11
Hinter dem Lenkrad des Trucks wirkte Nicki
noch jünger als sonst. »Das wird nie klappen«, sagte ich.
»Klar wird es das.« Sie setzte eine Art
Baseballcap mit langem Schirm und der Aufschrift COOZ’S
Landwirtschaftsbedarf auf. Immerhin bewirkte die Mütze, dass sie
nicht mehr ganz so jung aussah. »Ich mach das ständig. Und bin noch
nie von der Polizei angehalten worden.«
Als ich ihr die Wegbeschreibung geben wollte,
die ich mir ausgedruckt hatte, winkte sie ab. »Die musst du mir
unterwegs vorlesen. Beim Fahren kann ich das nicht.«
Sie ließ den Motor an und legte den
Rückwärtsgang ein. »Irgendwie erstaunlich, dass dein Bruder dir
einfach so seinen Truck überlässt«, sagte ich.
»Tja, da er möchte, dass ich nicht verrate, was
für Pflanzen er hinterm Haus anbaut und wie oft er Mädchen in sein
Zimmer schmuggelt, bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Allerdings
sagt er immer, falls ich erwischt werde, würde er behaupten, ich
hätte die Autoschlüssel geklaut.«
»Na toll.« Ich malte mir aus, wie meine Eltern
mich auf dem Polizeirevier abholten. Das würde ihnen endgültig
den Rest geben.
»Entspann dich, Ryan. Hat dir schon mal jemand
gesagt, dass du ein sehr verkrampfter Mensch bist?«
Ich lachte. »Schon oft.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Bevor wir auf den Highway fuhren, machten wir
bei einem Donut-Laden halt, weil Nicki sagte, sie brauche etwas,
»um in Form zu bleiben«. Dieses Etwas erwies sich als großer
Kaffee, in den sie einen Spritzer Milch gab und so viel Zucker,
dass ich allein vom Zusehen Zahnschmerzen bekam. Außerdem kaufte
sie sich einen Donut mit Schokoguss und Himbeerfüllung.
»Diese Schokodinger mit Himbeer gibt es sonst
nirgends«, erklärte sie mampfend, als wir wieder in den Truck
stiegen. »Deshalb komme ich so oft wie möglich hierher.«
»Ah ja.« Ich trank einen Schluck Wasser. Auf
Kaffee hatte ich verzichtet, um nicht noch nervöser zu
werden.
»Echt wahr. Willst du mal abbeißen?«
»Nein, danke.«
»Nun komm schon, stell dich nicht so an. Du
musst ihn unbedingt probieren.« Sie schob mir den Donut, aus dem
rote Marmelade quoll, vor den Mund, bis ich davon abbiss, damit sie
endlich Ruhe gab.
»Siehst du? Schmeckt gut, was?«
Der Zuckerguss klebte mir am Gaumen. Die
Marmelade war nicht widerlich süß, wie ich erwartet hatte, sondern
eher säuerlich. »Ja.«
Sie lachte. »Du hörst dich an, als hätte ich
versucht, dich zu vergiften.«
Ich leckte mir die Schokolade von den Lippen
und spülte sie mit einem Schluck Wasser runter. Zügig fuhren wir
die Ausfahrt zum Highway runter. Während Nicki sich in den Verkehr
einfädelte, hielt ich den Atem an, doch sie ordnete sich ganz
profihaft in den Strom der Autos ein. Ehrlich gesagt machte sie das
besser als meine Mutter, die immer ziemlich ruckartig fuhr.
»Warum wühlst du dir ständig in den Haaren
rum?«, fragte Nicki. »Bist du nervös?«
»Natürlich bin ich nervös.« Um sie abzulenken,
zeigte ich aus dem Fenster. »Hast du eben den Habicht
gesehen?«
»Was für einen Habicht?«
»Da hinten auf dem Lichtmast. Die sitzen
überall am Highway und warten auf totgefahrene Tiere.«
»Nein, ich muss mich auf den Verkehr
konzentrieren.«
Der Habicht erinnerte mich ans Fliegen und das
wiederum ans Fallschirmspringen. Ich erzählte Nicki von meinem
Plan.
