Kapitel drei

Wir hatten uns zum Mittagessen im Toa getroffen, einem angesagten neuen Restaurant in London. Carena, Philly und ich legten großen Wert auf alles, was in war. Philly hatte einen Job als PR-Managerin für Bars und Restaurants, was super war, denn so standen uns die Türen zu jeder Party und jedem angesagten Lokal offen. Erstaunlicherweise waren wir drei immer noch befreundet. Carenas lässige Überlegenheit machte es weiterhin spannend, Zeit mit ihr zu verbringen, und seit mein Dad wieder verheiratet war, hatte ich noch mehr Freiheiten – das war einfacher, als mich dazu zu bringen, zu Hause zu bleiben und nett zu Gail zu sein.

Carena sah noch immer atemberaubend aus – sie hatte unglaublich dünne, lange Beine und eine blonde Mähne. Ihre Schnute drohte Angelina Jolie Konkurrenz zu machen, und sie hatte die Augenbrauen zu einem schimmernd hohen Bogen gezupft, der sie ständig überrascht aussehen ließ. Sie erklärte, dass Männer diesen erstaunten Gesichtsausdruck liebten, weil er dem Blick entspricht, den sie ernten wollen, wenn sie sich zum ersten Mal vor dir ausziehen, so als wolltest du sagen: »O mein Gott, so einen Penis habe ich vorher ja noch nie gesehen! Was für eine riesige und unglaubliche Überraschung!« Das war natürlich eine äußerst nützliche Information, aber ich war mir nicht sicher, ob ich so etwas auch hinkriegen würde.

Philly achtete streng auf ihre Figur, indem sie jeden Tag zwei Paar Elasthan-Leggins übereinander trug, egal, was sie vorhatte. Ich könnte schwören, dass sie die selbst im Schwimmbad nicht auszog. Sie erzählte auch oft davon, dass sie von Natur aus so glatte Haare hatte und wie wenig Arbeit die machten, aber ich weiß ganz genau, dass sie alle zwei Tage zum Friseur ging und schreckliche Angst davor hatte, von einem Regenschauer überrascht zu werden.

Unser Mittagessen lief immer nach genau dem gleichen Schema ab: Wir schauten uns an, für welches trendige neue Menü Philly diese Woche warb, und stießen unsere Oh- und Ah-Rufe aus. Dann beäugten wir einander und erklärten: »Ich denke, ich nehme den Foie-gras-Hamburger«, nickten wissend und meinten: »Ja, ich auch.« Irgendjemand fügte dann meistens hinzu: »Mit Pommes frites«, und wir nickten wieder energisch und erklärten: »Klar, mit Pommes, auf jeden Fall.« Dann kam der Kellner, und im letzten Augenblick verkündeten wir schließlich: »Wisst ihr was, ich hab’s mir anders überlegt. Ich denke, ich nehme einfach nur einen grünen Salat.«

Ich glaube, der Zweck des Ganzen bestand darin, jemanden dazu zu kriegen, tatsächlich einen Hamburger mit Pommes zu bestellen, aber seit wir uns kennen, hat das noch nie funktioniert (außer manchmal bei Philly), also frage ich mich, warum wir uns überhaupt noch mit dem ganzen Theater aufhielten. Wir taten auch alle so, als würden wir noch Nachtisch bestellen. Die Kellner wirkten niemals überrascht, manchmal brachten sie nicht einmal einen Stift mit an unseren Tisch. Idioten!

Na ja, mir ging etwas ganz anderes durch den Kopf, und ich konnte kaum noch an mich halten. Carena sah mich an.

»Also«, fragte sie schließlich gedehnt, nachdem sie dem Brotkorb einen Blick zugeworfen hatte, als sei er ihr Erzfeind. »Wie läuft es mit deinem Lover?«

»Fantastisch!«, platzte ich heraus. Es stimmte schon. Seit ich Rufus kennengelernt hatte, war Zurückhaltung nicht meine Stärke. »Weißt du, wir haben darüber gesprochen, zusammen zum Skifahren zu gehen, und er will mich wohl seiner Großmutter vorstellen. Die hat so ein richtig tolles Haus. Und dann wollen wir vielleicht gemeinsam zum Jägerball …«

»Okay, ganz ruhig«, unterbrach mich Carena lächelnd und warf Philly einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Gott, und wir hatten schon Angst, du würdest ewig Single bleiben.«

