5. KAPITEL
Sogar wenn sie wütend war, war sie wunderschön. Jean-Luc bewunderte das funkelnde grüne Feuer in Heathers Augen. Und wie sich das Seidenoberteil an ihre Brüste schmiegte war auch nicht zu verachten. Sie starrte ihn wütend an und stemmte ihre Hände in ihre Hüften. Die Bewegung brachte ihre Brüste ganz leicht zum Beben. Kein BH. Er hatte schon immer ein gutes Auge für Details gehabt.
»Jean-Luc«, murmelte sie, »ich hatte Sie nicht erwartet.«
»Bitte, nennen Sie mich Jean.« Es wäre so einfach, seine Hände unter ihr Top gleiten zu lassen und seine Handflächen mit der weichen Schwere ihrer Brüste zu füllen. Er besann sich und blickte in ihr Gesicht und bemerkte, dass ihre Wangen sich gerötet hatten. Er nahm den Duft ihres Blutes auf, das in ihr Gesicht strömte und die feinen Adern unter ihrer Haut erweiterte. Blutgruppe AB.
Hunger grollte in seinem Magen und schickte Funken der Begierde durch seinen Körper. Zum Glück hatte er einige Flaschen synthetisches Blut in einer Kühltasche draußen in seinem Wagen. Das würde sein körperliches Verlangen beschwichtigen, aber er war sich langsam auch eines anderen Hungers bewusst, eines Hungers, der durch Jahre der Abstinenz verursacht worden war. Er vermisste es, mit einer Frau zu schlafen, aber es ging noch tiefer als das. Er vermisste die Befriedigung, die ruhige Zufriedenheit, sich an eine liebende Frau gebunden zu fühlen. Wegen Lui war ihm diese Freude lange versagt gewesen.
Heather verschränkte ihre Arme vor der Brust und zog damit den glatten Stoff nur noch enger über ihren Busen. »Sagen Sie nicht, dass Sie vorhaben, die Nacht hier zu verbringen.«
»Das muss ich. Es ist meine Pflicht und mir eine Ehre, Sie zu beschützen.«
»Das ist so romantisch«, ließ sich Fidelia von ihrem Platz auf der Couch vernehmen. Sie drehte ihren massigen Körper, bis sie Heather in der Tür sehen konnte. »Findest du nicht auch?«
»Nein.« Heather sah sie mit zusammengezogenen Brauen an. »Es ist nicht romantisch, wenn er sich mir aufzwingt.«
»Chica, es ist ja nicht so, als würde er versuchen, dich zu verführen. Er will dich nur beschützen.« Fidelias Augen funkelten, als sie einen Blick auf Jean-Luc warf. »Wenigstens behauptet er das.«
Sie verführen? Jean-Luc hatte sterbliche Frauen gemieden, seit Claudine 1832 ermordet worden war. Sein Ehrgefühl hatte es von ihm verlangt, dass er nicht noch eine weitere unschuldige Frau Luis’ wahnsinnigem Rachefeldzug auslieferte. Aber Lui glaubte bereits, dass er sich mit Heather eingelassen hatte. Der wichtigste Grund, ihr zu widerstehen, existierte nicht mehr. Als ihm das klar wurde, fuhr ihm ein Blitz der Begierde direkt aus dem Herz zwischen die Beine. Verführ sie. Du weißt, du willst es.
Aber warum sollte sie sich auf ihn einlassen? Wegen ihm war ihr Leben in Gefahr, und das ihrer Tochter noch dazu. Sie würde ihn wahrscheinlich eher ohrfeigen, als sich seinen leidenschaftlichen Küssen hinzugeben.
Er atmete tief durch. »Ich versichere Ihnen, mes Dames, dass meine Absichten vollkommen ehrenhaft sind.«
Heather atmete tief ein und aus und sah ihn zweifelnd an.
Stellte sie seine Ehre infrage? M erde. Aber sie hatte recht, wenn man bedachte, wohin seine Gedanken abschweiften.
