7. KAPITEL

 

Am nächsten Abend fuhr Jean-Luc mit seinem schwarzen BMW wieder nach Schnitzelberg. Auf dem Beifahrersitz lagerte eine Kühltasche voll mit synthetischem Blut in Flaschen. Die Sonne war vor zehn Minuten untergegangen. Er stürzte Blut aus einer Flasche AB positiv hinunter, immer noch kalt, weil er es zu eilig gehabt hatte, um es aufzuwärmen.

Das Problem war, dass Lui zur gleichen Zeit erwachte wie er. Und wenn Lui herausgefunden hatte, wer Heather war und wo sie wohnte, dann konnte er sofort dort sein. Jean-Luc wollte sich eigentlich sofort nach dem Erwachen zu ihrem Haus teleportieren, aber es war besser, wie ein normaler Sterblicher dort anzukommen, meinte Emma.

Es musste Heather einfach gut gehen, versicherte er sich selbst, als er den Highway verließ und in die Stadt hineinfuhr. Emma war vor fünf Minuten in ihrem Garten angekommen. Sie hätte ihn telepathisch informiert, wenn etwas nicht in Ordnung wäre.

Dennoch gefiel es ihm nicht, abwesend zu sein. Er hasste es, dass Heather und ihre Tochter in diese Fehde mit Lui hineingezogen worden waren. Wenn ihnen irgendetwas passierte... wie konnte er die Schuld ertragen, für den Tod von noch mehr unschuldigen Sterblichen verantwortlich zu sein?

Durch Heathers Geschichte war ihm klar geworden, was auch ihn quälte. Er erkannte jetzt, was hinter seinen Schuldgefühlen und seiner Wut lauerte. Es war Angst.

Er hatte es seit seinen bescheidenen Anfängen als Stallbursche weit gebracht. Als Roman ihn 1513 verwandelte, war er schon Ritter. Er war ein Musketier geworden, dann Besitzer einer anerkannten Fechtakademie in Paris, ein Lieutenant-Colonel der Vampirarmee, und jetzt war er der Zirkelmeister von Westeuropa. Zusätzlich hatte er noch seine Karriere gemacht als Designer und erfolgreicher Geschäftsmann. All seine Energie steckte in dem nach außen sichtbaren Erfolg, der ihn in die Lage versetzen sollte, Herr über sein eigenes Schicksal zu werden. Aber unter all dem plagte ihn immer noch die gleiche alte Qual. Die Angst, machtlos zu sein.

Als einfacher Stallbursche war er machtlos gegenüber den Launen und politischen Manipulationen seines Meisters. Er hatte geschworen, nie wieder der Bauer in einem Schachspiel zu sein. Und er war erfolgreich, bis Lui 1757 in sein Leben getreten war.

Er hätte Louis XV. in diesem Jahr sterben lassen sollen. Aber nein, Jean-Luc erfüllte seine Pflicht als königliche Leibwache und hielt den Attentäter Damiens auf.

Der Sterbliche war nur eine weitere Schachfigur. Lui gefiel es, die Gedanken der Sterblichen zu kontrollieren, um sie seine Drecksarbeit machen zu lassen. Er war schon zweimal erfolgreich damit, Sterblichen die Schuld für den Mord an Königen in die Schuhe zu schieben - Henri III. im Jahre 1589 und Henri IV. 1610.

Jean-Luc vereitelte Luis dritten Königsmord. In der darauf folgenden Nacht erhielt er eine Nachricht. Wegen dir ist der König noch am Leben. Wegen mir wird deine Königin sterben. Keine Unterschrift, aber das Papier war gefaltet und mit Wachs versiegelt. Auf dem Siegel befand sich ein verschnörkeltes L.

Zwei Nächte später fand er die verstümmelte Leiche seiner Mätresse Yvonne. Zusätzlich zu den Stichwunden und den Bissspuren war der Buchstabe L in ihr Fleisch eingebrannt.

Er erklärte diesem Feind, den er Lui nannte, den Krieg. Nach zwanzig Jahren, in denen es ihm immer wieder gelungen war zu entwischen, verschwand Lui, und Jean-Luc glaubte, ihn endlich vernichtet zu haben. Dann, 1832, wurde seine Mätresse Claudine ermordet. Über ihrem Herz war ihr der Buchstabe L ins Fleisch gebrannt worden.