»Tolle Idee!«, sagte sie.
»Da sind meine Eltern anderer Ansicht.« Meinem
Vater lag diese Sache offenbar immer noch im Magen. Am Morgen hatte
er zugesehen, wie ich mein Antidepressivum nahm, was er seit einer
Ewigkeit nicht mehr gemacht hatte. Gewöhnlich war meine Mutter
diejenige, die dabei aufpasste, und selbst sie handhabte das Ganze
inzwischen ziemlich lax. Doch heute Morgen hatte Dad gesagt: »Lass
mal sehen.« Dann musste ich ihm die Pille auf der Zunge zeigen, und
nachdem ich geschluckt hatte, hatte er meinen Mund
kontrolliert.
»Ja, meine Mom würde wahrscheinlich auch nichts
davon halten«, seufzte Nicki. »Die ist schon halb durchgedreht, als
ich mir mal beim Volleyball den Knöchel verstaucht habe.«
Mein Dad hatte nie ein Fass aufgemacht, wenn
ich mich beim Sport verletzt hatte. Ich glaube, er war sogar ein
bisschen stolz, wenn ich leicht lädiert nach Hause kam. Nicht dass
er gewollt hätte, dass ich mir ernsthafte Verletzungen zuzog oder
so. Aber wenn ich mir mal das Knie verrenkt oder den Finger
gequetscht hatte, klopfte er mir mitfühlend auf den Rücken, und
damit hatte es sich dann. Nach jener Nacht in der Garage war jedoch
alles anders geworden.
»Du hast Baseball gespielt, stimmt’s?«, fragte
Nicki.
»Ja.«
»An welcher Position?«
»Meistens an der Second Base. Ich war
Reserveshortstop.«
»Sicher warst du ein guter Fielder. Hast du
auch gebattet?«
»Das konnten andere im Team besser als ich.
Aber ich war gut im Ablaufen der Bases. Deshalb haben sie mich bei
der Aufstellung normalerweise ganz vorn platziert.«
»Warum hast du damit aufgehört, wenn du so gut
warst?«
Ich starrte zum Fenster raus. »Hab ich dir doch
schon gesagt. Wegen des Drüsenfiebers.«
»Aber das hast du doch nicht mehr, oder?«
»Nein. Ich hab einfach … nicht wieder
damit angefangen. Außerdem war das alles an meiner alten Schule.
Ich hab keine Ahnung, wie ich an der Seaton Highschool abschneiden
würde. Vielleicht würden sie mich gar nicht ins Team
aufnehmen.«
Nicki schüttelte den Kopf. »Wenn ich aufhören
würde, Volleyball zu spielen, würde mir was fehlen. Fehlt dir denn
gar nichts, seit du nicht mehr spielst?«
Ich dachte an all die Spiele, die ich mir mit
meinem Vater angesehen hatte, dachte daran, wie mein Arm manchmal
zuckte, wenn der Second Baseman einen Wurf machte, wie die Muskeln
meiner Beine sich anspannten, wenn ich einen Base Run beobachtete.
»Keine Ahnung. Schon möglich.«
»Du hörst dich aber so an, als würde es dir
fehlen.«
»Pass mal auf, Nicki, wenn ich eine Analyse
meiner Gefühle brauche, geh ich zu meiner Seelenklempnerin.«
»Nun sei doch nicht so empfindlich! Warum gibst
du nicht einfach zu, dass es dir fehlt?«
Ohne auf ihre Frage einzugehen, rieb ich einen
Fleck auf der Windschutzscheibe weg, damit ich besser raussehen
konnte.
»Mensch, Ryan, was hast du denn davon, dich wie
ein Roboter zu benehmen? Wenn du redest, kann ich manchmal all
diese unterschiedlichen Stufen in deiner Stimme hören. Ich merke,
dass du über was nachdenkst, dass dich was interessiert, aber dann
machst du die Schotten dicht, und deine Stimme wird völlig
ausdruckslos.«
Ich antwortete ihr nicht, hörte aber gut
zu.