»Wenn ich Emma richtig verstanden habe, könnte ich ebenfalls in Gefahr sein.« Fidelias braune Augen blitzten schelmisch. »Wo ist mein Leibwächter? Haben Sie so was wie einen... Katalog?«
Jean-Luc blinzelte verwirrt. »Ich kann Sie beide beschützen, aber wenn es Ihnen lieber ist, eine eigene Wache zu haben, könnte ich Robby anrufen...«
»Roberto?« Fidelia fuhr sich durch die langen, strähnigen schwarzen Haare. Unglücklicherweise waren am Ansatz fünf Zentimeter graue Wurzeln zu sehen. »Ist er so muy macho wie Sie?«
»Ich... kann das nicht beurteilen.« Jean-Luc zog sein Handy aus der Innentasche seines Smokings.
»Er ist ein Schotte, und er trägt einen Kilt«, murmelte Heather. »Er hat ein größeres Schwert als Jean.«
»Was sollte das bedeuten? Jean-Luc hielt beim Wählen inne und erwiderte ihren herausfordernden Blick. »Der Claymore ist von Natur aus größer als der Degen, Madame, aber sein Gewicht führt dazu, dass der Schwertkämpfer sich langsamer bewegt.«
Sie sah ihn unverfroren an. »Langsam ist doch gut. Ich mag es langsam.«
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Finesse ist besser. Und vergessen Sie nicht Erfahrung und das perfekte Timing. Ich bin ein Champion, wie Sie wissen.«
»Klar.« Sie gähnte. »Aber Sie wissen ja, wie es ist. Nur die, die nichts zu bieten haben, behaupten, dass Größe keine Rolle spielt.«
Er biss die Zähne zusammen. »Mir fehlt es an nichts, Madame. Ich werde es Ihnen gern beweisen. So langsam wie Sie wollen.«
Fidelia konnte sich kaum halten vor Lachen. »Oh Mann, wenn ich bloß zwanzig Jahre jünger wäre. Na ja, sagen wir dreißig, aber auch egal, ich mache mir nichts aus Schwertern oder Männern in Röcken. Ich habe genug Männer.«
Jean-Luc löste seine Augen von Heather und konzentrierte sich nun auf das Kindermädchen. »Dann wollen Sie Robby also nicht?«
»Nein, zum Teufel, ich habe nur einen Spaß gemacht.« Fidelia hievte ihre große Tasche auf ihren Schoß und wühlte darin herum. »Was soll ich mit einem Schotten, wenn ich diesen netten deutschen Muchacho habe, Mr. Glock.« Sie zog ihren Revolver heraus, streichelte ihn liebevoll und legte ihn auf das Kissen neben sich.
Dann griff sie noch einmal in die Tasche. »Und da ist noch Mr. Makarov mit Liebesgrüßen aus Moskau.« Sie legte die Pistole neben die erste. »Und mein italienischer Liebling, Mr. Beretta.«
Als Jean-Luc sein Handy zurück in die Tasche steckte, merkte er, dass bei allen Pistolen die Abzüge mit Schlössern gesichert waren. »Wie viele Waffen besitzen Sie?«
»Eine für jeden Ehemann, den ich hinter mich gebracht habe. Wenigstens schießen diese Dinger scharf.« Fidelia verstaute die Pistolen lachend wieder in ihrer Handtasche. »Mein Liebling, Mr. Magnum, liegt oben in meinem Schlafzimmer. Zu schwer für die Handtasche.« Sie zwinkerte. »Aber was die Größe angeht...«
»Fidelia, ich brauche etwas aus der Küche.« Heather deutete mit dem Kopf zur Rückseite des Hauses.
»Dann hol es dir.« Fidelia machte große Augen, als Heather ihren Kopf noch einmal Richtung Küche neigte. »Oh, richtig. Lass mich dir helfen.« Sie stand auf und presste ihre Handtasche gegen ihren großen Busen. »Wir sind bald wieder da, Juan. Gehen Sie nicht weg.«
»Selbstverständlich.« Er verbeugte sich leicht, bis Heather den Flur hinabgegangen war.