Jean-Luc beschloss daraufhin, dass es das einzig Ehrenhafte wäre, weitere Beziehungen zu vermeiden. Aber Heathers Rede hatte ihm die Augen geöffnet. Seine Ehre war nur eine Maske für die Angst gewesen, noch eine weitere Geliebte durch einen grausamen Mord zu verlieren. Er lebte kein ehrbares Leben. Er lebte mit der Angst.

Diese Entdeckung hatte ihn beschämt. Und wütend gemacht. Verflucht noch einmal, wenn er eine Beziehung mit Heather wollte, dann würde er sie sich nehmen. Er würde Luis Folter ein Ende breiten und den Bastard endlich umbringen.

Jean-Luc bog in ihre Auffahrt ein. Als er aus dem Auto stieg, trat Emma aus dem Schatten der großen Eiche. Sie nippte an einer Flasche kaltem Blut, über ihrer Schulter lag eine Tasche voller Holzpflöcke. Sie hatte ihre Anwesenheit geheim gehalten, damit es so schien, als wären sie beide zusammen angekommen.

»Es geht ihnen gut«, berichtete sie leise. »Ich habe ihre Stimmen drinnen gehört. Ruhig und glücklich. Die Umgebung ist auch in Ordnung.«

»Gut.« Er atmete erleichtert aus, nahm dann Emmas leere Flasche und legte sie in sein Auto. Vom Rücksitz holte er, zusammen mit Luis Schwert und Stock, auch sein eigenes Schwert. Er verschloss den Wagen und ging zur Veranda.

»Du hoffst, dass Fidelia Lui aufspüren kann?«, fragte Emma.

»Ja.« Er bemerkte ein kleines Paar Rollschuhe neben der Eingangstür und ein Taschenbuch auf dem Sitzkissen der Schaukel. Das Leben war hier tagsüber weitergegangen, und er hatte es verpasst.

»Ich bin auch hellseherisch begabt«, flüsterte Emma.

»Mehr als der Durchschnittsvampir. Ich habe auf jedes Zeichen von Vampirtelepathie in der Gegend gelauscht, aber bisher ist alles ruhig geblieben.«

Jean-Luc seufzte und klingelte an der Tür. »Lui ist sehr gut darin, sich zu verbergen. Gott weiß, ich versuche seit Jahrhunderten, ihn zu finden.« Und er hatte immer versagt.

Seine deprimierenden Gedanken verschwanden, als die Tür aufschwang und Heather mit einem Lächeln vor ihm stand. Sie trug ein türkisfarbenes Sommerkleid und passende Sandalen. Das Leuchten in ihren Augen und ihr strahlender Teint entfachten sofort einen Funken des Begehrens in Jean-Luc. Sie schien wirklich froh, ihn zu sehen.

»Kommen Sie rein.« Sie trat einen Schritt zurück. »Wir haben noch Lasagne vom Abendessen übrig, wenn Sie mögen.«

»Das ist sehr nett, aber wir haben schon gegessen.« Hoffentlich hatte er keinen Blutatem. Er schloss die Tür und verriegelte sie.

Das kleine Mädchen tapste näher zu ihrer neuen Freundin. »Hi, Emma.« Bethany sah schüchtern zu Jean-Luc hinauf. »Hi.«

Er verbeugte sich leicht. »Guten Abend, junge Dame.«

»Hallo, Liebes.« Emma kniete sich hin, um das kleine Mädchen zu umarmen. »Hattest du einen schönen Tag?«

»Ja.« Bethany beugte sich zu ihr und flüsterte laut: »Meine Mommy wollte für Mr. Sharp hübsch aussehen.«

»Bethany!« Heathers Gesicht verfärbte sich pink. »Warum nimmst du Emma nicht mit rauf und zeigst ihr... irgendwas.«

»Mein neues Buch?«, fragte Bethany fröhlich.

»Ja. Bitte.« Heather warf Fidelia, die lachend auf der Treppe stand, einen wütenden Blick zu.

Auch Jean-Luc hätte am liebsten vor Freude laut herausgelacht, aber er hielt sich zurück.

»Los geht’s.« Emma führte das kleine Mädchen zur Treppe. Sie warf einen Blick zurück über die Schulter. Ihre Augen funkelten amüsiert.