»Du bist viel interessanter, wenn du kein
Roboter bist. Und wenn du dich in Schweigen hüllst, wird das eine
sehr lange Fahrt werden.«
»Warum soll denn immer ich reden?«, erwiderte
ich. »Erzähl du doch mal was.« Da wir beim Thema Sport waren,
konnte sie mir ja was über Volleyball erzählen. »Was macht man denn
so als Zuspielerin?«
»Das interessiert dich doch gar nicht.«
»Doch, doch. Also, leg los.«
Sie schnaubte verächtlich. »So ein Quatsch.
Nenn mir eine Sache, die du über Volleyball weißt.«
»Jedes Team darf den Ball dreimal berühren,
Blocken nicht mitgerechnet.«
Daraufhin hielt sie kurz den Mund. Dann sagte
sie: »Das weiß doch jeder.«
»Nun mach schon.« Ich trank den letzten Schluck
meines Wassers. »Wer ist denn jetzt empfindlich?«
Sie lachte. »Okay. Es gefällt mir, Zuspielerin
zu sein, weil ich da so oft zum Zug komme.« Sie verstummte, um ein
Auto zu überholen, dessen Fahrer langsamer fuhr, weil er
telefonierte. »Im Idealfall habe ich bei jedem Spiel den zweiten
Schlag. Ich muss wissen, wie die anderen im Team gern annehmen, und
ihnen den Ball dann entsprechend zuspielen.«
Ich konnte mir gut vorstellen, dass es Nicki
gefiel, im Mittelpunkt der Action zu stehen und die Situation unter
Kontrolle zu haben. Sie berichtete von Spielen, die auf der Kippe
gestanden hatten, von Fehlern, die sie gemacht hatte, und wie
schwierig es für sie gewesen war, den Aufschlag von oben zu lernen.
Sie erzählte vom Spiel gegen eine Schule, wo die Decke der
Sporthalle so niedrig gewesen war, dass die Bälle, die sie trafen,
trotzdem nicht out waren. »Diese Mädchen hatten einen gewaltigen
Vorteil, weil sie ständig in der Halle spielten und wussten, wie
sie die von der Decke abprallenden Bälle annehmen mussten.«
»Deckenvorteil« sagte ich und sie lachte.
Als sie es satthatte, Volleyballgeschichten zu
erzählen, nahm ich mir das Buch vor, das ich mitgenommen hatte.
Doch obwohl meine Augen den Buchstaben folgten, sah ich im Geiste
ständig Val vor mir. Ich legte das Buch wieder beiseite.
Nicki fuhr gut, ohne je zu rasen oder die
Straße aus dem Blick zu lassen. »Wie wär’s mit ein bisschen
Musik?«, schlug sie vor und schaltete das Radio ein. Sie entdeckte
einen Country-Sender und sang laut mit. Gerade als all die Cowboys
und ihr Herzeleid anfingen, mir gewaltig auf die Nerven zu gehen,
stellte sie die Musik leiser und sagte: »Wie heißt dieses Mädchen
noch mal?«
»Val.«
»Val.« Sie wiederholte den Namen, als schmecke
sie ihn ab. »Weiß sie, dass du sie magst?«
»Keine Ahnung. Schon möglich.«
»Hast du sie schon mal geküsst?«
Ich lachte. »Nein.«
»Hast du überhaupt schon mal jemand
geküsst?«
»Ja.«
Sie spitzte die Lippen, um sich auf die Straße
zu konzentrieren. Oder vielleicht auch auf die nächste Frage, die
lautete: »Hattest du schon mal Sex?«
»Was? Warum willst du das denn wissen?«
»Aus reiner Neugier. Wir haben mindestens noch
eine Stunde Fahrt vor uns. Über irgendwas müssen wir doch
reden.«
»Warum erzählst du mir dann nicht von deinem
Sexleben?«
Sie runzelte die Stirn. »Willst du das wirklich
wissen?«
»Ja, warum nicht.« Ich kurbelte das Fenster
runter und ließ mir den Wind ins Gesicht wehen.
