EINUNDZWANZIG

~ In dem ein Wunder zum Fluch wird ~

Dimitri öffnete die Augen und sah nur Finsternis, in seinen Ohren nur ein großes Rauschen. Hitze. Unfassbare Hitze. Seine Gedanken waren langsam, zäh, und als er den Kopf hob, erinnerte er sich.

Schmerz. Aber der war jetzt verschwunden.

Maia. Oh, Gott. 

Für einen Moment waren da nur Leere und Angst in ihm, dann öffnete er wieder mühselig die Augen und sah sich um. Goldene und rote Flammen wirbelten und tanzten, Hitze zehrte an ihm. Seine Lungen brannten, seine Augen waren trocken. Jenseits der Flammen, lag nur Finsternis.

Er war gestorben. Er war in der Hölle.

Wo ist Luzifer?

Er hatte diesen einen, kurzen, merkwürdigen Moment lang Wayren gesehen ... aber den gefallenen Engel nicht. 

Dimitri entdeckte, dass er sich bewegen konnte, und er drehte sich auf den Rücken, sein Körper war schwach und tat weh, aber er bewegte sich. Und dann sah er sie. Maia, so unmöglich das schien. Sie war immer noch da, an der gleichen Stelle. Auf dem Stuhl, immer noch von Rubinen gefesselt, das flackernde Licht auf ihren Gesicht. 

Wie konnte sie immer noch hier sein? Warum hatte das Feuer sie nicht schon verschlungen, alles Leben aus ihr gewürgt?

Sie beobachtete ihn mit einem entsetzten Gesichtsausdruck, als er sich schwankend aufrichtete, zu stehen kam, und auf ihrem Gesicht war jetzt nur Verwunderung zu sehen. Und dann Staunen.

Der gleiche Schock und die Stärke durchfuhren Dimitri, wie er da hustete und keuchte, der schwarze Rauch in dichten Schwaden um ihn. Die Hitze tobte weiter, und er konnte sie auf seiner Haut spüren, als säße sie da und würde ihm ihr Brandmal aufdrücken.

Aber er bewegte sich. Auf sie zu. Die Rubine schienen keinerlei Macht mehr über ihn zu besitzen. 

Und dennoch stolperte Dimitri, unbeholfen, hustend, keuchend, so stark, dass er sich die Seite halten musste. Was geschieht mit mir?

Und dann, auf einmal, bemerkte er, dass er keine Schmerzen mehr fühlte. Keine Schmerzen. Nicht einmal von dem Luziferzeichen. 

Gerade als die Feuersbrunst um ihn wieder aufbrach. Die schmutzige Hitze von Rauch und Ruß.

Und plötzlich überfiel ihn die Erkenntnis, und er griff nach seinem linken Schulterblatt. Obwohl es bedeckt war von Staub und Schmutz, war es ansonsten glatt. Makellos.

Das Mal war verschwunden. Der Schock lähmte ihn, er stand erstarrt nur da, keuchend, gebückt. Und er begriff gleichzeitig was für ein Segen ... und was für ein Fluch ... das bedeutete.

Wayren. Deswegen war sie hier gewesen. 

Sein Pakt mit Luzifer war gelöst. Zerbrochen.

Er war wieder sterblich.

Sterblich.

Er ging weiter, und dann war er dort, nahm Maia in seine Arme, dieses süße, verrauchte, weiche Bündel. Riss an den Rubinseilen, er warf die Ketten von sich und zog Maia ganz in seine Arme, als der dunkle Rauch sie beide erstickte und verschlang.

„Maia“, sagte er mit einer heiseren, rauen Stimme, und dann blieb ihm angesichts des erstickenden Tohuwabohus die Luft wieder weg.