Fidelia watschelte mit wehendem Rock hinter ihr her. Sie warf einen amüsierten Blick zurück. »Ich bin mir sicher, sie hat nur etwas verloren. Zum Beispiel ihren Verstand.«
Jean-Luc folgte ihnen in den Eingangsflur, um sie zu beobachten, und als die Küchentür aufgehört hatte zu schwingen, sauste er in Vampirgeschwindigkeit zur Fahrertür seines BMW.
Er zog eine Flasche synthetisches Blut aus der Kühltasche und kippte es hinunter. Er hasste kalte Mahlzeiten, aber in diesem Fall war es das Beste. Sich mit kaltem Blut abzufüllen hatte auf Vampire die gleiche Wirkung wie eine kalte Dusche. Genau was er brauchte, denn er begehrte mehr als nur Nahrung.
Er betrachtete Heathers zweistöckiges Holzhaus. Blau mit weißen Akzenten. So warm und einladend. So anders als sein steinernes Chateau im Norden von Paris. Es war makellos und formell, so kühl wie ein Mausoleum. Heathers Haus war voll von lebendigen Menschen, und es sah so... belebt aus. Sein Auge für Details hatte alle Zeichen bemerkt. Ein Paar kleiner, nasser Sportschuhe auf der Veranda. Ein halb fertig gehäkelter Sofaüberwurf, der aus einem Korb neben der Feuerstelle heraushing. Sitzkissen auf der Couch mit Dellen, die nicht mehr weggingen. Ein Sticktuch an der Wand, das Gott darum bat, das Haus zu segnen. Eine Fülle von gerahmten Kunstwerken, die offensichtlich von Heathers Tochter gemalt worden waren, stand auf dem Kaminsims.
Es war ein richtiges Heim. Eine echte Familie. So wie er sie nie gehabt hatte. Merde. Man sollte meinen, dass er in fünfhundert Jahren darüber hinweggekommen wäre. Eines war sicher, er konnte nicht zulassen, dass Lui diese Familie zerstörte. Die Schlacht würde allerdings schwierig werden, weil er nicht wusste, wann oder wo Lui als Nächstes zuschlug.
Jean-Lucs schlimmste Angst, die, hilflos zu sein, lauerte in den Schatten und wartete auf einen Moment der Schwäche. Er würde nicht nachgeben. Um Heathers Willen musste er sie beschützen und Lui vernichten.
Er blickte suchend über den Hof und die Straße, ehe er zurück ins Haus eilte. Leise schloss er die Eingangstür hinter sich. Mit seinen scharfen Vampirsinnen hörte er Fidelias flüsternde Stimme.
»Warum willst du dich nicht beschützen lassen? Was hast du gegen ihn?«
Eine Pause folgte. Er schloss die Tür leise ab.
»An ihm ist irgendetwas merkwürdig«, meinte Heather schließlich. »Die offensichtlichen Fehler sind leicht zu bemerken, aber da ist noch etwas anderes, das ich nicht ganz begreifen kann.«
»Welche offensichtlichen Fehler?«, fragte Fidelia.
Genau. Welche offensichtlichen Fehler? Jean-Luc näherte sich mit einem Stirnrunzeln der Küchentür.
»Er sieht zu gut aus«, verkündete Heather.
Jean-Luc grinste.
»Und er ist arrogant«, fuhr sie fort, und ihm verging das Lächeln. »Ich schwöre dir, wenn ich noch einmal hören muss, dass er ein Champion ist, nehme ich sein Schwert und mache ihn zum Champion-Ochsen.«
Er zuckte zusammen.
»Sei nicht albern«, flüsterte Fidelia. »Wenn du dich an der Ausstattung eines Mannes zu schaffen machst, wozu ist er dann noch gut?«
»Das frage ich mich jetzt seit vier Jahren«, murmelte Heather.
Jean-Luc hielt sich davon ab, in die Küche zu marschieren und Miss Heather Westfield über den Küchentisch zu legen, um ihr die dringende Aufklärung zu verschaffen, die sie in diesen Dingen nötig hatte.