»Also, letztes Jahr hatte ich einen Freund. Er
war viel älter als ich – und meine Mutter hasste ihn.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Ich hab mit ihm geschlafen, obwohl das
wahrscheinlich falsch war. Aber ich fand ihn einfach klasse und war
schwer verliebt und so. Doch dann stellte sich raus, dass er
während der ganzen Zeit, in der wir zusammen waren, immer noch mit
seiner alten Freundin rummachte.«
»Wie bist du denn an ein solches Arschloch
geraten?«
Sie verdrehte die Augen. »Er wohnte neben einer
meiner Freundinnen.«
»Nein, ich meine, wie bist du überhaupt darauf
gekommen, mit ihm zu gehen? So was hast du doch gar nicht
nötig.«
Sie lachte verlegen. »Er hatte so tolle Augen.
Und wenn er mit mir sprach, senkte er immer seine Stimme.« Sie
machte es mir vor. »Als verrate er mir ein Geheimnis, das nur uns
beide etwas anging. Jetzt weiß ich natürlich, dass er bloß eine
Show abgezogen hat, aber damals wirkte er so aufrichtig. Und dann hatte er noch diesen tollen
struppigen Bart …«
»Bart! Wie alt war denn
dieser Typ?«
»Achtzehn«, sagte sie, den Blick auf die Straße
gerichtet.
Ich wusste, dass sie jetzt fünfzehn war, was
hieß, dass dieser Typ drei oder vier Jahre älter als sie gewesen
sein musste. »Ist das nicht irgendwie …«
»Sag’s lieber nicht.« Sie verzog den Mund. »Das
haben meine Mutter und meine Brüder schon getan. Matt hätte den Typ
beinahe zusammengeschlagen. Jedenfalls …« Sie versuchte, eine
lässige Handbewegung zu machen, stieß dabei aber an den
Rückspiegel. »Aua. Jedenfalls kommt es mir jetzt so vor, als sei
das vor langer, langer Zeit passiert. Als ich noch ein dummes
kleines Mädchen war.«
Zunächst wusste ich nicht, was ich sagen
sollte. Nachdem wir ein paar Kilometer zurückgelegt hatten, fragte
ich: »Mochtest du ihn, weil oder obwohl er älter war?«
»Tja … weil, glaube ich. Ja, weil. Die
Typen in meinem Alter sind alle so dumm und unbeholfen.«
Plötzlich wusste ich nicht mehr, wohin mit
meinen Beinen und meinen Ellbogen. Ich war ungefähr anderthalb
Jahre älter als sie. Galt das in ihren Augen nun als älter oder als
gleichaltrig? Dass mir ein Vollbart wuchs, war noch nicht zu
erwarten, das stand fest. Ich prüfte nach, ob mir die Haare zu
Berge standen, aber die wehten sowieso im Wind hin und her.
»Also ich finde, der war ein Scheißkerl«, sagte
ich.
Sie lachte. »Hab ich doch gesagt. Jetzt bist du
dran. Bist du noch Jungfrau?«
Ich hatte gehofft, dass sie diese Frage
vergessen würde. »Nein.«
»Tatsächlich? Und wer war die
Glückliche?«
»Niemand, den du kennst.«
»Bist du da sicher?«
»Sie ging auf meine alte Schule.«
»Komm schon, Ryan, lass Details hören.« Sie
schnippte mit den Fingern. »Namen, Daten, wer den ersten Schritt
gemacht hat …«
»Lieber nicht.«
»Na, hör mal! Ich hab dir doch auch alles
erzählt!«
»Also … es war nur ein Mal, es war nicht
gerade die schönste Nacht meines Lebens, und danach hat sie nie
wieder mit mir gesprochen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
»Mannomann«, meinte Nicki, nachdem sie eine
Weile geschwiegen hatte. »Was haben wir bloß verbrochen, um uns so
ein beschissenes erstes Mal einzuhandeln?«
Bei Nicki konnte ich das nicht beurteilen. Was
ich falsch gemacht hatte, wusste ich jedoch ziemlich genau.