Ich ebenfalls, dachte ich bei mir, aber das sagte ich nicht. Ich hatte Rufus bei einer Party kennengelernt. Um ehrlich zu sein, war unsere erste Begegnung sogar ein wenig peinlich gewesen. Er hatte getrunken und war zu mir zur Theke herübergekommen. Ich hatte ihn aus dem Augenwinkel beobachtet und mich über ihn gewundert, als er sich zu mir vorbeugte und fragte: »Würde es dir eigentlich was ausmachen, wenn ich dir eins auf den Hintern gebe?«

»Ja, allerdings!«

»Wie schade«, meinte er. »Dazu hätte ich jetzt echt Lust.«

»Pech gehabt!«, verkündete ich und achtete darauf, meinen Hintern außer Reichweite zu bringen. »Warum fängst du nicht bei dir selbst an?«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war wirklich furchtbar betrunken, aber trotzdem unverkennbar gutaussehend – die dunkelbraunen Haare fielen über seine langen Wimpern, und ich konnte einen kurzen Blick auf strahlend weiße Zähne erhaschen.

»Wie wär’s, wenn du das übernimmst?«

»Nein! Verschwinde!«

»Oh, sag doch das nicht, schöne Frau! Ich bin Rufus.«

»Zieh Leine, Rufus.«

»Das ist jetzt nur, weil ich betrunken bin, oder?«

»Genau. Na ja, und wegen der Sache mit dem Hintern.«

Er drehte sich zum Barmann um. »Eine Kanne schwarzen Kaffee, bitte!«

Und dann zwinkerte er mir zu. Ich gab ihm meine Telefonnummer, war aber völlig überrascht, als er mich drei Tage später tatsächlich anrief.

»Ich kann nicht fassen, dass du dich nach dem Vollrausch überhaupt noch an mich erinnerst.«

»An einen Hintern wie deinen? Machst du Witze?«

Und das war mein Rufus. Mein Herz machte jedes Mal einen Satz, wenn ich an ihn dachte. Er war ein Treuhand-Baby und besaß einen kleinen grünen MG, den ich liebte. Darin flitzten wir kreuz und quer durch London und hatten jede Menge Spaß. Er stand wirklich auf Spanking, aber er war so witzig und süß und zauberhaft, dass ich ihm das gerne nachsah, und es kam mir immer öfter in den Sinn, dass er vielleicht – genau – der Richtige sein könnte.

Ein paar Wochen zuvor hatten wir auf seinem Dach gesessen – das war nicht besonders sicher, aber die Aussicht war fantastisch, und es war so ein schöner Abend gewesen. Wir hatten Champagner getrunken und auf den Park hinuntergeschaut, während die Sonne unterging. Einfach perfekt. Ich ließ den Kopf an seine Schulter sinken, und er legte den Arm um mich.

»Sag mal, steht dir der Sinn eigentlich nie nach mehr, Sophie?«, wollte er plötzlich wissen.

»Mehr als was?«

»Mehr, als einfach nur ein Luxusleben zu führen?«

Ich sah ihn an. »Aber du sagst doch immer, dass es im Leben vor allem um Spaß geht!«

Er nahm einen Schluck aus der Champagnerflasche. »Oh, du hast sicher recht«, meinte er. »Ich hab nur manchmal das Gefühl, dass unser Dasein so sinnlos ist. Du schießt großartige Fotos, wenn dir gerade danach ist – hättest du nicht Lust, mehr daraus zu machen?«

»Weiß nicht. Könnte ich vielleicht. Und du, was würdest du gerne tun?«, neckte ich ihn spielerisch. »Medizin studieren? In Afrika Brunnen bauen? Den Krebs besiegen?«

»Immerhin hab ich letzte Woche bei der Wohltätigkeitsveranstaltung gespendet«, sinnierte er. Dann schien er den Gedanken beiseitezuschieben. »Wir haben doch Spaß, oder etwa nicht? Wir sollten das Leben nicht allzu ernst nehmen.«

Er drückte mir einen flüchtigen Kuss aufs Haar, dann leerten wir die Champagnerflasche, und ich fand, dass das der romantischste Abend meines Lebens war. Wir hatten eine gemeinsame Basis … wir konnten über unsere Träume sprechen, unsere Ängste, unsere Hoffnungen. Ich weiß, dass Daddy sich Sorgen machte, weil ich mich mit Playboys abgab, aber Rufus war wirklich anders.

