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Ich ging nach oben, um auf meinem Handy und
meinem Computer zu checken, ob ich Nachrichten von Jake und Val
bekommen hatte. Die beiden waren die Einzigen, die mir je eine Mail
oder eine SMS schickten. Wir waren zusammen im Patterson Hospital
gewesen, inzwischen aber alle wieder draußen. Und obwohl wir weit
voneinander entfernt lebten, waren wir das ganze Jahr über in
Verbindung geblieben.
Von Val war nichts da. Ich schrieb ihr eine
Mail, die ich aber wieder löschte, ohne sie abzuschicken. Dann
starrte ich auf das Bild an der Wand, als könnte ich auf diese
Weise Kontakt mit ihr aufnehmen, doch die Gedanken, die ich
aussandte, hatten weder einen Effekt auf das Bild noch auf meinen
Posteingang. Anschließend machte ich mich daran, den üblichen Spam
auszusortieren.
Jake hatte mir den Link für einen Videoclip
geschickt, in dem ein Strauß Fußball spielte. Solchen Quatsch
schickten wir uns ständig zu. Ich revanchierte mich mit einem
Cartoonclip mit tanzenden Walrossen.
»Bist du da?«, schrieb er. »Wo warst du den
ganzen Tag?«
»Draußen. Dann war dieses Mädchen hier.«
»Was für ein Mädchen? Seit wann hast du eine
Freundin?«
»Hab ich nicht. Sie wohnt einfach nur in
unserer Gegend.«
»Und was hast du mit ihr angestellt?«
»Ha. Gar nichts.«
»Komm schon, lass mal ein paar pikante Details
hören. Kannst sie ja erfinden.«
Ich wechselte das Thema. »Was hast du den
ganzen Tag gemacht?«
»Was ich immer mache. Games gespielt, bis ich
Krämpfe in den Händen bekommen hab. Meine Mom liegt mir ständig in
den Ohren, dass ich mal rausgehen soll, aber wozu? Wenn ich einen
eigenen Kühlschrank & ein eigenes Bad hätte, würde ich das
Zimmer gar nicht mehr verlassen.«
»Ich glaube, Einsiedler kann man erst sein,
wenn man Milliardär geworden ist.«
»Dazu fehlen mir bloß noch 999 999 960 Dollar.
Vielleicht sollte ich einen Aufruf ins Internet stellen: AN ALLE
AMERIKANER: HELFT MIR, EIN EXZENTRISCHER MILLIARDÄR ZU
WERDEN!«
Wieder einmal fragte ich mich, ob Jake
überhaupt schon das Haus verlassen hatte, seit im Juni die Schule
zu Ende gegangen war. Aber jedes Mal, wenn ich das Thema anschnitt,
zog er es ins Lächerliche. Val und ich prophezeiten ihm immer, er
würde sich noch zum Maulwurf entwickeln oder Rachitis bekommen,
weil er nie in die Sonne ging – na ja, vermutlich zogen wir
das Ganze auch ins Lächerliche. Mit Val führte ich seit unserem
Klinikaufenthalt ab und zu ernsthafte Gespräche, mit Jake nie.
Wahrscheinlich wollte er einfach nicht an die Dinge erinnert
werden, die wir dort miteinander erlebt hatten: an die emotionalen
Ausbrüche im Aufenthaltsraum, die Geständnisse bei den
Gruppensitzungen, daran, dass wir nichts voreinander verbergen
konnten, weil wir rund um die Uhr zusammen waren. Wenn jemand mal
erlebt hat, wie du dir den Rotz vom Gesicht wischst, nachdem du
zusammengebrochen bist und einem Kreis von psychisch Kranken
gestanden hast, dass du dich selber hasst, weil du dich nach
Aufmerksamkeit sehnst und sie nie bekommst – tja, dann
schickst du diesem Jemand eben lieber Clips mit Straußen und
Walrossen, statt mit ihm über diese ganze Scheiße zu reden.
