empfindest du, wenn du das Bärchen anschaust?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist süß. Auf eine fatale, zerstörerische Art.« Eigentlich ein bisschen wie Bastille, dachte ich. »Man muss lächeln, wenn man es anschaut. Aber ich würde am liebsten schreiend davonlaufen, weil ich weiß, dass es in Wirklichkeit eine Handgranate ist.«

»Genau«, sagte Bastille. Sie nahm mir das Bärchen weg, zog an der Schlaufe – und damit den Sicherungsstift heraus – und warf es aus dem Fenster. »Wenn man Waffen herstellt, die wie Waffen aussehen, dann weiß jeder, dass er sich vor ihnen in Sicherheit bringen muss. Doch so sind die Bibliothekare verwirrt.«

»Das ist makaber«, bemerkte ich. »Äh, sollte ich nicht besser in Deckung gehen oder so was?«

»Dir passiert schon nichts«, meinte sie.

Aha, dachte ich. Das muss eine Art Blindgänger oder Attrappe sein.

In derselben Sekunde explodierte die Granate draußen vor dem Fenster. Wieder warf eine Druckwelle mich nach hinten gegen die Wand und wieder fiel mir ein Brocken Verputz auf den Kopf. Ich stöhnte. Doch immerhin schaffte ich es diesmal, auf den Knien zu landen.

Seltsamerweise fühlte ich mich völlig unversehrt, obwohl die Explosion mich durch die Luft geschleudert hatte. Tatsächlich schien keine der beiden Explosionen mich ernsthaft verletzt zu haben.

»Die Rosaroten sind Druckwellengranaten«, erklärte Bastille. »Sie schleudern Leute und Sachen weg, aber sie verletzen eigentlich niemanden.«

»Wirklich?«, fragte ich und ging zu ihr zurück. »Wie funktioniert das denn?«

»Sehe ich etwa aus wie eine Sprengstoffexpertin?«

Ich zögerte. Mit ihren feurigen Augen und ihrem grimmigen Gesichtsausdruck …

»Die Antwort ist Nein, Smedry«, sagte sie und verschränkte die Arme. »Ich weiß nicht, wie diese Dinger genau funktionieren. Ich bin nur ein Ritter.«

Sie griff nach einem blauen Teddybären, zog die Schlaufe heraus und warf ihn aus dem Fenster. Ich machte mich auf eine weitere Druckwelle gefasst und hielt mich am Fensterbrett fest. Doch diesmal gab das Bärchen nur ein leises, dumpfes Geräusch von sich. Der Sand im Nebenraum begann sich auf rätselhafte Weise aufzutürmen und ich wurde plötzlich mit einem Ruck durch das Fenster nach nebenan gezogen.

Ich schrie auf, wirbelte durch die Luft und landete mit dem Gesicht voran auf dem Sandhügel.

»Das ist eine Saugwellengranate«, erklärte Bastille von hinten. »Sie explodiert gewissermaßen andersherum. Sie saugt alles an, statt es wegzuschleudern.«

»Mur murr mur mur murr«, machte ich, weil ich mit dem Kopf im Sand steckte. Sand schmeckt übrigens gar nicht gut. Nicht einmal mit Ketchup.

Ich zog den Kopf heraus, lehnte mich gegen den Sandhügel, rückte meine Okulatorenbrille zurecht und blickte zum Fenster zurück, aus dem Bastille sich mit verschränkten Armen hinauslehnte. Sie lächelte leise. Nichts hob ihre Laune schneller als der Anblick eines Smedry, der durch ein Fenster hinausgesaugt wurde.

»Das gibt’s doch nicht!«, sagte ich kopfschüttelnd. »Eine Granate, die nach innen explodiert?«

Sie rollte wieder die Augen. »Du bist jetzt schon seit Monaten in Nalhalla, Smedry. Solltest du nicht allmählich aufhören, so zu tun, als würde dich hier alles schockieren oder verwirren?«

»Ich … äh …« Ich tat nicht nur so. Ich war in den Ländern des Schweigens aufgewachsen und von den Bibliothekaren dazu erzogen worden, alles abzulehnen, was ungewöhnlich war. Doch Nalhalla – diese Stadt aus lauter Burgen – war so außergewöhnlich, dass man aus dem Staunen nicht herauskam.

