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QUATSCH! stand in großen Lettern über der Tür. »Na, wenigstens ein origineller Name«, dachte ich vorsichtig und versuchte mein Glück in dieser Kneipe. Ich hatte bereits einen Besuch im Märkischen Marktkeller hinter mir, wo ich allerdings so unverhohlen angestarrt worden war, daß ich den Eindruck hatte, nur waschechte Sauerländer in der dritten Generation seien willkommen. Im Life dagegen, einem verchromten Yuppischuppen, nahm man so demonstrativ keine Notiz von mir, daß ich ebenfalls das Weite suchte. Mit dem Quatsch wollte ich nun den letzten Versuch starten. Die Kneipe war gut besucht, und ich nahm wie immer an der Theke Platz. Dahinter stand ein Typ mit wuscheligen braunen Haaren, die ihm weit ins Gesicht hingen. Er nickte mir kurz zu, als ich mich niederließ. Die Hoffnung, in diesen Breitengraden ein Kölsch zu bekommen, hatte ich schon in den letzten beiden Kneipen aufgegeben. Ich bestellte also ein Pils und schaute mich weiter um. Die Tische waren gut besetzt, und an der Theke standen außer mir noch drei weitere Gäste. Der junge Typ am Zapfhahn stellte mir mein Bier hin. Als ich das Glas hochhob, um die Aufschrift darauf zu lesen, sprach er mich an.
»Du kommst von außerhalb, woll?« Ich nickte.
»Dann mußt du unbedingt eines lernen.« Ich schaute so gespannt wie ich nur konnte.
»Hier im Sauerland werden eine ganze Menge Biere gebraut, das weißt du, woll?« Ich nickte brav.
»Aber im Grunde genommen kann man nur ein einziges trinken!«
Jetzt würde wohl ein Vortrag über sauerländische Braukunst im allgemeinen und besonderen folgen. Ich wartete andächtig.
»Und das ist dies hier!« Der Wirt stellte mir ein Glas hin und hielt das Gespräch für beendet. Noch nicht ganz. Während er zwei Gläser nachzapfte brummelte er noch etwas:
»Übrigens, ich bin der Lutz.«
»Vincent. Und prost!«
Lutz wandte sich einer Frau an einem der Tische zu, die etwas bestellen wollte. Als ich hinschaute, konnte ich meinen Blick nicht mehr von ihr wenden. Die Frau fesselte mich sofort. Ihr langes, lockiges Haar trug sie in einer Art Vogelnestfrisur. Es war braun, schimmerte aber etwas rötlich. Faszinierend waren aber vor allem ihre Augen. Augen, die strahlten, auch wenn sie nicht lächelte. Wunderschöne Augen! Sie bestellte eine Cola und drehte sich dann wieder weg. Ich guckte mir den Mann an ihrem Tisch genauer an. Wie immer! Eine tolle Frau hat natürlich auch einen tollen Mann dabei! Der Typ, der ihr gegenüber saß, und sie so schelmisch anlächelte, hätte aus einem Rosamunde-Pilcher-Film gesprungen sein können. Blondes, welliges Haar, ein fein geschnittenes Gesicht, schlank, edle Klamotten. Ich kannte solche Typen zur Genüge. Angie hatte genug davon in ihrer Bekanntschaft gehabt. Ich kam mir in ihrer Gegenwart immer vor wie der Bursche vom Lande mit meinem struppigen Haar und meinem Hintern, der auch nach der härtesten Diät jedem Huhn alle Ehre gemacht hätte. Angie hatte meinen Po immer »störend« gefunden. Aber was sollte ich machen? Egal, ob ich zehn Kilo mehr oder weniger wog – er blieb einfach immer da. In einem Anflug von Wahnsinn hatte ich sogar mal einen Kurs an der Volkshochschule mit dem Titel »Problemzonengymnastik« belegt. Außer mir hatten sich in der tristen Turnhalle noch zwölf andere Problemzonen versammelte, die durchweg meine Mutter hätten sein können. Sie alle hatten sich mit Mühe in einen Aerobicanzug gequetscht, um nun in den Besitz einer Wespentaille zu gelangen. Ich hatte sie in der Turnhalle aufgeregt schnattern hören, bis ich als einziger Mann im schlabberigen Jogginganzug die Turnhalle betrat. Entsetzte Gesichter unter lockenwicklergestähltem Haar und vor allem: Totenstille. Kurz und gut: ich brach den Kurs nach der ersten Stunde ab. Seitdem versuche ich mit meinem Po zu leben. Nur wenn ich solche Männer wie diesen Schönling da sah, dann wurde mir seine Anwesenheit wieder schmerzlich bewußt.