Früh am nächsten Morgen ging ich zum
Wasserfall. Es war kalt und dunstig. Kent Thornton saß am Ufer des
Bachs und rauchte. Zuerst dachte ich, es sei nur eine Zigarette,
bis mir der süßliche Duft in die Nase stieg. »Hab gehört, du warst
hier mit Nicki zusammen«, sagte er.
Nicki. So hieß seine Schwester also.
»Stimmt.«
»Die hat nicht alle Tassen im Schrank.«
Ich zuckte zusammen. Wenn jemand so etwas
sagte, war ich mir nie sicher, ob das eine Anspielung auf mich sein
sollte.
»Meine Mutter will noch nicht mal, dass sie
allein aus dem Haus geht, weil sie so plemplem ist.« Er starrte in
Richtung Wasserfall. »Nicki ist ein nettes Mädchen, aber seit dem
Tod unseres Dads ist sie völlig verdreht.«
Ich trat einen Schritt zurück. Wenn er die
Absicht hatte, den ganzen Vormittag hier rumzusitzen, würde ich
wieder abziehen. Ich wollte unbedingt allein sein. Sobald ich mit
anderen Leuten zusammen war, befürchtete ich immer, dass sie etwas
sagen könnten, was mich verletzte. In der Schule hatte Kent so gut
wie nie mit mir gesprochen. Und ich war nicht sonderlich scharf
darauf, dass er jetzt damit anfing.
»Also geh vorsichtig mit ihr um.« Kent drehte
mir den Kopf zu und sah mich mit seinen rot geränderten Augen an.
»Sie ist schließlich meine Schwester.«
Vorsichtig? Ich hatte ihr doch bloß ein
Handtuch ausgeliehen. Und ihr unser Haus gezeigt, einschließlich
Besenschrank.
Kent deutete auf den donnernden Wasserfall. »Du
stellst dich da runter, stimmt’s?«
»Manchmal.«
»So was Dämliches. Was zum Teufel ist bloß los
mit dir?«
Gute Frage, Kent, hätte
ich am liebsten erwidert. Wie viel Zeit hast du
denn, um dir die Antwort anzuhören?
»Da würd ich mich nicht mal für ’ne Million
runterstellen«, setzte er hinzu. »Nicht mal für ’ne Million.« Er
schüttelte den Kopf und fuhr eine Weile damit fort, als hätte er
vergessen, wie er aufhören sollte. Erst als ich mich räusperte,
ließ er es bleiben.
»Bis dann«, sagte ich und machte mich auf einem
der Waldpfade davon. Als ich eine Stunde später zurückkam, war Kent
verschwunden.
Am besten und gleichzeitig am
schlimmsten war jener Moment unter dem Wasserfall, wenn ich keine
Luft mehr bekam. Das jagte mir Angst ein, war aber irgendwie auch
toll. Das eiskalte Wasser, das mir ins Gesicht peitschte, schnürte
mir den Atem ab. Wenn ich dann zur Seite trat und nach Luft
schnappte, kam mir dieser Atemzug vor wie der erste Bissen, den ein
Halbverhungerter herunterschlingt.
Ich wankte zum Ufer, ließ mich ins Moos fallen
und schloss die Augen. Von meinem ganzen Körper tropfte Wasser auf
das Moos und den Schlamm.
»Wie ich gehört habe, ist es unter dem
Wasserfall viel zu kalt«, sagte da über mir eine Stimme. »Und
gefährlich.«
Ich öffnete die Augen. Vor mir stand
Nicki.
»Hab ich auch schon gehört«, erwiderte
ich.
Sie setzte sich hinter meinen Kopf ins Moos.
Ihre Haut roch nach Sonnencreme, ein kräftiger, apfelsiniger Duft.
Um sie sehen zu können, musste ich zu ihr hochschielen.
»Willst du hier nur so rumliegen?«, fragte
sie.
»Was sollte ich denn sonst tun? Irgendwelche
Vorschläge?« Nachdem ich sie eine Weile mit verdrehten Augen
angeblickt hatte, bekam ich Kopfschmerzen. Ich brachte meine Augen
in ihre natürliche Position zurück. Der Wasserfall donnerte auf die
Felsen vor uns, dass Schaum aufspritzte.