»Wie ich sehe, haben Sie Louies Schwert und seinen Stock mitgebracht«, wechselte Heather schnell das Thema. »Fidelia ist bereit, uns bei der Suche zu helfen.« Sie deutet auf ihr Wohnzimmer.

Jean-Luc folgte ihr. »Es ist Ihnen sehr gut gelungen.«

»Was denn?« Sie sah zu ihm zurück. »Am Leben zu bleiben? Heute war alles ganz friedlich.«

»Das ist gut. Aber ich meinte die Bemerkung von Bethany. Sie sehen sehr hübsch aus.«

Heather winkte ab. »Sie verdreht alles in eine Romanze. Sogar ihre Stofftiere sind miteinander verheiratet. Ich muss die Zeremonien dazu abhalten. Heute habe ich schon einen männlichen Chihuahua mit einer Gorilladame vermählt.«

Fidelia lachte, als sie sich mit ihrer Handtasche auf der Couch bequem hinsetzte. »Der Hund bellt den falschen Baum an.«

Jean-Luc lehnte sein Schwert gegen den Ohrensessel. »Mein Freund Roman sagt immer, dass Liebe alles möglich macht.«

»Si, wenn Ihnen der Doppelmord nichts ausmacht.« Fidelia tätschelte ihre Handtasche.

Heather schnaubte. »Oder das Sorgerechtsverfahren.«

»Haben Sie allen Glauben an die Liebe verloren?«

Sie wendete sich mit roten Wangen ab. »Nein. Es gibt immer noch Hoffnung. Sollen wir anfangen?«

»In Ordnung.« Jean-Luc legte Luis Schwert und den Stock vor Fidelia auf den Couchtisch.

Mit geschlossenen Augen tastete sie das polierte Holz des Stockes ab, den sie auf ihren Schoß gelegt hatte. Heather saß schweigend neben ihr. Jean-Luc lehnte sich in den Ohrensessel zurück und wartete.

»Es ist ein dunkler Ort«, flüsterte Fidelia.

Das war kaum überraschend. Alle Vampire brauchten einen dunklen Ort, an dem sie tagsüber ihren Todesschlaf schlafen konnten.

»Ein Keller«, fuhr Fidelia fort. »Aus Stein gemacht. Keine Fenster.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zu dunkel. Ich kann nichts sehen.«

»Können Sie mir sagen, wie weit der Ort entfernt ist?«, fragte Jean-Luc.

»Nicht weit, aber auch nicht sehr nah. Nicht in der Stadt, glaube ich.« Fidelia atmete scharf ein. »Er kann mich spüren.« Sie öffnete ihre Augen weit und schob den Stock zurück auf den Tisch. »Das war ein Fehler. Ich - ich denke, er kann auch hellsehen.«

Lui hatte mit Sicherheit die hellseherischen Fähigkeiten eines Vampirs, aber das konnte Jean-Luc schlecht zugeben.

Fidelia sah ihn besorgt an. »Er hat mich gespürt. Ich konnte es fühlen. Er war kalt, so kalt.« Sie schüttelte sich.

»Es ist schon in Ordnung.« Heather rieb der älteren Frau den Rücken. »Es ist jetzt vorbei.«

Fidelia schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, ihn zu finden. Ich glaube, er hat das Gleiche mit mir getan.«

Jean-Luc zuckte zusammen. Mist, er hätte Fidelia erst an einen anderen Ort bringen sollen.

Heather wurde blass. »Er jagt uns.«

»Heather, ich muss Sie noch einmal bitten, zu mir zu ziehen«, sagte Jean-Luc. »Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe Lui herausfindet, wer Sie sind und wo Sie wohnen.«

»Wir müssen ihn einfach finden, ehe er uns findet. Es könnte uns helfen, mehr von ihm zu wissen.« Sie kniff die Augen zusammen. »Wer genau ist er?«

Jean-Luc lehnte sich zurück. »Wenn ich das nur wüsste. Wenn ich seinen wirklichen Namen wüsste, hätte ich ihn schon Vorjahren gejagt und getötet.«

»Sie würden... einen Mord begehen?«

»Ich würde alles tun, um die zu beschützen, die ich liebe.«

Fidelia nickte wohlwollend. »Sie sind ein guter Mann, Juan.«

Er sah Heather an und fragte sich, ob sie das auch so sah. Sie sah verwirrt aus.