Lutz bediente noch ein paar andere Leute, bevor er wieder etwas Zeit hatte.
»Ich suche übrigens eine Wohnung«, wandte ich mich an ihn, »wenn du mal was hörst.«
»Wo wohnst du denn im Moment?«
»In der Pension Dreisam.« Lutz nickte.
»Ich hör mich mal um.«
Die »Pängsion« hatte sich übrigens tatsächlich als Treffer erwiesen. Die Kellnerin Laura und der Lockenkopf aus dem Café hatten recht gehabt – die Dreisams waren nett, so nett, daß sie pausenlos auf mich eingeredet hatten.
Ausgiebigst hatten sie mir von ihrer Tochter und den Enkelkindern erzählt, die man leider so selten sehe. Ich hatte unweigerlich an meine eigenen Eltern denken müssen, die dasselbe Problem mit mir hatten. Die Dreisams hatten mir leidgetan, und deshalb konnte ich es auch leichter ertragen, daß sie ihre elterliche Fürsorge nun für einige Zeit auf mich richten würden. Als sie hörten, daß ich mir alleine eine Wohnung suchte, waren sie regelrecht bestürzt. Wie ich das denn mit meiner Wäsche machen wolle? Ich müsse doch in der Schule bestimmt immer ordentlich aussehen (ein kurzer Blick auf mein verwaschenes Sweat-Shirt). Außerdem – wo ich denn essen wolle? Ich konnte sie beruhigen, daß ich auch während der letzten Jahre ohne Haushälterin überlebt hatte, und erklärte, das Wichtigste sei nun, erst einmal eine Wohnung zu finden. Das fanden die Dreisams dann glücklicherweise auch. Sie ließen mich wissen, daß es am nächsten Tag in beiden Tageszeitungen einen extra Anzeigenteil gebe. Darin seien immer einige Wohnungen zu finden. Ich hatte daher beschlossen, die Wohnungssuche erst am nächsten Tag in Angriff zu nehmen und nach einem Schläfchen zunächst die ansässigen Kneipen auszutesten.
Ich warf wieder einen Blick nach hinten. Die Frau aller Frauen war immer noch in ein Gespräch mit dem Schönling vertieft. Ich nahm alle Lockerheit zusammen und wandte mich an Lutz:
»Noch eine Frage! Die Frau da drüben, der du eben eine Cola gebracht hast, ich glaube, die kenne ich aus dem Studium. Wie heißt sie noch?«
»Wo hast du denn studiert?« fragte Lutz.
»In Köln.«
»Da muß ich dich enttäuschen. Sie war in Gießen zum Studieren.« Plötzlich grinste Lutz mich breit an und lehnte sich über die Theke, um leise zu mir sprechen zu können. »Aber ich bin so nett, dir ihren Namen trotzdem zu sagen. Alexandra Schnittler. Sie ist Tierärztin und arbeitet in der Praxis Hasenkötter gegenüber der Polizei.« Lutz bekam eine größere Bestellung rein und machte sich wieder an die Arbeit. Inzwischen war es ganz schön voll geworden. Das Mädchen, das beim Bedienen half, flitzte zwischen Theke und Tischen hin und her, und auch Lutz machte sich manchmal auf, um die Leute an den Tischen zu versorgen. Ich geriet gerade ins Träumen, als eine hohe Stimme mich plötzlich von der Seite ansprach.
»Ich hab da eben was von Köln gehört«, sagte die Stimme, die zu einer hübschen, blonden Person, Mitte Zwanzig, gehörte. Sie war ziemlich vollbusig und in einer Weise gekleidet, die ihre rundliche Figur betonte und nur ein ganz klein wenig ordinär wirkte. Richtig auffallend aber war an der Frau eindeutig ihr Mund. Sie hatte Brigitte-Bardot-ähnliche Lippen, die zudem knallrot angemalt waren.