»Ich finde es einfach unglaublich, dass eine Granate nach innen explodieren kann«, sagte ich und schüttelte mir Sand von den Klamotten, während ich zum Fenster zurückging. »Ich meine, wie soll das denn funktionieren?«

»Vielleicht nimmt man dasselbe Zeug wie für eine normale Granate und stopft es einfach andersherum hinein?«

»Also … ich glaube nicht, dass es so funktioniert, Bastille.«

Sie zuckte mit den Schultern und holte einen weiteren Teddybären aus dem Schrank. Dieser war violett. Sie griff nach der Schlaufe, um daran zu ziehen.

»Halt, warte!«, rief ich. Ich kletterte durchs Fenster und nahm ihr die Bärengranate weg. »Diesmal sagst du mir zuerst, welche Wirkung das Ding hat.«

»So macht es keinen Spaß.«

Ich sah sie scharf an.

»Dieses Modell hier ist harmlos«, erklärte sie. »Das ist eine Materialfressergranate. Sie zerstäubt alles, was nicht lebt. Gestein, totes Holz, Fasern, Glas, Metall. Alles verschwindet. Bis auf lebende Pflanzen, Tiere und Menschen – denen passiert überhaupt nichts. Diese Granate wirkt Wunder gegen Belebte.«

Ich blickte auf den kleinen violetten Teddybären hinab. Belebte waren Gegenstände, die durch dunkle okulatorische Magie zum Leben erweckt wurden. Ich hatte einmal gegen einen Belebten gekämpft, der aus Romanen bestand. »Die könnte nützlich sein.«

»Ja«, sagte sie. »Sie hilft auch gegen Bibliothekare. Wenn eine bewaffnete Gruppe dich angreifen will, kannst du ihre Waffen zerstäuben, doch die Leute bleiben unversehrt.«

»Und ihre Klamotten?«, fragte ich.

»Alle futsch.«

Ich hob den Teddybären hoch und spielte mit dem Gedanken, mich dafür zu rächen, dass ich durchs Fenster gesaugt worden war. »Also du meinst, wenn ich das Ding hier nach dir werfen würde und es losginge, dann würdest du …«

»Dir ins Gesicht treten«, sagte Bastille frostig. »Und anschließend würde ich dich an die Außenmauer einer hohen Burg tackern und ›Drachenfutter‹ auf deine Stirn schreiben.«

»Schon gut«, sagte ich. »Ähm … warum legen wir das Ding nicht einfach zurück?«

»Ja, gute Idee.« Sie nahm mir den Teddybären ab und stopfte ihn wieder in den Schrank.

»Also … dann ist keine dieser Granaten tödlich?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Bastille. »Wofür hältst du uns? Für Barbaren?«

»Natürlich nicht. Aber ihr befindet euch im Krieg.«

»Krieg ist keine Rechtfertigung dafür, Menschen zu verletzen.«

Ich kratzte mich am Kopf. »Ich dachte, in einem Krieg ginge es genau darum.«

»Das denken die Bibliothekare«, sagte Bastille. Sie verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. »Das ist unzivilisiert.« Sie zögerte. »Na ja, tatsächlich benutzen heutzutage selbst die Bibliothekare im Krieg viele nichttödliche Waffen. Das wirst du noch sehen, falls der Krieg je bis hierher kommt.«

»Aha … aber du hast keinerlei Skrupel, mir dann und wann wehzutun.«

»Du bist ein Smedry«, sagte sie. »Das ist etwas anderes. Also soll ich dir jetzt noch die restlichen Granaten erklären oder nicht?«

»Das kommt darauf an. Was werden sie mit mir anstellen?«

Sie sah mich komisch an, dann brummte sie etwas und wandte sich ab.