»Sie sagten: ›vor Jahren‹«, murmelte sie. »Wie alt sind Sie?«

Merde. Das konnte er ihr unmöglich beantworten.

»Ich bin sechsundzwanzig«, sagte sie betont, »und Sie?«

Er rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Ich bin älter als Sie.«

»Wie viel?«

»Ich war achtundzwanzig, als...« Er rieb sich die Stirn. »Ich war drei, als meine Mutter starb...«

»Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.« In ihren Augen leuchtete warmes Mitgefühl. »Emotionale Wunden verheilen am langsamsten.«

»Ja.« Er hörte, wie ein Auto die Auffahrt hinaufkam. Schnell erhob er sich und griff nach seinem Schwert. »Wir bekommen Besuch.«

Heather sprang auf. »Das kann doch nicht Louie sein, oder? Nicht so schnell.«

»Ich bin bereit für ihn.« Fidelia kramte in ihrer Handtasche.

»Ich glaube nicht, dass es Lui ist.« Jean-Luc bezweifelte, dass sein Erzfeind oft Autos benutzte. Dennoch ging er mit seinem Schwert voran in den Flur. Er hörte, wie draußen eine Autotür zugeschlagen wurde, und dann, wie schwere Schritte den Weg zur Veranda hinaufkamen.

Heather erreichte gerade die Eingangstür, als eine Faust fest genug daran klopfte, um die Bleiglasscheiben zum Zittern zu bringen. Jean-Luc blieb eng an ihrer Seite.

»Ich kann ihn sehen!«, rief eine männliche Stimme. »Dein Freund wird schon wieder die Nacht bei dir verbringen, was?«

»Oh, nein, es ist Cody«, stöhnte Heather auf. »Thelma muss gesehen haben, wie Sie angekommen sind, und hat seine Mutter angerufen.«

Jean-Luc spähte durch das Fenster in der Tür. Der Mann auf der Veranda war groß und angefüllt mit alkoholisiertem Blut.

»Ich kann dich sehen, Arschloch!«, brüllte Cody. »Du willst meine Ex bumsen, okay, aber rühr einmal meine Tochter an, und ich...«

»Aufhören!«, zischte Heather und schloss die Tür auf.

»Sie sollten ihn nicht reinlassen«, flüsterte Jean-Luc.

»Oh, bitte, lass ihn rein«, sagte Fidelia gedehnt. Sie stand an der Treppe und schwenkte ihre Glock. »Mach mir die Freude.«

»Fidelia, steck die Waffe weg«, befahl Heather. Sie öffnete die Tür. »Wie kannst du es wagen...«

Cody polterte in den Flur und starrte Jean-Luc wütend an. »Wer bist du, verdammt?«

Jean-Luc starrte zurück. »Ich bin Ihnen keine Antwort schuldig.«

»Jean...«, begann Heather, aber ihr Ex unterbrach sie.

»John? Nimmst du jetzt schon Freier mit nach Hause?« Cody wendete sich an Jean-Luc. »Du hast dein Auto draußen geparkt. Jetzt weiß jeder in der Stadt, dass du meine Frau bumst!«

»Exfrau.« Jean-Luc sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Sie sind der Idiot, der sie hat gehen lassen.«

»Genug.« Heather trat zwischen sie. »Cody, sei leiser, ehe Bethany dich hört. Du hast getrunken, und du hast nicht das Recht, mich auszuspionieren oder mich zu verurteilen.«

Er verzog spöttisch das Gesicht. »Habe ich wohl. Meine Tochter lebt hier, und ich kann das alleinige Sorgerecht einklagen, jetzt, wo jeder weiß, dass du eine Nutte bist.«

»Bin ich nicht. Und ich werde nie zulassen, dass du sie mir wegnimmst.«

Cody schnaufte. »Wart’s ab.«

Vor zweihundert Jahren hätte Jean-Luc den Bastard einfach aufgespießt und seine Leiche in den Fluss geworfen, aber die moderne Welt stand dieser Lösung nicht gerade aufgeschlossen gegenüber. Er griff den Mann stattdessen in Gedanken an. Du bist eine Schabe.