»Ja, ich komme aus Köln«, sagte ich, »Sie auch?«
»Nein, ich hab da nur mal vorgesprochen«, antwortete sie, »ich wohne jetzt in Bochum. In Köln war nichts.«
»Wie meinen Sie das, ’in Köln war nichts’?«
»Ich bin Schauspielerin und hatte da mal einen Termin zum Vorsprechen, aber das Angebot sagte mir nicht zu.« Ich versuchte beeindruckt auszusehen, obwohl ich hundert zu eins gewettet hätte, daß Brigitte Bardots Ziehtochter kaum in die Situation gekommen war, sich zu fragen, ob sie das Angebot annehmen wollte. Vermutlich hatte sie das Engagement einfach nicht bekommen.
»Ich heiße Friederike Glöckner. Und Sie?« Ich stellte mich vor und erzählte, daß ich vorhatte, von nun an hier in der Gegend zu wohnen.
»Sie wollen tatsächlich hierherziehen?« Ich nickte und versuchte dabei glücklich auszusehen. Friederike Glöckner gab sich entsetzt. »Haben Sie sich das auch gut überlegt?«
»Ähm, ja schon, ich meine, ich hab’s einfach so geplant.«
»Hier ist absolut nichts los!« Friederike Glöckner entfaltete eine beachtliche theatralische Gestik. War ja auch ihr Beruf.
»Man kann hier zuviel kriegen. Ich kann Ihnen nur einen Rat geben. Packen Sie Ihre Koffer und verlassen Sie diese Provinz!«
Ich lächelte. »Warum sind Sie hier, wenn es so schrecklich ist?«
»Ich?« Die Frage schien dem Nachwuchssternchen peinlich zu sein. »Nun, ich besuche hier von Zeit zu Zeit Freunde und meine Eltern. Ich bin sowieso ständig auf Achse. Mal einen Auftritt in München, eine Tournee in England. Da schneie ich dann auch hin und wieder hier bei meinen Eltern im Sauerland herein.«
»Sie stammen also gebürtig von hier?« Meine Gesprächspartnerin schien zu überlegen, ob dieses Zugeständnis mit ihrer sonst so weltenbummlerischen Natur in Einklang zu bringen war.
»Ja, ich habe bis zum Abitur hier gewohnt. Danach bin ich direkt nach Essen gegangen, dann nach Bonn, und jetzt Bochum. Ich war an einer privaten Schauspielschule – mein Schwerpunkt ist das antike Theater. Ach übrigens, nenn mich doch Friederike!« Damit schien das Du besiegelt zu sein, wobei ich nicht wußte, ob ich darüber wirklich froh sein sollte. Ich nutzte die Gelegenheit, um einen Blick auf die umwerfende Tierärztin zu werfen. Verdammt! Sie hatte bereits eine Jacke über ihren grobgestrickten Rollkragenpulli gezogen und machte sich auf den Weg nach draußen.
»Und wo arbeitest du?« Wie konnte ich mich jetzt von dieser Sängerin loseisen? Schon war es zu spät. Alexa Schnittler hatte bereits bezahlt und ließ die Tür hinter sich zufallen. »Und wo arbeitest du?« Chance vertan. Ich wandte mich wieder der vollbusigen Friederike zu. Ich erzählte ihr von meiner Stelle am Elisabeth-Gymnasium.
»Am Elli? Da war ich auch!«, platzte sie heraus.
»Und?«
»Schon o.k.« Sie schien nicht allzu gern bei diesem uninteressanten Teil ihres Lebens stehenzubleiben.
Ich ließ nicht locker. »Erzähl doch mal! Mich interessiert das!«
»Also, am besten erinnere ich mich noch, wie ich in der Zwölf die Hauptrolle im Besuch der alten Dame gespielt habe. Wir sind dreimal damit aufgetreten, und beim dritten Mal war ich in Bestform. Selbstverständlich fehlte mir damals noch die Schulung, aber mein Talent war natürlich immer schon sehr ausgeprägt.« Friederike holte tief Luft, um mir das Ausmaß ihres Erfolges genauer beschreiben zu können. Ich unterbrach sie rasch.