Ich blinzelte verwundert. Inzwischen hatte ich mich an Bastilles Launen gewöhnt, doch diese Reaktion war untypisch für sie. »Bastille?«

Sie lief zum anderen Ende des Raumes hinüber und klopfte auf eine Glasplatte, woraufhin die Wand durchsichtig wurde. Die Königliche Waffentestanlage war eine hohe Burg mit vielen Türmen am Rand von Nalhalla City. Von unserem Standort aus hatten wir eine tolle Aussicht auf die Hauptstadt.

»Bastille?«, fragte ich noch einmal und ging zu ihr hinüber.

Sie sagte mit verschränkten Armen: »Ich sollte dich nicht so anschnauzen.«

»Wie solltest du mich dann anschnauzen?«

»Überhaupt nicht. Es tut mir leid, Alcatraz.«

Ich blinzelte überrascht. Eine Entschuldigung von Bastille? »Der Krieg um Mokia beunruhigt dich sehr, stimmt’s?«

»Ja. Ich wünschte, wir könnten mehr tun.«

Ich nickte verständnisvoll. Nach meiner Flucht aus den Ländern des Schweigens hatten sich die Ereignisse überschlagen. Zuerst hatten wir meinen Vater aus der Bibliothek von Alexandria befreit, dann hatten wir verhindert, dass Nalhalla einen Vertrag mit den Bibliothekaren unterzeichnete. Inzwischen hatte die Lage hier sich beruhigt. Und wie zu erwarten hatten andere Leute – Leute mit mehr Erfahrung als Bastille und ich – die wichtigen Aufgaben übernommen. Ich war zwar ein Smedry und sie ein voll ausgebildeter Ritter von Crystallia, aber wir waren beide erst dreizehn. In den Freien Königreichen maß man dem Alter zwar keine allzu große Bedeutung bei, aber eine gewisse Rolle spielte es eben doch.

Bastille hatte während ihrer Kindheit eine gründliche Ausbildung erhalten und war schon als junges Mädchen zum Ritter geschlagen worden. Die anderen Ritter ihres Ordens erwarteten von ihr, dass sie viel trainierte, um frühere Patzer wettzumachen. Deshalb war sie den halben Tag damit beschäftigt, in Crystallia ihre Pflichten zu erfüllen.

Ich verbrachte meine Tage in Nalhalla gewöhnlich mit Lernen. Zum Glück war das hier viel interessanter als früher in meiner schweigeländischen Schule. Ich lernte zum Beispiel, wie man Okulatorenlinsen benutzte, wie man Verhandlungen führte und wie man mit den Waffen der Freien Untertanen umging. Mir wurde allmählich klar, was von einem Smedry erwartet wurde: Er musste eine Mischung aus einem Geheimagenten, einem Elitesoldaten, einem Diplomaten, einem General und einem Käsekoster sein.

Ich will nicht lügen. Es war total cool. Statt den ganzen Tag herumzusitzen und Biologiearbeiten zu schreiben oder mir anzuhören, wie Mr. Layton, mein früherer Mathelehrer, die Vorzüge des Faktorisierens pries, musste ich Teddybärengranaten werfen und von Gebäuden springen. Am Anfang machte das großen Spaß.

Okay, nicht nur am Anfang, sondern DIE GANZE ZEIT.

Aber etwas fehlte. Davor hatte ich zwar wild herumimprovisiert, ohne so recht zu wissen, was ich tat, doch ich war an wichtigen Missionen beteiligt gewesen. Und Bastille ebenfalls. Jetzt waren wir nur … na ja, eben Kinder. Und das war ärgerlich.

»Es muss etwas geschehen!«, rief ich aus. »Etwas Aufregendes.« Wir schauten erwartungsvoll aus dem Fenster.

Eine Drossel flog vorbei. Doch sie explodierte nicht. Und sie entpuppte sich auch nicht als getarnter Ninja-Vogel der Bibliothekare. Trotz meines dramatischen Ausrufs geschah leider überhaupt nichts Interessantes. Und in den nächsten drei Kapiteln wird auch nichts Interessantes geschehen.

Tut mir leid. Ich fürchte, das wird ein ziemlich langweiliges Buch. Holt tief Luft. Jetzt kommt der schlimmste Teil.