Fidelia lachte leise. »Na, wenn er lange genug hierbleibt, findest du es vielleicht heraus.«
Verdammt richtig. Jean-Luc nickte.
»Er bleibt nicht hier«, sagte Heather mit Nachdruck.
Verdammt falsch. Er schnitt hinter der Tür eine Grimasse.
Heather senkte die Stimme. »Ich will wissen, ob du von ihm irgendwelche merkwürdigen Schwingungen empfängst.«
»Bis jetzt nicht. Du weißt, die meisten Visionen kommen nachts in meinen Träumen zu mir.«
»Dann geh schlafen.«
Fidelia lachte. »Ich kann dir nicht garantieren, dass ich von ihm träume... aber du vielleicht. Ich kann sehen, dass du ihn magst.«
Jean-Luc ging auf Zehenspitzen näher an die Küchentür. Er musste Heathers Antwort einfach hören. Stattdessen hörte er nur, wie jemand in etwas wühlte.
»Haben wir keine Dreifach-Schokoladen-Eiskrem mehr?« Heather machte ein entnervtes Geräusch und knallte die Kühlschranktür zu.
»Du verdrängst die Tatsachen«, verkündete Fidelia.
»Nein, es ist mir vollkommen klar, dass ich zu viel wiege.«
»Nein«, entgegnete Fidelia, »du willst nicht zugeben, dass du dich zu Juan hingezogen fühlst.«
»Er heißt John.«
Er verzog das Gesicht. Keine von ihnen sprach es richtig aus.
»Er sieht sehr gut aus«, flüsterte Heather, »aber er ist zu bevormundend.«
»Nein, nein. Chica, er ist nicht wie dein Ex. Du glaubst nur gerade, dass alle Männer schlecht sind.«
»Irgendetwas an ihm stimmt nicht, deshalb kann ich ihm nicht vertrauen.«
Fidelia schnalzte mit der Zunge. »Dann lass uns seine Karten fertig legen und abwarten, was sie uns verraten.«
Jean-Luc eilte zurück ins Wohnzimmer und betrachtete die Karten auf dem Couchtisch. Nachdem Fidelia sie gemischt hatte, hatte sie ihn gebeten, sieben Karten auszuwählen. Nur eine war bis jetzt aufgedeckt, die blöde Eremitenkarte. Normalerweise glaubte er an so einen Unsinn nicht. Über die Jahrhunderte hatte er zu viele Scharlatane kennengelernt. Dennoch hatte es an seinem Stolz gekratzt, dass jemand so einfach seine Einsamkeit in die Welt hinausposaunte.
Natürlich war er einsam. Wie konnte er eine Frau umwerben, wenn er wusste, dass Lui sie umbringen würde?
»Ich bin mir nicht sicher, dass er ist, was er vorgibt zu sein«, erklang Heathers weiche Stimme aus der Küche. »Er hat... Geheimnisse.«
Sie war eine aufmerksame Frau. Jean-Luc beugte sich über den Tisch und drehte die nächste Karte um. Sein Herz blieb stehen.
Die Liebenden. Es war so verlockend, auf eine glückliche Zukunft zu hoffen und auf eine glorreiche Zusammenkunft mit einer liebenden Frau. Aber wie konnte das mit Heather Wirklichkeit werden? Sogar wenn sie Lui überlebte und ihm vergab, ihr Leben in Gefahr gebracht zu haben, wie konnte sie einen Liebhaber akzeptieren, der untot war?
Er hörte, wie die zwei Frauen den Flur betraten, nahm schnell die Karte der Liebenden und steckte sie zurück in den Stapel. Dann griff er eine andere wahllose Karte und legte sie mit dem Bild nach unten, dorthin, wo die Liebenden gewesen waren. Schnell setzte er sich in den Ohrensessel und versuchte, gelangweilt auszusehen.