Sie hustete, fiel ihm matt gegen die Brust, und er ließ sie beide herabgleiten, auf den Boden, wo der Rauch nicht ganz so dicht war, hielt sie fest an sich gepresst, wünschte sich, er hätte immer noch sein feuchtes Hemd, um es ihr auf das Gesicht zu legen. Sie küsste ihn, küsste ihm die Wangen und seinen nackten Hals, und er fand ihre Lippen, rußig, salzig, und bedeckte sie mit einem verzweifelten Hunger. Sein Gesicht war nass vor Tränen und auch Schweiß, Erleichterung und Wärme. Und etwas Gutes rollte sich allmählich in ihm auf. Es würde alles gut werden. Denn jetzt war sie bei ihm.

Er war wieder Sterblich. Wieder menschlich. Er liebte. 

Maia. Ich danke Gott, dass ich dich gefunden habe.

Sie sagte gerade etwas, und zuerst konnte er es gar nicht verstehen. Aber dann hörte er es, fühlte, wie ihre Lippen das Wort formten: „Gavril.“

Ich liebe dich. 

Er spürte, eher denn dass er sie die Worte aussprechen hörte. Ihre Lippen formten sie dort an seinem Mund, und er brachte sein Gesicht ganz herab zum Boden, um dem Rauch zu entfliehen. „Ich liebe dich“, sprach er in ihr Haar hinein, Wie konnte ich nur so ein Narr sein?

Ein unheilvolles Krachen brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. „Wir müssen ... hier hinaus“, sagte er, bevor ihn gleich wieder ein Hustenanfall überkam. 

Als er hochschaute, sah er die Feuerwand vor ihnen. Und egal wo er sich hindrehte, sah er Feuer, wütend und fauchend. Der Rauch stieg weiter auf und wurde noch dichter, am Boden zwar etwas dünner, aber dennoch mächtig. 

Er schaute sich wieder um, verdrehte seinen Körper, dort, auf dem Boden, als er sie vor den Flammen zu schützen suchte. Und Kälte, ganz langsam, breitete sich in ihm aus, erfasste seinen Körper, ließ ihn taub vor Schock zurück.

Es gab keinen Ausweg.

Das Feuer brannte zu hoch, zu heiß, zu groß. Es gab kein Durchkommen dort.

Unmöglich.

Unmöglich für einen Sterblichen.

Ohnmächtige Wut ergriff von Dimitri Besitz, trat an die Stelle der kalten Angst, und er blickte auf sie herab. Ihre Blicke trafen sich, und er spürte, wie sie es hinnahm, als sie ihre Glieder weich werden ließ, an ihn geschmiegt, und die Augen schloss. Ihre schmutzige Wange hatte sie auf seinen Arm gelegt. Bereit, zu sterben.

Sie wusste es. Sie hatte es wahrscheinlich schon immer gewusst. 

Nein. Es musste einen Ausweg geben.

Erneut schaute er sich um, suchte nach einer Bresche durch die Flammen, irgendwo, wo sie nicht so hoch brannten, und er mit ihr im Arm hinausspringen könnte. Aber da war nichts.

Bitterkeit. Oh, solche Bitterkeit. 

Wenn er nicht gerade Maia im Arm gehalten hätte, hätte Dimitri vor Zorn getobt und sich in die Flammen geworfen, rasend vor Wut und Verbitterung. Ihm machte es nichts aus zu sterben. Er war schon seit Jahrzehnten dazu bereit. Es war Maia ... es war nur Maia.

Er hob sie hoch, fühlte, wie ihre Arme sich um ihn legten, als ein Husten sie schüttelte, sie zu sprechen versuchte, aber es nicht vermochte, wegen des schweren Rauchs. Er schloss die Augen und beugte sich über sie, um sie, versuchte sie mit seinem großen Körper vor den fallenden Balken und tanzenden Flammen zu schützen.

Bitte.

Die Ironie, das Entsetzliche an ihrer Lage – dass ihm sein Herzenswunsch erfüllt worden war, dass er endlich frei von Luzifer war, aber jetzt die Frau, die er liebte, nicht retten konnte – trieb ihm bittere, beißende Tränen in die Augen. Sie fielen in ihr Haar, brannten in seinen ausgetrockneten Augen, schmeckten salzig, als sie ihm die Wangen hinabliefen. 

