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Nomjhi-Raumhafen, Qingliu, Hustaing Kommunalität Sian, Konföderation Capella

 

12. November 3060

Aris führte Isis Mariks Ehrengarde auf die Rampe der Perle der Wahren Weisheit und eskortierte sie hinab auf den Stahlbeton des Landefelds. Unterwegs hob er die linke Hand an den Mund und drückte mit dem Daumen auf den Sprechknopf des Mikrophons.

»Capella Eins unterwegs«, gab er in einer schnellen, knappen Meldung durch. Eine eisige Brise trieb graue Wolken über den Himmel und zerrte am Umhang der Ausgehuniform, während Aris in Gedanken sämtliche Klarmeldungen der Sicherheitsposten abhakte. Es ging ihm immer noch gegen den Strich, dieselben Codes und Verfahren benutzen zu müssen, obwohl allgemein bekannt war, daß Sun-Tzu sicher auf Sian war. Aber der Haus-Meister hatte seinen dementsprechenden Befehl noch nicht zurückgenommen.

Nicht, daß Hustaing noch als Feindgebiet gegolten hätte.
Haus-Meister Ty Wu Non erwartete sie am Fuß der Rampe. Er trug ebenfalls das offizielle Grün und Schwarz Haus Hiritsus. Neben ihm stand Kapitän Warner Doles, stellvertretender Kommandeur des 2. Bataillons der Blackwind-Lanciers. Unrasiert und zerzaust machte Doles neben Haus-Meister Nons geschniegeltem Erscheinungsbild keine gute Figur, obwohl er diesen an Größe und Gewicht deutlich übertraf.
Aber wie sollte er anders aussehen, nach sechs Wochen Kampf, in denen er nichts erreicht hat außer Schande und der Feindseligkeit seines eigenen Volkes?
Die Ehrengarde teilte sich auf, schritt um HausMeister Non und dessen Schützling herum und formierte sich zu einem Kordon um die kleine Gruppe. Nur Aris Sung löste sich aus den Reihen und ging innerhalb des Kreises zur Linken von Isis Marik in Stellung. Seine rechte Hand blieb in der Nähe der Nakajima. Kapitän Doles trug keine Handschellen und wirkte stark genug, um Schwierigkeiten zu machen, falls er sich entschloß, an der Verlobten des Kanzlers Vergeltung zu üben.
Isis zuckte mit keiner Wimper, als sie zu dem Hünen aufsah und ihn mit kühler Neutralität musterte. »Als ranghöchster Kriegsgefangener wurden Sie beauftragt, sich um die Belange Ihrer Leute zu kümmern. Sie können bestätigen, daß sie gut behandelt wurden?« Aris fand, daß sie eine unglaubliche Haltung zeigte, wenn man bedachte, wie nahe sie dem Tod oder der Gefangennahme durch die BlackwindLanciers gekommen war.
»Gut genug«, gab Doles zu. »Fünf meiner Krieger werden derzeit im Krankenrevier des Kondor behandelt, aber sie dürften sich erholen. Wahrscheinlich sollte ich mich für ihre ausgezeichnete medizinische Versorgung bedanken.«
Fünf Schwerverwundete, neun Leichtverwundete und sechs Tote. Aris hatte den Abschlußbericht gelesen. Hinzu kam ein toter Krieger Haus Hiritsus und ein anderer, der trotz ausgezeichneter Prothesentechnik nie wieder einen Mech steuern würde. Er hielt den St. Ives-Pakt noch immer für einen Staat ohne Existenzberechtigung. Aber für eine Auseinandersetzung, die effektiv nichts bewirkt hatte, jedenfalls nicht, soweit Aris das beurteilen konnte, hatte dieser Überfall einen hohen capellanischen Blutzoll gefordert.
Aris war auch dabei gewesen, als die Gefangenen auf das Kondor-Klasse-Landungsschiff der Infanterie verladen wurden. Eine besiegte Einheit. Selbst die unverletzten Lanciers erwartete nur die formelle Auflösung ihrer einst stolzen Einheit. Auf Proklamation Candace Liaos hin würden die Blackwind-Lanciers in Zukunft nur noch aus den beiden übrigen Bataillonen bestehen. Und soweit das zu erkennen war, kam der einzige Widerspruch von den Bewohnern Denbars. Ohne Zweifel plant Candace Liao öffentliche Geständnisse der Lanciers, die auch diesen Rest an Widerstand zum Verstummen bringen dürften.
Isis akzeptierte Kapitän Doles' eher widerwillige Dankbarkeit mit einem Nicken. »Dann ist diese Angelegenheit abgeschlossen, sofern Sie keine besonderen Einwände haben«, stellte sie mit formeller Gnädigkeit, zugleich aber auch mit einer Kälte fest, die deutlich machte, daß es darauf nur eine Antwort geben konnte, nämlich Nein.