»Wir sind wieder da!« Fidelia kam mit wehenden Röcken in den Raum marschiert. Sie ließ sich in die mittlere Kuhle der Couch fallen und stellte ihre Handtasche neben sich.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Heather deutete mit einer Hand, in der sie ein Glas Eiswasser hielt, auf die Küche. Die Eiswürfel klangen wie ein Windspiel zusammen.
»Nein, danke.« Jean-Luc umklammerte die Lehnen seines Sessels, um nicht aufzustehen. Er hatte mehrere Jahrhunderte durchlebt, in denen gute Manieren es verlangten, dass man sich erhob, wenn eine Dame den Raum betrat. Solche Gewohnheiten waren schwer abzulegen, aber es würde noch schwerer sein, zu erklären, woher er diese Angewohnheit überhaupt hatte. Heather vermutete bereits zu viel.
»Wie wäre es, wenn wir Ihre Karten fertig lesen?« Fidelia beugte sich vor und stützte ihre Ellenbogen auf ihre Knie.
Heather stellte ihr Glas auf einen Untersetzer neben den Karten. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich zusehe?«
»Nein. Ich habe nichts zu verbergen.« Er war so ein Lügner.
Sie sah ihn misstrauisch an, als sie sich auf die Armlehne des Sofas setzte. Sie zog ein hellblaues Chenillekissen auf ihren Schoß und drehte die Fransen zwischen ihren Fingern.
»In Ordnung, die zweite Karte.« Fidelia deckte auf.
Gott sei Dank war er die Liebenden losgeworden. Was auch immer er gegen sie getauscht hatte, würde eine Verbesserung sein.
»Der Narr«, verkündete Fidelia.
Er zuckte zusammen.
Heather lachte und verzog den Mund zu einem Schmollen, als er sie wütend ansah.
»Das bedeutet nicht, dass Sie ein Narr sind«, versicherte ihm Fidelia mit einem Lächeln. »Es bedeutet, dass Sie sich heimlich danach sehnen, ins Unbekannte zu gehen und ein neues Leben zu beginnen.«
»Oh.« Das könnte stimmen. Er sah zu Heather. Sie hatte das Kissen an die Brust gepresst und streichelte das weiche Chenille.
Sie mag Texturen. Sie mochte es, Dinge zu berühren und zu spüren. Er spürte sein Verlangen nach ihr. Hoffentlich mochte sie harte Dinge genauso gern wie weiche.
Fidelia drehte noch eine Karte um und runzelte die Stirn. »Oh je. Die Zehn der Schwerter.«
»Ist das schlimm?« Eine dumme Frage, da Jean-Luc sehen konnte, dass auf der Karte ein Mann abgebildet war, der mit zehn Schwertern im Rücken tot am Boden lag.
»Verzweiflung«, erklärte Fidelia. »Ihr Schicksal ist Ihnen auf den Fersen, und Sie können nichts tun, um es zu verhindern.«
»Louie«, flüsterte Heather und drückte das Kissen fester an sich.
»Ich werde nicht zulassen, dass er Ihnen wehtut.« Nur zu gerne würde sie Jean-Luc glauben.
Fidelia drehte die vierte Karte um. »Die Acht der Schwerter, umgedreht. Ihre Vergangenheit hat Sie eingeholt.«
Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Das war ein wenig zu nah an der Wahrheit.
Fidelia drehte die fünfte Karte um. »Der Ritter der Schwerter.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
»Ist das auch etwas Schlimmes?«
»Nein, gut. Sie sind mutig wie Sir Lancelot und der Verteidiger der Frauen.« Fidelia seufzte. »Ich finde es nur merkwürdig, dass Sie so viele Schwerterkarten ausgewählt haben. Es gibt noch drei andere Farben. Die Wahrscheinlichkeit, nur Karten aus einer einzigen zu wählen, ist gering.«
Jean-Luc zuckte mit den Schultern. »Ich bin schließlich Schwertkämpfer. »
»Die Schwerter stehen für den Verstand.« Fidelia kniff die Augen zusammen. »Das muss bedeuten, dass Sie sich nur auf ihren Intellekt verlassen und die Bedürfnisse ihres Herzens ignorieren.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Ich konnte keine Beziehungen eingehen, wegen Lui.«
»Wie alt ist Louie?«, flüsterte Heather.