Als wir uns Pendleton näherten, fingen
meine Nerven derart an zu flattern, dass ich am liebsten aus dem
Truck gesprungen wäre. Ich rief mir in Erinnerung, dass Val mich ja
schon im denkbar schlechtesten Zustand erlebt hatte. Diesmal würde
ich nicht stumm bleiben, würde mich nicht unterm Bett verstecken
oder wie ein Häufchen Elend auf dem Fußboden liegen. Was immer
jetzt geschehen mochte – im Vergleich zu unserer letzten
Begegnung würde meine Ausgangsposition um einige Grade besser
sein.
Sie war meine Freundin, ganz gleich, was sich
sonst noch ereignete oder nicht ereignete. Sie war nicht Amy
Trillis. Trotzdem zitterten meine Hände so, dass ich sie gegen die
Schenkel presste, damit Nicki nichts bemerkte.
Obwohl ich Val unbedingt sehen wollte, war ich
innerlich noch nicht so weit, als wir vor ihrem Haus vorfuhren. Ich
hatte das Gefühl, ich brauchte mehr Zeit – aber Zeit wofür?
Würde ich je so weit sein?
»Wow«, sagte Nicki, als der Truck keuchend
haltmachte. »Das Haus ist ja noch größer als euers.«
Das stimmte. Vor allem aber fiel mir auf, dass
die Ishiharas ihre Sträucher spiralförmig beschnitten hatten. Wenn
unser Haus von Hecken umgeben gewesen wäre, hätte meine Mutter sie
zweifellos genauso zurechtgestutzt.
Vals Mutter, der ich mehrmals in der Klinik
begegnet war, öffnete die Haustür. »Kommt rein«, sagte sie und
strahlte mich an. »Val übt noch, sie ist aber gleich fertig. Wie
geht es dir, Ryan?«
»Gut«, antwortete ich, wobei mir durch den Kopf
schoss, dass diese Frage immer viel hintersinniger war, wenn die
Leute wussten, dass man mal in einer psychiatrischen Klinik gewesen
war. Aber was ich an Vals Mutter am meisten mochte, war, dass sie
nie darauf zu warten schien, dass ich vor ihren Augen
zusammenbrach. Sie schien nie den Atem anzuhalten, wie es bei Jakes
Mom manchmal der Fall war. »Das ist meine Freundin Nicki. Nicki,
das ist Dr. Ishihara.«
»Schön, dich kennenzulernen.« Dr. Ishihara
schüttelte Nicki die Hand, als warte sie schon ihr ganzes Leben
darauf, ihr zu begegnen. Ja, Vals Mom war praktisch der netteste
Mensch, den ich kannte. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die
Behauptung, es sei die Schuld der Eltern, wenn ihre Kinder
durchdrehten, nicht immer zutraf. Nicht dass sie perfekt gewesen
wäre. Aus Vals Erzählungen bei den Gruppensitzungen wusste ich, wie
sehr sie Val zusetzte, damit diese in allem gut war – nicht
nur gut, sondern überragend. Ob das nun absichtlich geschah oder
nicht, jedenfalls übte sie gewaltigen Druck auf Val aus.
Dr. Ishihara bot uns Limonade an und stellte
uns allerlei Fragen über die Schule. Nicki streckte die Beine unter
dem Tisch aus und betrachtete die abstrakten Bilder an den Wänden,
die alle von Val stammten: Auf einem Bild waren scharfkantige Kuben
zu sehen, auf einem anderen grüne Wirbel – die mich sofort an
das Bild in meinem Zimmer erinnerten. Die ganze Zeit hörte ich, wie
Val oben Geige spielte, etwas Düsteres und Kompliziertes. Es klang,
als würden die Saiten Schmerz empfinden, als wären sie Nerven, die
zu Vals Körper gehörten. Es fiel mir unendlich schwer, am
Küchentisch sitzen zu bleiben und Small Talk mit ihrer Mutter zu
führen. Viel lieber wäre ich nach oben gerannt und Val um den Hals
gefallen.
Nach einer Weile hörte die Musik auf. Kurz
danach kam Val die Treppe heruntergesprungen.
»Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass Ryan
schon da ist?«, rief sie, während sie auf mich zulief. Val!
Endlich!