Warner Doles trat vor, und Aris packte ihn auf der Stelle an der Schulter, um ihn in respektvollem Abstand zu halten, während die Rechte auf den Griff der Laserpistole fiel. Der Kapitän blieb stehen, sagte aber: »Ich habe zwei Einwände, Herzogin Marik, wenn Ihr die Anmaßung gestattet.«
Aris faßte Doles am Oberarm und war bereit, den Gefangenen abzuführen. Unglücklicherweise hatte Isis ihm mit ihren Worten aber selbst die Gelegenheit geboten, seine Belange vorzutragen, und sie nickte knapp. Der Lancier-Offizier räusperte sich. »Ich habe unsere Kommandeurin, Majorin Smithson, weder unter den Verwundeten oder anderen Gefangenen noch auf den Verlustlisten gefunden. Ebensowenig habe ich etwas von der Einschiffung unserer BattleMechs gesehen. Werden sie an Bord eines anderen Landungsschiffs nach Denbar befördert?« Er deutete mit dem Kopf in Richtung der Dainwu, deren Eiform deutlich erkennbar war, obwohl sie am anderen Ende des Landefelds stand. »Vielleicht mit dem Overlord?«
Isis überlegte einen Augenblick. Nur eine kleine senkrechte Falte zwischen ihren Augen kündete vom Wettstreit der Argumente in ihren Gedanken. Dann gab sie nach. »Majorin Smithson befindet sich an Bord der Perle der Wahren Weisheit«, informierte sie den Lancier. »Sie wird nach Sian gebracht, wo der Erste Lord Liao über sie zu Gericht sitzen wird.« Sie machte eine Pause, damit ihr Gegenüber die Mitteilung verarbeiten konnte.
Warner Doles nahm die Eröffnung gelassen genug auf, auch wenn Aris durch den Griff um den Arm des Mannes spürte, welche Anspannung Isis Mariks Mitteilung in ihm verursachte. Der Mann hatte immer noch Loyalitätsgefühle seiner Kommandeurin gegenüber, obwohl sie versagt hatte. Lobenswert, wenn auch fehl am Platz.
»Was die BattleMechs und sonstige Ausrüstung der Blackwind-Lanciers betrifft«, fuhr Isis fort, »wurden diese zur Kriegsbeute erklärt. Einschließlich der Landungsschiffe. Nur die Söldnereinheiten, die Sie überredet haben, Ihnen hierher zu folgen, dürfen ihre Ausrüstung behalten, da sie formell den Anweisungen legitimer Repräsentanten des Paktes gefolgt sind, nämlich denen der Lanciers und Majorin Smithsons.«
Entehrt und entrechtet! Beinahe hätte Aris den Offizier losgelassen, so erschütterte selbst ihn diese Eröffnung. Keinen MechKrieger konnte die Vorstellung kalt lassen, seinen Kampfkoloß zu verlieren. Das war Kanzler Liaos Methode, aus der Situation noch einen Profit zu schlagen, und das auf recht effektive Weise: indem er Ausrüstung im Wert von Millionen C-Noten beschlagnahmte. Und ohne Zweifel standen weitere Reparationen durch den Pakt bevor.
Doles sah das allerdings etwas anders. »Einige dieser Mechs sind Privatbesitz«, erklärte er in einer Mischung aus Wut und Ungläubigkeit. »Die meisten haben nie außerhalb der Blackwind-Lanciers Dienst getan.« Seine Ungläubigkeit schwand rapide. »Das können Sie nicht machen!«
Ty Wu Non trat zwischen Warner Doles und Isis. »Achten Sie auf Ihre Worte, wenn Sie mit der Herzogin sprechen«, wies er den Gefangenen zurecht und unternahm keinen Versuch, die Verachtung in seiner Miene zu verbergen, auch wenn er seine Stimme Isis zuliebe unter Kontrolle hielt. »Ihre bedingungslose Kapitulation gibt Kanzler Liao mit Sicherheit jedes Recht dazu. Sie sollten sich glücklich schätzen, daß er Ihnen die Gelegenheit gibt, mit Ihrem Leben in den Pakt zurückzukehren. Soviel das noch wert ist.«
»Die Lancier-BattleMechs werden zum Aufbau einer neuen Konföderations-Einheit benutzt werden«, stellte Isis fest, und um ihre Mundwinkel spielte die Andeutung eines Schmunzelns. »In derselben Tradition, aus der aus einer planetaren Milizeinheit die Harloc-Plünderer entstanden, wird Kanzler Liao diesen Zwischenfall zur Gründung der HustaingRabauken nutzen.«
Aris erkannte an Isis' Tonfall und Auftreten ihre Zustimmung für das Handeln ihres Verlobten. Es ist auch ein brillanter Schachzug. Eine Niederlage des Paktes führt zur Stärkung der Konföderationsarmee. In Aris stieg gelinder Stolz auf seinen Kanzler auf. Das sollte genügen, das Leiden auf Hustaing auszugleichen.

