Bevor ich meine Meinung erneut ändern konnte, zog ich es heraus, legte es oben auf den Stapel und klappte den Deckel der Schachtel zu. Ich fand ein Stück braunes Papier und packte sie ein. Vorne drauf schrieb ich die Adresse meines Sohnes, die ich auswendig weiß.

Ich wartete, dass etwas geschah, aber es tat sich nichts. Kein Windsturm, der alles wegfegte. Kein Herzinfarkt. Kein Engel an der Tür.

Es war fünf Uhr morgens. Es würde noch Stunden dauern, bis die Post aufmachte. Um mir die Zeit zu vertreiben, zog ich den Diaprojektor unter dem Sofa hervor. Das tue ich nur zu besonderen Anlässen, sagen wir, an meinem Geburtstag. Ich lege dem Projektor einen Schuhkarton unter, stöpsele ihn ein und knipse den Schalter an. Ein dunstiger Lichtstrahl erhellt die Wand. Das Dia hebe ich in einem Glas im Küchenregal auf. Ich puste, lege es ein, drücke auf Weiter. Das Bild rückt ins Blickfeld. Es zeigt ein Haus mit einer gelben Tür am Rand eines Feldes. Der Herbst geht zur Neige. Zwischen den schwarzen Ästen färbt sich der Himmel orange, dann dunkelblau. Aus dem Schornstein steigt der Rauch von Holzfeuer, und durchs Fenster sehe ich fast meine Mutter, über einen Tisch gebeugt. Ich renne auf das Haus zu. Spüre den kalten Wind auf meinen Wangen. Ich strecke die Hand aus. Und weil ich lauter Traumbilder im Kopf habe, glaube ich einen Moment, ich könnte die Tür aufmachen und einfach hindurchgehen.

Draußen wurde es schon hell. Vor meinen Augen verblasste das Haus meiner Kindheit allmählich zu nichts. Ich schaltete den Projektor ab, aß einen Müsliriegel und ging aufs Klo. Als ich erledigt hatte, was zu erledigen war, wusch ich mich mit dem Schwamm und kramte im Schrank nach meinem Anzug. Ich fand die Galoschen, die ich gesucht hatte, und ein altes Radio. Schließlich, zerknittert am Boden, den Anzug, einen weißen Sommeranzug, ganz passabel, wenn man über den bräunlichen Flecken vorn hinwegsah. Ich zog mich an. Spuckte in die Handfläche und bändigte mein Haar. In voller Montur saß ich da, das braune Päckchen auf dem Schoß. Wieder und wieder prüfte ich die Adresse. Um 8.45 Uhr zog ich meinen Regenmantel an und klemmte das Päckchen unter den Arm. Im Flur sah ich mich ein letztes Mal im Spiegel an. Dann ging ich zur Tür und in den Morgen hinaus.

Die Geschichte der Liebe
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