»Ich würde dich gern was fragen«, sagte
sie.
Sofort fiel mir die Situation an der Bar ein,
wo sie mich so fest angesehen und von meinem Krankenhausaufenthalt
gesprochen hatte. Offenbar wollte sie jetzt die bewusste Frage
stellen. »Schieß los.«
»Warum kommst du hierher?«
»Zum Wasserfall?« Okay, das war nicht die
Frage, die ich erwartet hatte.
»Hast du schon mal von diesem Ort …
geträumt? Hattest du je das Gefühl, dass du hier sein musst? Oder ist dir hier mal was Merkwürdiges
passiert?«
Ich setzte mich auf. »Wovon redest du
eigentlich?«
Sie seufzte; zumindest nahm ich das an. Da das
Wasser so laut toste, ließ sich das nicht genau feststellen. Ich
fuhr mir mit der Hand durchs Haar und kratzte mich am Kopf. Dabei
fiel mir ein Blatt aus den Haaren.
»Einmal hat mich der Wasserfall umgerissen und
nach unten gedrückt«, sagte sie. »Da kam es mir einen Moment so
vor, als würde ich über meinem Körper schweben und sehen, wie ich
unten im Wasser lag. Und gleich darauf stand ich auf, schnappte
nach Luft und war wieder in meinem Körper, verstehst du?«
»Wahrscheinlich bist du kurz ohnmächtig
geworden.«
»Ist dir so was auch schon mal passiert?«
»Nein, aber …« Ich erzählte ihr von dem
Buch, das ich gerade las. Das mit dem Floß und der
Pazifiküberquerung hatte ich inzwischen durch. In dem neuen Buch
ging es um einen Typ, der auf einen der höchsten Berge der Welt
geklettert und dabei in ein Unwetter geraten war. Vor lauter
Erschöpfung war er so verwirrt, dass er, obwohl er allein war, den
Eindruck hatte, es sei jemand bei ihm, jemand, der ihn den Berg
hinuntergeleitete. Er unterhielt sich sogar mit dieser
Person – oder was immer es war. Von solchen Fällen hatte ich
schon früher gelesen, von Menschen, die in lebensgefährlichen
Situationen das Gefühl hatten, es sei jemand bei ihnen.
»Genau das meine ich!«, sagte Nicki. »Was,
glaubst du, hat der Typ gesehen?«
»Ich glaube, er hatte Halluzinationen. Er war
dehydriert und wahrscheinlich auch unterkühlt.«
»Und du denkst, ich hatte auch
Halluzinationen?«
»Na ja, jedenfalls hört sich’s so an, als wärst
du mit dem Kopf aufgeschlagen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du
daran zweifelst …« Sie verstummte abrupt.
Ausgerechnet du. Mir
wurde eiskalt. Ich erstarrte.
»Was meinst du damit?«, fragte ich, sobald ich
wieder sprechen konnte. Im gleichen Moment sagte sie: »Ich wollte
dich nicht …« Dann hielten wir beide den Mund.
Ich beobachtete, wie Nicki auf das Wasser
starrte und verlegen über den Saum ihrer Shorts strich.
»Ausgerechnet ich? Was soll das heißen?« Was
immer sie von mir wollte – sie sollte es endlich ausspucken.
Ich hatte es satt, über jedes Wort, das sie von sich gab,
nachzudenken, hatte es satt, herumzurätseln, warum sie mich
überhaupt angesprochen hatte.
»Hast du wirklich versucht, dich umzubringen?«,
fragte sie, ohne mich anzusehen.
Ja, das war die bewusste Frage. Gestern wollte
ich, dass sie sie stellte, doch inzwischen hatte ich es mir anders
überlegt. Da war etwas an ihr, dem ich nicht traute, etwas
Zwanghaftes in ihrer Stimme und ihrem Blick. »Warum willst du das
wissen?«
»Ich … Dafür gibt es einen Grund. Ich bin
nicht nur neugierig.« Sie wandte den Blick vom Wasser ab und sah
mich an. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen, was ich bisher noch
gar nicht bemerkt hatte. Ihre Lippen waren feucht, als hätte sie
gerade mit der Zunge darübergeleckt.