* * *

 

Li Wynn war stolz, in der Ehrengarde mitmarschieren zu dürfen.

Die Gefangenschaft bei den Blackwind-Lanciers war nicht angenehm gewesen. Er hatte sie in einer fensterlosen, durchgehend beleuchteten Zelle verbracht und alle acht Stunden die gleiche Mahlzeit vorgesetzt bekommen. Es war keine ausgesprochen unmenschliche Behandlung gewesen, aber in der langweiligen Umgebung der Zelle, ohne Nacht oder Tag und ohne Nachricht vom Verlauf der Kämpfe, hatte Li sich ständig um sein Haus Gedanken gemacht. Er hatte sein Schicksal in dem Wissen ertragen, daß er seine Pflicht übererfüllt und einen Augenblick sogar Isis Marik, der Verlobten des Kanzlers, persönlich gedient hatte.

Und jetzt diene ich ihr wieder, in der ehrenvollsten Position innerhalb der Infanterie Haus Hiritsus.
Haus-Meister Ty Wu Non war auf der Medostation erschienen, während Li nach seiner Befreiung durch die bedingungslose Kapitulation der Blackwind-Lanciers untersucht worden war. Er hatte natürlich nur mit dem Arzt gesprochen, aber trotzdem war sein Besuch die erste offizielle Anerkennung Lis als Mitglied des Hauses seit seiner Adoption. Auch Infanteriekommandant Jessup hatte kein Wort gesagt, aber stillschweigend den Dienstplan umgestellt und Li in die Ehrengarde versetzt.
Tatsächlich hatten überhaupt nur zwei Personen sein Handeln direkt angesprochen. Aris Sung hatte ihn in seiner Eigenschaft als Lis Sifu kritisiert. »Der Bäckereiwagen war ein Fehler«, hatte er erklärt. »Ihr hättet zu Fuß weitergehen sollen. Das hätte es leichter gemacht, sich von einem Haus ins nächste zu bewegen, und ihr hättet weniger Zeit auf der Straße verbringen müssen.« Aber so kritisch Aris' Tonfall auch gewesen war, Li hatte die Spur eines Lächelns in seinen Augen bemerkt - eines Lächelns, das Aris sicher auch hätte verbergen können - und wußte, daß sein Mentor sich insgeheim freute.
Die andere Person war Isis Marik selbst. An seinem ersten Diensttag in der Ehrengarde hatte sie sich zu ihm umgedreht. Es war zu keiner Unterhaltung gekommen - kein Hiritsu-Infanterist hätte es gewagt, sich im Dienst auf ein Gespräch einzulassen -, aber sie hatte sich leise bedankt.
Ihr ›Danke‹ und Aris' stummes Lob machten die Unannehmlichkeiten, die er hatte ertragen müssen, mehr als wett. Hinzu kam der neue Respekt, den er sich bei seinen Kameraden erworben hatte. Die anderen Infanteristen behandelten Li Wynn inzwischen so, als sei er schon seit Jahren Teil der Einheit, nicht erst seit ein paar Monaten. Li gehörte dazu.
Jetzt beobachtete Li, wie Haus-Meister Non und Isis Marik den Offizier jenes kleinen Bastardstaats zurechtwiesen, der es gewagt hatte, Hustaing anzugreifen. Das war Lis persönliche Einschätzung des St. Ives-Paktes: ein kranker Bastardköter von einem Staat, der eingeschläfert gehörte. Dann waren die letzten Worte gewechselt, und Aris führte die Ehrengarde, die Isis Marik eskortierte, zurück ins Innere der Perle der Wahren Weisheit, während HausMeister Non bei dem Lancier-Kapitän blieb, um ihn den Wachen zu übergeben, die den Gefangenen zurück auf den Kondor brächten.
Infanterist Li Wynn ärgerte sich darüber, daß solche Feinde der capellanischen Nation und der Grundsätze der Xin Sheng überhaupt weiterleben durften. Die Form muß eingehalten werden, aber sie können sich nicht ewig verstecken. Eines Tages wird die gerechte Strafe des Kanzlers sie einholen.
Li konnte nur hoffen, daß er es erleben würde und Gelegenheit bekam, daran teilzunehmen.

Battletech 45: Gefaehrlicher Ehrgeiz
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