In seinem berauschten Zustand hatte Cody keinerlei Widerstandskraft gegen die Gedankenkontrolle eines Vampirs. Er fiel auf den Boden und schob sich auf allen vieren durch den Flur.

Mit einem Quietschen sprang Heather ihm aus dem Weg. »Cody, was ist los mit dir?«

»Ich bin eine Schabe«, murmelte er mit quietschender Stimme.

»Hmm, wurde auch Zeit, dass er das merkt.« Fidelia trat einen Schritt zurück, als er gegen ihren langen Rock kam.

Cody versuchte, die Treppe hinaufzusteigen, aber er fiel um und landete auf dem Rücken. Er zappelte mit Armen und Beinen in der Luft.

»Hör schon auf, Cody«, verlangte Heather von ihm. »Raus hier, ehe du Bethany Angst machst.«

»Was ist hier los?« Emma kam die Treppe hinunter und sah Codys zappelnden Körper misstrauisch an.

Fidelia lachte. »Ich hole das Insektenspray.«

»Nein!« Cody drehte sich auf alle viere und entwischte durch die Vordertür.

Bei Sonnenaufgang wirst du wieder normal, befahl ihm Jean-Luc.

»Ja, Meister.« Cody fiel die Verandatreppe hinunter.

»Lieber Gott, der Mann ist verrückt geworden.« Heather schloss die Tür und verriegelte sie.

»Das war ja interessant.« Emma fixierte Jean-Luc eindringlich. Wahrscheinlich hatte sie seine Gedankenbefehle gehört.

Ob Lui ihn auch hören konnte? Aber es waren sicher zu wenige Worte, um von ihm aufgespürt zu werden.

»Geht es Bethany gut?« Heather eilte die Treppe hinauf.

»Oh Mann, ich brauche einen Drink.« Fidelia watschelte in die Küche, immer noch mit der Glock in der Hand. »Ich brauche ein Bier, genau das brauche ich. Wollen Sie auch ein Bier, Juan, Emma?«

»Nein, danke.« Er ging zurück ins Wohnzimmer und stellte sein Schwert wieder neben den Ohrensessel.

Emma lehnte im Türrahmen und lächelte. »Eine Schabe?«

Er lächelte zurück. »Der Mann hat es verdient.«

Nickend gab sie ihm recht. »Ich gehe wieder nach oben.« Sie hielt inne und fügte hinzu: »Ich glaube, du hast Bethany ziemlich beeindruckt. Die Mutter, die im Puppenhaus wohnt, hat einen neuen Freund namens John. Er ist eine G.I.-Joe-Puppe und sieht aus, als könnte er den Ken, der im Schrank lebt, ordentlich vermöbeln.«

»Wirklich?« Jean-Lucs Herz zog sich in seiner Brust zusammen. Konnte er wirklich in dieser Familie willkommen geheißen werden? Er hatte immer Teil einer Familie sein wollen. Sein Vater war gestorben, als er sechs Jahre alt war, drei Jahre, nachdem seine Mutter im Wochenbett den Tod gefunden hatte. Nur Roman und Angus waren ihm bisher fast so nah wie richtige Brüder.

Er sah sich im Wohnzimmer um und merkte, wie einsam er in den vergangenen Jahrhunderten wirklich war. Heather gefiel ihm auf viele Arten, aber ihre Familie, Bethany und Fidelia, berührte ebenfalls sein Herz. Wie anders könnte sein Leben verlaufen, wenn solche wahre Kameradschaft und Liebe seine Nächte erfüllte. So ein Leben ließ alle vergangenen Jahrhunderte leer und bedeutungslos erscheinen.

Aber könnten sie ihn so nehmen, wie er war? Könnte Heather ihn lieben?

»Es tut mir leid, dass Sie diese Szene mit meinem Ex erleben mussten.« Heather betrat gerade das Zimmer.

Er drehte sich zu ihr um. Mist, er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht gemerkt hatte, wie Emma gegangen und Heather zurückgekommen war. Er musste aufmerksamer sein. »Es hat mir nichts ausgemacht.«

Heather seufzte. »Ich weiß nicht, was in Cody gefahren ist.«

»Geht es Bethany gut?«

»Ja. Gott sei Dank.« Heather ließ sich auf die Couch fallen. »Sie hat eine DVD angesehen und den Ton laut aufgedreht, also hat sie nichts gehört.«

»Gut.« Jean-Luc setzte sich neben sie. Er hörte sofort, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Ein gutes Zeichen.