Ich verfluche dich. Ich verfluche dich.

Hilf mir. Irgendjemand. 

Er dachte an Wayren, ihre schlichte, elegante Gestalt erschien ihm vor seinem inneren Auge, und ihre Platituden. 

Ihre sinnlosen Platituden, die zu spät kamen: Aber deswegen sind die Menschen hier auf Erden. Eben um gestört zu werden. Um zu fühlen. Zu leben. Zu lieben. Und ... um geliebt zu werden. Das ist es, was euch von jeder anderen Kreatur unterscheidet. Und das macht den Menschen auch letztendlich stärker als Satan selbst. 

Ja, er hatte die Liebe erfahren. Er hatte sich ihr geöffnet, gerade noch rechtzeitig, um sie zu verlieren. Das Leben zu verlieren. Das Wunder war zum Fluch geworden, und jetzt würden sie sterben.

Maia würde sterben, genau wie Meg gestorben wäre.

Wenn er unsterblich geblieben wäre ... wenn er den Pakt nicht gelöst hätte...

Die Kälte war wieder da, die schreckliche Erkenntnis, dass er eine Wahl hatte. Dass er sie retten konnte, genau wie er Meg gerettet hatte. Sie packte ihn hart, finster und böse, stärker noch als das Feuer, das um seinen sterblichen Leib tobte. 

Er hatte nicht gewusst, was es bedeutete. Damals. Als Luzifer ihn zum ersten Mal aufgesucht hatte. Aber jetzt wusste er es. Er kannte die Hölle, das Grauen, die Finsternis, die der Pakt bedeutete, nur zu gut.

Er wollte das alles nicht noch einmal durchleben. Aber er könnte es.

Etwas in ihm ging zu Bruch, etwas, was dann zu Kälte wurde, und dann Hitze ... und dann tiefe, tiefe Ruhe. Eine Oase, eine Insel, inmitten des Feuerstrudels aus Furcht und Entsetzen, die in ihm kämpfte und auch um ihn herum.

Er könnte es tun. Er konnte Maia retten.

„Ich nehme alles zurück“, brüllte er in die Finsternis, seine Stimme eingerostet und kaum hörbar. Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er seine Entscheidung traf. „Luzifer! Erhöre mich!“

Die Flammen wüteten und rollten sich, Hitzewellen brandeten durch das Zimmer. Es kam jetzt näher. Schon bald würden sie nicht mehr atmen können. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch nicht davon verschlungen worden waren, denn das Feuer schien alles zu fressen, aber seine Geschwindigkeit hatte sich verlangsamt, irgendwie. Etwas schien dem Feuer Einhalt zu gebieten. 

Luzifer!“, brüllte er noch einmal.

Und da stand er, der Satan, der Teufel, dort in seinem Kopf. „Du wagst es, mich wieder anzurufen, nachdem du unseren Pakt aufgekündigt hast?“

„Du hast mich einmal gefragt, ob ich Meg genug liebe, um sie zu retten“, sagte er ... oder – was eher wahrscheinlich war – er dachte es, denn das hier war ein Traum genau wie es das andere Mal auch ein Traum gewesen war. „Ich habe es nicht gewusst, aber jetzt verstehe ich es. Ich gebe dir, noch einmal meine Seele, aber diesmal gebe ich dir ihre Seele nicht. Du hast mich, aber sie bleibt unberührt. Tu es jetzt, du Bastard. Tu es jetzt.“

Luzifer lächelte dieses warme, einladende Lächeln, und seine Augen verengten sich. „Es ist mir immer eine Freude, wenn die wahrhaft Gottesfürchtigen sich mir zuwenden. Ich nehme dich zurück, Dimitri. Ich nehme dich zurück.“ Er streckte die Hand aus, um sein Mal zu ersetzen, und glühender Schmerz, ein jäher weißer Blitz brannte dort in der Finsternis. Dimitri sah noch einmal kurz Wayren und dachte, zu spät...

Und dann fiel er auch schon.