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Es war ein ekelhaftes Gefühl. Feucht, schlabbernd, schmatzend. Ich fragte mich, woher ich dieses Gefühl kannte. Dann dämmerte es mir, und ich riß die Augen auf. Tatsächlich, das Monstervieh stand schon wieder vor mir und schien sich an meinen Geschmack gewöhnt zu haben. Ich schob es zur Seite und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Zweifellos lag ich in einem Sessel unter einer übel riechenden Decke, während das Monster schwanzwedelnd und grinsend vor mir stand. In meiner Nähe schnarchte noch ein anderes Lebewesen. Ich fuhr herum.
Es war Max, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. So langsam dämmerte mir, was geschehen war. Wir waren zu Alexas Wohnung gefahren, wo wir Max angetroffen hatten. Er hatte es nach zwei Stunden Zuhören geschafft, Ignaz von Feldhausen zum Abrücken zu bewegen, und war gerade auf dem Weg zu seinem Auto. Er stand noch ziemlich unter Hochspannung, so daß Alexa und ich ihn überredeten, eine Flasche Wein zusammen zu trinken. Ich erinnerte mich dunkel, daß beim besten Willen kein Wein in Alexas Wohnung aufzutreiben war. Statt dessen hatte unsere holde Gastgeberin dann diese Flasche Weizenkorn in der Küche gefunden, die sie bei einem nächtlichen Hausbesuch von einem Bauern geschenkt bekommen hatte. Ich fluchte, mein Kopf hämmerte und ich schloß die Augen. Dann fuhr ich hoch. Es war ja schon hell!
»Wie spät ist es? Wie spät ist es?« Ich brüllte Max an, anstatt auf meine eigene Uhr zu schauen.
»Weiß der Geier!« Max’ Stimme war nahezu unverständlich.
»Es ist zwanzig vor acht.« Mich überkam Hysterie. »Ich muß in die Schule. Sofort, ich muß in die Schule!« Panisch lief ich um den Sessel, in dem ich genächtigt hatte.
»Los, ich will ein Taxi!« bölkte ich Max an. Dessen Blick schwankte zwischen völligem Unverständnis und temporärer Verwirrtheit.
»Max«, ich verlegte mich jetzt aufs Flehen, »heute ist mein erster Arbeitstag. In genau neunzehn Minuten beginnt mein Unterricht. Du mußt mich zur Schule bringen. Ich bitte dich!«
Max fing immerhin an sich zu räkeln und hatte die Augen nun schon länger als zwanzig Sekunden am Stück auf. In mir keimte Hoffnung auf.
»Los, Max!« Ich nahm seinen Ellenbogen und zog ihn hoch.
»Ja ja, ich komm ja schon, ich such nur meine Brille.« Er fand sie auf dem Radio. Als er sie aufgesetzt hatte, grinste er mich an. »Sag mal, willst du so in die Schule?« Mir rutschte das Herz in die Hose. Natürlich, ich mußte aussehen wie drei Wochen nicht gebadet. Meine Kleidung zerknittert und mein Gesicht unrasiert. Eine neue, heftigere Welle der Panik überkam mich.
»Ich muß zuerst nach Hause!« brüllte ich. »Komm, Max! Ich will nach Hause!« Eine Tür öffnete sich, und Alexa taperte herein. Sie sah unendlich verschlafen und zugleich umwerfend aus. Ihre rötlich schimmernden Haare waren ein einziges Kuddelmuddel, und sie trug etwas, das wie ein riesig großes Männerhemd aussah und kurz über ihren Knien endete. Mein Drang, sie einfach in den Arm zu nehmen, erledigte sich, als sie mißmutig ihre Augen rieb und fragte, wer hier denn solch einen Krach veranstalte.
»Es ist nur Vincent!« antwortete Max trocken. »Er bildet sich ein, er könne noch in Ruhe duschen und seinen Unterricht vorbereiten, aber trotzdem in zehn Minuten an der Schule sein.«
»Ach, ist es schon so spät?« Alexa blickte erstaunt auf ihren Arm und brauchte einige Zeit, um zu bemerken, daß sie gar keine Uhr trug.
»Max, du mußt mich zuerst nach Hause fahren!« Ich war jetzt der Verzweiflung nahe. »Ich kann unmöglich so vor die Schüler treten. Außerdem habe ich meine ganzen Schulsachen nicht hier!«
»Was ist dir nun lieber?« Max schaute mich genervt an. »Mit leichten Mängeln, aber pünktlich in der Schule? Oder komplett und geschniegelt, aber leider unentschuldigt erst zur zweiten Stunde?«
Ich überlegte ernsthaft. »Das erste«, murmelte ich kleinlaut.
»Dann komm!« Max nahm seine Jacke und ging. Ich stürmte eilig in das Badezimmer, an das ich mich vom Vorabend her noch vage erinnern konnte, wusch mich ein wenig, schluckte eine halbe Tube Zahnpasta, sprühte mir etwas Parfüm an, das auf der Ablage stand, und hastete los. Ich sah, daß Alexa im Halbschlaf mit einer Kaffeemaschine kämpfte. Ich hielt einen Moment inne, um ihren Anblick mit in die Schule zu nehmen.
»Bist du enttäuscht, daß ich schon los muß?« Meine Frage hörte sich sicherlich nur ein ganz klein bißchen hoffnungsfroh an.
»Nee, dann kann ich wenigstens in Ruhe Kaffee trinken!«
Ich schnappte meine Jacke. An der Tür drehte ich mich noch einmal um.
»Weißt du, Alexa, was ich an dir so liebe?« Den verschlafenen Blick, den meine Göttin mir zuwarf, konnte man nicht gerade als neugierig betrachten.
»Es ist deine unschlagbare Direktheit. Wenn das eine sauerländische Eigenart ist, mußt du einen astreinen Stammbaum haben.«
Max pfiff von unten, und ich rannte los, die Treppen hinunter. Als ich den Griff der Haustür in der Hand hielt, hörte ich von oben Alexas Stimme.
»Und weißt du, was ich an dir so liebe?« Ich stand ganz starr und antwortete nicht.
»Deinen unheimlich scharfen, runden Puschelpopo!«