»Welche Lehrer hast du denn so gehabt?«
»In neun Jahren waren das natürlich so einige. Die Bürger war meine Klassenlehrerin, Radeberger, Erkens, Gottberg, Schwester Berta, Gelbmann, Langensiep–«
Ich fuhr auf. »Den Langensiep kennst du auch?«
»Klar, den habe ich doch jahrelang in Geschichte gehabt!«
»Hast du auch gehört, daß er Anfang des Jahres gestorben ist?«
»Sicher, das weiß hier doch jeder!« Friederikes Kontakt zur »spießigen« Heimat war doch größer als sie zuzugeben bereit war.
»Was war der Langensiep denn für ein Typ?« bohrte ich weiter. Friederike überlegte einen Moment.
»Eigentlich ein ganz seltsamer. Ernst, und vor allem sehr unsicher. Die Jungs in meiner Klasse haben ihn regelmäßig fertiggemacht. Dann stotterte er nur noch verzweifelt herum und wußte nicht, wie er reagieren sollte. Ich selbst hatte bei ihm einen Stein im Brett, weil ich sehr gut auswendig lernen konnte und deshalb alle möglichen Geschichtsdaten drauf hatte. Darauf stand er, auf Datenkenntnis. Ich erinnere mich an einen bestimmten Vorfall in der zehnten Klasse. Zwei Mädchen versuchten ihm an Weiberfastnacht, die Krawatte abzuschneiden. Ziemlich albern, besonders hier im Sauerland, wo man sowieso nicht sehr doll Karneval feiert.«
»Ich weiß, hier macht man eher in Schützenfesten.«
»Die beiden hatten wohl eine Wette abgeschlossen, ob sie sich bei diesem Stiesel trauen. Auf jeden Fall ist Langensiep total ausgerastet und hat nur noch rumgebrüllt. Er ist wirklich fast wahnsinnig geworden vor lauter Wut – in der Klasse hatten wir ihn noch nie so erlebt. Es dauerte fünf Minuten, dann setzte er den Unterricht fort. Die beiden Mädels hat er fortan völlig ignoriert. Ich weiß nicht, ob er sie im gesamten Schuljahr noch ein einziges Mal angesprochen hat.« Friederike nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. »Aber das ist ja alles kalter Kaffee! Erzähl doch mal von dir! Was hast du denn vorher gemacht?« Ich murmelte, daß ich als freier Journalist gearbeitet hatte. »Für den Kölner Stadtanzeiger.«
Das war ein Treffer. Die Reaktion war mir von anderen Künstlern oder solchen, die es werden wollten, bekannt. Journalisten wurden immer als wertvolles Element im Vitamin B-Gerangel angesehen. Meistens endeten Gespräche mit Anspielungen darauf, ob man nicht mal einen Artikel über sie bringen wolle. Friederike Glöckner war nicht anders. Es folgte ein ausführlicher Bericht über ihre bisherigen Erfolge, über die wichtigen Leute, die sie kannte, und ein fünfzehnminütiger Vortrag über ihre aussichtsreichen Zukunftspläne. Ich unterstellte ihr pure Selbstüberschätzung. Die Leute, von denen sie erzählte, konnten mit ihrem Namen wahrscheinlich gar nichts anfangen. Ich trank ein Bier nach dem anderen, um den Monolog ertragen zu können.
»Ich sag dir nochmal, die Leute hier sind einfach langweilig, spießig und, und …« Ihr fehlten die Worte. Sie schien völlig vergessen zu haben, daß zwei ihrer Freunde neben ihr standen, die bei ihrer Lautstärke alles mit anhören mußten. Das Gegackere ging weiter, aber nach dem zehnten Bier machte es mir nichts mehr aus. Es war eine schöne Untermalung meiner abschweifenden, nicht mehr ganz geordneten Gedanken, die in die Vergangenheit wanderten.
Damals, als Angie von ihrer Recherche in den neuen Bundesländern zurückgekommen war, war auf einmal alles ganz schnell gegangen. Angie hatte sich nach ihrer Ankunft telefonisch bei mir gemeldet, und bevor ich überhaupt meinen Namen hatte sagen können, waren ihre Vorwürfe schon losgegangen: »Es ist ja überaus reizend, nebenbei zu erfahren, daß du Köln bald verlassen wirst.« Eine Katastrophe. Sie hatte die ganze Geschichte also schon von Jochen erfahren, der wiederum mit Robert gesprochen haben mußte …
»Sehr nett, daß du solche Entscheidungen ohne mich fällst! Ich meine, wir kennen uns ja kaum, nicht wahr?«
»Angie, es ist so. Ich war–« Jeder Versuch, sie zu unterbrechen war völlig chancenlos.