»Das wird ja richtig ernst mit euch beiden«, sagte Philly erstaunt.

Normalerweise hätte ich das vehement abgestritten, aber wir waren jetzt vier Monate zusammen, und es lief wirklich gut. Ich war sehr glücklich.

»Nun ja …« Ich zierte mich.

»Glaubst du etwa … du weißt schon … da wird bald etwas an deinem Finger blitzen?«

Philly war drauf und dran, sich mit irgendeinem Banker zu verloben, und war völlig verrückt nach allem, was mit Hochzeiten zu tun hatte, und das, obwohl er so üble Arbeitszeiten hatte, dass sie ihn eigentlich nie zu Gesicht bekam. Carena hingegen sparte sich auf, wie sie sagte, und zwar sicher nicht, weil es ihr an Verehrern mangelte. Aber das Angebot musste schon vom richtigen Typen kommen. Ich denke, sie hatte ein großes Haus auf dem Land im Hinterkopf.

»Nein!«, behauptete ich. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich mich das auch schon gefragt hatte. Er war so witzig, so charmant, so kuschelig und gutaussehend. Und reich, natürlich, das war auch recht nützlich. Die Vorstellung, in seine Bude in Kensington einzuziehen, statt zu Hause wohnen zu müssen, gefiel mir. Bei Daddy war es wunderbar und so, aber es hätte mir nichts ausgemacht, meinem Stiefmonster zu entkommen. Die Beziehung zwischen uns hatte sich nicht gerade verbessert, seit ich mit voller Absicht auf allen hundertsiebzig Hochzeitsfotos geschmollt hatte.

Philly beugte sich vor. »Also, heute Abend steigt die Gallery-Party …«

Das war eines der sozialen Highlights des Jahres und fand in einem Londoner Park im Freien statt. Es war alles unheimlich romantisch.

»Oh, man kann nie wissen«, warf Carena ein.

»Wir sind doch erst vier Monate zusammen«, entgegnete ich. Ich wollte mich da auf keinen Fall in etwas reinsteigern. »Außerdem habe ich ja noch nicht einmal seine Eltern kennengelernt. Ich vermute, die müssen mich erst mal genau unter die Lupe nehmen, um sicherzugehen, dass ich eine angemessene Erbin wäre.«

Carena zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ist er denn so reich?«

»O ja«, erklärte ich. »Sein Vater ist in der Pharmabranche. Offensichtlich ist die Prämie der Versicherung gegen Kidnapping höher als alles, was Rufus je verdienen könnte. Deshalb arbeitet er auch gar nicht erst.«

»Tatsächlich? Ich wusste nicht … Ich meine, er sieht doch immer eher ein bisschen schäbig aus.«

»Ich mag seine Klamotten«, verteidigte ich ihn. Ehrlich gesagt lebte er in einem alten Kordanzug, den ihm sein Vater vermacht hatte. Einkaufen fand Rufus langweilig.

»Na, das ist nun wahre Liebe«, meinte Carena und kippte den letzten Rest Champagner hinunter.

»Hallo, Sophia, Schätzchen«, sagte Daddy, als er mir auf der Treppe entgegenkam.

»Hi, Daddy.«

Unsere Beziehung hatte sich verändert, als Gail auftauchte. Sie war noch immer liebevoll, aber jetzt hatte ich das Gefühl, als hätte er eine Seite an mir entdeckt, die er vorher noch nicht kannte. Und ich war meinerseits sicher, dass sie ihn ständig mit Geschichten über mich versorgte, weshalb ich mich noch unbehaglicher fühlte. Jetzt, da die Teenager-Jahre vorbei waren und ich mehr Freiheiten hatte, lief es besser. Aber es gab immer noch heikle Situationen, vor allem, seit Gail neuerdings meinte, ich sollte doch mehr arbeiten, was absurd war, denn schließlich hatte sie ihren Job an dem Tag aufgegeben, als sie Daddy heiratete. Und sicher würde Rufus sowieso nicht wollen, dass ich Geld verdiente, mal abgesehen vermutlich von einigen Wohltätigkeitsaktivitäten. Das war ein verlockender Gedanke.