Jean-Luc erstarrte und zwang sich dann, ungezwungen im Sessel zurückzusinken. »Er ist... älter als ich.«
Heather beobachtete ihn genau und vergrub ihre Finger in dem weichen Chenillekissen. »Wie alt wäre das genau?«
Merde. Sie war ihm auf den Fersen. Wie konnte er ihr Vertrauen gewinnen, wenn er immer weiter lügen musste? »Ich kenne sein genaues Alter nicht.« Das wenigstens stimmte.
Fidelia deckte die sechste Karte auf. »Der Mond.« Sie sah ihn merkwürdig an.
Jean-Luc schluckte. »Hat das etwas mit der Jagd zu tun?«
»Nein. Es bedeutet: hintergehen.« Fidelia warf Heather einen vielsagenden Blick zu. »Es könnte auch auf etwas Übernatürliches hindeuten.«
Heather riss die Augen auf.
Er beugte sich vor. »Lassen Sie sich nicht von Aberglauben umstimmen. Ich habe geschworen, Sie zu beschützen, und das werde ich tun.«
»Ich will Ihnen glauben. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es kann.« Ihr Blick suchte nach seinem, und er versuchte, all seine Sorge und seine Bewunderung für sie in seinen Blick zu legen. Sie wendete sich nicht ab. Ein Funken der Hoffnung glomm in ihm auf. Er wollte ihr Vertrauen, ihre Freundschaft, ihren Respekt. Er wollte alles, was sie ihm geben konnte.
»Zeit für die letzte Karte«, verkündete Fidelia. »Diese ist sehr wichtig, denn sie steht für den Ausgang ihrer derzeitigen Probleme.« Sie griff nach der Karte.
Es klingelte an der Tür.
Heather sprang auf.
»Wer sollte um diese Zeit vorbeikommen?« Ein Griff nach ihrer Handtasche beruhigte Fidelia.
Jean-Luc ging in den Flur, dicht gefolgt von den beiden Frauen. Er hörte Angus auf der Veranda, der eine mentale Nachricht an Emma schickte. »Es ist nicht Lui. Der würde niemals an der Tür klingeln.«
Heather schaltete erleichtert das Licht auf der Veranda an und sah durch die Bleiglasscheibe in der Tür.
»Alles in Ordnung«, versicherte ihr Jean-Luc. »Ich glaube, es ist Angus. Gestatten Sie.« Er öffnete die Tür.
Angus kam hereinspaziert und nickte ihr zu. »Guten Abend, Mädchen. Wie sieht es hier aus?«
Heather zuckte mit den Schultern. »In Ordnung, nehme ich an. Ich hatte nicht erwartet, dass Jean-Luc auftaucht.«
Stirnrunzelnd betrachtete er diese merkwürdige Frau. »Er hatte keine andere Wahl. Es ist eine Frage der Ehre.« Sein Gesicht hellte sich auf, als seine Frau fröhlich die Treppe hinunterkam. »Da bist du ja.«
Emma lächelte und lief direkt in seine offenen Arme. »Hast du mich schon vermisst?«
»Aye.« Angus drückte sie fest an sich.
Jean-Luc stöhnte innerlich auf. Angus ließ sich in letzter Zeit so leicht ablenken. »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«
»Nay.« Angus legte sein Kinn gegen Emmas Stirn. »Robby und ich haben die ganze Stadt durchkämmt. Kein Zeichen von Lui.«
An Jean-Luc nagte die Frustration. Er wollte mit allen Mitteln Lui jagen, aber er konnte seine Pflicht, Heather zu beschützen, nicht ignorieren. »Wir brauchen mehr Männer.«
»Ich gehe nach New York, um mehr Wachen zu organisieren«, versicherte Angus ihm.