»Daß diese Entscheidung das Ende unserer Beziehung bedeutet, ist dir ja wohl klar?«
»Angie, bist du verrückt? Ich werde demnächst nur zwei Autostunden von dir entfernt arbeiten. Wie kannst du vom Ende unserer Beziehung reden?«
»Versuch mir nicht irgendwas von Wochenendbeziehungen zu erzählen! Das kannst du vergessen. Guck dir Rita und Thomas an oder Bernd und Antje! Das hält kein erwachsener Mensch auf Dauer aus! Vergiß es! Ich bin nicht deine siebzehnjährige Freundin, die sehnsüchtig darauf wartet, daß deine Bundeswehrzeit vorbei ist.«
»Angie, ich bitte dich! Ich weiß doch gar nicht, ob ich bei diesem Job bleibe. Vielleicht kann ich mich auch nach einer bestimmten Zeit versetzen lassen. Außerdem habe ich gelegentlich mal Schulferien. Ganz abgesehen davon könnte man sich dann und wann am Wochenende mal zum Tee verabreden. Laß uns das Ganze doch mal mit Vernunft angehen!«
»Vergiß es!« Angies Stimme überschlug sich. »Weißt du, was mich am meisten aufregt? Daß du überhaupt Lehrer werden willst – ein langweiliger, miefiger Provinzpauker!« Mir verschlug es die Sprache.
»Weißt du, wie du dich verändern wirst? Du wirst dich nur noch über pubertierende Teenager unterhalten können. Du wirst in einem Kaff wohnen. Du wirst–«
»Angie!« Mein Brüllen hatte sie verstummen lassen. »Weißt du eigentlich, was du da sagst? Wir sind seit drei Jahren zusammen. Wir lieben uns. Wir wollen immer zusammenleben. Und du redest von tiefgreifenden Veränderungen, nur weil ich jetzt den Beruf ausüben will, für den ich eigentlich studiert habe?« Ein Klicken am anderen Ende der Leitung. Angie hatte aufgelegt. Ich konnte es nicht fassen. Natürlich hatte ich Angie von dem ganzen Trara der letzten Tage selbst erzählen wollen. Aber trotzdem war ihre hysterische Reaktion mehr als zuviel gewesen. Ich nahm einen großen Schluck Bier.
»Ich muß jetzt gehen!« Wahrscheinlich hatte ich Friederike gerade mitten in einer Pointe unterbrochen. Sie blickte mich erstaunt an, dann faßte sie sich wieder.
»Na, prima, ich wollte auch gerade los!« Ich schloß die Augen, hörte aber plötzlich eine Stimme hinter mir.
»Friederike, tut mir leid wegen deines verpatzten Auftritts in der Marienkirche! Klaus hat’s mir schon erzählt.«
Zwei Typen standen vor uns. Der, der gesprochen hatte, wurde gerade von Friederike zur Seite geschoben und im halblauten Ton massakriert. Der andere grinste und war niemand anders als mein Lebensretter.
»Max?« fragte ich unsicher.
»Stimmt! Freut mich zu hören, daß kein Erinnerungstrauma vorliegt.«
»Keine Spur! Ich bin ziemlich in Ordnung.«
»Sollen wir noch einen trinken gehen?« fragte Max. »Vielleicht woanders?«
Wenn mein Gefühl mich nicht trog, wollte er vor Friederike Glöckner fliehen, die nun gestikulierend mit seinem Kumpel verhandelte. Ich legte einen Geldschein hin.
»Na, dann zeig mir doch mal die heimische Kneipenwelt!«, sagte ich beim Hinausgehen. Ich bemerkte kaum, daß ich ins Du verfallen war.
»Das Wichtigste ist eigentlich, daß du eins lernst«, erklärte Max ganz ernst neben mir, »du weißt ja, daß hier im Sauerland ziemlich viele Biersorten gebraut werden, woll? Im Grunde schmeckt aber nur eine. Ich demonstriere dir das heute mal.«