»Was für einen Grund?«
»Das ist … kompliziert.«
Eigentlich hatte man es den Leuten damals
ziemlich leicht gemacht, sich die Wahrheit zusammenzureimen. Kurz
nach meinem Verschwinden waren alle Schüler zusammengerufen worden,
damit sie sich einen Vortrag über vorbeugende Maßnahmen bei
Selbstmordgefährdung anhörten. Und meine Mutter war aus
unerfindlichen Gründen mitten am Tag – statt nach
Unterrichtsschluss – in der Schule aufgekreuzt, um meine
Sachen aus dem Spind zu holen. Es wussten also alle Bescheid,
obwohl ich nie etwas darüber gesagt hatte, und niemand hatte sich
getraut, mich direkt danach zu fragen. Bis heute.
Ich stand auf, aus meiner nassen Kleidung floss
mir Wasser die Beine runter. Nicki rappelte sich ebenfalls hoch.
»Warum willst du das wissen?«, fragte ich noch einmal.
Sie legte den Kopf nach hinten, als sei die
Antwort in den Bäumen oder in den Wolken zu finden. »Das ist schwer
zu erklären.«
Dann drehte Nicki den Kopf in Richtung Wald,
sodass ich ihr Profil zu sehen bekam. Sie pulte an einer
verschorften Stelle herum, die sie am Bein hatte. Am liebsten wäre
ich davongerannt, um mich in meinem Zimmer einzuschließen und ihren
Fragen zu entkommen und dem ganzen Gerede, das mir offenbar für den
Rest meines Lebens anhängen sollte.
Was mich zurückhielt, war die Tatsache, dass
ich mir Sorgen um sie machte.
»Hör mal«, sagte ich. »Wenn mich das jemand
fragt, denke ich sofort, er spielt mit dem Gedanken, es selbst zu
tun.«
Nicki schüttelte den Kopf.
»Das ist schon okay, ich meine, ich kann dir
die Telefonnummer von meiner Ärztin geben. Sie hat zwar bis Ende
des Monats Urlaub, aber sicher ist in ihrer Praxis jemand zu
erreichen.«
»Darum geht’s nicht, das schwör ich.«
»Wär wirklich kein Problem. Ich hab ihre Nummer
schon mal weitergegeben – an einen Jungen in der Schule, den
ich kaum kenne.« Er hatte sich an mich gewandt, weil ich der
Einzige in der Schule war, der schon mal versucht hatte, sich
umzubringen – zumindest der Einzige, von dem es alle wussten.
Wer immer es sonst noch versucht hatte, hatte sein Geheimnis besser
gehütet als ich. Ich hatte dem Jungen die Nummer der
Selbstmord-Hotline meiner Ärztin gegeben. Außerdem hatte ich dem
Schulpsychologen von ihm erzählt. Soweit ich wusste, war er noch am
Leben, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob er diese Nummer je
angerufen hatte.
Nicki sah mich an. »Ein Junge in der Schule?
Wer denn?«
»Das werde ich dir nicht sagen.«
»Also … ich hab nicht die Absicht, mich
umzubringen. Deshalb habe ich dich nicht danach gefragt.«
»Hast du dein Handy dabei?«
Sie seufzte. »Ich brauch die Nummer wirklich
nicht, aber du lässt ja doch nicht locker.« Sie reichte mir ihr
Handy, damit ich die Nummer speichern konnte. »Gib mir auch deine
Nummer. Und deine E-Mail«, sagte sie.
»Warum?«
»Weil ich dir was zuschicken möchte.«
Ich zögerte kurz, dann gab ich mit zitternder
Hand meine Daten ein.
»Schick mir bloß keine von diesen Scherzmails,
die gleichzeitig an fünfzigtausend andere rausgehen«, sagte
ich.
Insgeheim dachte ich: Teil mir bloß nicht mit,
dass du dich umbringen willst.