Jean-Luc nickte. Roman und Gregori hatten sich bereits zurück nach New York teleportiert und Shanna und das Baby mitgenommen.
Angus drehte sich zu Heather. »Wir bringen auch jemanden her, der sich tagsüber um Sie kümmert.«
Sie machte große Augen. »Ist das alles wirklich nötig?«
»Ja«, antwortete Jean-Luc, und zur gleichen Zeit sagte Angus »Aye.«
Angus öffnete die Tür. »Ich hätte gerne einen Augenblick allein mit meiner Frau, ehe ich gehe. Gute Nacht.« Er führte Emma auf die Veranda hinaus.
Sie sah mit einem Lächeln zurück zu Heather. »Ich bin gleich wieder da.« Die Eingangstür schloss sich.
Es gab eine unangenehme Pause, während der die anderen im Flur warteten, und dann kamen einige Geräusche durch die geschlossene Tür — ein Quietschen von Emma, gefolgt von einem männlichen Lachen und weiblichen Kichern.
Jean-Luc seufzte. »Frisch verheiratet.«
Heather nickte. »So viel Glück kann einem schnell auf die Nerven gehen.«
»Oui.« Jean-Luc verschränkte die Arme. »Besonders, wenn es dem Rest von uns verwährt bleibt.«
Fidelia schnaufte. »Ihr zwei seid so deprimierend, dass ihr mich zum Trinken treibt.« Sie ging in die Küche. »Will sonst jemand ein Bier?«
»Nein, danke.« Heather sah zu, wie die Küchentür schwang, und warf dann einen neugierigen Seitenblick auf Jean-Luc. »Sie klingen fast... neidisch auf Angus und Emma.«
»Welcher Mann würde sich nicht wünschen, so leidenschaftlich geliebt zu werden?«
»Manchen wäre diese Art von Leidenschaft vielleicht zu einengend.«
»Nur, wenn man Liebe benutzt, um den Partner gefangen zu halten.« Jean-Luc sah sie genau an. »Ist Ihnen das passiert?«
Achselzuckend senkte sie ihren Blick, aber er spürte, dass die Antwort »Ja« war.
Er trat auf sie zu. »Ich meine, Liebe sollte Ihnen dabei helfen, sich mächtiger und stärker zu fühlen, freier, und in der Lage dazu, zu erreichen, was Sie sich wünschen.«
Sie sah ihm in die Augen. »So eine Art Liebe ist sehr selten.«
»Teilen Sie diese Liebe nicht mit Ihrer Tochter?«
In ihren Augen glänzten zarte Tränen. »Doch. Das tue ich.«
»Dann können Sie sie selbst auch erfahren.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Warum glauben Sie, dass Sie so etwas nicht haben können?«
»Ich möchte keine Frau Luis tödlicher Rache ausliefern.« Sogar wenn Lui verschwunden wäre, hätte er immer noch das Problem, untot zu sein. Aber Roman und Angus hatten dieses Problem überwunden. Vielleicht konnte er es auch. »Es wäre schwierig, eine Frau zu finden, die mich so liebt, wie ich bin.«
Heathers Mundwinkel zuckten. »Ist es so schwer, mit Ihnen zu leben? Lassen Sie mich raten. Sie schnarchen wie eine durchgedrehte Büffelherde.«
»Nein. Tatsächlich schlafe ich sogar sehr ruhig.«
»Sie bleiben die ganze Nacht auf und polieren ihre Fechtpokale?«
Er grinste. »Nein.«
Sie breitete verzweifelt die Hände aus. »Ich gebe auf. Ich kann mir nicht vorstellen, was mit Ihnen nicht stimmt.«
Noch ein Stückchen näher wagte er sich heran. »Dann sind Sie bereit, zuzugeben, dass Sie mich mögen.«
Auf ihren Wangen erblühten zartrosa Flecken, und der süße duft von Blutgruppe AB wehte zu ihm hinüber. Sie hob ihr Kinn. »Sie sind sich Ihres Selbst ziemlich sicher.«
»Ein unerfreuliches Nebenprodukt meiner Arroganz.«
Ihr Mund verzog sich zu einem zögerlichen Lächeln. »Es fällt mir schwer, sie nicht zu mögen.«
»Lassen Sie sich Zeit. Das kommt schon noch.«
Dieses Lachen erfüllte sein Herz mit warmer inbrünstiger Freude. Er hatte die Gesellschaft einer Frau seit Jahren nicht so genossen. Seit Jahrhunderten. Er merkte mit einem Schlag, dass Heather eine einzigartige Frau war. Ihr schneller Verstand war eine angenehme Herausforderung. Sie war nicht nur schön und intelligent, sie besaß auch ein mutiges und mitfühlendes Herz. Sie war ihm zu Hilfe gekommen, als sie ihn noch kaum kannte. Und auch wenn er ihr etwas schuldig war, schlug sie daraus keinen Nutzen. An ihr war eine altmodische Ehrbarkeit, die seine Seele berührte.