»Kommst du gerade von der Arbeit?«

Ich druckste herum. Es war ja nicht so, dass ich keinen Job hatte; theoretisch hatte ich den durchaus. Ich assistierte Julius Mandinski, dem Modefotografen. Nachdem ich die Schule mit nicht besonders beeindruckenden Noten abgeschlossen hatte (eine schlechte Ausbeute seiner Investition, wie mein Vater betrübt bemerkte, obwohl er zweifellos genug Kendalls-Allüren für sein Geld bekommen hatte), ging ich nach Oxford Brookes und studierte Fotografie, weil ich immer noch die alte Leica meines Vaters hatte und gerne knipste. Insgeheim machte es mir wirklich Spaß, aber ich traf dort auch jede Menge andere Mädchen aus Kendalls, und wir gingen jeden Abend zu College-Bällen, was in jener Zeit viel wichtiger war.

Julius hatte so ungefähr fünfzig Assistentinnen. Man bekam nicht besonders viel Geld, und es gab auch keine geregelten Arbeitszeiten oder Tätigkeiten, weil Julius nur mit der Crème de la Crème der Modelszene arbeitete und nur an bizarren Projekten. Wenn also zweieinhalb Meter große Rumänen kopfüber in einem Becken voller Harz schweben sollten, bekleidet nur mit wilden Gürteltieren, dann war Julius der richtige Mann. Meistens ging ich lediglich ein paarmal die Woche hin, um herumzustehen und mürrisch dreinzublicken, während ich Wodka für die Models holte. Ich drückte selten auf den Auslöser. Doch es gab meinem Vater das Gefühl, dass ich etwas für mein Taschengeld tat. Carena hingegen arbeitete überhaupt nicht.

»Ja, sozusagen. Ich hab die Mädels getroffen und mich auf den neuesten Stand gebracht.«

»Also warst du nicht wirklich bei der Arbeit, Kleines?«

»Nein. Deine neue Krawatte find ich toll, Daddy.«

Aber er sah nicht aus, als würde er sich damit abspeisen lassen. Um ehrlich zu sein, sah er auch nicht besonders gut aus. Gail versuchte immer, ihn etwas zu zügeln, was den Brandy und das gute Essen beim Savoy Grill anging, aber er hörte nicht auf sie, und ich stärkte ihr aus Prinzip nicht den Rücken, egal, worum es ging.

»Weißt du, als ich in deinem Alter war …«

»Da hast du eine Firma gekauft. Ich weiß, ich weiß.«

»Also, Gail hat mir die Rechnungen von deinen Schönheitsbehandlungen gezeigt …«

Na, vielen Dank, Gail, dachte ich eingeschnappt.

»Und ich meine ja nur, Schatz. Du bezahlst deinem Friseur mehr, als bei mir die jüngeren Angestellten in einem ganzen Jahr verdienen.«

Ich schüttelte meine lange, blassgoldene Mähne und warf ihm einen beseelten Blick zu. »Aber ich dachte, du magst mein Haar, Daddy.«

»Tue ich ja auch, Liebes. Aber ich möchte einfach, dass du … du weißt schon, aus deinem Leben etwas machst.«

»Julius Mandinski ist einer der erfolgreichsten Modefotografen des Landes.«

Daddy sah ein wenig traurig aus. »Na ja, davon verstehe ich nicht viel.« Dann lächelte er. »Aber ich weiß, dass du einen neuen Freund hast. Du tust so geheimnisvoll. Wann lerne ich ihn denn mal kennen?«

Das würde sich wohl einrichten lassen, hoffte ich. Um ehrlich zu sein, vertraute ich sogar darauf, dass Rufus mich bald um ein Treffen mit meinem Vater bitten würde, um ihm ein gewisses Anliegen vorzutragen …

»Ich bringe ihn mal mit«, versprach ich und lächelte. »Du wirst ihn mögen.«

Und das wünschte ich mir wirklich. Mein Vater war ein Selfmademan und traute Treuhandleuten manchmal nicht so recht über den Weg, aber schließlich mochte jeder Rufus. Selbst Carena fand ihn nett, und sie konnte die Typen, mit denen ich ausging, sonst nie leiden.

»Triffst du ihn heute Abend bei dieser Party?«

»Ja!« Bei dem Gedanken konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen.