»Solchen Mist verschicke ich nicht.« Ihre
Stimme wurde weicher. »Ich möchte dir etwas sagen, aber das kann
ich nicht, wenn ich mit dir zusammen bin. Deshalb werde ich es dir
mailen. Okay?«
»Okay.«
Wenn sie selbstmordgefährdet war, würde ich
ihre Mail sofort an meine Ärztin weiterleiten. Eigentlich kam sie
mir gar nicht selbstmordgefährdet vor, aber warum hätte sie sich
dann für meine Vergangenheit interessieren sollen? Was konnte es
denn geben, wonach sie mich fragen wollte?
Auf dem ganzen Nachhauseweg und auch
noch als ich in mein Zimmer hochging, um meine nassen Sachen
auszuziehen, musste ich an Nicki denken. Ich hatte das merkwürdige
Gefühl, als ob sie mir wieder durchs Haus folgte – oder eher:
mich durchs Haus führte. Ich versuchte, mein Zimmer mit ihren Augen
zu sehen: den Schreibtisch, der bis auf meinen Computer völlig leer
war; das Bett mit der glatt gezogenen Tagesdecke; den Teppich mit
den typischen Staubsaugerstreifen. Sicher war sie zu dem Schluss
gekommen, dass ich ein analfixierter Ordnungsfreak war.
Vals Bild mit seinen aggressiven purpurnen und
blauen Wirbeln war das Einzige in meinem Zimmer, was es von einem
unpersönlichen Hotelzimmer unterschied. Als ich es aufgehängt
hatte, war meine Mutter mir die ganze Zeit nicht von der Pelle
gewichen. Nicht nur, dass ich einen Nagel in ihre kostbaren Wände
schlug, machte sie zutiefst unglücklich, sondern auch die Tatsache,
dass ich ihre Inneneinrichtung mit einem Kunstwerk aus der
Nervenklinik verunzierte.
Und noch etwas gab es in meinem Zimmer, das es
von einem Hotelzimmer unterschied, etwas, das Nicki nicht gesehen
hatte und dessen Bedeutung ihr wohl selbst dann nicht klar gewesen
wäre, wenn sie es gesehen hätte.
Ohne es eigentlich zu wollen, öffnete ich die
Tür meines Wandschranks, voller Widerwillen gegen den Drang, der
mich damals veranlasst hatte, dieses Ding an mich zu nehmen, und
der mich jetzt veranlasste, es mir immer wieder anzusehen, wie
unter Zwang den Finger immer wieder auf den wundesten Punkt zu
legen, den ich hatte.
Ich streckte den Arm hoch, fegte das Ding vom
Regal und fing es auf. Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, öffnete
ich die braune Einkaufstüte.
Der Pullover aus weichem pinkfarbenen Material
war immer noch drin. Ich konnte beim besten Willen nicht
feststellen, ob der schwache Parfümduft tatsächlich da war oder ob
ich ihn mir nur einbildete, weil ich mich daran erinnerte, wie der
Pullover am Anfang gerochen hatte. Ich starrte in die Tüte, ohne
den Pullover anzufassen, obwohl ich es einerseits gern getan hätte,
andererseits aber die Vorstellung hatte, dass dabei etwas Giftiges
an meiner Haut haften bleiben würde. Manchmal überlegte ich, wie es
wohl wäre, beim Öffnen des Wandschranks zu entdecken, dass das
braune Päckchen verschwunden war, sodass ich es mir nie mehr
anzusehen oder darüber nachzudenken brauchte. Mir war klar, dass
ich es loswerden musste. Aber das war gar nicht so einfach.
Irgendwie meinte ich, dass der Pullover sich in
den anderthalb Jahren, die ich ihn schon hatte, stärker hätte
verändern müssen. Der Parfümgeruch ließ zwar nach, aber das
Material blieb sich gleich, statt schwarz zu werden oder sich in
seine Bestandteile aufzulösen, wie ich es mir gewünscht hätte. Doch
jedes Mal, wenn ich nachsah, war der Pullover so weich und knallig
pink wie eh und je.
Ich machte die Tüte zu und verstaute sie wieder
auf dem Regal.