Das Telefon klingelte, und erschreckte Heather augenblicklich.
»Lieber Gott, wer sollte so spät hier anrufen? Es ist schon nach Mitternacht.« Sie eilte ins Wohnzimmer und nahm das Telefon von dem kleinen Tisch neben dem Ohrensessel. »Hallo?«
Mit seinen gut ausgebildeten Vampirsinnen konnte Jean-Luc eine wütende Männerstimme durch das Telefon hören. Er bliebt im Eingang des Raumes stehen, nahe genug, dass er mithören konnte, aber weit genug entfernt, um so auszusehen, als täte er es nicht.
Heathers Schultern verspannten sich. »Weißt du, wie spät es ist?«
»Ja, es ist ziemlich spät, um noch deinen Freund zu Besuch zu haben«, spottete die männliche Stimme. »Warum wartest du nicht aufs Wochenende, wenn Bethany bei mir ist? Ich will nicht, dass sie den Pennern ausgesetzt ist, mit denen du ins Bett steigst.«
Jean-Luc atmete scharf ein. Das musste Heathers Exmann sein.
»Mehrere Freunde von außerhalb verbringen die Nacht hier«, sagte Heather zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Und es geht dich überhaupt nichts an.« Sie knallte den Hörer auf. »Gott, ich hasse Thelma.«
»Wer ist das?«, fragte Jean-Luc.
»Meine Nachbarin. Sie ist die beste Freundin von Codys Mutter, und sie spioniert mich aus. Sie ruft Codys Mutter an, die dann Cody anruft...«
»Und der ruft Sie an«, beendete Jean-Luc den Satz. Er wünschte sich, dass dieser Cody selbst hier auftauchen würde. Dieser Bastard sollte lernen, wie man mit Frauen respektvoll umging.
»Ich sehe lieber nach Bethany.« Heather eilte aus dem Zimmer. »Das Telefon hat sie vielleicht geweckt.« Sie eilte die Treppe hinauf.
Einen Blick auf ihre wiegenden Hüften konnte er sich nicht verkneifen.
Fidelia rauschte, eine Bierflasche in der Hand, durch die Küchentür. »Schöne Aussicht?« Sie lachte auf dem Weg zur Treppe. »Ay, caramba, Sie sind wirklich muy macho. Ich bin froh, dass Sie hier sind, Juan.«
»Es ist mir ein Vergnügen.« Er fragte sich, ob die ältere Frau sie belauscht hatte. Wahrscheinlich.
»Gute Nacht.« Fidelia ging die Treppe hinauf.
Sie musste vergessen haben, dass noch eine Karte in seinem Tarot fehlte. »Gute Nacht.« Jean-Luc ging zurück ins Wohnzimmer.
Die letzte Karte lag noch mit dem Bild nach unten auf dem Couchtisch. Angeblich war dies die Karte, die die Lösung ihres Problems vorhersagte. Er griff nach ihr und drehte sie um.
Er zog seine Hand fort, als ob Silber ihn verbrannt hätte. Ein Skelett auf einem Pferd.
Der Tod.