Schüchtern blickte sie ihn an. »Wo ist Fidelia hin?«

»In die Küche, um sich ein Bier zu holen.«

»Ich wünschte, sie würde nicht trinken und gleichzeitig mit diesen Waffen rumhantieren.«

Er streckte einen Arm auf der Lehne der Couch aus. »Die Abzüge sind mit einem Schloss gesichert.«

»Sowieso. Das war die einzige Bedingung, die ich gestellt habe, ehe sie hier eingezogen ist.«

»Sie haben doch Ihr ganzes Leben in dieser Gegend verbracht, richtig?«

Sie seufzte. »Ja. Ich wollte immer reisen, aber es ist nie dazu gekommen.«

Er notierte sich in Gedanken, sie zu allen Orten zu bringen, die sie gerne sehen wollte. »Fällt Ihnen ein Ort ein, auf den Fidelias Beschreibung zutrifft? Einen Ort am Rande der Stadt. Wahrscheinlich verlassen.«

»Mit einem Steinkeller?« Sie neigte den Kopf und dachte nach. »Im Naturschutzgebiet gibt es ein Steingebäude, das noch aus der Depression stammt.«

»Ich werde es mir ansehen.« Er konnte Emma hier bei den Frauen lassen und Robby mitnehmen.

»Ich komme mit.«

Er blinzelte. »Nein. Auf gar keinen Fall. Das ist zu gefährlich.«

»Ich bin bereits in Gefahr. Ich habe schon gegen Louie gekämpft, und ich habe es gut gemacht. Außerdem weiß ich, wo der Park ist.«

»Ich kann mir den Weg im Internet ansehen.«

Sie hob störrisch ihr Kinn. »Ich komme mit. Ich werde mich nicht wie ein Feigling zusammenkauern. Ich habe der Angst den Krieg erklärt, erinnern Sie sich?«

»Es gibt einen Unterschied zwischen Mut und schlechten Entschei...« Er hielt inne, als sein übermenschliches Gehör draußen ein Geräusch wahrnahm. »Jemand kommt auf die Veranda zu.«

Er sprang lautlos auf und griff nach seinem Schwert.

Heather stand auf und flüsterte: »Soll ich mein Gewehr holen?«

»Nein.« Er hoffte, seinen Erzfeind draußen anzutreffen. Er würde diesen Bastard vernichten und... aber was, wenn er einen fatalen Fehler beging und verlor? Lui würde dann einfach ins Haus gehen und Heather umbringen. »Ja, holen Sie ihre Waffe. Sagen Sie Emma, sie soll bei ihnen warten. Und wenn er reinkommt, zielen Sie auf die Brust.«

»Wenn er es hier rein schafft, wären Sie...« Sie drückte seinen Arm. »Seien Sie vorsichtig.«

Die Sorge in ihren Augen war echt. Mon Dieu, sie machte sich wirklich etwas aus ihm.

Er berührte ihre Wange. »Gehen Sie.«

Träumerisch blickte sie zu ihm auf, dann blinzelte sie. »Ja.« Sie rannte die Treppe hinauf. Der Teppich erstickte die Geräusche ihrer Sandalen, während sie die Treppe hochhastete.

»Was ist los?« Fidelia schlenderte aus der Küche, eine halb leere Flasche Bier in der Hand. Sie sah Heather nach. »Haben Sie sie wieder verjagt?«

Jean-Luc legte einen Finger an die Lippen und deutete dann nach draußen.

Fidelias braune Augen wurden größer. »Ich habe meinen deutschen Muchacho in der Küche gelassen. Ich bin gleich wieder da.«

»Ich will Sie draußen nicht sehen. Es könnte gefährlich werden.« Jean-Luc stöhnte, als Fidelia in die Küche eilte. Er musste schnell handeln, ehe die Frauen im Haus ihm zu Hilfe kamen. Er lächelte. Kein Wunder, dass er sie so mochte.

Er entriegelte leise die Tür und stieß sie dann mit einem Ruck auf.