Daddy schielte auf meine Einkaufstüten. »Hast du dir dafür ein neues Kleid zugelegt?«

Carena und ich waren shoppen gewesen, und ich hatte mir das romantischste Kleid gekauft, das ich finden konnte. Eine lange Robe aus schlichtem Stoff – so gar nicht das, was ich sonst so trug. »Das«, hatte Carena bemerkt, »sieht mir ganz stark nach dem Kleid einer Verlobten aus.«

»Willst du etwa nicht, dass die Jungs mich mögen?«

»Natürlich. Jeder soll dich mögen. Aber deinetwegen, Dummerchen, nicht wegen deiner Klamotten.«

Er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. »Trink nicht so viel Wodka, in Ordnung?«

Gail stand oben am Rand der Treppe. »Hast du mit ihr geredet?«, zischte sie meinem Vater zu, der schuldbewusst dreinsah.

»Ich muss noch im Arbeitszimmer ein Telefonat erledigen«, murmelte er und schlich davon. Gail warf mir einen Blick zu.

»Hallo, Gail«, rief ich und hoffte, Esperanza hatte schon angefangen, mir das Bad einlaufen zu lassen; ich ließ mich gerne gut durchweichen, bevor ich abends ausging. Gail seufzte. »Dein Vater und ich, wir machen uns Sorgen um dich.«

»Tatsächlich?« Ich wusste schon, was jetzt kam.

»Deine Kreditkartenrechnungen … Sophie, ich weiß, dass du hier viel Freiraum hast, aber das ist einfach lächerlich. Das ist die reinste Verar…, es ist einfach albern. Und du solltest dich wirklich nach einem vernünftigen Job umsehen.«

»Sorry, Gail, können wir später weiterreden?«, entgegnete ich. »Ich bin ein wenig in Eile.«

Zu besonderen Anlässen führte Daddy mich höchstpersönlich aus. An meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag ging er mit mir mittags bei Le Gavroche essen und erzählte mir jede Menge Geschichten aus seiner Jugend in Nebraska. Ich hatte sie alle schon oft gehört, aber das störte mich überhaupt nicht, es war einfach nur toll, Zeit mit ihm zu verbringen.

Beim Essen brachten wir wie üblich einen Toast auf meine Mutter aus, und er bekam feuchte Augen, aber dann lehnte er sich im letzten Moment zu mir herüber und drückte mir die Hand, und ich verstand, dass er es schon schaffen würde. »Weißt du, Gail macht mich glücklich«, versicherte er mir, nachdem ein Augenblick verstrichen war. Ich antwortete nicht, aber ich tätschelte ihm die Hand und hoffte, dadurch würde er sich besser fühlen.

Anschließend nahm er mich zu Asprey mit, wo ihn die Angestellten schon kannten, und suchte ein umwerfendes Diamantenkollier für mich aus.

»Du bist es wert«, verkündete er. »Diese Steine sind makellos, genau wie du.«

»Ich bin nicht makellos!«, protestierte ich.

Dad sah sich demonstrativ nach allen Seiten um und senkte dann theatralisch die Stimme. »Ich weiß«, flüsterte er laut vernehmlich, »aber ich bin dein Vater, also erlaube mir bitte, wenigstens so zu tun.«

Er rückte die Kette noch einmal zurecht und betrachtete dann mein Bild im Spiegel.

»Was bedeutet ›Iglu‹?«, fragte ich, nachdem ich diese Aufschrift auf der Schachtel entdeckt hatte.

»Das sind kanadische Diamanten. Ethisch. Es gab keine Opfer in den Minen und keine blutigen Kämpfe um die Steine. Also sind sie nicht nur schön, sondern auch gut.«

Er strich mir sanft über die Wange. »Wir nehmen sie«, sagte er zu dem Verkäufer.

Das Licht fiel auf die Juwelen. Sie waren so rein, dass es beinahe wehtat.

»Und direkt ab damit in den Safe«, meinte Daddy lächelnd. »Aber für den Fall, dass du dich eines Tages besonders schön machen willst …«

Ich umarmte ihn heftig. Ich wusste, dass ich verwöhnt war, auch vom Glück. Nach so einem Mittagessen nahm ich mir jedes Mal vor, ein wenig netter zu meiner Stiefmutter zu sein, weil ich meinen Vater so sehr liebte.

»Die sind jetzt schon mein Ein und Alles.«

»Du bist mein Ein und Alles.«